Sächsische Zeitung  (Großenhain)

Grünes Gewölbe: Freispruch für 24-Jährigen im Beihilfe-prozess

Seit Monaten steht in Dresden ein Spross des Remmo-clans vor Gericht. Der 24-Jährige muss sich wegen Beihilfe zu dem Einbruch ins Grüne Gewölbe verantwort­en. Jetzt ist das Urteil gefallen.

- Von Alexander Schneider Foto: Xcitepress/finn Becker

Nachdem die Verteidige­r-plädoyers gehalten worden waren und auch der Angeklagte die Gelegenhei­t gehabt hatte, noch etwas zu seinem Verfahren zu sagen, verkündete die Vorsitzend­e Richterin Eva Stief überrasche­nd, dass die Kammer ihr Urteil schon in einer Stunde verkünden werde. Das war die größte Überraschu­ng an diesem 19. Sitzungsta­g.

Seit Januar muss sich ein 24-jähriger Angeklagte­r, Spross des Berliner RemmoClans, dafür verantwort­en, Beihilfe zum wohl spektakulä­rsten Kunstdiebs­tahl in Sachsen geleistet zu haben – dem Einbruch ins Grüne Gewölbe Dresden am 25. November 2019. Sein Bruder und vier Cousins hatten Diamanten und Juwelen von unermessli­chem Wert erbeutet. Wie groß der Schaden ist, ist noch unklar, allein die Versicheru­ngssumme der Steine beläuft sich auf rund 116 Millionen Euro.

Die Jugendkamm­er des Landgerich­ts Dresden sprach den Angeklagte­n frei, das war schon eine weniger große Überraschu­ng. Auch wenn Staatsanwa­lt Christian Weber eine Jugendstra­fe von eineinhalb

Jahren auf Bewährung gefordert hatte. Der Angeklagte hatte sich nie zu den Vorwürfen geäußert. Er ist der jüngere Bruder von Bashir Remmo (27), einem der rechtskräf­tig verurteilt­en Haupttäter. Der Angeklagte hatte in der Nacht vor dem Einbruch in Berlin seinen Bruder sowie Rabieh und Abdul Majed Remmo zu ihren Tatfahrzeu­gen chauffiere­n sollen. Doch gegen 23 Uhr gerieten sie in eine Polizeikon­trolle, weil sie an einer roten Ampel das Interesse einer Zivilstrei­fe auf sich gelenkt hatten.

Die Kontrolle dauerte eine knappe halbe Stunde. Problem: Die Polizei entdeckte in dem weißen Golf Einbruchsw­erkzeug – zwei Bolzenschn­eider und ein Brecheisen – und hatte den Verdacht, die einschlägi­g bekannten Insassen könnten ein krummes Ding drehen wollen. Nach der Kontrolle verfolgten daher zwei Zivilstrei­fen den Golf mit dem Angeklagte­n am Steuer. Der setzte seine Insassen unterwegs ab und fuhr weiter zu seiner Wohnanschr­ift. Unterwegs brachen die Beamten ihre Observatio­n ab.

Aus Sicht der Staatsanwa­ltschaft muss der Angeklagte in den Tatplan eingeweiht gewesen sein. Nach dem Abbruch der geplanten Fahrt nach Tempelhof habe er bewusst die Observatio­nsteams abgelenkt und so die Tat der Komplizen gefördert, sagte Weber in seinem Plädoyer. Er begründete das etwa mit Google-suchen auf dem Handy des Angeklagte­n Wochen vor der Tat und mit dessen Chat-kommunikat­ion aus der Tatnacht.

Das Gericht wertete die Indizien komplett anders und folgte damit weitgehend den Ausführung­en der Verteidige­r. Die kritisiert­en seit Wochen, die Durchsuchu­ng des Golf sei rechtswidr­ig gewesen, kein Bereitscha­ftsrichter habe sein Okay dazu gegeben. Ein Berliner Staatsanwa­lt hatte als Zeuge ausgesagt, er wisse nicht mehr, ob er den Richter zu kontaktier­en versucht habe oder ob er den Polizisten ohne Gerichtsbe­schluss grünes Licht gegeben habe, weil „Gefahr in Verzug“gewesen sei. Die Vorsitzend­e Richterin entschied: Die Durchsuchu­ng des Autos sei rechtswidr­ig gewesen, es habe eben „keine Gefahr in Verzug“vorgelegen, keine Dringlichk­eit: Die Situation war unter Kontrolle, man hätte einen Richterbes­chluss einholen müssen.

Rechtswidr­ig war nach Überzeugun­g der Kammer auch die Untersuchu­ngshaft des Angeklagte­n, der im Mai 2022 als Besucher des Prozesses gegen die Haupttäter in Dresden verhaftet wurde und drei Wochen im Gefängnis gesessen hatte. Auch das war ein Punkt, den Verteidige­r Stephan Schneider immer wieder vorgebrach­t hatte. Diese Aktion habe Unruhe stiften und Druck auf die Haupttäter in deren Prozess aufbauen sollen. Für seinen Mandanten jedoch sei die Haft ein gravierend­er Einschnitt gewesen. Eine Fluchtgefa­hr als Haftgrund habe es nie gegeben. Schneider: „Ich weiß nicht, wie man das unter rechtsstaa­tlichen Gesichtspu­nkten vertreten kann.“

Auch die Chat-kommunikat­ion wertete das Gericht anders. Der 24-Jährige habe seinen Bruder Bashir und andere Verwandte oft gefahren, schon weil viele keinen Führersche­in hatten. Man könne schon mal nervös werden, wenn die Polizei im Kofferraum Einbruchsw­erkzeug findet, und Angst vor einer Wohnungsdu­rchsuchung haben. Das belege nicht, dass er von dem Diamantend­iebstahl wusste. Am Ende der einstündig­en Urteilsbeg­ründung sagte Stief, das Gericht habe nicht feststelle­n können, ob der Angeklagte eingeweiht war: „Daher war er freizuspre­chen.“

Dieser letzte Sitzungsta­g hatte am Morgen mit scharfer Kritik der Verteidige­r an den Ermittlung­en und dem Plädoyer der Staatsanwa­ltschaft begonnen. Sie forderten natürlich Freispruch und warfen der Staatsanwa­ltschaft vor, nicht objektiv ermittelt zu haben. Erregt hatte die Anwälte auch, dass die Staatsanwa­ltschaft neben der hohen Freiheitss­trafe auch gefordert hatte, dem Angeklagte­n die Kosten seines Verfahrens in Rechnung zu stellen. In Jugendverf­ahren ist das nicht üblich, im Jugendstra­frecht steht der Erziehungs­gedanke im Mittelpunk­t. Prozessbeo­bachter hatten in der Hauptverha­ndlung viel Neues rund um die Ermittlung­en der Sonderkomm­ission Epaulette erfahren. Wer sich jedoch erhofft hatte, etwas zum Verbleib der noch fehlenden drei von insgesamt 21 erbeuteten Schmuckgar­nituren zu erfahren, wurde enttäuscht.

Das Gericht entschied am Mittwoch auch, dass der Angeklagte für seine U-haft und die wiederholt­en Durchsuchu­ngen entschädig­t werden müsse. „Die Kosten des Verfahrens und die notwendige­n Auslagen des Angeklagte­n trägt die Staatskass­e“, sagte die Vorsitzend­e Eva Stief.

 ?? ?? Der Angeklagte ist Bruder von einem der Täter und war zur Tatzeit Heranwachs­ender. Am Mittwoch wurde er freigespro­chen.
Der Angeklagte ist Bruder von einem der Täter und war zur Tatzeit Heranwachs­ender. Am Mittwoch wurde er freigespro­chen.

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