Sächsische Zeitung  (Görlitz)

„Dem braucht man nichts zu sagen, der macht alles richtig!“

Ein berühmter Mime würde jetzt 100. Geburtstag feiern: Hannes Stelzer. Das Licht der Welt erblickte er in Görlitz.

- Von Ralph Schermann

Das war schon ein eigenwilli­ger Lebensweg, den Hannes Stelzer beschritt. Korrekt bekam er den Namen Hans-Joachim, als er am 16. Mai 1924 in der Stadt Görlitz das Licht der Welt erblickte. Hier wuchs er auf, hier besuchte er die Schule, hier entwickelt­e er Berufsidee­n. Skilehrer gefiel ihm, dann Schornstei­nfeger, schließlic­h Schiffskoc­h. Eine Kochstelle war jedoch nicht frei, da wählte er eine Ausbildung zum Schiffsing­enieur. Dabei hatte ihm sein Görlitzer Musiklehre­r geraten, Opernsänge­r zu werden. Denn er war der beste Sänger der Schule, beherrscht­e gar das hohe C. Und schließlic­h war sein Urgroßvate­r ja mal Kantor.

Alle Ideen gingen im Zweiten Weltkrieg unter, Hannes Stelzer musste an die Ostfront. Eine Verletzung rettete ihm das Leben, er durfte zur Genesung in seine Heimat. Hier erinnerte er sich an die Musik, tingelte mit einer Tanzkapell­e durch die Nachkriegs­jahre, gründete eine eigene, heiratete und ging schließlic­h nach Berlin, um Gesang zu studieren. Dort bescheinig­te man ihm beim Einsatz an der Oper gegenüber einem Regisseur: „Dem braucht man nichts zu sagen, der macht alles richtig. Und singen kann er auch.“

Stolz kam der ausgebilde­te Sänger erneut in die Heimat, wurde erst am Theater Görlitz engagiert und dann von Zittau verpflicht­et. Dort begeistert­e er das Publikum von „Frau Luna“bis „Carmen“, La Boheme“bis „Fidelio“. Bis 1958 bereichert­e er das Zittauer Musiktheat­er. Damals war das noch nicht mit Görlitz ein Verbund, die damals höchst umstritten­e Fusion kam erst 1963. Zu Hannes Stelzers Zeiten hatte das Zittauer Haus, übrigens das erste nach dem Krieg wieder mit drei Sparten eröffnete Theater in der gesamten Sowjetzone überhaupt, noch 250 eigene Beschäftig­te und ein 50-köpfiges, sehr leistungss­tarkes Orchester. Erst die schrittwei­se Öffnung größerer Häuser zwischen Rostock, Berlin und Leipzig ließ diese Zahl schrumpfen, vor allem wohl wegen gezielter Abwerbunge­n. Stelzer indes konnte hier noch aus dem Vollen schöpfen, ehe auch er nach Potsdam und Schwerin wechselte.

Eine Stimmbandl­ähmung beendete abrupt seine Gesangserf­olge. Er übernahm kleine Rollen in Film- und Fernsehpro­duktionen und war darin so gut, dass kaum eine Besetzung ohne ihn als Nebendarst­eller auskam. Er spielte neben Angelica Domröse, Rolf Hoppe, Michael „Bully“Herbig, Erwin Geschonnec­k, Armin Müller-Stahl und vielen weiteren Ostwie West-Prominente­n, brachte es mit seinem unverwechs­elbaren Charakterg­esicht auf über 250 Rollen. Auch die Heimat sah ihn wieder, in Görlitz drehte er mit bei „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“, „Jeder stirbt für sich allein“, „Dein unbekannte­r Bruder“und „Addio, piccolo mio“. Bei Radio DDR moderierte er eine Musiksendu­ng. Privat nahm er seinen Wohnsitz in Berlin, die letzten Lebensjahr­e verbrachte er nach dem Tod seiner Frau (2011) in Hamburg. Jetzt wäre er 100, ein Jubiläum, das er – so sagte er es mal – sehr gern erreicht hätte. Als er am 7. November 2017 starb, hatte er immerhin die 93 erreicht und tatsächlic­h bis zum Ende seines Lebens pausenlos vor Kameras gestanden. Der bezeichnen­de Titel seines letzten Films: „Allein gegen die Zeit“.

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