„Ich wusste nur, dass hier Filme gedreht werden“
Der Göttinger Jan Rebuschat wollte einen Neuanfang und kam als Richter ans Görlitzer Amtsgericht. Die Stadt war ihm völlig unbekannt, anfangs hatte er ein mulmiges Gefühl. Und wie sieht es jetzt aus?
Jan-Michael Rebuschat hat noch kein Urteil gesprochen. In einem seiner jüngsten Fälle geht es um einen möglichen Exhibitionismus-Vorfall in Görlitz. Eine junge Frau zeigte einen Mann an. Doch der erste Verhandlungstag brachte mehr Fragen als Antworten. Genervt ist Rebuschat davon nicht. Gerade die Fälle, in denen es in der Verhandlung wirklich noch etwas zu klären gibt, mache er gerne, sagt er. Seit Jahresbeginn ist der 42-Jährige neuer Richter am Amtsgericht Görlitz. Er ist Jurist, wäre fast Journalist geworden und hat kürzlich eine gut bezahlte Stelle beim BAMF, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, hingeworfen – um nach Görlitz zu kommen. Eine Stadt, von der er kaum mehr kannte als die Bezeichnung „Görliwood“.
In Göttingen hat der gebürtige Wolfsburger Jura studiert. Nach dem ersten Staatsexamen arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Göttingen – und nebenberuflich beim Göttinger Stadtmagazin. „Dazu war ich durch Freunde aus der Studienzeit gekommen.“Einer dieser Freunde war Kolja Podkowik - späterer Mitbegründer der Hip-Hop-Band Antilopen Gang. „Er machte damals schon Musik und schrieb für das Göttinger Stadtmagazin. Irgendwann hatte er mich gefragt, ob ich zu einem Konzert für Fotos mitkommen könnte. Ich hatte immer gerne fotografiert.“Etwa ein Jahr arbeitete er nebenberuflich als Fotograf. Dabei blieb es nicht, er fing auch an zu schreiben.
An einen seiner ersten Artikel kann er sich noch genau erinnern, weil sogar der „Spiegel“Interesse anmeldete. Es ging um einen Barber-Shop in Rotterdam: „Männer und Hunde erlaubt – Frauen nicht“. Leute, die etwas Widersprüchliches haben, „fand ich immer spannend.“Später arbeitete er auch für die Wochenzeitung „Der Freitag“, schrieb zum Beispiel Musikrezensionen. Und vergleichsweise viele Artikel über Menschen mit Behinderung. „Ich fand immer Themen interessant, denen man im Alltag vielleicht nicht so große Aufmerksamkeit
schenkt, und natürlich Geschichten, die eine juristische Komponente haben.“In seinem vorerst letzten Text kommt viel davon zusammen: Es ging um Menschen mit Behinderung in Pflegeeinrichtungen, die Opfer von Vernachlässigung und Gewalt wurden.
Eine Zeitlang überlegte Rebuschat sogar, hauptberuflich in den Journalismus zu gehen. Letztlich entschied er sich dagegen, machte das zweite Staatsexamen und fand danach eine Stelle, die auch sehr nah am Leben war. Er wurde Rechtsdezernent bei der Polizeidirektion Göttingen. Das sei deutlich abwechslungsreicher, als man vielleicht denkt. Zum Beispiel war er gefragt, wenn die Polizei eine sogenannte „Maßnahme zur Gefahrenabwehr“durchgeführt hatte und der Betroffene dagegen klagte. „Ein Klassiker: Bei häuslicher Gewalt wird der Beschuldigte - allermeistens wirklich der Mann - der Wohnung verwiesen, und klagt dagegen“, erklärt Rebuschat. Oder: Vereinsverbote waren ein Thema, so wurde vor einigen Jahren eine rechtsextreme Organisation in Niedersachsen verboten. Rebuschat war damals bei der Hausdurchsuchung bei einem Hauptakteur der Organisation dabei - in schusssicherer Weste. Vergessen wird er auch nicht, was ihm als Erstes in den Räumen ins Auge fiel: ein Hitler-Porträt.
So spannend der Job war, Rebuschat gab ihn trotzdem auf, weil eine Stelle beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge winkte. Doch der Griff ging daneben, erzählt er. Mit der Entscheidung über das Schicksal der Asylbewerber hatte er nichts zu tun, sondern mit organisatorischen Aufgaben. „Das Problem für mich war, es war nur noch administrativ.“Er wollte zurück in die Justiz. „Freunde hatten mich bestärkt und gesagt: Mensch, Strafrecht war doch immer deins.“
Görlitz war nicht geplant. Nichts war geplant, „es war für mich ein Neuanfang.“Jan Rebuschat hatte sich schlicht bei den Justizministerien mehrerer Bundesländer auf ausgeschriebene Stellen beworben. Sachsen antwortete als Erstes mit dem Angebot einer Stelle als Richter auf Probe.
Jan Rebuschat hat zwei erwachsene Kinder, seine Tochter ist Sozialarbeiterin, sein Sohn macht noch seinen Schulabschluss. Zumindest vorerst ist er alleine nach Görlitz gekommen. Durch die Familie seines Vaters, der bei Dresden geboren wurde, hat er zwar Kontakte nach Ostdeutschland, „aber zu Görlitz hatte ich bislang keinen Bezug. Ich wusste nur, dass die Stadt oft Filmkulisse ist. Ehrlich gesagt, mir war auch ein bisschen mulmig, als klar war, es geht nach Görlitz.“So weit weg von allem wirkte die Stadt. „Ich bin positiv überrascht. Mir gefällt’s. Ich habe es vorher noch nie erlebt, dass ich mit ein paar Schritten im Nachbarland bin, ich hab da echt Gefallen dran gefunden. Ich hatte Angst, ich lande im Niemandsland, wo nichts los ist. Aber dem ist ja nicht so.“
Als Richter auf Probe durchläuft er jetzt mehrere Stationen, erklärt er, bei der Staatsanwaltschaft, dem Amts- und Landgericht. Normalerweise ist der Start bei der Staatsanwaltschaft. Bei Bewerbern mit juristischer Berufserfahrung kann das anders gehandhabt werden. Jedenfalls, als ihm mitgeteilt wurde, dass er am Amtsgericht als Richter ausgerechnet im Bereich Strafrecht starten könne, „habe ich mich wirklich sehr gefreut.“
Vielleicht hat auch der Personalmangel in der Justiz hineingespielt. Die Gerichte in der Oberlausitz stehen vor einer Ruhestandswelle, hatte jetzt der Präsident des Landgerichts, Friedrich-Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg, geschildert. Kürzlich ging etwa Ulrich Schettgen, Strafrichter am Amtsgericht Görlitz, in Ruhestand. So ist Jan Rebuschat auch nicht der einzige Jungrichter, der kürzlich eingestellt wurde.
Schwere Verbrechen wie Mord werden auf seinem Tisch im Amtsgericht nicht landen, „dafür verhandelt man mehr.“In Betrugsfällen, nach Diebstählen, „lange Zeit waren natürlich Schleusungen ein großes Thema.“Auch diese Fälle geben oft Einblick in Lebensgeschichten. „Es ist immer leicht zu sagen: Dieser Verbrecher, der muss bestraft werden. Vor Gericht ist es aber unsere zentrale Aufgabe, uns die Mühe zu machen und zu fragen: Wer ist der Täter, und was ist sein Motiv?“Eine Arbeit, die er in Görlitz bislang als sehr sachlich erlebt habe, „aber auch mitmenschlich. Ich meine damit nicht lasch, sondern mit Augenmaß.“