Sächsische Zeitung (Großenhain)
Diese vergessene Radebeuler Gastronomie hat eine bewegte Geschichte
Der Gasthof Serkowitz wurde anno 1337 erstmals in einer Urkunde erwähnt.
Akribisch hat der Hobbyforscher Wolfram Wagner die Geschichte des legendären Gasthofs Serkowitz auf 13 A4-seiten aufgeschrieben. Das Flurstück Nr. 32 misst 1.060 Quadratmeter und ist für jedermann sichtbar dem Verfall preisgegeben. Manch einer steht kopfschüttelnd vor dem Haus. Denn das altehrwürdige Gebäude Altkötzschenbroda 39 im Süden Radebeuls „mit einer Hufe Land“gilt als „ältester Gasthof der Lößnitz und jahrhundertelang als einzige Schenke der Kirchfahrt Kaditz“, weiß der 70-jährige Dresdner, der von 1953 bis 1978 in Radebeul wohnte.
Wolfram Wagner ist Diplom-ingenieur für Straßenbau, hat unter anderem als Bauleiter in Dohma nahe Pirna gearbeitet, an der B170 in Dippoldiswalde, im Raum Sebnitz an der geschichtsträchtigen Hocksteinschänke, auch als Referatsleiter Straßenbau und im Straßenbauamt Meißen, bevor er sich als Baurat in die Pension verabschiedete.
Wer mit Wagner ins Gespräch kommt, kann sich auf eine Lektion Heimatgeschichte freuen und muss aufmerksam zuhören können. Sein Kopf ist voller Namen, Zahlen und Daten. Faktenreich und interessant hat er seine Recherchen über Radebeul und Umgebung zu Papier gebracht – in 18 Ordnern verewigt. Sein dichter Bart verleiht ihm zusätzliche Würde, wenn er über Serkowitz – 1905 zu Radebeul eingemeindet und Wagners Geburtsort – kenntnisreich vom Gasthof spricht und nur nebenbei erwähnt, dass das Lügenmuseum jetzt dort zu Hause ist.
Sechs Regenbogenfenster an der Straßenseite lassen erahnen, dass hinter dem Gemäuer dereinst rauschende Feste, Dorffeten mit Gesang, Musik und Tanz stattgefunden haben. Und Bier ist in Strömen geflossen, obwohl der Gasthof nie ein Braurecht besessen hat. Wolfram Wagner präsentiert ein vergilbtes Foto aus den besten Jahren des Anwesens, in denen die LPG Frühgemüsezentrum Kaditz mithilfe fleißiger Handwerker aller Gewerke am 1. Mai 1975 das Haus als „eine gemütliche Gastund Kulturstätte“der Öffentlichkeit übergeben hat.
Das Ehepaar Hildmann, Objektleiter Pönisch und Küchenchef Kühn sorgten dafür, dass der Saal mit einem prachtvollen Leuchter mit 98 Brandstellen große Bewunderung hervorrief. Drinnen zierten Graffito-bilder mit Radebeuler Historie und der Gasthofgeschichte die Wände. Schöpfer ist der renommierte Dresdner Kunstmaler Hermann Glöckner, der als „Patriarch der Moderne“einen wesentlichen Beitrag zum europäischen Konstruktivismus geleistet hat.
Grafen, Richter und Großbauern
Der Serkowitzer Gasthof wurde erstmals als Erbschenke am 5. Mai 1337 urkundlich erwähnt. Verbrieft ist, dass die Gebrüder Ullrich und Theodor Grosse das Dorf „Villum Cerkuvitz“dem Burggrafen Meinherr IV. zu Meißen verkauften. Der Graf veräußerte das gesamte Haus mit Grundstück an das Hochstift in Meißen. Seither wechselten Besitzer oder Pächter 55 Mal, darunter Grafen, Richter, Betuchte aller Couleur, Großbauern, sogar die Stadt Dresden.
Bereits im zeitigen 19. Jahrhundert fanden hier Tanzveranstaltungen statt. Anno 1862 übernahm Friedrich August Huhle den Gasthof als Eigentümer und ließ das Gebäude abbrechen und es als „Huhles Gasthof“1877 in massiver Bauweise neu aufrüsten. Der Neubesitzer ließ den Saal im Jahre 1899 vergrößern.
Wolfram Wagner hat gewissenhaft recherchiert, warum Serkowitz niemals ein Braurecht besessen hat. Denn „der Ort benötigte im 13./14. Jahrhundert mit seinen wenigen Einwohnern keine Gaststätte“, so Wagner, „die als Hausbrauerei und später als Reihenschank hätte existieren können“.
Zwischen Dresden und Meißen kam es zu erbitterten Streitigkeiten, sodass innerhalb einer Meile im Dresdner Umfeld nur Dresdner Gerstensaft ausgeschenkt werden musste. Im Jahre 1525 wurden dem bekannten Gastwirt Johannes Hoppe „etliche viertel bir weggenommen und hinweg gefurt“. Serkowitz erlebte einen wahrhaften Bierkrieg, der bis weit in das 16. Jahrhundert auch um den Ausschank im Gasthof anhielt. Etwa acht Jahre bemühten sich Bischof Johann VII. von Schleinitz und Herzog Georg der Bärtige um Schlichtung zwischen den Ratsherren von Dresden und den Gasthöfen von Serkowitz und Briesnitz. 1528 vermeldete eine Urkunde: Die Dresdner und Meißner Räte wollen nicht dulden, dass „der Gastwirt von Serkowitz fremdes Bier als Freibergisches, Meyßnisches, Radebergisches und Großenhainisches ausschenkt“.
Keine Erbgerichtshöfe in der Lößnitz
Was sich Ende des 16. bis weit in das 17. Jahrhundert hinein in Serkowitz zugetragen hat, ist den lückenlosen Recherchen Wolfgang Wagners zu entnehmen. 1598 verkaufte Zimmermann den Gasthof für 1.200 Gulden an den Serkowitzer Richter Paul Schultze. Aus der Tatsache, dass Schultze gleichzeitig Richter und Gastwirt war, wie auch Anthonius Hoppe, wird oft in der heimatlichen Literatur geschlussfolgert, dass der Gasthof die Eigenschaft eines Erbgerichts besessen habe.
Diese Annahme entspricht nicht den Tatsachen, denn in der Lößnitz hat es nie Erbgerichtsgasthöfe gegeben. Trotzdem scheint in Serkowitz immer ein freundschaftliches Verhältnis zwischen der Gemeinde und dem Richter geherrscht zu haben, denn sämtliche Kaufverträge über den Gasthof zu Schultzes Zeiten beginnen mit „Unser Richter...“Der Schankbetrieb im Serkowitzer Gasthofe musste damals bedeutend gewesen sein, werden doch bei diesem Kauf als Inventar „9 Tische und Bencken“aufgezählt. Über das fröhliche Leben, das im Gasthof geherrscht hat, berichtet der Kaditzer Pfarrer Grießbach in dem Visitationsprotokoll seiner Kirche vom Jahre 1578: „Zu Sergewitz in der Schenke ist uff die Sonntage groß Geschwelge und Gesaufe und Gespiele von Alt und Jung und währet bis in die Nacht und halten Nachttänze mit großer Unzucht, welche sie anfangen um Sonnenuntergang.“
1612 verkaufte Urban Genzer das Erbschenkengut für 1.975 Gulden an Otto von Starschedel auf Gut Rödern bei Radeburg. Starschedel verpachtete 1614 den Gasthof für jährlich „32 naue schock Pacht“an Michael Patz. Weiterhin legte Starschedel dem Pächter die Verpflichtung auf, dass dieser jedes Jahr 40 Fass Bier aus der Rittergutsbrauerei Rödern beziehen müsse, oder - falls er die Menge nicht abnehme, - für jedes Fass ein bestimmtes Zapfgeld, außer der Pachtsumme, zu zahlen habe. Damit lebte der alte Bierbannstreit mit dem Dresdner Rat wieder auf. Die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges mögen wohl zunächst die Regelung des Streites verzögert haben. Otto von Starschedel starb darüber. Sie blieb seinem Nachfolger Graf Reinhardt von Taube vorbehalten.
Er schloss mit dem Dresdner Rat einen Vertrag ab, der die Bierbezugsangelegenheit regelte. Dresden suchte - wieder gestützt auf das Bierbannmeilenrecht -, den Bezug von Dresdner Bier zu erzwingen. Doch Taube berief sich darauf, dass der Serkowitzer Gasthof zum Rittergut Rödern gehöre und dass es ihm niemand verwehren könne, ihn mit seinem Eigengebräu zu versorgen. Der Stadtrat ließ es dabei bewenden, versteifte sich jedoch auf die Forderung, dass die Bauern von Serkowitz, Radebeul, Kaditz und Mickten bei ihren häuslichen Festen nicht das Rödernsche Bier aus dem Gasthof, sondern ausschließlich Dresdner Gebräu beziehen müssten.
Vom Frühgemüsezentrum saniert
Der Serkowitzer Gasthof übte auf die Dörfer der Kaditzer Kirchfahrt mit Kaditz, Serkowitz, Radebeul, Mickten, Übigau, Trachau und Pieschen einen höchst sonderbaren Zwang aus. „Feierte jemand ein Fest und es blieb Bier übrig, so musste er das Bier erst dem Serkowitzer Gastwirt zu Kauf anbieten, lehnte es dieser ab, so konnte man es anderweitig verkaufen.“
Gefeiert wurde in Serkowitz zu allen Zeiten: 1937 fand die 600-Jahr-feier des Gasthofs statt. Der Saal glich einem festlichen Dorfplatz samt Gemeindewiese mit „lauschigen Lauben“. Viele Gäste aus nah und fern bevölkerten das Fest in historischen Trachten, musizierten mit alten Weisen. Der Architekt Büschelberger leitete das Spektakel, das auch den langjährigen Gasthofbesitz der Familie Huhle gebührend würdigte. „Huhles Gasthof“nannte der Volksmund das Anwesen, das nach dem Tod von Margarethe Huhle die gastlichen Türen schloss.
Danach betrieb der VEB Novitas hier eine Schneiderei. Doch das Bauwerk verfiel immer mehr, bis der volkseigene Betrieb aufgab. Zum Glück übernahm 1976 die LPG Frühgemüsezentrum das Zepter, sanierte aufwendig, modernisierte geschmackvoll und volksverbunden.
Bemerkenswert: In den letzten Wochen des 19. Jahrhunderts gewann der Serkowitzer Gasthof für die Radebeuler Arbeiterschaft an Bedeutung. Wagner schreibt: „Ende 1892 trafen sich die Genossen Ernst Göthel, Karl und August Grafe, Eulitz, Winzer, Lutter und Max Baumann im Gasthof und gründeten die erste Ortsgruppe der Sozialdemokratischen Partei in Radebeul. Die Erfolge stellten sich auch bald ein. Bei den Reichstagswahlen erhielt die SPD in Radebeul im Jahre 1893 exakt 44 Prozent und 1898 genau 48 Prozent der abgegebenen Stimmen. Im Jahre 1893 versammelten sich etwa 100 Personen im Serkowitzer Gasthof und demonstrierten zugunsten des sozialrevolutionären Pariser Kongresses und des achtstündigen Normalarbeitstages.“
Wolfram Wagner ist zweifelsfrei ein exzellenter Heimatforscher, der mit wachen Augen durch Radebeul schlendert. Er freut sich über „die wunderbare Umgebung, die Elbe, die Weinberge, die meist gepflegten Häuser, Grünanlagen und Vorgärten. Doch geschlossene Geschäfte und Gaststätten passen nicht zu Radebeul“, so seine Kritik.
Wagners Recherche zur Geschichte gehen weiter. Gründlich durchforstet er Literatur und bisherige Veröffentlichungen, besonders intensiv das Eisenbahnwesen, natürlich den „Lößnitzdackel“.