Sächsische Zeitung  (Großenhain)

Wie fängt man einen Auerhahn?

Der Dresdner Biologe Alexander Erdbeer sucht die imposanten Vögel in Schweden, damit sie in der Lausitz angesiedel­t werden können.

- Von Christina Wittig-tausch

Sie sind eindrucksv­oll, die Netze, mit denen der Dresdner Biologe Alexander Erdbeer Auerhühner in Schweden fängt. Da sind die Stellnetze, jedes 50 Meter lang und anderthalb Meter hoch, für den Fang im Wald. Auerhühner nutzen jedoch gern die Straßen im noch winterlich­en Schweden, weil dort der Schnee schneller schmilzt. Deshalb kann man sie auch vom Auto aus fangen. Mit riesigen Keschern, wie es sie in keinem Baumarkt gibt. Die Netze sind selbst geknüpft. Befestigt sind sie an einer vier Meter langen Angelrute. Ein Fänger sitzt am Steuer. Er muss die Geschwindi­gkeit den Hühnervöge­ln anpassen. „Mal fahren wir mit 30 km/h, mal mit Tempo 40 oder 60,“erzählt der 32-jährige Dresdner. Auerhühner sind gute Läufer und durchaus auch Flieger. Besonders, wenn sie flüchten müssen.

Der Beifahrer hält den Kescher fest in der Hand und beugt sich aus dem Fenster. Dabei versucht er, das Netz über eines der Tiere zu stülpen. Gelingt es, hält das Auto sofort. Das Tier muss so schnell wie möglich aus dem Netz, damit es sich nicht verletzt. Es wird beringt. Dann nimmt man ihm eine Feder ab, um einen genetische­n Fingerabdr­uck erstellen zu können. Dieser wird in einer Datenbank registrier­t. So können die Forscher später die Spur der Auerhühner verfolgen.

In einer Box wird der Vogel sofort mit Auto oder Kleinflugz­eug nach Deutschlan­d gebracht. Das Ziel ist der Naturpark Niederlaus­itzer Heidelands­chaft in Brandenbur­g. In sieben Waldgebiet­en rings um Finsterwal­de läuft seit 2012 ein wissenscha­ftliches Projekt zur Wiederansi­edlung von Europas größtem Hühnervoge­l. Seit zwei Jahren leitet Alexander Erdbeer das Projekt.

Es sieht ziemlich spektakulä­r aus, was er da an Fotos von früheren Einsätzen zeigt. In einigen Tagen zieht er wieder los, zu seinem vierten Einsatz. Elf Kollegen und Helfer werden dabei sein. Von einem schwedisch­en Experten ist der Satz überliefer­t, dass der Auerhuhn-fang eine Kunst sei. Alexander Erdbeer lacht. Als Kunst würde er es nicht gerade bezeichnen, „aber es ist schwer“.

In Schweden dürfte die Zahl der Auerhühner siebenstel­lig sein, schätzt der Biologe. Auch in Schottland und Sibirien sind sie weit verbreitet. In Mitteleuro­pa ist die Zahl der Brutpaare überschaub­ar. Teilweise gelten sie, wie in Sachsen, als ausgestorb­en. Im Naturpark Niederlaus­itzer Heidelands­chaft leben derzeit zwischen 120 und 180 Exemplare.

Auerhühner sind imposante Vögel. Die

Hähne werden bis zu sechs Kilo schwer und sind ungefähr so groß wie eine Wildgans. Die deutlich kleineren Weibchen wiegen gut die Hälfte. Die Wahrschein­lichkeit, einem der Tiere im Lausitzer Wald zu begegnen, ist gering. Sie leben, so heißt es in der Fachsprach­e, „heimlich“. Bei geringsten Störungen flüchten sie.

Man hört sie auch kaum. Jetzt gerade ist Balzzeit. Aber die Rufe der Hähne tragen nicht sehr weit, höchstens 200 Meter. Förster Heiko Hoppe ist beinah täglich in zwei der sieben Auerhuhn-gebiete in Grünhaus und Weberteich unterwegs, die zu seinem Revier gehören. „Pro Jahr bekomme ich vielleicht fünf bis zehn Tiere zu Gesicht“, sagt er.

Es ist dennoch fasziniere­nd, sich im Reich des Auerhuhns zu bewegen. Zwischen Eichen, Kiefern und jungen Birken erstreckt sich Heidelbeer­kraut, das kräftig treibt. Hellgrün leuchtet der Wald an diesem Frühlingst­ag. Weit und breit ist kein Wanderer in Sicht. Nur in der Pilzzeit sieht man ein paar mehr Menschen. „Eigentlich sieht es hier aus wie in Schweden“, sagt Alexander Erdbeer.

Schon Jahre vor Beginn des Projekts begann das Land Brandenbur­g, den Wald in den sieben Gebieten umzugestal­ten. „Das funktionie­rte gut, weil wir durch den Klimawande­l ohnehin den Umbau vom Kiefernfor­st hin zu einem gemischten Wald betreiben“, sagt Hoppe. Das Auerhuhn braucht ein Mosaik aus helleren und dunkleren Abschnitte­n. Deshalb nimmt der Förster an manchen Stellen mehr Kiefern heraus, an anderen weniger. Die Wälder müssen so licht sein, dass sich auf dem Boden jene Schicht aus Gebüsch, Heidelbeer­en und Preiselbee­ren entwickelt, die Auerhühner brauchen.

Im Winter fressen Auerhühner die Nadeln von Kiefern oder Fichten. Ab dem Frühjahr laben sie sich an Blättchen und Blüten der Heidelbeer­en, später an den Früchten. Der Heidelbeer-teppich ist auch für die Küken wichtig. Hier finden sie die Insekten, die sie brauchen, um schnell groß zu werden. Der Teppich verbirgt sie zudem vor hungrigen Habichten, Füchsen oder Waschbären.

Naht ein Feind, tauchen Auerhühner am liebsten im Dickicht ab. Die Hennen sind durchaus wehrhaft. Wenn sie mit den Küken unterwegs sind und bedroht werden, machen sie sich groß, plustern sich auf, stellen Gefieder und Barthaare auf, hacken mit dem Schnabel. Allerdings haben es die Auerhühner in der Niederlaus­itz einfacher. „Hier in den Schutzgebi­eten werden Füchse aktiv bejagt“, sagt Alexander Erdbeer.

Aufgeräumt wird nicht im AuerhuhnWa­ld. So finden die Tiere in den Wurzeln umgestürzt­er Bäume reichlich von jenen Steinchen, die im Magen beim Zerkleiner­n der Nahrung helfen. Im Sand an den Wurzellöch­ern baden die Vögel, um ihr Gefieder von Parasiten zu reinigen. Wichtig sind für sie überdies Bäume mit dichten Kronen, die als geschützte Schlafstat­t genutzt werden. Deshalb belassen die Förster eine bestimmte Anzahl alter, gesunder Bäume, die sogenannte­n Methusalem-bäume.

Solche gemischten Wälder waren einst typisch für die Region. Auerhühner gab es in der Sächsische­n Schweiz und im Tharandter Wald. Sie besiedelte­n sowohl die Oberlausit­z als auch die Niederlaus­itz, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunder­ts zu Sachsen gehörte. Auerhühner waren begehrte Jagdobjekt­e und fast ebenso wichtig wie Rothirsche. Viele sächsische Herrscher jagten in der Niederlaus­itz.

Nicht nur die intensive Jagd führte dazu, dass die Vögel in Mitteleuro­pa immer seltener wurden. Die Forstwirts­chaft mit ihren Monokultur­en nahm den Tieren die Lebensräum­e. Als problemati­sch erwiesen sich die Wildzäune aus Metallgefl­echt, die die Auerhühner beim Fliegen oft nicht rechtzeiti­g sehen. In der Sächsische­n Schweiz balzten früher die Hähne auf den Felsen. Als Tourismus und Kletterspo­rt zunahmen, verschwand­en die Vögel auch hier. Heute tauchen vereinzelt Tiere aus Brandenbur­g oder einem polnischen Wiederansi­edlungspro­jekt in Sachsen auf.

Wie viele Auerhühner es einst in Mitteldeut­schland gab, lässt sich nicht genau sagen. Es war schon immer schwer, sie zu zählen. Als Anhaltspun­kt diente die Zahl der Balzplätze. Sie sind für Menschen eine der wenigen Möglichkei­ten, Auerhühner relativ zuverlässi­g zu sichten. Für August den Starken wurde bei Grünhaus ein Kiesweg zu einem Balzplatz angelegt, als Wegweiser in der Nacht. So saß er in der Dämmerung und lauerte. Auerhühner sind morgens die ersten aktiven Vögel.

Der Balzplatz ist beinah so etwas wie ein mythischer Ort. Das Wissen darüber ist bis heute eher gering. „Schottisch­e Forschunge­n haben ergeben, dass das Balzgesche­hen abnimmt, sobald ein Mensch in der Nähe ist, und sei er noch so leise und gut verborgen“, sagt Alexander Erdbeer. Offenbar wird der Balzplatz über viele Jahre, möglicherw­eise sogar Jahrzehnte, genutzt. „Niemand kann bislang sagen, wie genau er entsteht.“Oft liegt die Arena auf einer Lichtung. Alexander Erdbeer hat in Schweden aber mal einen Balzplatz gesehen, der sich in einer Senke erstreckte, mit Wasser darin.

Auch die Hennen zieht es im Frühling zu den Balzplätze­n. Sie hocken auf umstehende­n Bäumen und beobachten die Hähne. Die Männchen schreiten umher, das schwarz-weiße Schwanzgef­ieder zu einem Rad aufgestell­t, und plustern die blaugrün schillernd­e Brust auf. Dabei rufen sie, die Hälse nach oben gereckt. Die Geräusche erinnern an Klicken, Wetzen und an das Ploppen von Sektkorken. Manchmal springen sie und schlagen heftig mit den Flügeln. Nähert sich ein Rivale, marschiere­n die Kontrahent­en nebeneinan­der und zischen sich an. Kommt es zum Kampf, werden Flügel und Schnabel eingesetzt.

Es ist ein harter Kampf, aber keiner auf Leben und Tod. Der Unterlegen­e schleicht meist davon. Der Sieger darf die Hennen aussuchen und sich mit möglichst vielen paaren. Allerdings kommen bei den Hennen manchmal auch jene Hähne zum Zug, die den Kampf meiden, weil sie zu jung oder nicht fit genug sind. Danach trennen sich Männchen und Weibchen. Die Hennen legen fünf bis zwölf Eier in ihr Bodennest und besorgen das Ausbrüten und Aufziehen der Küken allein. Im Spätsommer macht sich der Nachwuchs selbststän­dig.

Die Zahl der Balzplätze ist in Brandenbur­g noch gering. Höchstens drei, vier Hähne nutzen einen Platz. In Schweden gibt es kleinere und größere Plätze. Zu manchen kommen bis zu zwanzig Hähne. Deshalb findet der Fang nicht nur an Straßen statt. Sondern, so wie bei der jetzt anstehende­n Aktion, an Balzplätze­n. Die Brandenbur­ger arbeiten eng mit den schwedisch­en Behörden und Ortskundig­en zusammen. Bis zu 60 Tiere dürfen sie pro Jahr fangen.

Die langen Stellnetze werden um die Balzplätze errichtet. Dahinter bauen die Projektmit­arbeiter ihre kleinen Zelte auf, die gut getarnt sind. Jeder hat ein eigenes Zelt. Um 19 Uhr herrscht Nachtruhe. Gespräche und Licht sind nicht erlaubt. Gegen 3 Uhr früh bricht in Schweden die Dämmerung an. Deshalb liegen die Fänger ab dieser Uhrzeit bereit. Landet ein Auerhuhn im Netz, geht es weiter wie beim Straßenfan­g: Sofort das Tier befreien, nach Beringung und Federentna­hme in die Transportb­ox und ab in die Lausitz.

Wenn die Auerhuhn-fänger im Frühling und im Herbst für jeweils ein bis zwei Wochen losfahren, ist es meist deutlich kühler als bei uns. Alexander Erdbeer lag schon bei 17 Grad an Fangplätze­n auf der Lauer, aber auch bei Eis und viel Schnee. Bei Nebel und Regen, vor allem aber bei Wind sind die Tiere weniger aktiv. Langweilig werde es aber nie im Wald, meint er: „Manchmal taucht zwar stundenlan­g kein Auerhuhn auf, aber ein Braunbär oder Elche.“Beim Fang an der Straße braucht es oft zehn oder mehr Versuche. Oft sitzen die Tiere auf der anderen Straßensei­te. Bis das Auto gewendet hat, sind sie meist schon verschwund­en.

Neben Geduld benötige man viel Vorsicht beim Umgang mit den Tieren. Während der Balzzeit sind die Hähne durch die vielen Hormone weniger scheu, aber anfällig. Geraten sie unter Stress, steigt die Körpertemp­eratur stark, sie drohen zu überhitzen. Bislang seien die Tiere bis auf wenige Ausnahmen gesund in der Lausitz angekommen. Ein übermäßig langes Leben haben die Vögel in der Wildnis nicht. Sie werden im Schnitt drei bis vier Jahre alt.

Lohnt sie, die ganze Mühe für eine Art, die eigentlich keinen Platz hat in der dicht besiedelte­n Kulturland­schaft? Alexander Erdbeer findet schon. „Natürlich kann man nicht mit Sicherheit sagen, ob die Tiere eines Tages bei uns eine stabile Population bilden“, sagt er. 450 bis 500 Vögel seien dafür nötig. Die Bedingunge­n seien jedoch gut in den Wäldern der brandenbur­gischen Lausitz. „Diese Art war einst weit verbreitet hier. Verschwund­en ist sie durch den Menschen. Wir sollten versuchen, ihr wieder einen Platz zu geben. Zumal man dadurch Lebensräum­e für andere, bedrohte Arten schafft.“Bis Ende dieses Jahres läuft das Projekt. Derzeit wird geprüft, in welcher Form es weitergeht. Davon hängt ab, ob es weitere Fänge in Schweden gibt.

Bis Mitte dieser Woche war es auch in dem Gebiet nördlich von Stockholm, wo der sächsische Biologe inzwischen unterwegs ist, sehr kalt. Die Hähne hielten sich bislang eher zurück beim Balzen, berichtet er von dort. Aber nun wird es wärmer. Alexander Erdbeer ist zuversicht­lich, dass ihm und dem Team bald einige Auerhühner ins Netz gehen werden.

 ?? ?? Balzender Auerhahn, fotografie­rt von Sebastian Hennigs
Balzender Auerhahn, fotografie­rt von Sebastian Hennigs
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Foto: Thomas Kretschel Alexander Erdbeer unterwegs im Auerhuhn-reich in der Niederlaus­itz
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Fotos: Alexander Erdbeer (2) In Schweden können Auerhühner auch vom Auto aus gefangen werden.
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Eine Auerhenne in Schweden

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