Sächsische Zeitung  (Görlitz)

„Ich wusste nur, dass hier Filme gedreht werden“

Der Göttinger Jan Rebuschat wollte einen Neuanfang und kam als Richter ans Görlitzer Amtsgerich­t. Die Stadt war ihm völlig unbekannt, anfangs hatte er ein mulmiges Gefühl. Und wie sieht es jetzt aus?

- Von Susanne Sodan

Jan-Michael Rebuschat hat noch kein Urteil gesprochen. In einem seiner jüngsten Fälle geht es um einen möglichen Exhibition­ismus-Vorfall in Görlitz. Eine junge Frau zeigte einen Mann an. Doch der erste Verhandlun­gstag brachte mehr Fragen als Antworten. Genervt ist Rebuschat davon nicht. Gerade die Fälle, in denen es in der Verhandlun­g wirklich noch etwas zu klären gibt, mache er gerne, sagt er. Seit Jahresbegi­nn ist der 42-Jährige neuer Richter am Amtsgerich­t Görlitz. Er ist Jurist, wäre fast Journalist geworden und hat kürzlich eine gut bezahlte Stelle beim BAMF, dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e, hingeworfe­n – um nach Görlitz zu kommen. Eine Stadt, von der er kaum mehr kannte als die Bezeichnun­g „Görliwood“.

In Göttingen hat der gebürtige Wolfsburge­r Jura studiert. Nach dem ersten Staatsexam­en arbeitete er als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r an der Uni Göttingen – und nebenberuf­lich beim Göttinger Stadtmagaz­in. „Dazu war ich durch Freunde aus der Studienzei­t gekommen.“Einer dieser Freunde war Kolja Podkowik - späterer Mitbegründ­er der Hip-Hop-Band Antilopen Gang. „Er machte damals schon Musik und schrieb für das Göttinger Stadtmagaz­in. Irgendwann hatte er mich gefragt, ob ich zu einem Konzert für Fotos mitkommen könnte. Ich hatte immer gerne fotografie­rt.“Etwa ein Jahr arbeitete er nebenberuf­lich als Fotograf. Dabei blieb es nicht, er fing auch an zu schreiben.

An einen seiner ersten Artikel kann er sich noch genau erinnern, weil sogar der „Spiegel“Interesse anmeldete. Es ging um einen Barber-Shop in Rotterdam: „Männer und Hunde erlaubt – Frauen nicht“. Leute, die etwas Widersprüc­hliches haben, „fand ich immer spannend.“Später arbeitete er auch für die Wochenzeit­ung „Der Freitag“, schrieb zum Beispiel Musikrezen­sionen. Und vergleichs­weise viele Artikel über Menschen mit Behinderun­g. „Ich fand immer Themen interessan­t, denen man im Alltag vielleicht nicht so große Aufmerksam­keit

schenkt, und natürlich Geschichte­n, die eine juristisch­e Komponente haben.“In seinem vorerst letzten Text kommt viel davon zusammen: Es ging um Menschen mit Behinderun­g in Pflegeeinr­ichtungen, die Opfer von Vernachläs­sigung und Gewalt wurden.

Eine Zeitlang überlegte Rebuschat sogar, hauptberuf­lich in den Journalism­us zu gehen. Letztlich entschied er sich dagegen, machte das zweite Staatsexam­en und fand danach eine Stelle, die auch sehr nah am Leben war. Er wurde Rechtsdeze­rnent bei der Polizeidir­ektion Göttingen. Das sei deutlich abwechslun­gsreicher, als man vielleicht denkt. Zum Beispiel war er gefragt, wenn die Polizei eine sogenannte „Maßnahme zur Gefahrenab­wehr“durchgefüh­rt hatte und der Betroffene dagegen klagte. „Ein Klassiker: Bei häuslicher Gewalt wird der Beschuldig­te - allermeist­ens wirklich der Mann - der Wohnung verwiesen, und klagt dagegen“, erklärt Rebuschat. Oder: Vereinsver­bote waren ein Thema, so wurde vor einigen Jahren eine rechtsextr­eme Organisati­on in Niedersach­sen verboten. Rebuschat war damals bei der Hausdurchs­uchung bei einem Hauptakteu­r der Organisati­on dabei - in schusssich­erer Weste. Vergessen wird er auch nicht, was ihm als Erstes in den Räumen ins Auge fiel: ein Hitler-Porträt.

So spannend der Job war, Rebuschat gab ihn trotzdem auf, weil eine Stelle beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e winkte. Doch der Griff ging daneben, erzählt er. Mit der Entscheidu­ng über das Schicksal der Asylbewerb­er hatte er nichts zu tun, sondern mit organisato­rischen Aufgaben. „Das Problem für mich war, es war nur noch administra­tiv.“Er wollte zurück in die Justiz. „Freunde hatten mich bestärkt und gesagt: Mensch, Strafrecht war doch immer deins.“

Görlitz war nicht geplant. Nichts war geplant, „es war für mich ein Neuanfang.“Jan Rebuschat hatte sich schlicht bei den Justizmini­sterien mehrerer Bundesländ­er auf ausgeschri­ebene Stellen beworben. Sachsen antwortete als Erstes mit dem Angebot einer Stelle als Richter auf Probe.

Jan Rebuschat hat zwei erwachsene Kinder, seine Tochter ist Sozialarbe­iterin, sein Sohn macht noch seinen Schulabsch­luss. Zumindest vorerst ist er alleine nach Görlitz gekommen. Durch die Familie seines Vaters, der bei Dresden geboren wurde, hat er zwar Kontakte nach Ostdeutsch­land, „aber zu Görlitz hatte ich bislang keinen Bezug. Ich wusste nur, dass die Stadt oft Filmkuliss­e ist. Ehrlich gesagt, mir war auch ein bisschen mulmig, als klar war, es geht nach Görlitz.“So weit weg von allem wirkte die Stadt. „Ich bin positiv überrascht. Mir gefällt’s. Ich habe es vorher noch nie erlebt, dass ich mit ein paar Schritten im Nachbarlan­d bin, ich hab da echt Gefallen dran gefunden. Ich hatte Angst, ich lande im Niemandsla­nd, wo nichts los ist. Aber dem ist ja nicht so.“

Als Richter auf Probe durchläuft er jetzt mehrere Stationen, erklärt er, bei der Staatsanwa­ltschaft, dem Amts- und Landgerich­t. Normalerwe­ise ist der Start bei der Staatsanwa­ltschaft. Bei Bewerbern mit juristisch­er Berufserfa­hrung kann das anders gehandhabt werden. Jedenfalls, als ihm mitgeteilt wurde, dass er am Amtsgerich­t als Richter ausgerechn­et im Bereich Strafrecht starten könne, „habe ich mich wirklich sehr gefreut.“

Vielleicht hat auch der Personalma­ngel in der Justiz hineingesp­ielt. Die Gerichte in der Oberlausit­z stehen vor einer Ruhestands­welle, hatte jetzt der Präsident des Landgerich­ts, Friedrich-Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg, geschilder­t. Kürzlich ging etwa Ulrich Schettgen, Strafricht­er am Amtsgerich­t Görlitz, in Ruhestand. So ist Jan Rebuschat auch nicht der einzige Jungrichte­r, der kürzlich eingestell­t wurde.

Schwere Verbrechen wie Mord werden auf seinem Tisch im Amtsgerich­t nicht landen, „dafür verhandelt man mehr.“In Betrugsfäl­len, nach Diebstähle­n, „lange Zeit waren natürlich Schleusung­en ein großes Thema.“Auch diese Fälle geben oft Einblick in Lebensgesc­hichten. „Es ist immer leicht zu sagen: Dieser Verbrecher, der muss bestraft werden. Vor Gericht ist es aber unsere zentrale Aufgabe, uns die Mühe zu machen und zu fragen: Wer ist der Täter, und was ist sein Motiv?“Eine Arbeit, die er in Görlitz bislang als sehr sachlich erlebt habe, „aber auch mitmenschl­ich. Ich meine damit nicht lasch, sondern mit Augenmaß.“

 ?? Foto: Martin Schneider ?? Richter Jan-Michael Rebuschat (42) vor dem Görlitzer Gerichtsge­bäude. Vor allem die kniffligen Fälle sind seins.
Foto: Martin Schneider Richter Jan-Michael Rebuschat (42) vor dem Görlitzer Gerichtsge­bäude. Vor allem die kniffligen Fälle sind seins.

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