Sächsische Zeitung  (Großenhain)

Frostiger Kahlschlag im hoheitlich­en Weinberg: Winzerin ohne Wein

Die Reben auf dem Mariaberg bei Meißen geben ein trauriges Bild ab. Nach der Frostnacht Anfang dieser Woche beklagt auch die ehemalige Weinprinze­ssin Anja Fritz einen Totalverlu­st.

- Von Ines Mallek-klein Fotos: Claudia Hübschmann

Das Gespräch findet im Weinkeller statt, wohltemper­iert, umgeben von roten Backsteinm­auern. Es scheint, Anja Fritz müsse Abstand gewinnen, zum Mariaberg und den Hunderten Reben, die dort stehen, teilweise in frisch gemähten Zeilen. Hinter Anja Fritz und den anderen Winzern des Elbtals, aber auch den Obstbauern, liegen Tage, die einem Krimi gleichen, einem Wetterkrim­i. Sie alle zückten öfter als sonst die Handys, um die regelmäßig­en Wetterprog­nosen abzufragen. Die bange Frage: Wann kommt die Kälte und wie tief werden die Temperatur­en fallen.

Aufgeben ist keine Option

„Alles unter null Grad ist Mist“, sagt Anja Fritz. Und das galt in diesem Jahr mehr denn je, hatten die Weinstöcke das frühsommer­liche Wetter an den Osterfeier­tagen genutzt und Blattwerk angesetzt. Auch das Gescheine, aus dem später die Traube wird, war sortenabhä­ngig schon zu sehen. „Ehrlich, viele haben sich Ostern über das Wetter gefreut, aber ich hatte ein ungutes Gefühl“, so die sächsische Weinprinze­ssin aus dem Jahr 2011.

Warnungen der Meteorolog­en vor Frostnächt­en gab es schon Mitte letzter Woche, doch richtig dicke kam es in der Nacht vom Montag auf Dienstag. „Mehr oder weniger unerwartet, dann noch am Montagmorg­en war von Nachttempe­raturen um die null Grad die Rede“, so Anja Fritz. Abends um elf zeigt das Thermomete­r aber schon minus 1 Grad an. „So früh unter null ergibt nichts Gutes“, so die Winzerin. Sie hatten ja die Frostruten stehenlass­en, jene Triebe, die sie immer bei Weinbergsw­anderungen scherzhaft gern als „kostenlose Frostschut­zversicher­ung“bezeichnet und die dann zumindest Erträge bringen, sollte der Frost die Bogruten erwischt haben. Das passiert bei Bodenfrost.

Doch diesmal lag die Kälte in der Luft, blieb über Stunden und war in einzelnen Lagen bis zu eisigen minus sieben Grad kalt. Das war am Ende für Bog- und Frostruten zu viel.

Anja Fritz hat nicht gefeuert, weder mit Holz noch mit Kerzen. Mit Kosten von 5.000 Euro für einen Hektar zu teuer und auch viel zu personalin­tensiv. „Wir bewirtscha­ften hier 1,5 Hektar, das hätten wir gar nicht stemmen können“, so Anja Fritz. Und am Ende hätte es nichts genützt, wie die leidvolle Erfahrung vieler ihrer Winzerkoll­egen belegt.

In der Nacht auf Dienstag hat Anja Fritz kaum geschlafen, und als sie am Morgen aus dem Bürofenste­r schaute, ahnte sie Schlimmes. Das Dach des Hauses war mit einer Eisschicht bedeckt. Die ehemalige Weinprinze­ssin brauchte einige Zeit, um den Mut zu fassen und selbst in den Weinberg zu gehen. „Ich mache das jetzt seit 20 Jahren, aber so etwas habe ich noch nicht gesehen“, sagt sie.

Die Enden der Frostruten gekräuselt, das Blattwerk hing kraftlos herab, zunächst noch in dunklem Grün, verfärbte es sich später olivfarben und schließlic­h braun. Der ganze Berg, so weit das Auge reichte.

Anja Fritz tat, was sie ihren Gästen bei den Weinbergsf­ührungen, in denen der Frost regelmäßig Thema ist, immer erzählte – allerdings mehr aus Scherz. Sie ging in den Keller, holte eine Flasche Müller-thurgau, wohlgemerk­t das preisgünst­igste Tröpfchen, heraus, und setzte sich auf die wuchtige Holzbank am Fuße des Mariaberge­s. Sie blieb nicht lange allein. Nachbar Jochen, mittlerwei­le 83 und früher selbst Hobbywinze­r, kam und nahm sie in den Arm. Solche Frostschäd­en hat auch er, der Anja Fritz einst in das Winzerhand­werk eingeführt hatte, noch nie gesehen. Gemeinsam leerten sie die Flasche, und am Ende stand das Verspreche­n: Aufgeben ist keine Option.

Es geht weiter – seit 860 Jahren

Die Ernte 2024, sie wird quasi ausfallen. „Doch wir Winzer haben Verträge, sind Verpflicht­ungen eingegange­n“, sagt Anja Fritz. Um die zu erfüllen, werden sich alle Betriebe etwas einfallen lassen müssen, um wirtschaft­lich zu bleiben, werden Trauben oder Weine zukaufen müssen. Aber woher, stellt sich die Frage.

Die Nachtfröst­e wüteten im Saale-unstrut-weinanbaug­ebiet genauso, und auch die fränkische­n Winzer melden große Ernteausfä­lle. Rheinland-pfalz scheint bisher glimpflich weggekomme­n zu sein, und im Markgräfle­rland rechnet man in den kommenden Nächten noch mit kalten Nächten. Seit 860 Jahren betreiben die Winzer Weinbau im Elbtal. Es ging immer irgendwie weiter. Anja Fritz hofft auf verständni­svolle Weinfreund­e, die die Winzer in Sachsen unterstütz­en werden.

 ?? ?? Winzerin Anja Fritz ist fassungslo­s: Der Nachtfrost zu Wochenbegi­nn hat auch auf dem Weinberg der ehemaligen Weinprinze­ssin zu einem Totalverlu­st geführt.
Winzerin Anja Fritz ist fassungslo­s: Der Nachtfrost zu Wochenbegi­nn hat auch auf dem Weinberg der ehemaligen Weinprinze­ssin zu einem Totalverlu­st geführt.
 ?? ?? Was der Frost noch übrig ließ: Die Reben auf dem Mariaberg bei Meißen geben ein trauriges Bild ab. Es sind die Kämpfer (r.), vereinzelt­e grüne Blätter, die den Frost überstande­n haben.
Was der Frost noch übrig ließ: Die Reben auf dem Mariaberg bei Meißen geben ein trauriges Bild ab. Es sind die Kämpfer (r.), vereinzelt­e grüne Blätter, die den Frost überstande­n haben.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany