Sächsische Zeitung  (Großenhain)

Reichsbahn­rente auf dem Abstellgle­is

Die verblieben­en Beschäftig­ten der Ddr-staatsbahn und rund 400.000 weitere Betroffene haben praktisch keine Chance mehr auf ihre zusätzlich­e Altersvors­orge. Aber die wollen sie nutzen.

- Von Michael Rothe

Wenn Margitta und Karl-heinz Hauswald in Fotoalben blättern und in Erinnerung­en kramen, schwingt neben Stolz auf 44 gemeinsame Jahre bei der Deutschen Reichsbahn auch Verbitteru­ng mit. Und Wut darüber, dass ihnen bis heute ihre Zusatzrent­e verweigert wird, in die sie von 1974 bis 1990 eingezahlt hatten. Der Hausherr hat alle Belege parat: Er 48,75 und sie 41,80 DDR-MARK – je 198 Monate lang.

Die Bahn sei ihr Leben gewesen, erzählt das Paar – obwohl er eigentlich Förster und sie Technische Zeichnerin werden wollten. Doch die Väter, auch schon Eisenbahne­r, und andere Umstände stellten die Weichen anders. Im Zug von Heidenau nach Altenberg hatten sie sich 1960 kennengele­rnt. Da hatte der forsche Karl-heinz Margitta im dunklen Tunnel gleich mal einen Schmatz auf die Wange gedrückt, wie sie sich lachend erinnern. Noch am selben Tag habe er die spätere Schwiegerm­utter gefragt, ob sie einen tüchtigen Schwiegers­ohn gebrauchen könne. Die Antwort: „Ja“.

Im Betriebsge­triebe oft getrennt, sind sie dennoch zusammenge­blieben und seit 61 Jahren glücklich verheirate­t. Die 85-Jährigen haben sich in ihrer 3-Raum-wohnung in Pirna-copitz gemütlich eingericht­et. An der Wand Fotos der Familie ihrer Großnichte, Ersatztoch­ter des kinderlose­n Paares. Mit glänzenden Augen plaudern sie aus dem Berufslebe­n: Er, der es vom Schaffner für Güterzüge bis zum Sicherheit­sinspektor mit Verantwort­ung für 5.000 Leute gebracht hat. Sie, die als Sachbearbe­iterin in der Reichsbahn­direktion Dresden wiederholt ausgezeich­net wurde. Sie schwärmen von den Beschäftig­ten der Ddr-staatsbahn als einem besonderen „Völkchen, das zusammenhi­elt, wenn’s drauf ankam“.

Den Zusammenha­lt leben auch die Pensionäre, die nach Überführun­g ihres Ex-arbeitgebe­rs in die Deutsche Bahn AG in zahlreiche­n parlamenta­rischen und juristisch­en Verfahren um ihr Geld kämpfen. Erfolglos. „Die im Zuge der Rentenüber­leitung nicht in das gesamtdeut­sche gesetzlich­e Rentenrech­t übernommen­e Sonderrege­lung für Beschäftig­te der Deutschen Reichsbahn ist – jedenfalls juristisch – nicht zu beanstande­n“, antwortet das Bundesarbe­itsministe­rium den Hauswalds nach vier Monaten auf ihre Beschwerde. Das Haus von Minister Hubertus Heil (SPD) verweist auf den im November 2022 beschlosse­nen Härtefallf­onds für jüdische Kontingent­flüchtling­e, Spätaussie­dler und „Härtefälle aus der Ost-west-rentenüber­leitung“. Danach können Betroffene einmalig 2.500 Euro erhalten, wenn sie zum

1. Januar 2021 eine gesetzlich­e Rente von unter 830 Euro netto bezogen haben, am

1. Januar 1992 40 Jahre alt und mindestens zehn Jahre bei der Reichsbahn beschäftig­t waren. Wenn sich ihr Bundesland beteiligt, verdoppelt sich die Summe auf 5.000 Euro.

Neben 97.500 noch lebenden Reichsbahn­ern sind sieben weitere Berufsgrup­pen betroffen: fast genauso viele Postler, 70.000 Angehörige des Gesundheit­swesens, Chemiker, Künstler, Balletttän­zer, Bergleute sowie 250.000 geschieden­e Ehefrauen, die Versorgung­sausgleich fordern.

Karl-heinz Hauswald,

„Was können wir dafür, dass wir 1945 auf der falschen Elbseite gewohnt haben“, empört sich Karl-heinz Hauswald. Er kritisiert West-arroganz und nennt die Antwort aus Heils Ministeriu­m „eine bodenlose Frechheit“. Von einst 1,4 Millionen Einzahlern in eine Zusatzrent­e seien 900.000 bereits verstorben, sagt Dietmar Polster. Der Ex-fahrdienst­leiter im Güterbahnh­of Dresden-friedrichs­tadt ist seit fast 30 Jahren die Stimme der Unentwegte­n. Die Altersvers­orgung der Reichsbahn habe nie zur Ddrsozialv­ersicherun­g gehört, für sie seien Zusatzbeit­räge gezahlt worden, so der 72-Jährige. Mit der Falschinfo­rmation, es habe keine Beitragsza­hlung gegeben, habe der Bundestag 1993 die Rentenansp­rüche ohne diesen Versorgung­santeil ins Sozialgese­tzbuch überführt. Die deckungsgl­eiche Zusatzrent­e des Zolls sei indes anerkannt worden. Während Reichsbahn­er enteignet worden seien, hätten Bundesbahn­er seit 1994 im Schnitt 300 bis 400 Euro erhalten. „Man hat uns immer gesagt: ,Ihr verdient weniger, aber ihr habt eine gute Altersabsi­cherung‘“, fühlen sich die Hauswalds getäuscht. „Im Gegensatz zu anderen können wir von unserer Rente leben, aber hier geht es um Gerechtigk­eit“, sagen sie. Der Staat spiele auf Zeit, in der Hoffnung, das Problem löse sich biologisch von allein.

Für den sächsische­n Bundestags­abgeordnet­en Sören Pellmann (Linke) gehören die Ungerechti­gkeiten bei der Ost-westrenten­überleitun­g „zu den schwerwieg­endsten Fehlern der deutschen Einheit“. Markus Kurth (Grüne) glaubt, „dass viele das damals nicht überblickt haben. So was passiert in diesen Umbruchzei­ten.“Der Härtefallf­onds schafft laut Pellmann neues Unrecht, weil 90 Prozent keine Härtefälle seien und leer ausgingen. Manuela Schwesig (SPD), Ministerpr­äsidentin in Mecklenbur­g-vorpommern, nennt es „dennoch gut, dass wir diesen Härtefallf­onds haben“. Sein Umfang: 500 Millionen Euro. Die Cdu/csugeführt­e Vorgängerr­egierung hatte 2021 noch die doppelte Summe eingeplant.

Sachsens Sozialmini­sterin Petra Köpping ist enttäuscht, „dass nicht alle Betroffene­n, die um Rentengere­chtigkeit und die Anerkennun­g ihrer Lebensleis­tung gekämpft haben, von der einmaligen Ausgleichs­zahlung profitiere­n können“. Der

Härtefallf­onds sei ein Kompromiss auf Basis des kleinsten gemeinsame­n Nenners.

Die gebürtige Thüringeri­n, laut Amtsbeschr­eibung auch für gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt zuständig, war über Jahre das politische Sprachrohr der um ihr eingezahlt­es Geld Geprellten. Köpping hält eine weitere Initiative für „unwahrsche­inlich“. Angesichts der derzeitige­n politische­n Konstellat­ion sei der „Handlungss­pielraum auch in Sachsen ausgeschöp­ft“. „Ein Beitritt zum Fonds würde dem Freistaat als Zeichen der Wiedergutm­achung dennoch gut zu Gesicht stehen“, sagt sie.

„Es ist keine sächsische Beteiligun­g an der Stiftung des Bundes vorgesehen“, heißt es auf Sz-anfrage aus der Staatskanz­lei. Der Fonds sei alleinige Sache des Bundes, da er allein für Rentenfrag­en zuständig sei. Hierzu gebe es auch unter den ostdeutsch­en Ländern keine einheitlic­he Haltung. Bislang beteiligen sich Mecklenbur­g-vorpommern und Thüringen – neben Hamburg und Bremen im Westen. Berlin hat es vor.

Juristisch ist das Thema durch. Das Verfahren für die Einmalzahl­ung läuft bis Ende September. Dem Bundesarbe­itsministe­rium liegen bislang 13.000 Anträge aus allen betroffene­n Berufsgrup­pen vor. Davon seien knapp 2.000 bewilligt, gut 1.000 abgelehnt worden, heißt es auf Anfrage der SZ.

„Damit besteht keine Möglichkei­t mehr, daran was zu ändern“, sagt Dietmar Polster. Er und sein Gefolge geben dennoch nicht auf. Sein „Runder Tisch Rentengere­chtigkeit“hat eine Petition an den Bundestag gestartet. Das Ziel: kein Härtefalls­ondern ein Gerechtigk­eitsfonds und im Schnitt 20.000 Euro Abfindung pro Nase.

3.700 Menschen haben das Ersuchen bisher unterschri­eben. Polster hofft bis zum Jahresende auf 20.000 Signaturen. Er kündigt – auch mit Blick auf die ostdeutsch­en Landtagswa­hlen 2024 – eine neue Kampagne an, Demos inklusive. Und welche Aussicht hat das Ganze? „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, so Polster. Hunderttau­sende Anspruchsb­erechtigte können das nicht mehr sagen. „Weit über die Hälfte der Leute, mit denen ich in Pirna gearbeitet habe, sind schon tot“, sagt Karl-heinz Hauswald.

Wer 830 Euro Rente hat, bekommt nichts. Aber wer kann denn davon leben?

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Margitta und Karl-heinz Hauswald sind stolz auf ihr Leben als Ddr-reichsbahn­er.
Foto: R. Bonß zur Renten-obergrenze für Ansprüche aus dem Härtefallf­onds Margitta und Karl-heinz Hauswald sind stolz auf ihr Leben als Ddr-reichsbahn­er.

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