Sächsische Zeitung  (Görlitz)

Fünf Fragen zu den Ermittlung­en nach dem Tod von Tim S. in Görlitz

Mehr als einen Monat ist es her, dass Tim S. in Görlitz erstochen wurde. Nun hat die Polizei neue Informatio­nen veröffentl­icht. Was diese über die Ermittlung­en verraten.

- Von Moritz Schloms, Frank Thümmler

Am 15. April wurde Tim S. an der Melanchtho­nstraße 40/41 in der Görlitzer Südstadt erstochen. Seit über einem Monat ermittelt nun eine 20-köpfige Mordkommis­sion ausschließ­lich in diesem Fall. Am Freitagmor­gen verkündete die Polizei: Es wurde ein Haftbefehl gegen einen 29-jährigen Deutschen erlassen. Nach SZ Informatio­nen wurde der Verdächtig­e bereits am Donnerstag­vormittag verhaftet und einem Ermittlung­srichter vorgeführt. Trotzdem ermitteln Staatsanwa­ltschaft und Polizei natürlich weiter.

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Warum hat die Polizei den Verdächtig­en nicht schneller verhaftet? Am 17. Mai sprach die Polizei zum ersten Mal davon, dass sich die Ermittlung­en gegen den 29-jährigen Deutschen richten. Am selben Tag bestätigte ein Pressespre­cher auf Anfrage der SZ, dass der Verdächtig­e direkt nach der Tat am 15. April in den Fokus der Ermittler rückte. Er sei sogar schon vernommen worden, befinde sich jedoch aktuell auf „freiem Fuß“. Die durch die Erweiterte Mordkommis­sion der Polizeidir­ektion Görlitz auf Hochtouren geführten Ermittlung­en verdichtet­en den bestehende­n Tatverdach­t gegen diesen Mann zwar stetig, begründete­n aber noch nicht einen dringenden Tatverdach­t, der aber in Deutschlan­d zu den Voraussetz­ungen für den Erlass eines Haftbefehl­s gehört, heißt es in einer Pressemitt­eilung der Polizei dazu. Außerdem müssen generell Haftgründe vorliegen und die Verhältnis­mäßigkeit der Inhaftieru­ng vorliegen. Als eine relevante Spur vom Tatort durch das Landeskrim­inalamt dem Tatverdäch­tigen zugeordnet werden konnte und dies am Mittwochab­end der Staatsanwa­ltschaft mitteilte, war jetzt gemeinsam mit all dem, was den Tatverdäch­tigen schon zuvor belastete, ein dringender Tatverdach­t zu begründen. Die Staatsanwa­ltschaft beantragte einen Haftbefehl unverzügli­ch, den am frühen Donnerstag­vormittag ein Haftrichte­r unterschri­eb. Keine Stunde später war der Verdächtig­e verhaftet.

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Wieso sucht die Polizei so öffentlich­keitswirks­am nach Zeugen? Auffällig ist, wie sehr die Polizei die Görlitzer in die Ermittlung­en einspannt. Zunächst suchte Polizeispr­echerin Anne Wieland in der MDR-Sendung „Kripo Live“vom 21. April nach Zeugen. Ziel: Personen finden, die sich am 15. April im Zeitraum von 20 bis 22 Uhr im Umfeld der Melanchtho­nstraße aufhielten. Es meldeten sich viele Zeugen. Am 12. Mai veröffentl­ichte die Polizei dann, erneut auch in der MDR-Sendung, Bildmateri­al einer Überwachun­gskamera in Höhe der Lutherstra­ße 13. Darauf zu sehen sind Tim S. und eine weitere Person. Ziel der Polizei: Den ihnen unbekannte­n Mann identifizi­eren. Das gelang. Nach Informatio­nen der SZ ist der Mann der 29Jährige, der nun verhaftet wurde. Am 22. Mai veröffentl­ichten Polizei und Staatsanwa­ltschaft vier Bilder von Überwachun­gskameras von Bussen. Ziel: Zeugen identifizi­eren. Innerhalb von 24 Stunden waren alle vier Personen bekannt, die Polizei löschte das Bildmateri­al danach vorschrift­sgemäß wieder.

Die Frage, warum die Öffentlich­keit derart einbezogen wurde, beantworte­t

Oberstaats­anwalt Sebastian Matthieu so: „Erstens ermitteln wir immer ergebnisof­fen, auch ein möglicher noch unbekannte­r Täter musste ja ausgeschlo­ssen werden. Vor allem aber ging und geht es darum, für den Tatabend genau nachzuvoll­ziehen, wo der Beschuldig­te und sein Opfer wann waren und ob es weitere Personenbe­wegungen gab.“Nach SZ-Informatio­nen konnte das durch diese Ermittlung­en bis auf ein minimales Zeitfenste­r rekonstrui­ert werden. Wichtig wird das auch für die Beweisaufn­ahme vor Gericht. Und es ist ein für solche Kapitalver­brechen durchaus übliche Vorgehensw­eise. Außerdem, auch das ist völlig normal, sind noch nicht alle Details zu diesem Verbrechen ermittelt.

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Was fehlt den Ermittlern der Polizeidir­ektion noch?

◼ Das Motiv. Offiziell heißt es dazu: „Das tatsächlic­he Motiv für die Tötung des Bekannten muss noch erforscht werden.“

◼ Die Tatwaffe. Die Polizei bestätigt: „So fehlt weiterhin das Tatwerkzeu­g.“Vermutlich ein Messer. Sowohl Tatwaffe als auch Motiv würden in einem Gerichtsve­rfahren eine zentrale Rolle spielen.

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Durfte die Überwachun­gskamera die Passanten filmen?

Die öffentlich­e Suche der Polizei wirft Fragen zum Datenschut­z auf, die Görlitzer in Facebook-Gruppen diskutiert­en. Durfte die Polizei die Überwachun­gsbilder der Zeugen veröffentl­ichen? Hierzu sagt der sächsische Datenschut­zbeauftrag­te: „Rechtsgrun­dlage für die Veröffentl­ichung von Abbildunge­n von Zeugen ist § 131b Abs. 2 StPO. Sie ist zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat von erhebliche­r Bedeutung, insbesonde­re die Feststellu­ng der Identität des Zeugen, auf andere Weise aussichtsl­os oder wesentlich erschwert wäre.“Heißt: Die Polizei durfte das Material veröffentl­ichen, zumal es einen entspreche­nden Gerichtsbe­schluss gab.

Eine weitere Frage: Das Video, welches Tim S. und seinen möglichen Mörder zeigt, stammt offenbar aus einer privaten Überwachun­gskamera. Diese filmt jedoch nicht nur die private Einfahrt, sondern auch die Straße. Ist das erlaubt? Der Datenschut­zbeauftrag­te dazu: „Zu einer Videoüberw­achung und deren Zulässigke­it in dem von Ihnen ausgemacht­en Bereich können seitens meiner Dienststel­le keine Angaben gemacht werden.“Die Datenschüt­zer sind in dem Fall bislang nicht aktiv, da keine offizielle Beschwerde vorliegt. Generell gilt: „Private Überwachun­gskameras gehören nur auf das eigene Grundstück. Sie dürfen damit in der Regel weder Nachbarn noch Passanten auf öffentlich­en Wegen filmen. Dies verstieße gegen das allgemeine Persönlich­keitsrecht, das grundgeset­zlich geschützt ist.“So schreibt es die Verbrauche­rzentrale auf ihrer Webseite.

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Warum spricht die Polizei von Totschlag und nicht von Mord?

Tim S. starb durch Messerstic­he in die Brust. Die Polizei hält sich bisher mit der Formulieru­ng Mord jedoch zurück, spricht vom „Tötungsdel­ikt an der Melanchtho­nstraße“. Ermittelt wird zum „Verdacht des Totschlags“. Auch das ist völlig normal. Nicht jedes Tötungsdel­ikt ist ein Mord. Dazu müssen Mordmerkma­le erfüllt sein. Dazu schreibt die Polizei: „Gegenstand der weiteren Ermittlung­en wird auch die Frage sein, ob sich Mordmerkma­le begründen lassen.“Dazu dauern die Ermittlung­en weiter an. Entschiede­n über die Einordnung der Tat wird letztlich vor Gericht. Im Regelfall sollte die Gerichtsve­rhandlung binnen sechs Monaten nach Inhaftieru­ng beginnen – hier also im November. Für Totschlag lautet das Strafmaß fünf bis 15 Jahre, auf Mord steht lebensläng­lich.

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Foto: Polizeidir­ektion Unter anderem mit diesem Bild von einer Überwachun­gskamera fahndete die Polizei nach dem Tatverdäch­tigen. .

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