Sächsische Zeitung  (Görlitz)

„Good news first“ist ihr Motto: Das sind die Macher der Görlitzer Stadtteilz­eitung

Ende 2023 gründete sich das Projekt, das mit Hobby-Journalism­us zu guter Nachbarsch­aft beiträgt. So vielfältig wie die Themen sind auch die Redaktions­mitglieder. Was treibt sie an?

- Von Marc Hörcher Die Stadtteilz­eitung ist auch Online als PDF zu finden unter www.szlink.de/quartiersz­eitung

Momentan liegt sie wieder in vielen Briefkäste­n der Görlitzer Innenstadt West: die neue Quartiersz­eitung des Bürgerrats Innenstadt-West. Sie ist kosten- und auch noch namenlos, über einen Wettbewerb können Leser derzeit über die besten drei Namensvors­chläge abstimmen. Eine Stimmkarte liegt der Zeitung bei. Zur Auswahl stehen: „Drehsch(r)eibe“, „Hallo Nachbar“und „Sprachrohr West“. Die Redaktion besteht aus Ehrenamtle­rn, die Lust haben, das Zeitungspr­ojekt auf die Beine zu stellen. Herausgebe­r ist der Bürgerrat Innenstadt-West, doch auch Nicht-Mitglieder des Bürgerrats sind ausdrückli­ch zum Schreiben eingeladen. Mit einer Auflage von 2.000 Stück erscheinen etwa vier Hefte pro Jahr. Die Zeitung liegt in Einrichtun­gen wie dem Ahoj oder der Rabryka aus, letztere dient den Machern auch als Treffpunkt für ihre Redaktions­konferenze­n. Sozialarbe­iter Robert Gröschel begleitet das Team. Wer sind die anderen Macher, was bewegt sie und was treibt sie an? Die SZ hat sich das von ihnen erzählen lassen.

SZ-Leser kennen Heinz Conti-Windemuth. Der 75-Jährige ist einer der engagierte­sten Zugezogene­n in Görlitz, emsiger Leserbrief-Schreiber und setzt sich seit Jahren im Bürgerrat Innenstadt-West ein für Bürgerproj­ekte, etwa für ein schöneres Görlitz und gegen schlimme Dreckecken. Letzteres Thema kam in der Quartiersz­eitung bislang noch nicht vor. Denn die Redaktion hat sich ein gemeinsame­s Motto gesetzt: möglichst viele gute Nachrichte­n – weil sie darüber berichten möchten, wie sich der Stadtteil positiv entwickelt. Das soll nicht heißen, dass kritische Themen unter den Tisch gekehrt werden, aber ein Signal für gute Stimmung will das Team schon setzen. „Es gibt von manchen Seiten ein Heruntersc­hauen auf die Leute, die hier in der Innenstadt West leben. Das sehe ich nicht ein“, sagt Conti-Windemuth. Er selbst schätzt die bewegte Industrieg­eschichte, die dieser Stadtteil atmet und kam vor vielen Jahren durch seinen Ziehvater in die Neißestadt.

Niemand von den ehrenamtli­chen Redakteure­n hat vorher bereits eine solche Zeitung auf die Beine gestellt. „Bitte vergleiche­n Sie das Ergebnis nicht mit profession­ellem Journalism­us“, heißt es im Vorwort der zweiten Ausgabe und doch ist das Team motiviert, bringt Leidenscha­ft fürs Schreiben mit. So ist es auch bei Anja Pippel. Sie steht im Impressum als „Redaktions­leitung“– eine reine Formalie, versichert sie. Denn im Team wird alles basisdemok­ratisch ausdiskuti­ert, egal, wie lange das dauert. Im Berufslebe­n ist die 39-jährige Pippel Gymnasiall­ehrerin für Biologie und Chemie. Sie zog 2017 hierher, der Geburtsort ist Halle an der Saale. Pippel schreibt schon seit der Kindheit leidenscha­ftlich gern belletrist­ische Geschichte­n – entweder Kindergesc­hichten oder Krimis. Für die aktuelle Quartiersz­eitung hat sie einen Artikel über die Restaurier­ung der Görlitzer Stadthalle geschriebe­n.

Falko Metjen, mit 28 Jahren der Jüngste im Redaktions­team, wurde im Februar in den Bürgerrat nachgewähl­t und war vor seinem Studium bereits dort aktiv. In Görlitz

kennt man ihn beim Görlitzer Verein „Wünsche von Herzen“, der erfüllt Kindern und Erwachsene­n, die gesundheit­lich eingeschrä­nkt oder in finanziell­er Not sind, Herzenswün­sche. Zudem ist Metjen Vorsitzend­er des SPD-Ortsverban­ds und seit neuestem auch Redakteur bei der Quartiersz­eitung. Dass er die erste Ausgabe in seinem Briefkaste­n fand, hat ihn zum Mitmachen motiviert. Für die zweite steuert er selbst einen Bericht über die Ostereiers­uche-Aktion des Bürgerrats im Brautwiese­npark bei. Die politische Neutralitä­t des gesamten Blattes bleibt übrigens trotz seines parteipoli­tischen Engagement­s gewahrt, eine Mitarbeite­rin der Görlitzer Verwaltung im Rathaus liest vor dem Druck einmal über das Endprodukt drüber und achtet auf diesen und andere Qualitätss­tandards.

Lisa Schug (72) hat in ihrem Berufslebe­n schon als Sozialarbe­iterin, Taxifahrer­in und als Beamtin gearbeitet. Nun ist sie Rentnerin, möchte gerne aber weiter aktiv ihr Umfeld gestalten, statt nur auf Reisen zu gehen. Von vielen Terminen kleinerer und interessan­ter Veranstalt­ungen in der Rabryka und anderswo erfahre man gar nichts mehr in der Zeitung, so lautete ein Satz von ihr aus einem Treffen des Bürgerrats. Dieser Satz war es, der den Anstoß gab zur Gründung dieser Zeitung. Der Terminkale­nder in der Quartiersz­eitung nimmt einen breiten Raum ein, fast zwei Seiten sind damit bedruckt. Schugs Aufgabe ist es, die Terminkale­nder-Übersicht zu recherchie­ren. Außerdem bringt sie sich mit vielen Ideen und Themen ein. Ein Thema, das ihr wichtig ist, ist dass Senioren in der digitalen Welt nicht abgehängt werden.

Carsten Burschick ist frisch nach Görlitz gezogen. Zuvor hat er lange in Berlin gelebt, dort war er Mitarbeite­r des AxelSpring­er-Verlags. Nun genießt er seine passive Altersteil­zeit und kommt im Unruhestan­d

irgendwie nicht los vom Zeitungsma­chen. Bei Springer war er als Korrekturl­eser tätig in der Schlussred­aktion der BildZeitun­g. „Das ist immer ein Reizwort“, sagt Burschick, nachdem er erst nicht so recht herausrück­en wollte mit dem genauen Namen seines Arbeitgebe­rs. Umso mehr, weil seine Sitznachba­rin Maggy H., ihres Zeichens Alt-68erin, in ihrer Jugend gegen die Bild demonstrie­rt hat. Die eine oder andere verbale Hubbelei gibt es deswegen schon mal bei einer Redaktions­sitzung. Man verstehe sich, das seien „alte Geschichte­n“, Schwamm drüber, sagen beide. Carsten Burschicks Bericht in der aktuellen Ausgabe hat doch tatsächlic­h die Schlagzeil­e „Ton, Stein, Scherben – Frühlingsm­arkt in der Waldorfsch­ule“.

Die 71-Jährige Ursula Geßner war in ihrem Berufslebe­n als persönlich­e Referentin eines Abgeordnet­en im bayrischen Landtag tätig. Sie stammt aus dem Speckgürte­l von München und zog im Oktober 2018 nach Görlitz. Sie und ihr Ehemann dachten, „das wäre ein Ort zum Altwerden“, sagt sie. Mittlerwei­le ist Geßner verwitwet. Görlitz findet sie immer noch schön, im Großen und Ganzen zumindest. „das, was nachts hier los ist“, bereitet ihr Sorge. Sie meint zum Beispiel die als extremisti­sch anerkannte­n Montagsdem­os, die seit nunmehr vier Jahren an diesem einen Abend der Woche das Stadtbild negativ prägen. Mit positiven Geschichte­n aus dem Quartier dagegenzuh­alten ist genau ihr Ding. Im Landtag hat sie damals unter anderem Flyer entworfen. Das kommt ihr nun zupass, sie hilft viel mit beim Layout der Quartiersz­eitung. Für die dritte Ausgabe recherchie­rt sie gerade zu einem Artikel über Hundekot auf Bürgerstei­gen.

 ?? Fotos: Paul Glaser ?? Beim Layout macht ihr niemand was vor: Ursula Geßner (Bürgerrat)
Fotos: Paul Glaser Beim Layout macht ihr niemand was vor: Ursula Geßner (Bürgerrat)
 ?? ?? Polarisier­t mit seiner Vergangenh­eit: Ex-Bild-Mitarbeite­r Carsten Burschick
Polarisier­t mit seiner Vergangenh­eit: Ex-Bild-Mitarbeite­r Carsten Burschick
 ?? ?? Ideengeber­in recherchie­rt umfangreic­hen Terminkale­nder: Lisa Schug
Ideengeber­in recherchie­rt umfangreic­hen Terminkale­nder: Lisa Schug

Newspapers in German

Newspapers from Germany