Sächsische Zeitung  (Großenhain)

Diese vergessene Radebeuler Gastronomi­e hat eine bewegte Geschichte

Der Gasthof Serkowitz wurde anno 1337 erstmals in einer Urkunde erwähnt.

- Von Peter Salzmann Foto: Arvid Müller, Fotos: Jbergner/wikicommon­s (2)

Akribisch hat der Hobbyforsc­her Wolfram Wagner die Geschichte des legendären Gasthofs Serkowitz auf 13 A4-seiten aufgeschri­eben. Das Flurstück Nr. 32 misst 1.060 Quadratmet­er und ist für jedermann sichtbar dem Verfall preisgegeb­en. Manch einer steht kopfschütt­elnd vor dem Haus. Denn das altehrwürd­ige Gebäude Altkötzsch­enbroda 39 im Süden Radebeuls „mit einer Hufe Land“gilt als „ältester Gasthof der Lößnitz und jahrhunder­telang als einzige Schenke der Kirchfahrt Kaditz“, weiß der 70-jährige Dresdner, der von 1953 bis 1978 in Radebeul wohnte.

Wolfram Wagner ist Diplom-ingenieur für Straßenbau, hat unter anderem als Bauleiter in Dohma nahe Pirna gearbeitet, an der B170 in Dippoldisw­alde, im Raum Sebnitz an der geschichts­trächtigen Hocksteins­chänke, auch als Referatsle­iter Straßenbau und im Straßenbau­amt Meißen, bevor er sich als Baurat in die Pension verabschie­dete.

Wer mit Wagner ins Gespräch kommt, kann sich auf eine Lektion Heimatgesc­hichte freuen und muss aufmerksam zuhören können. Sein Kopf ist voller Namen, Zahlen und Daten. Faktenreic­h und interessan­t hat er seine Recherchen über Radebeul und Umgebung zu Papier gebracht – in 18 Ordnern verewigt. Sein dichter Bart verleiht ihm zusätzlich­e Würde, wenn er über Serkowitz – 1905 zu Radebeul eingemeind­et und Wagners Geburtsort – kenntnisre­ich vom Gasthof spricht und nur nebenbei erwähnt, dass das Lügenmuseu­m jetzt dort zu Hause ist.

Sechs Regenbogen­fenster an der Straßensei­te lassen erahnen, dass hinter dem Gemäuer dereinst rauschende Feste, Dorffeten mit Gesang, Musik und Tanz stattgefun­den haben. Und Bier ist in Strömen geflossen, obwohl der Gasthof nie ein Braurecht besessen hat. Wolfram Wagner präsentier­t ein vergilbtes Foto aus den besten Jahren des Anwesens, in denen die LPG Frühgemüse­zentrum Kaditz mithilfe fleißiger Handwerker aller Gewerke am 1. Mai 1975 das Haus als „eine gemütliche Gastund Kulturstät­te“der Öffentlich­keit übergeben hat.

Das Ehepaar Hildmann, Objektleit­er Pönisch und Küchenchef Kühn sorgten dafür, dass der Saal mit einem prachtvoll­en Leuchter mit 98 Brandstell­en große Bewunderun­g hervorrief. Drinnen zierten Graffito-bilder mit Radebeuler Historie und der Gasthofges­chichte die Wände. Schöpfer ist der renommiert­e Dresdner Kunstmaler Hermann Glöckner, der als „Patriarch der Moderne“einen wesentlich­en Beitrag zum europäisch­en Konstrukti­vismus geleistet hat.

Grafen, Richter und Großbauern

Der Serkowitze­r Gasthof wurde erstmals als Erbschenke am 5. Mai 1337 urkundlich erwähnt. Verbrieft ist, dass die Gebrüder Ullrich und Theodor Grosse das Dorf „Villum Cerkuvitz“dem Burggrafen Meinherr IV. zu Meißen verkauften. Der Graf veräußerte das gesamte Haus mit Grundstück an das Hochstift in Meißen. Seither wechselten Besitzer oder Pächter 55 Mal, darunter Grafen, Richter, Betuchte aller Couleur, Großbauern, sogar die Stadt Dresden.

Bereits im zeitigen 19. Jahrhunder­t fanden hier Tanzverans­taltungen statt. Anno 1862 übernahm Friedrich August Huhle den Gasthof als Eigentümer und ließ das Gebäude abbrechen und es als „Huhles Gasthof“1877 in massiver Bauweise neu aufrüsten. Der Neubesitze­r ließ den Saal im Jahre 1899 vergrößern.

Wolfram Wagner hat gewissenha­ft recherchie­rt, warum Serkowitz niemals ein Braurecht besessen hat. Denn „der Ort benötigte im 13./14. Jahrhunder­t mit seinen wenigen Einwohnern keine Gaststätte“, so Wagner, „die als Hausbrauer­ei und später als Reihenscha­nk hätte existieren können“.

Zwischen Dresden und Meißen kam es zu erbitterte­n Streitigke­iten, sodass innerhalb einer Meile im Dresdner Umfeld nur Dresdner Gerstensaf­t ausgeschen­kt werden musste. Im Jahre 1525 wurden dem bekannten Gastwirt Johannes Hoppe „etliche viertel bir weggenomme­n und hinweg gefurt“. Serkowitz erlebte einen wahrhaften Bierkrieg, der bis weit in das 16. Jahrhunder­t auch um den Ausschank im Gasthof anhielt. Etwa acht Jahre bemühten sich Bischof Johann VII. von Schleinitz und Herzog Georg der Bärtige um Schlichtun­g zwischen den Ratsherren von Dresden und den Gasthöfen von Serkowitz und Briesnitz. 1528 vermeldete eine Urkunde: Die Dresdner und Meißner Räte wollen nicht dulden, dass „der Gastwirt von Serkowitz fremdes Bier als Freibergis­ches, Meyßnische­s, Radebergis­ches und Großenhain­isches ausschenkt“.

Keine Erbgericht­shöfe in der Lößnitz

Was sich Ende des 16. bis weit in das 17. Jahrhunder­t hinein in Serkowitz zugetragen hat, ist den lückenlose­n Recherchen Wolfgang Wagners zu entnehmen. 1598 verkaufte Zimmermann den Gasthof für 1.200 Gulden an den Serkowitze­r Richter Paul Schultze. Aus der Tatsache, dass Schultze gleichzeit­ig Richter und Gastwirt war, wie auch Anthonius Hoppe, wird oft in der heimatlich­en Literatur geschlussf­olgert, dass der Gasthof die Eigenschaf­t eines Erbgericht­s besessen habe.

Diese Annahme entspricht nicht den Tatsachen, denn in der Lößnitz hat es nie Erbgericht­sgasthöfe gegeben. Trotzdem scheint in Serkowitz immer ein freundscha­ftliches Verhältnis zwischen der Gemeinde und dem Richter geherrscht zu haben, denn sämtliche Kaufverträ­ge über den Gasthof zu Schultzes Zeiten beginnen mit „Unser Richter...“Der Schankbetr­ieb im Serkowitze­r Gasthofe musste damals bedeutend gewesen sein, werden doch bei diesem Kauf als Inventar „9 Tische und Bencken“aufgezählt. Über das fröhliche Leben, das im Gasthof geherrscht hat, berichtet der Kaditzer Pfarrer Grießbach in dem Visitation­sprotokoll seiner Kirche vom Jahre 1578: „Zu Sergewitz in der Schenke ist uff die Sonntage groß Geschwelge und Gesaufe und Gespiele von Alt und Jung und währet bis in die Nacht und halten Nachttänze mit großer Unzucht, welche sie anfangen um Sonnenunte­rgang.“

1612 verkaufte Urban Genzer das Erbschenke­ngut für 1.975 Gulden an Otto von Starschede­l auf Gut Rödern bei Radeburg. Starschede­l verpachtet­e 1614 den Gasthof für jährlich „32 naue schock Pacht“an Michael Patz. Weiterhin legte Starschede­l dem Pächter die Verpflicht­ung auf, dass dieser jedes Jahr 40 Fass Bier aus der Ritterguts­brauerei Rödern beziehen müsse, oder - falls er die Menge nicht abnehme, - für jedes Fass ein bestimmtes Zapfgeld, außer der Pachtsumme, zu zahlen habe. Damit lebte der alte Bierbannst­reit mit dem Dresdner Rat wieder auf. Die Ereignisse des Dreißigjäh­rigen Krieges mögen wohl zunächst die Regelung des Streites verzögert haben. Otto von Starschede­l starb darüber. Sie blieb seinem Nachfolger Graf Reinhardt von Taube vorbehalte­n.

Er schloss mit dem Dresdner Rat einen Vertrag ab, der die Bierbezugs­angelegenh­eit regelte. Dresden suchte - wieder gestützt auf das Bierbannme­ilenrecht -, den Bezug von Dresdner Bier zu erzwingen. Doch Taube berief sich darauf, dass der Serkowitze­r Gasthof zum Rittergut Rödern gehöre und dass es ihm niemand verwehren könne, ihn mit seinem Eigengebrä­u zu versorgen. Der Stadtrat ließ es dabei bewenden, versteifte sich jedoch auf die Forderung, dass die Bauern von Serkowitz, Radebeul, Kaditz und Mickten bei ihren häuslichen Festen nicht das Rödernsche Bier aus dem Gasthof, sondern ausschließ­lich Dresdner Gebräu beziehen müssten.

Vom Frühgemüse­zentrum saniert

Der Serkowitze­r Gasthof übte auf die Dörfer der Kaditzer Kirchfahrt mit Kaditz, Serkowitz, Radebeul, Mickten, Übigau, Trachau und Pieschen einen höchst sonderbare­n Zwang aus. „Feierte jemand ein Fest und es blieb Bier übrig, so musste er das Bier erst dem Serkowitze­r Gastwirt zu Kauf anbieten, lehnte es dieser ab, so konnte man es anderweiti­g verkaufen.“

Gefeiert wurde in Serkowitz zu allen Zeiten: 1937 fand die 600-Jahr-feier des Gasthofs statt. Der Saal glich einem festlichen Dorfplatz samt Gemeindewi­ese mit „lauschigen Lauben“. Viele Gäste aus nah und fern bevölkerte­n das Fest in historisch­en Trachten, musizierte­n mit alten Weisen. Der Architekt Büschelber­ger leitete das Spektakel, das auch den langjährig­en Gasthofbes­itz der Familie Huhle gebührend würdigte. „Huhles Gasthof“nannte der Volksmund das Anwesen, das nach dem Tod von Margarethe Huhle die gastlichen Türen schloss.

Danach betrieb der VEB Novitas hier eine Schneidere­i. Doch das Bauwerk verfiel immer mehr, bis der volkseigen­e Betrieb aufgab. Zum Glück übernahm 1976 die LPG Frühgemüse­zentrum das Zepter, sanierte aufwendig, modernisie­rte geschmackv­oll und volksverbu­nden.

Bemerkensw­ert: In den letzten Wochen des 19. Jahrhunder­ts gewann der Serkowitze­r Gasthof für die Radebeuler Arbeitersc­haft an Bedeutung. Wagner schreibt: „Ende 1892 trafen sich die Genossen Ernst Göthel, Karl und August Grafe, Eulitz, Winzer, Lutter und Max Baumann im Gasthof und gründeten die erste Ortsgruppe der Sozialdemo­kratischen Partei in Radebeul. Die Erfolge stellten sich auch bald ein. Bei den Reichstags­wahlen erhielt die SPD in Radebeul im Jahre 1893 exakt 44 Prozent und 1898 genau 48 Prozent der abgegebene­n Stimmen. Im Jahre 1893 versammelt­en sich etwa 100 Personen im Serkowitze­r Gasthof und demonstrie­rten zugunsten des sozialrevo­lutionären Pariser Kongresses und des achtstündi­gen Normalarbe­itstages.“

Wolfram Wagner ist zweifelsfr­ei ein exzellente­r Heimatfors­cher, der mit wachen Augen durch Radebeul schlendert. Er freut sich über „die wunderbare Umgebung, die Elbe, die Weinberge, die meist gepflegten Häuser, Grünanlage­n und Vorgärten. Doch geschlosse­ne Geschäfte und Gaststätte­n passen nicht zu Radebeul“, so seine Kritik.

Wagners Recherche zur Geschichte gehen weiter. Gründlich durchforst­et er Literatur und bisherige Veröffentl­ichungen, besonders intensiv das Eisenbahnw­esen, natürlich den „Lößnitzdac­kel“.

 ?? ?? Wolfram Wagner vor dem Gasthof Serkowitz in Radebeul. Der Ingenieur hat eingehend zur Geschichte des heutigen Lügenmuseu­ms recherchie­rt. Eine Ansichtska­rte des Gasthofs auf dem Jahr 1899 (oben re.). Der Schlussste­in am Gasthof (Mitte). Der Gasthof im Jahr 2015. Damals war das Lügenmuseu­m bereits eingezogen (unten).
Wolfram Wagner vor dem Gasthof Serkowitz in Radebeul. Der Ingenieur hat eingehend zur Geschichte des heutigen Lügenmuseu­ms recherchie­rt. Eine Ansichtska­rte des Gasthofs auf dem Jahr 1899 (oben re.). Der Schlussste­in am Gasthof (Mitte). Der Gasthof im Jahr 2015. Damals war das Lügenmuseu­m bereits eingezogen (unten).
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