„Good news first“ist ihr Motto: Das sind die Macher der Görlitzer Stadtteilzeitung
Ende 2023 gründete sich das Projekt, das mit Hobby-Journalismus zu guter Nachbarschaft beiträgt. So vielfältig wie die Themen sind auch die Redaktionsmitglieder. Was treibt sie an?
Momentan liegt sie wieder in vielen Briefkästen der Görlitzer Innenstadt West: die neue Quartierszeitung des Bürgerrats Innenstadt-West. Sie ist kosten- und auch noch namenlos, über einen Wettbewerb können Leser derzeit über die besten drei Namensvorschläge abstimmen. Eine Stimmkarte liegt der Zeitung bei. Zur Auswahl stehen: „Drehsch(r)eibe“, „Hallo Nachbar“und „Sprachrohr West“. Die Redaktion besteht aus Ehrenamtlern, die Lust haben, das Zeitungsprojekt auf die Beine zu stellen. Herausgeber ist der Bürgerrat Innenstadt-West, doch auch Nicht-Mitglieder des Bürgerrats sind ausdrücklich zum Schreiben eingeladen. Mit einer Auflage von 2.000 Stück erscheinen etwa vier Hefte pro Jahr. Die Zeitung liegt in Einrichtungen wie dem Ahoj oder der Rabryka aus, letztere dient den Machern auch als Treffpunkt für ihre Redaktionskonferenzen. Sozialarbeiter Robert Gröschel begleitet das Team. Wer sind die anderen Macher, was bewegt sie und was treibt sie an? Die SZ hat sich das von ihnen erzählen lassen.
SZ-Leser kennen Heinz Conti-Windemuth. Der 75-Jährige ist einer der engagiertesten Zugezogenen in Görlitz, emsiger Leserbrief-Schreiber und setzt sich seit Jahren im Bürgerrat Innenstadt-West ein für Bürgerprojekte, etwa für ein schöneres Görlitz und gegen schlimme Dreckecken. Letzteres Thema kam in der Quartierszeitung bislang noch nicht vor. Denn die Redaktion hat sich ein gemeinsames Motto gesetzt: möglichst viele gute Nachrichten – weil sie darüber berichten möchten, wie sich der Stadtteil positiv entwickelt. Das soll nicht heißen, dass kritische Themen unter den Tisch gekehrt werden, aber ein Signal für gute Stimmung will das Team schon setzen. „Es gibt von manchen Seiten ein Herunterschauen auf die Leute, die hier in der Innenstadt West leben. Das sehe ich nicht ein“, sagt Conti-Windemuth. Er selbst schätzt die bewegte Industriegeschichte, die dieser Stadtteil atmet und kam vor vielen Jahren durch seinen Ziehvater in die Neißestadt.
Niemand von den ehrenamtlichen Redakteuren hat vorher bereits eine solche Zeitung auf die Beine gestellt. „Bitte vergleichen Sie das Ergebnis nicht mit professionellem Journalismus“, heißt es im Vorwort der zweiten Ausgabe und doch ist das Team motiviert, bringt Leidenschaft fürs Schreiben mit. So ist es auch bei Anja Pippel. Sie steht im Impressum als „Redaktionsleitung“– eine reine Formalie, versichert sie. Denn im Team wird alles basisdemokratisch ausdiskutiert, egal, wie lange das dauert. Im Berufsleben ist die 39-jährige Pippel Gymnasiallehrerin für Biologie und Chemie. Sie zog 2017 hierher, der Geburtsort ist Halle an der Saale. Pippel schreibt schon seit der Kindheit leidenschaftlich gern belletristische Geschichten – entweder Kindergeschichten oder Krimis. Für die aktuelle Quartierszeitung hat sie einen Artikel über die Restaurierung der Görlitzer Stadthalle geschrieben.
Falko Metjen, mit 28 Jahren der Jüngste im Redaktionsteam, wurde im Februar in den Bürgerrat nachgewählt und war vor seinem Studium bereits dort aktiv. In Görlitz
kennt man ihn beim Görlitzer Verein „Wünsche von Herzen“, der erfüllt Kindern und Erwachsenen, die gesundheitlich eingeschränkt oder in finanzieller Not sind, Herzenswünsche. Zudem ist Metjen Vorsitzender des SPD-Ortsverbands und seit neuestem auch Redakteur bei der Quartierszeitung. Dass er die erste Ausgabe in seinem Briefkasten fand, hat ihn zum Mitmachen motiviert. Für die zweite steuert er selbst einen Bericht über die Ostereiersuche-Aktion des Bürgerrats im Brautwiesenpark bei. Die politische Neutralität des gesamten Blattes bleibt übrigens trotz seines parteipolitischen Engagements gewahrt, eine Mitarbeiterin der Görlitzer Verwaltung im Rathaus liest vor dem Druck einmal über das Endprodukt drüber und achtet auf diesen und andere Qualitätsstandards.
Lisa Schug (72) hat in ihrem Berufsleben schon als Sozialarbeiterin, Taxifahrerin und als Beamtin gearbeitet. Nun ist sie Rentnerin, möchte gerne aber weiter aktiv ihr Umfeld gestalten, statt nur auf Reisen zu gehen. Von vielen Terminen kleinerer und interessanter Veranstaltungen in der Rabryka und anderswo erfahre man gar nichts mehr in der Zeitung, so lautete ein Satz von ihr aus einem Treffen des Bürgerrats. Dieser Satz war es, der den Anstoß gab zur Gründung dieser Zeitung. Der Terminkalender in der Quartierszeitung nimmt einen breiten Raum ein, fast zwei Seiten sind damit bedruckt. Schugs Aufgabe ist es, die Terminkalender-Übersicht zu recherchieren. Außerdem bringt sie sich mit vielen Ideen und Themen ein. Ein Thema, das ihr wichtig ist, ist dass Senioren in der digitalen Welt nicht abgehängt werden.
Carsten Burschick ist frisch nach Görlitz gezogen. Zuvor hat er lange in Berlin gelebt, dort war er Mitarbeiter des AxelSpringer-Verlags. Nun genießt er seine passive Altersteilzeit und kommt im Unruhestand
irgendwie nicht los vom Zeitungsmachen. Bei Springer war er als Korrekturleser tätig in der Schlussredaktion der BildZeitung. „Das ist immer ein Reizwort“, sagt Burschick, nachdem er erst nicht so recht herausrücken wollte mit dem genauen Namen seines Arbeitgebers. Umso mehr, weil seine Sitznachbarin Maggy H., ihres Zeichens Alt-68erin, in ihrer Jugend gegen die Bild demonstriert hat. Die eine oder andere verbale Hubbelei gibt es deswegen schon mal bei einer Redaktionssitzung. Man verstehe sich, das seien „alte Geschichten“, Schwamm drüber, sagen beide. Carsten Burschicks Bericht in der aktuellen Ausgabe hat doch tatsächlich die Schlagzeile „Ton, Stein, Scherben – Frühlingsmarkt in der Waldorfschule“.
Die 71-Jährige Ursula Geßner war in ihrem Berufsleben als persönliche Referentin eines Abgeordneten im bayrischen Landtag tätig. Sie stammt aus dem Speckgürtel von München und zog im Oktober 2018 nach Görlitz. Sie und ihr Ehemann dachten, „das wäre ein Ort zum Altwerden“, sagt sie. Mittlerweile ist Geßner verwitwet. Görlitz findet sie immer noch schön, im Großen und Ganzen zumindest. „das, was nachts hier los ist“, bereitet ihr Sorge. Sie meint zum Beispiel die als extremistisch anerkannten Montagsdemos, die seit nunmehr vier Jahren an diesem einen Abend der Woche das Stadtbild negativ prägen. Mit positiven Geschichten aus dem Quartier dagegenzuhalten ist genau ihr Ding. Im Landtag hat sie damals unter anderem Flyer entworfen. Das kommt ihr nun zupass, sie hilft viel mit beim Layout der Quartierszeitung. Für die dritte Ausgabe recherchiert sie gerade zu einem Artikel über Hundekot auf Bürgersteigen.