Personalmangel-Chaos: Optiker lässt Kunden vor geschlossener Tür stehen
Der Brillen-Discounter hatte erst kürzlich in Görlitz wieder geöffnet. Da der Verkäufer jetzt ausfällt,ist der Ärger groß. Davon berichtet eine Kundin aus Niesky.
Carola Schulze aus Niesky freut sich so richtig, als die Görlitzer Filiale des Internet-Optikers Brillen.de wiedereröffnet. Denn von dem Shop in Hoyerswerda ist sie einen tollen Service gewohnt. Auch in der Görlitzer Filiale, die Mitte März mit einem neuen Verkäufer ihre Türen geöffnet hatte, sei sie freundlich bedient worden, berichtet die 67-Jährige gegenüber der SZ. Doch nun, nach der Anzahlung, wartet die Kundin auf ihre bestellte Brille und ist stinksauer darüber, dass ihr seit rund vier Wochen niemand so richtig weiterhelfen kann. Sie ist nicht die einzige. Was ist da los?
Die Görlitzer Filiale von Brillen.de am Otto-Buchwitz-Platz war Mitte März nach längerer Schließung von einem 21-jährigen Quereinsteiger aus der AutoverkaufsBranche übernommen worden. Die Schließung vor vier Wochen kam krankheitsbedingt. Ein handschriftlicher Zettel, der auf die Schließung hinweist, ist alles, was die Kunden erfahren. Wann ist wieder geöffnet, gibt es eine Krankheitsvertretung und vor allem: wie kommen die Kunden jetzt an ihre Bestellungen?
Carola Schulze etwa hat die Hälfte des Preises ihrer bestellten Brille im Voraus bezahlt, das sei Verkaufsbedingung gewesen, sagt sie. Schulze wundert sich, weil sie das von einem anderen Geschäft in Hoyerswerda, das Produkte von Brillen.de vertreibt, anders kennt. Laut SZ-Informationen hängt das damit zusammen, welchen Vertrag die jeweilige Filiale mit Brillen.de geschlossen hat. „Exklusiv-Partner“der Discount-Optiker-Kette müssen von ihren Kunden tatsächlich die 50 Prozent Vorkasse verlangen. Der besagte Partner in Hoyerswerda hat wohl einen anderen Vertrag mit der Firmenzentrale geschlossen, damit auch ein anderes Bezahlsystem, dort kann man (noch) per Rechnung zahlen, ohne Vorkasse, wie früher vor der letzten Umstellung auch bei anderen Brillen.de-Shops.
Um das Personalmanagement bei Brillen.de kümmert sich Augenoptikermeisterin Ulrike Reichel aus Königs Wusterhausen. Sie antwortet auf Anfrage der SZ: „Unser Mitarbeiter vor Ort war leider ab dem 15. April krankheitsbedingt ausgefallen. Uns war bis zum Beginn der aktuellen Woche leider nicht bekannt, wie lange er ausfallen wird beziehungsweise, ob der Ausfall eine längere Zeit betrifft. Daher können wir erst seit dieser Woche eine verlässliche Auskunft treffen.“Aktuell kontaktiere das Unternehmen alle Kunden, die „von der kurzfristigen Schließung betroffen“sind.
Es sei schwierig, vor Ort Mitarbeiter zu finden. Zuletzt hatte das Unternehmen acht Monate lang nach einem Nachfolger für die erste Verkäuferin in dem Geschäft in Görlitz gesucht, um dieses „zumindest mit einem Mitarbeiter wiedereröffnen zu können. Gleichzeitig haben wir weiterhin zusätzliches Personal gesucht, bisher ohne Erfolg.“Das Personal, so Reichel, sei nach wie vor nicht gefunden. Egal, ob „Augenoptiker oder auch Quereinsteiger aus dem Einzelhandel oder der Gastronomie“– Hauptsache, es fände sich jemand, der die
Optiker, welche per Online-Videokonferenz die Kunden beraten und Sehtests vornehmen, vor Ort unterstützt.
Der Arbeitsmarkt für Optiker ist laut einer Statistik des Zentralverbands der Augenoptiker auf einem sehr niedrigen Niveau und lässt auf einen Fachkräftemangel schließen. Etwa 1.000 offene Stellen unter Augenoptikern gab es im Dezember, laut Statistik zählen hierzu Fachkräfte, Spezialisten und Experten. Und selbst ein Optiker, bei dem der Großteil des Geschäfts Online abgewickelt wird, funktioniert ganz ohne eine Person vor Ort eben nicht. Das merkte nun neben Schulze noch eine weitere Kundin: Silke Ackermann.*
Die 75-jährige Görlitzerin wartet ebenfalls vergeblich auf ihre bestellte Brille. Durch den SZ-Artikel „Junger Mann verkauft jetzt bei Brillen.de Nasenfahrräder statt Autos“war sie auf die Neueröffnung des Brillengeschäfts am Otto-BuchwitzPlatz aufmerksam geworden, schildert Ackermann, und „mit mir meine Schwester und eine Woche später meine Freundin. Wir haben die Brille bereits bezahlt.“Der Abholtermin sei in der Woche nach Ostern gewesen. „Seit diesem Zeitpunkt versuchen wir, einen verbindlichen Abholtermin zu bekommen. Über das Internetportal kann ich meinen Bestellstatus einsehen, aber da hat sich seit der Bestellung nichts geändert. Es wird ein Live-Chat angeboten, der aus verschiedenen Bausteinen besteht, aber man erhält keine Auskunft auf die konkrete Frage.“Bei Anruf der im Internet ersichtlichen Telefonnummer solle man die Postleitzahl der Verkaufsstelle eingeben. Eine Roboter-Stimme teilte der Seniorin am Telefon mit, diese Postleitzahl könne „nicht zugeordnet werden“. Auf verschiedenen Webseiten erhielt sie unterschiedliche Auskünfte: Auf der einen las sie „wegen Personalmangel geschlossen“, auf der einen „voraussichtliche Öffnung im Dezember“. Ackermann ist das suspekt. Sie hat sicherheitshalber ihre Bank damit beauftragt, das für die Brille per Vorkasse gezahlte Geld zurückzuholen. Andere Kunden hätten Anzeige gestellt oder wittern Betrug. Letzteres trifft auch auf Carola Schulze zu.
Diesen Vorwurf weist Ulrike Reichel entschieden zurück: „Alle unsere Kunden erhalten die von Ihnen bestellten Brillen. Unsere Zentrale kontaktiert jeden Kunden, um eine für den Kunden möglichst angenehme Übergabe seiner Brille zu garantieren.“Und was sagt die Augenoptikermeisterin zu dem Service, den mehrere Kunden, die sich bei der Redaktion melden, als chaotisch wahrnehmen? „Wie bei vielen anderen Unternehmen, findet unser Kundenservice per Live-Chat statt. Abgesehen davon: Auch eine Hotline hätte in diesem Fall zu keinem schnelleren Ergebnis geführt, da wir bis dieser Woche nicht davon ausgegangen waren, dass der Laden längere Zeit zu sein wird“, erklärt Reichel.
Carola Schulze jedenfalls hat, so sagt sie der SZ am Freitag, zuletzt über den LiveChat die Auskunft bekommen, dass sie ihr Geld innerhalb von vier bis sechs Wochen wiederbekomme. Parallel bekäme sie allerdings immer wieder Werbung von Brillen.de über WhatsApp zugeschickt. Diese führen zu Links, mit denen sie Termine im Laden am Otto-Buchwitz-Platz buchen kann – der immer noch geschlossen ist.