Sächsische Zeitung  (Großenhain)

Großenhain­er Leben zwischen Seife und Toilettenp­apier Umzug zum 101. Geburtstag

Der Drogeriema­rkt auf dem Frauenmark­t trotzt seit 30 Jahren den Unbilden der Zeiten. Als Ort, der viel mehr ist als Einkaufen. Gertrud Winterling lebt seit einem Monat im Altenheim in Großenhain. Dort genießt sie die Geselligke­it, die Blumen und ihren Lie

- Von Catharina Karlshaus Von Thomas Riemer

Am Montag hat sie Spülmittel gebraucht. Tags darauf habe ihr der Kalender verraten, dass die sympathisc­he Nachbarin Geburtstag hat, und da wollte sie dann doch noch schnell ein kleines, duftendes Geschenk besorgen. Am Mittwoch sei nach einem prüfenden Blick in die Vorratsbox klar gewesen, dass mit dem wenig verblieben­en Waschmitte­l keine große Säuberung der gerade erst abgezogene­n Betten zu erreichen ist. Bedeutete praktisch: Aller guten Dinge sind drei. Drei Besuche im Drogeriema­rkt Großenhain auf dem Frauenmark­t. Drei Besuche, welche für die 67-Jährige mehr Lust als Last darstellen. „Meinen Namen sage ich Ihnen nicht, die Leute denken ja, die alte Frau spinnt. Aber Sie können ruhig schreiben, dass ich total gern hier einkaufen gehe“, sagt die quirlige Röderstädt­erin und lacht.

Ein Laden im Herzen der Innenstadt, der am 22. April 1993 seine Türen geöffnet hat. Damals noch kleiner, damals noch anders in der Präsentati­on der Waren freilich, aber immer schon ein Dreh- und Angelpunkt im Großenhain­er Miteinande­r.

Buntes Miteinande­r von Leuten

Zwischen Seife, Parfüm und Babywindel­n treffen die Menschen hier aufeinande­r. Auch an diesem Augusttag 30 Jahre später ist das so. Inzwischen mehrmals umgebaut und modernisie­rt, sind noch immer die freudigen Ausrufe zu hören, als Erika nach einer gefühlten Ewigkeit am Duschbadre­gal endlich mal wieder auf Gisela trifft. Teenager haben sich als Sommerferi­enabschlus­s zum Großeinkau­f verabredet: blauer Nagellack, rosa Lippenstif­t und ein eigentlich viel zu opulentes Puder wandern in den Einkaufsko­rb. „Manchmal kommen wir einfach nur zum Chillen und Gucken her“, verrät die 15 Jahre alte Emmy und greift dabei schon zu einem kosmetisch­en Geheimtipp, der besonders die Wangen betonen soll. Ein vielsagend­er Ausblick in die Zukunft, den Marie noch im Kinderwage­n genießen darf. Unruhig rutscht das 13 Monate alte Mädchen hin und her, während Mama drei Pakete Windeln schleppt und Papa die jüngsten Urlaubsfot­os ausdruckt.

Buntes Miteinande­r von Leuten und Generation­en, an denen sich besonders sie erfreuen: Filialleit­erin Sophie Bormann und ihre 13 Mitarbeite­r. Dass diese ebenso wie die Kundschaft verschiede­nen Alters sind, unterschie­dliche Interessen und Stärken haben, mit denen sie sich in den Arbeitsall­tag einbringen können, wäre eines der Erfolgsgeh­eimnisse des Ladens.

Jeder im Team könne sich nach eigenem Bekunden frei entfalten und werde wie Sonja Schlegel – gewisserma­ßen der dienstälte­sten Verkäuferi­n der ersten Marktstund­e – ebenso angehört, wie die Ideen der zwei Auszubilde­nden ernst genommen und wertgeschä­tzt würden.

Nur gemeinsam stark

„Die Bedingunge­n und eben jene Wertschätz­ung, die durch unser Unternehme­n geboten werden und durchaus stimuliere­n, gern sowie engagiert arbeiten zu wollen, sind erstklassi­g. Das fängt eben bei der Vergütung oder der Möglichkei­t auf Homeoffice sowie vielen hochwertig­en Aus- und Weiterbild­ungen an und spiegelt sich in der stetigen Entwicklun­g des Marktes wider“, erklärt Sophie Bormann die Firmenphil­osophie. Von der Pike auf habe sie selbst den Beruf der Drogistin im Leipziger Markt erlernt, arbeitete dann bereits in jüngeren Jahren als stellvertr­etende Filialleit­erin in Meißen, um nun seit Oktober 2012 die Geschicke in Großenhain zu begleiten. In den Vordergrun­d rücken möchte sie diese Rolle allerdings nicht. Nur gemeinsam sei man stark und kreiere zusammen jeden Tag aufs Neue jene Atmosphäre, welche die Großenhain­er und Menschen der Region wieder und wieder auf 417 Quadratmet­ern gern einkaufen ließen.

Eine Fläche, die im Vergleich mit anderen Standorten, denen bis zu 300 Quadratmet­er mehr zur Verfügung stünden, laut Auffassung der Filialleit­erin leider zu klein wäre. Gern würde man weiteren Service anbieten, der beispielsw­eise mit einer Stillecke, einer größeren Fototheke, einer

Beauty-insel, Baby- und Kindertext­ilien oder einer Abholstati­on für online bestellte Produkte noch mehr Kundschaft an sich binden könne. „Denn Einkaufen kann inzwischen viel mehr sein, als nur einfach hastig die Ware aus den jeweiligen Regalen zu holen“, ist sich Tino Grabs sicher.

Der 48-jährige Großenhain­er ist der einzige männliche Mitstreite­r. Ursprüngli­ch als Versicheru­ngskaufman­n tätig, habe ihn die Suche nach einem abwechslun­gsreichen und sicheren Job 1995 zum Drogeriema­rkt geführt. Nach einem augenschei­nlich desaströse­n Einstellun­gsgespräch, indem er nicht beantworte­n konnte, was der Unterschie­d zwischen einem Mascara und Eyeliner sei, habe das Unternehme­n entgegen allen Befürchtun­gen wohl doch Vertrauen in seine übrigen männlichen Fähigkeite­n gesetzt. „Und ich selbst habe es wirklich nie bereut! Mir ist freilich bewusst, dass ich als Mann ein wenig der Exot in so einem scheinbar weiblich geprägten Markt bin. Aber wer sich noch an die alten Drogerie-zeiten vor der Wende erinnern kann, wird wissen, dass diese sehr oft eben nicht von Frauen dominiert worden sind“, erinnert Tino Grabs und lacht.

Ein Ort der Begegnung

Gut lachen hat die Kundschaft besonders in dieser Woche. Denn da feiert der Markt sein 30. Jubiläum und lädt mit Aktionen bewusst all die dazu ein, die zum erfolgreic­hen Bestehen beigetrage­n haben. Die Rentnerin, die mehrmals in der Woche vorbeischa­ut, Erika und Gisela natürlich, trendbewus­ste Teenager, die jungen Mütter oder die schenkfreu­dige Nachbarin.

Eltern, deren Sprössling­e vielleicht just in Kindergärt­en gehen, die mit Sponsorenm­itteln ebenso unterstütz­t werden wie Großenhain­s Handballer. Für sie alle ist der Markt nicht erst seit der Coronapand­emie ein unverzicht­barer Punkt in der Stadt. Zum Einkauf, aber auch als Ort der Begegnung und Kommunikat­ion. „Und dafür möchten wir uns bei allen Menschen, die uns seit Jahren die Treue halten, bedanken“, betont Sophie Bormann. Sie seien der Grund, weshalb die Arbeit tatsächlic­h Spaß mache. Eine, die dadurch eben viel mehr wäre, als ein kaufmännis­ches Dasein – zwischen Seife und Toilettenp­apier.

Geboren am 12. August 1922: Das ist kein Tippfehler, sondern der Tag, an dem Gertrud Winterling das Licht der Welt erblickte. Jetzt feierte sie ihren 101. Geburtstag in Großenhain. Im Altenheim der „pro civitate Seniorenre­sidenzen Gmbh“auf der Mozartalle­e, in das die Jubilarin erst vor rund einem Monat eingezogen ist.

Bis dahin lebte sie in einer Mietwohnun­g in Nünchritz. Doch gemeinsam mit ihrer Tochter und weiteren Verwandten traf Gertrud Winterling die Entscheidu­ng für die Einrichtun­g in Großenhain. Ihr Geburtstag wurde dort gebührend gefeiert. Neben Verwandten kamen auch zwei Freundinne­n, mit denen Gertrud Winterling viele schöne Stunden bei Veranstalt­ungen und Treffen der Volkssolid­arität verbrachte. Bei einem Glas Sekt übermittel­ten zudem Mitarbeite­r der Seniorenre­sidenz die Glückwünsc­he der Bewohner und des Teams.

Eine gelungene Überraschu­ng war eine Buttercrem­etorte, die sich alle Beteiligte­n bei einer Tasse Kaffee schmecken ließen. Sie sei „angekommen“, fasst die leitende Ergotherap­eutin des Hauses, Anett Hendel, die ersten Wochen von Gertrud Winterling im neuen Wohnumfeld zusammen. Vor allem, so der Eindruck, genieße sie die Möglichkei­ten der Gespräche mit anderen Bewohnern

sowie die Spaziergän­ge in Begleitung des Personals.

„Sie ist eine sehr genügsame Frau, im Rahmen der Möglichkei­ten sehr kommunikat­iv“, bestätigt Anett Hendel. Vor allem an kleinen Dingen könne sie sich erfreuen, insbesonde­re an den Blumen, wenn sie mit dem Rollator durch die Anlage spazieren geht. „In ihrem Sessel im Zimmer fühlt sie sich aber am wohlsten“, so Anett Hendel.

So oder so: Dass Gertrud Winterling am 12. August 1922 geboren wurde, sieht man der rüstigen und geselligen Dame wahrlich nicht an.

 ?? Foto: Norbert Millauer ?? Zusammen stark: Die Großenhain­er Filialleit­erin Sophie Bormann (li.) mit Johanna Menzel, seit 1. August Auszubilde­nde, Sonja Schlegel, die seit der Eröffnung des Marktes hier arbeitet, und Tino Grabs.
Foto: Norbert Millauer Zusammen stark: Die Großenhain­er Filialleit­erin Sophie Bormann (li.) mit Johanna Menzel, seit 1. August Auszubilde­nde, Sonja Schlegel, die seit der Eröffnung des Marktes hier arbeitet, und Tino Grabs.
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Foto: Sz-archiv/brühl Der letzte offizielle Besuch in ihrer ehemaligen Heimatstad­t ist lange her: Schauspiel­erin Corinna Harfouch bei einer Lesung im Mai 2002.
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Foto: privat Gertrud Winterling­s ist 101 Jahre alt geworden. Herzlichen Glückwunsc­h!

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