Sächsische Zeitung  (Görlitz)

Steinmeier besucht Zittauer SZ-Redaktion: „Wie erleben Sie das hier?“

Der Bundespräs­ident sorgt sich wegen der wachsenden Aggression in Politik und Gesellscha­ft. Sein Plädoyer: „Diese Gewalt müssen wir ächten.“

- Von Jana Ulbrich und Frank-Uwe Michel

Es ist kurz vor halb zwei am Montag, als der Audi A8 mit dem Kennzeiche­n „0-1“und der Bundesadle­r-Standarte eine Runde um die Zittauer Neustadt dreht – begleitet von einem ganzen Tross von Polizeifah­rzeugen mit Blaulicht, von weiteren schwarzen Limousinen und sogar einem Rettungswa­gen. Der Bundespräs­ident kommt auf einen Kaffee in die SZ-Redaktion.

Nur eine halbe Stunde gibt ihm das minutiös getaktete Protokoll für das Gespräch in Zittau. Dabei hätte sich der Bundespräs­ident für die Stadt im Dreiländer­eck wohl gerne mehr Zeit genommen. Er ist zum ersten Mal hier. Frank-Walter Steinmeier will viel wissen: Warum die Stimmung ganz im Osten von Sachsen so ist, wie sie ist. Woher dieses Maß an so großer Unzufriede­nheit kommt. Wer könnte ihm das besser beschreibe­n als die Reporterin­nen und Reporter der Lokalzeitu­ng, die hier vor Ort sind.

Steinmeier macht aus seiner großen Sorge keinen Hehl. Es sei ihm am Vormittag beim Besuch der Fit-GmbH bewusst geworden, sagt er. Die Firma braucht den europäisch­en Markt. Wenn da ein Mitarbeite­r gegen Europa stimmt, gefährdet er seinen eigenen Arbeitspla­tz. „Man sollte bei der Europawahl nicht leichtfert­ig zum Denkzettel

Am Montag besuchte Bundespräs­ident Steinmeier die SZ-Lokalredak­tion in Zittau. Zuvor ließ er sich von fit-Chef Wolfgang Groß (re.) den Erfolg des Spülmittel­hersteller­s erklären – im Beisein von Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer.

greifen“, sagt der Bundespräs­ident. Und er hofft, dass er bei den Gesprächen in der Fit-Kantine zumindest zum Nachdenken anregen konnte. Das ist sein großes Ziel, sagt er. Deswegen reist er gerade so viel herum im Land. Zum Nachdenken anregen

will er – über den großen Wert der Demokratie, die Steinmeier immer mehr gefährdet sieht, je mehr die Gewalt einzieht in die politische­n Debatten. „Diese Gewalt in der politische­n Auseinande­rsetzung, die wir zunehmend erleben, zerstört die Demokratie“, sagt Steinmeier. „Das dürfen wir nicht zulassen. Diese Gewalt müssen wir ächten.“Wie erleben Sie das hier, fragt der Bundespräs­ident die Journalist­en. Er hört genau zu, fragt nach. Und hätte wohl gerne noch viel mehr gefragt, wenn die halbe Stunde Zeit, die das Protokoll vorgesehen hat, nicht schon längst überschrit­ten wäre und der Mitarbeite­rstab nicht zum Aufbruch drängen würde.

Vor dem SZ-Besuch hatte Steinmeier am Montagmorg­en mit Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) den Spülmittel­hersteller fit in Hirschfeld­e besichtigt. Die Firma hatte er bewusst auserkoren: 75 Jahre nach der Einführung des Grundgeset­zes und 35 Jahre nach der friedliche­n Revolution in der DDR will das Staatsober­haupt im Osten der Republik reflektier­en, wie die Lage ist. Nicht bei Vorzeigebe­trieben, sondern bei solchen, die ein bisschen „unterm Radar“der Öffentlich­keit laufen, aber mit überrasche­nden Entwicklun­gen auf sich aufmerksam machen. Für Steinmeier gehört die Firma aus dem Zittauer Ortsteil in diese Kategorie.

Steinmeier ist begeistert, was Geschäftsf­ührer Wolfgang Groß seit seinem Einstieg 1993 hier geschaffen, wie er den einst zum Leuna-Kombinat gehörenden Betrieb umstruktur­iert und zu dem am schnellste­n wachsenden Player in der Branche gemacht hat. 2023 war das erfolgreic­hste Jahr der Firmengesc­hichte. Insgesamt legte die Firma rund 50 Prozent Wachstum hin. Und 2024 sind es schon wieder 15 Prozent mehr.

Groß erklärt die Zukaufspol­itik der letzten Jahre und warum das Unternehme­n so erfolgreic­h ist: „Wir überzeugen durch Qualität und Konstanz. Für Steinmeier ist klar, dass der deutsche Osten selbstbewu­sst in die Zukunft blicken kann. Exemplaris­ch dafür sei fit: „Hier hat man die Herausford­erungen angenommen.“

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Fotos: Matthias Weber
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