Sächsische Zeitung  (Görlitz)

In den Mühlen der Bürokratie

Bühne in Sachsen Großes Ensemble, gewaltige Bilder – als absurden Traum erlebt man „Das Schloss“von Franz Kafka in Dresden.

- Von Sebastian Thiele Wieder am: 1., 6. und 20.6.; Kartentele­fon: 0351 4913555

Schüchtern, sperrig und verkopft – wer hätte 1924 gedacht, dass der Sonderling Franz Kafka und seine bizarren Geschichte­n 100 Jahre überdauern: Kafka als Abiturthem­a, im Serienform­at und auf der Theaterbüh­ne. Seinen Zwist mit dem Vater, die Not im Umgang mit Frauen, aber auch das schriftste­llerische Dilemma, dem eigenen Anspruch nicht zu genügen, prägen Kafkas Texte. Nur selten gelingt eine Erzählung im Schreibrau­sch. Bei Romanen scheitert er. So wurde auch „Das Schloss“als unfertiges Fragment erst nach seinem Tod veröffentl­icht. Seit Sonnabend tobt dieser Kampf des Landvermes­sers K. gegen die Mühlen der Bürokratie auf der Bühne des Dresdner Schauspiel­hauses.

„Es war spät abends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schlossber­g war nichts zu sehen …“, so setzt der Roman ein. Auch auf der Bühne von Andreas Auerbach ist es finster. Ein verzerrtes Stöhnen erfüllt den Raum. Schwer atmet K. unter einer Gasmaske. In ein Endzeitsze­nario hat Regisseur Maxim Didenko ihn geworfen: Signalgelb leuchtet sein Schutzanzu­g. Grau und kalt starren die kastenarti­gen Bauten des Dorfes. Nur ein romantisch­er Vollmond prangt am Bühnenhimm­el. Bald wird das Containerd­orf gedreht, innen wie außen bespielt. Mittels Livecam folgt man dem Spiel parallel aus vielen Perspektiv­en. Das ist dynamisch, bildgewalt­ig. Kreativer könnte dieses Bühnenkonz­ept aber sein, erinnert es doch sehr an Bühnen von Frank Castorfs Inszenieru­ngen.

Der Landvermes­ser K. soll für einen Schlossher­ren arbeiten. Doch K. scheitert von Beginn an, seinen Arbeitgebe­r zu erreichen. Ablehnend zeigt sich die Dorfgemein­schaft. Oft sieht das vielköpfig­e Ensemble aus wie mitgenomme­ne Kriegsvete­ranen, mit Tschapkas, Panzerhaub­e oder Prothesen. Manchmal spielen mehrere Dörfler unter einem Poncho-Monstrum, sodass sie symbolisch stets unter einer Decke stecken. K.s größtes Problem ist die rätselhaft­e Bürokratie. Kein Anruf kommt durch. Keine Anfrage wird beantworte­t.

Obwohl die Inszenieru­ng ganz in ihrer eigenen surrealen Welt bleiben will, deuten diese mächtigen Mühlen der Bürokratie klar in Richtung Gegenwart, etwa in der herrlich überzeichn­eten Szene, in der Holger Hübner als Gemeindevo­rsteher dem verunsiche­rten, fremden K. Behördenvo­rgänge kryptisch erklärt und ihn dabei verhöhnt. Wer kennt nicht dieses Ohnmachtsg­efühl gegenüber einer Instanz? Oder wurde Opfer von Beamten-Willkür? Wer ist nicht vielleicht selbst Teil des undurchsic­htigen Apparates? Kafkas „Schloss“zeigt genau das: unerforsch­liche Beamten-Hierarchie­n, Fremdenfei­ndlichkeit, Machtspiel­e und zynisches, menschenfe­indliches Handeln. Nicht auszudenke­n, was die gegenwärti­g so befeuerte KI alles noch zur Entmenschl­ichung des 21. Jahrhunder­ts beitragen wird.

Mit Blick auf die Bühne wächst das Unbehagen, oft unterstütz­t durch befremdlic­he, elektronis­che Klänge von Daniel Williams. K., dem Moritz Kienemann gekonnt viele Gesichter verleiht, wird nie die Instanz des Schlosses erreichen: Nie erlangt er Gnade. Plump nähert er sich Frieda im Wirtshaus an und will sie sofort heiraten, um Teil der Gemeinscha­ft zu werden. Sehr zart und in Abhängigke­it ihrer Verhältnis­se spielt Kaya Loewe ihre Frieda. Sie wird in dieser Welt zum schmerzlic­hen Objekt reduziert. Generell sind alle Figuren hier deformiert – äußerlich lädiert, innerlich auf Funktionen des „Schloss-Apparates“reduziert. Eine Zukunft kann K. Frieda nicht bieten und er liebt sie nicht wirklich. Selbstgefä­llig,

ja harsch behandelt K. auch seine Gehilfen von oben herab und gibt erlittene Erniedrigu­ngen direkt an sie weiter. Skurril staksig klebt dabei Jonas Holupirek stets an K.s Seite, bekommt in einer Szene während des Laufens von ihm leibhaftig die Kleider vom Körper gerissen. Stark körperlich spielt Kienemann seinen K., wälzt sich, tänzelt auf der Stelle, stapft gegen die Drehbühne an. Oder lässt sich von seinen Gehilfen wie ein kleiner Alltagspas­cha tragen. Doch immer ist er ein vibrierend­es Nervenbünd­el, mit einer Prise Jämmerlich­keit – verloren in der Sinnlosigk­eit seiner Zeit.

Obwohl die Regie viele Ideen zaubert, um die Sinne zu füttern, gelingt es ihr nicht ganz, den Text zu beleben. Es ist wunderbar schräg, wenn Martin Blülle als Beamter ein paar Schachtels­ätze singt. Oder ein bizarrer Pioniercho­r dies gleichfall­s mit überspitzt­em Ernst zelebriert. Aber solche Verfremdun­gen sollten häufiger die KafkaSätze schleifen. Dramaturgi­sch müsste mit mehr Mut Text zusammenge­strichen, das Tempo gesteigert werden. So dominiert leider die Textlast das Spiel und sorgt nach der Pause für zähe Strecken.

Am Ende wird K. an Drahtseile­n nach oben gezogen. Steif lässt er sich treiben. Nur seine Füße paddeln unsicher, als würde er durch eine unbarmherz­ige Kraft auferstehe­n. Doch erlöst wirkt er nicht: Ein starkes Bild beendet einen langen Abend, der zeigt, wie heutig Kafkas unbequeme Themen sind, wie übermächti­g Behördenvo­rgänge den Einzelnen einschränk­en, wie stark die technisier­te Welt das Individuum verändert. Aber die Inszenieru­ng zeigt auch, wie schwierig es ist, Kafkas Sprache zum Leuchten zu bringen. Maxim Didenko gelingen keine theatralen Superlativ­e, und Wagnisse oder Provokatio­nen sind nicht zu erwarten. Garantiert wird bilderreic­hes Literaturt­heater mit klarem Konzept und sehr sehenswert­em Ensemble.

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