Sächsische Zeitung (Großenhain)
Auf den Spuren des Urpils – in Pilsen Feste im Herbst
In der tschechischen Stadt sind Brauereien und Kneipen die wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Doch seit Pilsen Kulturhauptstadt war, lohnt auch ein Besuch der sanierten Altstadt.
Der Ort, wegen dem es die meisten Besucher nach Pilsen zieht, liegt praktischerweise vom Hauptbahnhof nur gut fünf Minuten Fußmarsch einen Hügel hinab entfernt. Brauereien zum Besichtigen und zur Bierverkostung gibt es in vielen Städten – und sie ziehen zuverlässig ihr Publikum an. Doch dass eine Brauerei die mit Abstand am meisten besuchte Sehenswürdigkeit einer Stadt ist, ist schon bemerkenswert. Pilsen ist Bier und Bier ist Pilsen, heißt es auch auf der Website der Stadt.
Man lehnt sich wohl nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn man behauptet: Gäbe es das Bier nicht, das seit 1842 einer ganzen Brauart ihren Namen gibt, hätten viele die Stadt anderthalb Zugstunden westlich von Prag nicht auf dem Schirm.
Natürlich startet man also in der Brauerei von Pilsner Urquell. Die ist in jedem Fall einen Besuch wert, auch wenn man auf den Höhepunkt etwas warten muss. Zunächst geht die Führung mit einem Abriss zur Entstehungsgeschichte des Pilsners und der Brauerei los, der Brauprozess wird erklärt, man kann geriebene Hopfenpellets probieren – und kriegt den Geschmack, der an bitteren Tee erinnert, danach ewig nicht aus dem Mund.
Dann das Highlight: Neun Kilometer unterirdisches Gewölbe ziehen sich unter dem Brauereigebäude entlang. Es ist kühl und feucht, wer nicht aufpasst, droht auf den glitschigen Steinen auszurutschen. Hier wurde das Bier einst in Holzfässern bei konstant niedrigen Temperaturen offen gegärt. Die riesigen Keller erinnern einen an Bergbaustollen. Die Wege sind breit und so hoch, dass einst Pferdekarren hier durchfahren konnten. Längst gärt das Bier in gekühlten Stahltanks, doch einige Chargen werden weiterhin in Holzfässern hier unten gegärt. Und genau dieses Bier können Besucher am Ende der Führung probieren: unpasteurisiertes und noch nicht gefiltertes Pilsner. Es sei quasi das Bier, das die Urväter des Pils 1842 am Ende ihrer Tüftelei gekostet und für gut befunden hätten, erklärt die Führerin.
Von der Brauerei ist es nur ein weiterer Fußmarsch von wenigen Minuten in die Altstadt, die vor nicht allzu langer Zeit erst so richtig herausgeputzt wurde. 2015 war Pilsen Kulturhauptstadt Europas, und im Zuge dessen war in den Jahren davor kräftig Geld geflossen, um Gebäude und Parks hübsch zu machen. Das sieht man.
Vielleicht übertreibt Stadtführer Jan ein wenig, wenn er erzählt, vorher sei hier alles grau gewesen und die Parks halbe Dschungel mit hohen Wiesen. Doch selbst wenn es so gewesen sein sollte: Das Pilsner Zentrum von heute präsentiert sich sauber, mit schönen Fassaden und einem Parkring rund um die Innenstadt mit kurz geschnittenem Rasen, Springbrunnen und gepflegten Beeten. Auch an Gaststätten und Bars herrscht kein Mangel.
In der Mitte von allem thront die St.bartholomäus-kathedrale. Mit 102 Metern die höchste Kirche Tschechiens. Links vom Eingangsportal ist eine kleine Tür, die man fast übersehen könnte. Geht man durch, erreicht man nach rund 300 Stufen die Aussichtsplattform. Das Bier ist auch hier oben nicht weit weg, die Brauerei unübersehbar.
Wieder unten angekommen, erzählt Jan, dass die Kathedrale eine katholische Kirche sei. „Es ist selten ein Problem, hier einen Platz zu bekommen, wir sind das wohl atheistischste Land der Erde“, fügt er an. Ganz unrecht hat er nicht: Im europäischen Vergleich ist Tschechien beim Grad der Säkularisierung vorne dabei.
Wo das Land ganz sicher weltweit Spitze ist, ist der Pro-kopf-bierkonsum, das zeigen Daten. Darauf angesprochen, sagt Jan nur: „Vielleicht haben sie einen neuen Gott gefunden?“Den Spruch meint er natürlich nicht ernst, auch wenn manche Bier sicherlich als ihre Religion bezeichnen würden.
In Pilsen soll die Kneipendichte gemessen an der Einwohnerzahl höher als in Prag sein, sagt man mir. Mag sein, auch wenn die Gaststätten mit klassischer Küche wie Gulasch oder Svíčková und Ehrensache Pilsner Urquell am Zapfhahn hier nicht so augenfällig oft zu sehen sind wie in manchen Teilen der tschechischen Hauptstadt.
Es gibt abseits des Vieltrinker-pubs in jedem Fall genug empfehlenswerte Adressen für böhmische Genusskultur. Im Zentrum der Stadt zählen das U Salzmannu dazu und das Na Parkánu, wo man etwa die sehr intensive Knoblauchsuppe mit einem ungefilterten Urquell hinunterspülen kann.
Auf dem Gelände der Brauerei steht in ehemaligen Gärkellern mit dem Na Spilce das nach eigenen Angaben größte Restaurant Tschechiens.
Es wäre aber ein Fehler, den Pilsner Bierkosmos nur auf das eine Bier mit dem weltbekannten Namen zu reduzieren. Nicht nur, dass es mit Gambrinus eine zweite, vor allem in Tschechien bekannte und verbreitete Biermarke gibt, die in Steinwurf-entfernung vom Pilsner Urquell gebraut wird. Es finden sich in und um Pilsen mehr als ein Dutzend kleinere Brauereien. Die Größte unter diesen Kleinen ist Purkmistr. Auf einem ehemaligen Bauernhof im dörflichen Ortsteil Černice, sieben Kilometer südlich vom Zentrum, wird nicht nur Bier gebraut. Es gibt auch ein empfehlenswertes Restaurant, ein Hotel und ein Bier-spa.
Das Spa ist das Aushängeschild von Purkmistr. Der Kern des Angebots sind mehrere große Holzbadewannen für ein warmes Bad mit bierhaltigen Badezusätzen und einer Zapfanlage in Griffweite neben der Wanne, in der man sich kühles Lagerbier ins Glas füllen kann.
Die gut 25 Minuten im Bierbad mit Frischgezapftem waren erstaunlich entspannend. Natürlich ist die originelle Wannen-wellness vor allem dafür da, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das gibt Marketingmanager Petr Mic offen zu. Das Spa als Zugpferd half, das Hotel nach anfänglichen Auslastungsproblemen voller zu bekommen. Gäste kämen aus Brasilien, USA, Südafrika – und Deutschland. (dpa)
Anreise: Mit dem Zug von Dresden über Prag nach Pilsen knapp vier Stunden. Mit dem Auto rund 250 Kilometer.
Brauerei von Pilsner Urquell: Nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt liegt das weitläufige Gelände, auf Tschechisch Plzenský Prazdroj. Führungen kann man online buchen:
Bierfeste: Jedes Jahr am ersten Oktoberwochenende ist auf dem Brauereigelände Party mit Bands und reichlich Pilsner Urquell beim Pilsner Fest. Eine Empfehlung für Bierliebhaber ist das „Sun in a Glass“-festival, das Mitte September rund um das Purkmistr-gelände in Pilsen-cernice steigt: Hier präsentieren kleine Brauereien aus der
Stadt und Region ihre Kreationen.
Auskünfte und Tipps für den Pilsen-besuch gibt es in deutscher Sprache beim Tourismusbüro der Stadt unter: