Sächsische Zeitung (Großenhain)
680 Kilometer Natur pur
Romantische Fachwerkhäuser, endlose Fluss-auen bis zum Ostseestrand – auf dem Oder-neiße-radweg fährt man tagelang durch ein stilles Paradies.
Endlich Urlaub auf zwei Rädern. Der Elberadweg soll es werden. Doch beim Gedanken an Rennrad-raser, Staus und Getümmel sucht die Seele plötzlich Halt in einer stillen Flussverwandtschaft. Und siehe da, dieser Oder-neiße-radweg blinzelt schon aus der Ferne viel natürlicher. Und man malt sich kleine Wunder aus – an einem Ort, wo sich Fuchs und Hase persönlich Gute Nacht sagen, wo sich Kraniche wissend zunicken, wo ganze Grillenschwärme eindeutig zirpen. Und, was soll man sagen – schlappe 680 Kilometer später steht man an der Ostseebrücke in Koserow und schmunzelt über die Sand- und Strandanbeter, die nichts ahnen von der Stille in einer scheinbar unberührten Natur. Besonders zu zweit oder in einer achtsamen Gruppe oder Familie lässt sie sich besonders gut erleben, diese unerhörte Magie des Oder-/ Neiße-radweges. Denn die mehr als einwöchige Tour auf dem Rad, auf der Grenze, nah am Fluss, im Niemandsland fühlt sich an wie ein freiwilliger Integrationskurs, mit der Natur als flüsternden Referenten.
Im September 2020 geht es im Zug von Dresden nach Zittau. Auf dem dortigen Neumarkt beginnt die Leisetreterei. Rauf auf den Waldweg, vorbei an romantischen Fachwerkhäusern, am historischen Hirschfeld Industriepfad, an einer alten Fabrik in Ostritz. Ein bisschen verlassen kommt man sich vor. Doch wo Menschen nicht mehr in Massen erscheinen, übernimmt die Natur. An der Neiße entlang geht es weiter zum malerischen Kloster St. Marienthal. Über Felder, durch Wälder an den Berzdorfer See. Rein in die Badehose und ins saubere, kühle Nass. Wenig später lockt Görlitz mit einem Altstadt-charme, den man auch mal von der anderen, polnischen Seite betrachten sollte. Verweilen ist aber diesmal nicht. Weiter geht es durch Wälder, über Straßen, vorbei an der Kulturinsel Einsiedel nach Bad Muskau. Der Fürst-pückler-park verwöhnt das Auge, ein perfekter Ort zum Picknicken und Staunen. Der Eindruck lässt sich in der Klosteranlage Neuzelle noch vertiefen.
Ddr-romantik muss man auf dieser Tour nicht suchen. Man findet sie direkt auf der Strecke – mit den ehemaligen Industrieund Planstadt-erlebnissen in Forst, Guben, Eisenhüttenstadt und Frankfurt. Erst ab Schwedt duftet es gefühlt immer mehr nach Ostsee. Und spätestens wenn man in Ried am Stettiner Haff steht, rieselt einem der erste Traumsand durch die Augen. Zwei Tage später hat man ihn in den Schuhen.