Sächsische Zeitung (Großenhain)
Großenhainer Leben zwischen Seife und Toilettenpapier Umzug zum 101. Geburtstag
Der Drogeriemarkt auf dem Frauenmarkt trotzt seit 30 Jahren den Unbilden der Zeiten. Als Ort, der viel mehr ist als Einkaufen. Gertrud Winterling lebt seit einem Monat im Altenheim in Großenhain. Dort genießt sie die Geselligkeit, die Blumen und ihren Lie
Am Montag hat sie Spülmittel gebraucht. Tags darauf habe ihr der Kalender verraten, dass die sympathische Nachbarin Geburtstag hat, und da wollte sie dann doch noch schnell ein kleines, duftendes Geschenk besorgen. Am Mittwoch sei nach einem prüfenden Blick in die Vorratsbox klar gewesen, dass mit dem wenig verbliebenen Waschmittel keine große Säuberung der gerade erst abgezogenen Betten zu erreichen ist. Bedeutete praktisch: Aller guten Dinge sind drei. Drei Besuche im Drogeriemarkt Großenhain auf dem Frauenmarkt. Drei Besuche, welche für die 67-Jährige mehr Lust als Last darstellen. „Meinen Namen sage ich Ihnen nicht, die Leute denken ja, die alte Frau spinnt. Aber Sie können ruhig schreiben, dass ich total gern hier einkaufen gehe“, sagt die quirlige Röderstädterin und lacht.
Ein Laden im Herzen der Innenstadt, der am 22. April 1993 seine Türen geöffnet hat. Damals noch kleiner, damals noch anders in der Präsentation der Waren freilich, aber immer schon ein Dreh- und Angelpunkt im Großenhainer Miteinander.
Buntes Miteinander von Leuten
Zwischen Seife, Parfüm und Babywindeln treffen die Menschen hier aufeinander. Auch an diesem Augusttag 30 Jahre später ist das so. Inzwischen mehrmals umgebaut und modernisiert, sind noch immer die freudigen Ausrufe zu hören, als Erika nach einer gefühlten Ewigkeit am Duschbadregal endlich mal wieder auf Gisela trifft. Teenager haben sich als Sommerferienabschluss zum Großeinkauf verabredet: blauer Nagellack, rosa Lippenstift und ein eigentlich viel zu opulentes Puder wandern in den Einkaufskorb. „Manchmal kommen wir einfach nur zum Chillen und Gucken her“, verrät die 15 Jahre alte Emmy und greift dabei schon zu einem kosmetischen Geheimtipp, der besonders die Wangen betonen soll. Ein vielsagender Ausblick in die Zukunft, den Marie noch im Kinderwagen genießen darf. Unruhig rutscht das 13 Monate alte Mädchen hin und her, während Mama drei Pakete Windeln schleppt und Papa die jüngsten Urlaubsfotos ausdruckt.
Buntes Miteinander von Leuten und Generationen, an denen sich besonders sie erfreuen: Filialleiterin Sophie Bormann und ihre 13 Mitarbeiter. Dass diese ebenso wie die Kundschaft verschiedenen Alters sind, unterschiedliche Interessen und Stärken haben, mit denen sie sich in den Arbeitsalltag einbringen können, wäre eines der Erfolgsgeheimnisse des Ladens.
Jeder im Team könne sich nach eigenem Bekunden frei entfalten und werde wie Sonja Schlegel – gewissermaßen der dienstältesten Verkäuferin der ersten Marktstunde – ebenso angehört, wie die Ideen der zwei Auszubildenden ernst genommen und wertgeschätzt würden.
Nur gemeinsam stark
„Die Bedingungen und eben jene Wertschätzung, die durch unser Unternehmen geboten werden und durchaus stimulieren, gern sowie engagiert arbeiten zu wollen, sind erstklassig. Das fängt eben bei der Vergütung oder der Möglichkeit auf Homeoffice sowie vielen hochwertigen Aus- und Weiterbildungen an und spiegelt sich in der stetigen Entwicklung des Marktes wider“, erklärt Sophie Bormann die Firmenphilosophie. Von der Pike auf habe sie selbst den Beruf der Drogistin im Leipziger Markt erlernt, arbeitete dann bereits in jüngeren Jahren als stellvertretende Filialleiterin in Meißen, um nun seit Oktober 2012 die Geschicke in Großenhain zu begleiten. In den Vordergrund rücken möchte sie diese Rolle allerdings nicht. Nur gemeinsam sei man stark und kreiere zusammen jeden Tag aufs Neue jene Atmosphäre, welche die Großenhainer und Menschen der Region wieder und wieder auf 417 Quadratmetern gern einkaufen ließen.
Eine Fläche, die im Vergleich mit anderen Standorten, denen bis zu 300 Quadratmeter mehr zur Verfügung stünden, laut Auffassung der Filialleiterin leider zu klein wäre. Gern würde man weiteren Service anbieten, der beispielsweise mit einer Stillecke, einer größeren Fototheke, einer
Beauty-insel, Baby- und Kindertextilien oder einer Abholstation für online bestellte Produkte noch mehr Kundschaft an sich binden könne. „Denn Einkaufen kann inzwischen viel mehr sein, als nur einfach hastig die Ware aus den jeweiligen Regalen zu holen“, ist sich Tino Grabs sicher.
Der 48-jährige Großenhainer ist der einzige männliche Mitstreiter. Ursprünglich als Versicherungskaufmann tätig, habe ihn die Suche nach einem abwechslungsreichen und sicheren Job 1995 zum Drogeriemarkt geführt. Nach einem augenscheinlich desaströsen Einstellungsgespräch, indem er nicht beantworten konnte, was der Unterschied zwischen einem Mascara und Eyeliner sei, habe das Unternehmen entgegen allen Befürchtungen wohl doch Vertrauen in seine übrigen männlichen Fähigkeiten gesetzt. „Und ich selbst habe es wirklich nie bereut! Mir ist freilich bewusst, dass ich als Mann ein wenig der Exot in so einem scheinbar weiblich geprägten Markt bin. Aber wer sich noch an die alten Drogerie-zeiten vor der Wende erinnern kann, wird wissen, dass diese sehr oft eben nicht von Frauen dominiert worden sind“, erinnert Tino Grabs und lacht.
Ein Ort der Begegnung
Gut lachen hat die Kundschaft besonders in dieser Woche. Denn da feiert der Markt sein 30. Jubiläum und lädt mit Aktionen bewusst all die dazu ein, die zum erfolgreichen Bestehen beigetragen haben. Die Rentnerin, die mehrmals in der Woche vorbeischaut, Erika und Gisela natürlich, trendbewusste Teenager, die jungen Mütter oder die schenkfreudige Nachbarin.
Eltern, deren Sprösslinge vielleicht just in Kindergärten gehen, die mit Sponsorenmitteln ebenso unterstützt werden wie Großenhains Handballer. Für sie alle ist der Markt nicht erst seit der Coronapandemie ein unverzichtbarer Punkt in der Stadt. Zum Einkauf, aber auch als Ort der Begegnung und Kommunikation. „Und dafür möchten wir uns bei allen Menschen, die uns seit Jahren die Treue halten, bedanken“, betont Sophie Bormann. Sie seien der Grund, weshalb die Arbeit tatsächlich Spaß mache. Eine, die dadurch eben viel mehr wäre, als ein kaufmännisches Dasein – zwischen Seife und Toilettenpapier.
Geboren am 12. August 1922: Das ist kein Tippfehler, sondern der Tag, an dem Gertrud Winterling das Licht der Welt erblickte. Jetzt feierte sie ihren 101. Geburtstag in Großenhain. Im Altenheim der „pro civitate Seniorenresidenzen Gmbh“auf der Mozartallee, in das die Jubilarin erst vor rund einem Monat eingezogen ist.
Bis dahin lebte sie in einer Mietwohnung in Nünchritz. Doch gemeinsam mit ihrer Tochter und weiteren Verwandten traf Gertrud Winterling die Entscheidung für die Einrichtung in Großenhain. Ihr Geburtstag wurde dort gebührend gefeiert. Neben Verwandten kamen auch zwei Freundinnen, mit denen Gertrud Winterling viele schöne Stunden bei Veranstaltungen und Treffen der Volkssolidarität verbrachte. Bei einem Glas Sekt übermittelten zudem Mitarbeiter der Seniorenresidenz die Glückwünsche der Bewohner und des Teams.
Eine gelungene Überraschung war eine Buttercremetorte, die sich alle Beteiligten bei einer Tasse Kaffee schmecken ließen. Sie sei „angekommen“, fasst die leitende Ergotherapeutin des Hauses, Anett Hendel, die ersten Wochen von Gertrud Winterling im neuen Wohnumfeld zusammen. Vor allem, so der Eindruck, genieße sie die Möglichkeiten der Gespräche mit anderen Bewohnern
sowie die Spaziergänge in Begleitung des Personals.
„Sie ist eine sehr genügsame Frau, im Rahmen der Möglichkeiten sehr kommunikativ“, bestätigt Anett Hendel. Vor allem an kleinen Dingen könne sie sich erfreuen, insbesondere an den Blumen, wenn sie mit dem Rollator durch die Anlage spazieren geht. „In ihrem Sessel im Zimmer fühlt sie sich aber am wohlsten“, so Anett Hendel.
So oder so: Dass Gertrud Winterling am 12. August 1922 geboren wurde, sieht man der rüstigen und geselligen Dame wahrlich nicht an.