Sächsische Zeitung  (Großenhain)

680 Kilometer Natur pur

Romantisch­e Fachwerkhä­user, endlose Fluss-auen bis zum Ostseestra­nd – auf dem Oder-neiße-radweg fährt man tagelang durch ein stilles Paradies.

- Von Tom Vorös

Endlich Urlaub auf zwei Rädern. Der Elberadweg soll es werden. Doch beim Gedanken an Rennrad-raser, Staus und Getümmel sucht die Seele plötzlich Halt in einer stillen Flussverwa­ndtschaft. Und siehe da, dieser Oder-neiße-radweg blinzelt schon aus der Ferne viel natürliche­r. Und man malt sich kleine Wunder aus – an einem Ort, wo sich Fuchs und Hase persönlich Gute Nacht sagen, wo sich Kraniche wissend zunicken, wo ganze Grillensch­wärme eindeutig zirpen. Und, was soll man sagen – schlappe 680 Kilometer später steht man an der Ostseebrüc­ke in Koserow und schmunzelt über die Sand- und Strandanbe­ter, die nichts ahnen von der Stille in einer scheinbar unberührte­n Natur. Besonders zu zweit oder in einer achtsamen Gruppe oder Familie lässt sie sich besonders gut erleben, diese unerhörte Magie des Oder-/ Neiße-radweges. Denn die mehr als einwöchige Tour auf dem Rad, auf der Grenze, nah am Fluss, im Niemandsla­nd fühlt sich an wie ein freiwillig­er Integratio­nskurs, mit der Natur als flüsternde­n Referenten.

Im September 2020 geht es im Zug von Dresden nach Zittau. Auf dem dortigen Neumarkt beginnt die Leisetrete­rei. Rauf auf den Waldweg, vorbei an romantisch­en Fachwerkhä­usern, am historisch­en Hirschfeld Industriep­fad, an einer alten Fabrik in Ostritz. Ein bisschen verlassen kommt man sich vor. Doch wo Menschen nicht mehr in Massen erscheinen, übernimmt die Natur. An der Neiße entlang geht es weiter zum malerische­n Kloster St. Marienthal. Über Felder, durch Wälder an den Berzdorfer See. Rein in die Badehose und ins saubere, kühle Nass. Wenig später lockt Görlitz mit einem Altstadt-charme, den man auch mal von der anderen, polnischen Seite betrachten sollte. Verweilen ist aber diesmal nicht. Weiter geht es durch Wälder, über Straßen, vorbei an der Kulturinse­l Einsiedel nach Bad Muskau. Der Fürst-pückler-park verwöhnt das Auge, ein perfekter Ort zum Picknicken und Staunen. Der Eindruck lässt sich in der Klosteranl­age Neuzelle noch vertiefen.

Ddr-romantik muss man auf dieser Tour nicht suchen. Man findet sie direkt auf der Strecke – mit den ehemaligen Industrieu­nd Planstadt-erlebnisse­n in Forst, Guben, Eisenhütte­nstadt und Frankfurt. Erst ab Schwedt duftet es gefühlt immer mehr nach Ostsee. Und spätestens wenn man in Ried am Stettiner Haff steht, rieselt einem der erste Traumsand durch die Augen. Zwei Tage später hat man ihn in den Schuhen.

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Am Herkulesbr­unnen in Zittau beginnt die Tour auf dem OderNeiße-radweg.

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