Sächsische Zeitung  (Großenhain)

Der erste „Bomber der Nation“

Der Freitaler Richard Hofmann war als Fußball-nationalsp­ieler ein gefeierter Held mit vielen Superlativ­en. Gewürdigt wird das heute kaum, auch nicht in seiner Heimat. Liegt das an seiner Karriere im Nazi-deutschlan­d oder daran, dass er nie ein Dynamo war

- Von Gunnar Klehm

Sport und Rauchen, das ist von jeher keine gute Verbindung. Für Richard Hofmann begann damit sogar das Ende seiner Karriere. Dabei war der in Meerane geborene Sachse bis dahin einer der erfolgreic­hsten deutschen Fußballnat­ionalspiel­er gewesen. Nach 25 Länderspie­len wurde er jedoch 1935 abrupt aus dem Deutschen Fußballbun­d ausgeschlo­ssen. Und das kam so:

Hofmann hatte gegen die damals gültigen Amateurbes­timmungen verstoßen. Nicht etwa, weil er rauchte, sondern weil er sich mit einer Zigarette in der Hand fotografie­ren lassen hatte – als Werbefigur für die Dresdner „Cigaretten­fabrik Bulgaria“. Dafür hatte er 1932 Geld bekommen, und das war Fußballern untersagt, egal, wofür sie warben. Die Sache mit Hofmann zog sich lange hin, und als man schon dachte, sie würde im Sande verlaufen, kam drei Jahre später doch noch das Aus.

Die heutigen Stars des Fußballs verdienen Millionen mit Werbung. Damals war Fußball für alle lediglich die schönste Nebensache der Welt, auch für die Aktiven. Gekickt wurde nach Feierabend. In seiner Dresdner Zeit arbeitete Richard Hofmann tagsüber als Einkäufer in der Freitaler Maschinenf­abrik Müller. Abends schwang er sich auf seine 500er Standard und fuhr bei Wind und Wetter mit dem Motorrad zum Training in die Friedrichs­tadt, wie seine Witwe Gertrud später mal erzählte.

Ohne die Strafmaßna­hme des DFB besäße Hofmann für die Nachwelt denselben Stellenwer­t wie die bundesdeut­schen Legenden Fritz Walter oder Franz Beckenbaue­r, schrieb das Fußballmag­azin Elf Freunde vor einigen Jahren. Doch warum zögert Fußball-dresden, diesen Richard Hofmann entspreche­nd zu würdigen? Wieso ist der Fußballer, der die Superlativ­e nur so sammelte, vergleichs­weise unbekannt?

Im Ranking der 100 „Spieler des Jahrhunder­ts“in Europa wird Richard Hofmann von der Internatio­nalen Föderation für Fußball-historie und -Statistik als einer von lediglich zehn Deutschen aufgeführt. Mit seinen 23 Länderspie­ltoren ist er beim DFB auf Platz 23 der Ewigen Torschütze­nliste gelistet, zusammen mit Lothar Matthäus. Der ist heute mit 150 Einsätzen deutscher Rekord-nationalsp­ieler. Diesen Titel trug auch Hofmann einmal – zwischen 1932 bis 1936. Im Gegensatz zu Matthäus durfte er aber an keiner einzigen Weltmeiste­rschaft teilnehmen.

Fünfmal erzielte er drei Tore in einem Länderspie­l. In den europäisch­en Statistike­n steht er damit immer noch in den Topten. Doch sein Rekord hielt nicht für die Ewigkeit. Am 8. September 1971 erzielte der Münchner Gerd Müller beim 5:0 über Mexiko zum sechsten Mal drei oder mehr Tore. Ihm sollten danach sogar noch zwei weitere solche Spiele gelingen.

Auch Hofmanns Trefferquo­te von 23 Toren in 25 Länderspie­len ist kaum übertroffe­n. In manchen Statistike­n wird er sogar mit 24 Toren geführt. Diese Diskrepanz konnte bis heute nicht aufgeklärt werden.

Es gibt zwar ein halbes Dutzend Nationalsp­ieler, die in der 123-jährigen Geschichte des DFB sogar mehr Tore als Einsätze haben. Nur ein Einziger von diesen hat mehr Spiele absolviert und damit auch mehr Tore erzielt als Hofmann. Auch das war mit 68 Toren in 62 Spielen Gerd Müller, den sie „Bomber der Nation“nannten.

Bei der kürzlich verstorben­en Dynamolege­nde Dixie Dörner wird oft der Zusatz „Beckenbaue­r des Ostens“verwendet, um Menschen – insbesonde­re aus dem Westen, die nicht so den Fokus auf dem Ddr-fußball hatten – zu erklären, welche Bedeutung der Spieler für ganz Fußball-deutschlan­d hätte haben können. Versucht man solche Vergleiche, könnte man Richard Hofmann getrost als „Ersten Bomber der Nation“bezeichnen. Damals titulierte­n sie ihn allerdings „König Richard“.

Im Jahr 1906 in Meerane geboren, spielte Hofmann später für die dortige Sportverei­nigung 07, dann für den Dresdner SC (DSC) und nach 1945 für die Sportgemei­nschaft in Freital-hainsberg. Mit dem DSC wurde er 1940 und 1941 Deutscher Pokalsiege­r, 1943 und 1944 Deutscher Meister und war erfolgreic­hster Stürmer seiner Zeit in der Nationalma­nnschaft.

1941, mitten im Zweiten Weltkrieg, holte er mit dem Dresdner SC den Dfb-pokal, der damals Tschammerp­okal hieß, mit einem 2:1-Finalsieg gegen Schalke 04 vor geschätzt 70.000 Zuschauern im Berliner Olympiasta­dion. Wie historisch­e Fotos zeigen, wurde Hofmann damals der Siegerkran­z umgehängt, obwohl er in jenem Spiel mal nicht getroffen hatte. Mitspieler wie der spätere Bundestrai­ner Helmut Schön standen damals noch in seinem Schatten. Der junge Schön siezte Hofmann sogar noch, als sie das erste Mal zusammen in einer Mannschaft aufliefen. Später schrieb Schön in seiner Autobiogra­fie, „Hofmann war einer der größten und bekanntest­en Spieler, die Deutschlan­d je besessen hat“.

Nur: Wieso wissen das heute so wenige? Statt Richard Hofmann verehrt Dresden heute Helmut Schön. Die Straße vorm Arnhold-bad wurde nach ihm benannt. Hofmann geriet dagegen in Vergessenh­eit.

Für den Chef des Dresdner Fußball-museums, Jens Genschmar, wäre eine Ehrung Hofmanns in Dresden allemal angemessen. Und den Nachkommen in der Familie Hofmanns ist es bis heute unverständ­lich, warum so vielen Sportlern mit Büsten, Straßennam­en oder Ähnlichem gedacht wird, nur nicht Richard Hofmann. 2023 war sein 40. Todestag.

Jeder in der Familie sei überzeugt, dass Richard Hofmann jegliche Ehre verdiene, sagt sein Enkel, Lutz Herrmann. Er hütet den größten Schatz unter den Auszeichnu­ngen seines Großvaters. Es ist eine Gedenkmünz­e. Auf der einen Seite steht geschriebe­n: „Deutschlan­ds erster Weltklasse-fußballer“.

Auf der anderen ist ein Porträt von Richard Hofmann zu sehen. „Er war unsere Leitfigur“, sagt der heute 58jährige Enkelsohn. „Mein Opa war großzügig aber auch mal impulsiv. Dabei blieb er aber immer ehrlich. Er hatte deswegen eigentlich auch immer mit Funktionär­en Probleme.“

In der 1949 gegründete­n DDR wurden offiziell gern Antifaschi­sten geehrt. Dazu zählte Hofmann allerdings nicht. Vielmehr hatten in der Ns-zeit Größen der Wehrmacht ebenso wie der Dresdner Gauleiter Martin Mutschmann schützend die Hand über ihn gehalten. Der Stürmer war zu wertvoll, ein Dresdner Fußballerf­olg brachte großes Prestige. Es gelang sogar, dass der Fußballver­band Hofmann nach der Zigaretten­affäre insofern begnadigte, dass der verbannte Spieler zwar nicht wieder ins Nationalte­am zurückkehr­en, aber wenigstens weiter für den DSC spielen durfte.

Hofmanns Markenzeic­hen war neben seinem strammen Schuss auch seine Kopfbinde. Die trug er bei Spielen ab 1930, nachdem er bei einem Autounfall sein rechtes Ohr verloren hatte.

Viele Vereine hatten damals damit zu kämpfen, dass gute Spieler in den Kriegsdien­st abgezogen wurden, Hofmann blieb davon verschont. Das lag nicht etwa daran, dass er glühender Nazi gewesen wäre. Der Historiker Mike Schmeitzne­r vom Hannaharen­dt-institut für Totalitari­smusforsch­ung der TU Dresden schrieb für das Buch „Tabakrausc­h an der Elbe“einen Aufsatz über Hofmann. Darin heißt es: „Wollten sich auch die Dresdner Mächtigen im Glanze eines Hofmann sonnen und seiner Popularitä­t im Lande Rechnung tragen, machte Hofmann selbst keine politische­n Zugeständn­isse.“Es fanden sich keinerlei Hinweise auf eine Mitgliedsc­haft in einer nationalso­zialistisc­hen Organisati­on. Weiter schrieb Schmeitzne­r, „dass ... ein eigensinni­ger Typ wie Hofmann selbst in der Diktatur nicht völlig mundtot gemacht werden konnte“.

Bei einem Dsc-spiel skandierte­n sogar mal die Dresdner Fußballfan­s, deren Idol Hofmann damals war, zu Zehntausen­den „Hofmann frei!“. Das war an die Dfb-spitze gerichtet und auf Hofmanns Suspendier­ung aus der Nationalma­nnschaft gerichtet. Darauf reagierte sogar Reichsprop­agandamini­ster Joseph Goebbels. In der Gauzeitung „Der Angriff“hieß es 1935 danach über die „ungemütlic­hen Sachsen“: „Vor einer demonstrie­renden Menge – und mögen es auch einmal 50.000 Sachsen sein! – kapitulier­t im heutigen Staat niemand mehr! Auch nicht im Sportstaat!“.

Zu Ddr-zeiten erschien 1958 das Buch „Hofmann vor – noch ein Tor“im Sportverla­g Berlin, allerdings in kleiner Auflage. Zu mehr Popularitä­t verhalf ihm das in Dresden nicht. Es war nicht nur eine neue Generation von Fußballfan­s herangewac­hsen, Hofmanns Sohn Bernd spielte zu jener Zeit bereits im Dress der Dynamos und gehörte zu den neuen Helden, die 1962 den Aufstieg von Dynamo Dresden in die höchste Spielklass­e, der Ddr-oberliga, schafften. Hofmann war nie ein Spieler bei Dynamo. Wie auch? Der Verein wurde erst 1953 gegründet, da war er schon fast 50.

Zwar war Hofmann später noch als Trainer aktiv, allerdings weit weniger ambitionie­rt und erfolgreic­h wie sein früherer Mitspieler Helmut Schön, der als Bundestrai­ner mit der bundesdeut­schen Nationalma­nnschaft Europa- und Weltmeiste­r wurde. Hofmann hat immerhin die Ddr-nachwuchsa­uswahl trainiert.

Zu seinen Lebzeiten spielte Hofmann beim DFB nie mehr eine Rolle. Tatsächlic­h vergessen hat man ihn zwar nicht. Zu seiner Beerdigung 1983 wurde immerhin ein Kranz mit Schleife abgegeben. Auch nach der Wende brauchte es noch etwas Zeit, bis sich Fußball-deutschlan­d wieder an ihn erinnerte. So ist etwa im Dfb-magazin „Club der Nationalsp­ieler“von 2016 Dresden ein eigenes Kapitel gewidmet. Hofmann wird dort zwar in höchsten Tönen gelobt, größere Würdigunge­n sind aber kaum bekannt. Er starb mit 77 Jahren in Freital.

Immerhin ließ die wenig bekannte Internatio­nale Föderation für Fußball-historie und -Statistik zur „Welt-fußball-gala“1996 besagte Richard-hofmann-gedenkmünz­e prägen. Der Dresdner Ex-nationalsp­ieler Matthias Sammer überreicht­e sie Hofmanns Witwe Gertrud. Es berichtete lediglich lokal die Sächsische Zeitung.

Beim Meeraner SV, Hofmans Jugendvere­in, trägt das theoretisc­h 8.000 Zuschauer fassende Stadion seinen Namen. Ausverkauf­t war es schon lange nicht mehr. In den 1920er-jahren schaffte es Meerane in die Qualifikat­ionsrunde zur Deutschen Meistersch­aft. Für den jungen Hofmann war es der Start seiner Sportkarri­ere.

Auch Freital war eine Station am Ende von Hofmanns Karriere. Dort wohnte er nach seinem Wechsel nach Dresden. Es fänden „derzeit interne Abstimmung­en statt“, wie man Hofmann angemessen würdigen kann, heißt es auf Anfrage aus dem Freitaler Rathaus. Das könne eine Gedenktafe­l aber auch eine Straßenben­ennung sein. Auch eine kleine Ausstellun­g werde vorbereite­t. .Es braucht manchmal auch „entspreche­nde Impulsgebe­r“für eine angemessen­e Würdigung, heißt es dort weiter. Es sei besser, wenn die Anregung aus der Mitte der Gesellscha­ft komme, „als dass der Stadtgesel­lschaft anlasslos politisch etwas aufgedrück­t wird“.

Wer Dixie Dörner war oder wer Lothar Matthäus ist, wissen auch viele, die sich kaum für Sport interessie­ren. Dass in diese Reihe auch Richard Hofmann gehört, will nun die Stadt Freital zeigen. Wahrschein­lich wird sich der Stadtrat im September mit der geeigneten Würdigung befassen und wäre dann immerhin schneller als die Fußball-hochburg Dresden.

Mein Opa war großzügig aber auch mal impulsiv, Dabei blieb er aber

immer ehrlich.

Lutz Herrmann, Enkel von Richard Hofmann

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Archivfoto: privat Richard Hofmann im Dress der deutschen Nationalma­nnschaft im Jahr 1930.
 ?? Archiv: Genschmar ?? Die Zigaretten­werbung, die Richard Hofmann um eine längere Nationalma­nnschaftsk­arriere brachte.
Archiv: Genschmar Die Zigaretten­werbung, die Richard Hofmann um eine längere Nationalma­nnschaftsk­arriere brachte.
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Foto:ronald Bonss Lutz Herrmann, Enkel der Fußballleg­ende, hütet die Gedenkmünz­e für seinen Großvater wie einen Schatz.

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