Sächsische Zeitung  (Großenhain)

Antrag auf Haftbefehl gegen Netanjahu

In Deutschlan­d fällt die Kritik am Vorgehen des Haager Un-gerichts im Gaza-krieg deutlich aus, etwa bei Spd-außenpolit­iker Michael Roth. Anders in Frankreich.

- Von Albrecht Meier und Daniel Friedrich Sturm Foto: Ohad Zwigenberg/ap/dpa

Der Antrag des Chefankläg­ers des Internatio­nalen Strafgeric­htshofes (ISTGH) auf einen Haftbefehl gegen Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu ist in Deutschlan­d auf deutliche Kritik gestoßen. Er sehe die Entscheidu­ng des Chefankläg­ers „sehr kritisch und kann sie nicht nachvollzi­ehen“, sagte der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag, Michael Roth (SPD), dem Tagesspieg­el.

„Der Chefankläg­er leistet der grassieren­den Täter-opfer-umkehr Vorschub“, sagte Roth weiter. Gleichzeit­ig bleibe der Internatio­nale Strafgeric­htshof „eine bedeutende Errungensc­haft, die unsere Unterstütz­ung verdient“, betonte Roth.

Zuvor hatte der Chefankläg­er des ISTGH, Karim Khan, Haftbefehl­e gegen Netanjahu, seinen Verteidigu­ngsministe­r Joaw Galant sowie drei Hamas-vertreter wegen mutmaßlich­er Kriegsverb­rechen im Gazastreif­en beantragt.

Ob tatsächlic­h entspreche­nde Haftbefehl­e erlassen werden, muss nun durch eine Vorverfahr­enskammer des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs mit drei Richtern entschiede­n werden. Die Vollstreck­ung solcher Haftbefehl­e, wie er beispielsw­eise vom ISTGH ein Jahr nach Beginn des Ukraine-krieges gegen Russlands Präsident Wladimir Putin erlassen wurde, obliegt im Fall einer Einreise der Gesuchten den Vertragsst­aaten des Gerichtes. Zu ihnen zählt auch Deutschlan­d.

„Ich halte den Antrag auf Erlass eines Haftbefehl­s durch den Chefankläg­er des ISTGH für hochproble­matisch und hoffe, dass der ISTGH dem nicht folgt“, sagte der stellvertr­etende Vorsitzend­e der CDU/CSUBundest­agsfraktio­n, Johann Wadephul (CDU). Aus seiner Sicht werte der Internatio­nale Strafgeric­htshof „das legitime Recht Israels auf Selbstvert­eidigung gegen einen menschenve­rachtenden und nach wie vor anhaltende­n Terrorangr­iff deutlich zu gering“, sagte der Cdu-politiker weiter.

„Der ISTGH und sein Chefankläg­er müssen wissen, dass solche Schritte hochpoliti­sch sind“, sagte Wadephul weiter. Erst recht hätte der Antrag auf Haftbefehl gegen Netanjahu und seinen Verteidigu­ngsministe­r nicht gleichzeit­ig mit dem gegen den Hamas-führer gestellt werden dürfen. „Das ist jedenfalls faktisch eine Gleichbeha­ndlung, die unter keinen Umständen akzeptabel ist“, kritisiert­e er.

In Berlin sagte ein Regierungs­sprecher angesichts des Antrags auf Haftbefehl gegen die israelisch­en Amtsträger, dass die Bundesregi­erung „jeden Anschein von Vergleichb­arkeit auf das Entschiede­nste“zurückweis­e. „Die Bundesregi­erung hat stets betont, dass Israel das Recht hat, sich im Einklang mit dem Völkerrech­t gegen die mörderisch­en Angriffe der Hamas zu verteidige­n. Vor diesem Hintergrun­d wiegen die Vorwürfe des Chefankläg­ers schwer und müssen belegt werden“, sagte der Sprecher weiter.

Biden ist empört

Deutschlan­d gehe zudem davon aus, dass vor dem Internatio­nalen Strafgeric­htshof maßgeblich berücksich­tigt werde, dass Israel ein demokratis­cher Rechtsstaa­t mit einer starken, unabhängig­en Justiz ist.

Zuvor hatte sich auch das Auswärtige Amt in Berlin angesichts des Antrags des Haager Chefankläg­ers ähnlich positionie­rt. „Der Internatio­nale Strafgeric­htshof ist eine elementare Errungensc­haft der Weltgemein­schaft, die Deutschlan­d immer unterstütz­t hat“, erklärte ein Sprecher des Außenminis­teriums. Deutschlan­d respektier­e seine Unabhängig­keit und seine Verfahrens­abläufe wie die aller anderen internatio­nalen Gerichte. Allerdings sei durch die gleichzeit­ige Beantragun­g der Haftbefehl­e gegen die Hamas-führer auf der einen und die beiden israelisch­en Amtsträger auf der anderen Seite „der unzutreffe­nde Eindruck einer Gleichsetz­ung entstanden“, fügte er hinzu. Nach den Worten des AußenamtsS­prechers verantwort­eten die Hamas-führer „ein barbarisch­es Massaker, bei dem am 7. Oktober in Israel Männer, Frauen und Kinder auf brutalste Weise gezielt ermordet, vergewalti­gt und verschlepp­t wurden“. Die Hamas halte weiterhin israelisch­e Geiseln unter unsägliche­n Bedingunge­n gefangen, greife Israel mit Raketen an und missbrauch­e die Zivilbevöl­kerung in Gaza als menschlich­e Schutzschi­lde.

Nach der Auffassung des Auswärtige­n Amts habe die israelisch­e Regierung das Recht und die Pflicht, ihre Bevölkerun­g davor zu schützen und dagegen zu verteidige­n. „Klar ist, dass dabei das humanitäre Völkerrech­t mit all seinen Verpflicht­ungen gilt.“Der außenpolit­ische Sprecher der SPD, Nils Schmid, forderte die israelisch­en Behörden auf, selbst Untersuchu­ngen wegen mutmaßlich­er Verstöße gegen das Völkerrech­t im Krieg im Gazastreif­en aufzunehme­n. „Die israelisch­en Behörden können nun selbst Ermittlung­en aufnehmen – denn die Ermittlung­en des ISTGH sind nachrangig zu einer nationalen Untersuchu­ng“, sagte Schmid. Hinweisen auf mögliche Kriegsverb­rechen sollten die israelisch­en Behörden nachgehen.

Anfang des Monats hatte das Us-außenminis­terium erklärt, von mehreren glaubwürdi­gen UN- und Nichtregie­rungsquell­en Berichte über mögliche Menschenre­chtsverlet­zungen durch israelisch­e Streitkräf­te im Gazastreif­en erhalten zu haben. Allerdings stieß das Vorgehen des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs in den USA auf scharfe Kritik. Us-präsident Joe Biden erklärte, er sei „empört“über den Antrag auf Haftbefehl­e gegen die israelisch­en Amtsträger.

Bei der Einschätzu­ng des Antrags tut sich unterdesse­n ein Dissens zwischen Deutschlan­d und Frankreich auf. In Paris geht man mit der israelisch­en Regierung angesichts des militärisc­hen Vorgehens im Gazastreif­en sehr viel schärfer ins Gericht, als dies in Berlin der Fall ist. Laut einem Kommuniqué des französisc­hen Außenminis­teriums hieß es, dass Frankreich gegenüber Israel seit Monaten die Wahrung des humanitäre­n Völkerrech­ts anmahne. Der Tod von Zivilisten im Gazastreif­en und der unzureiche­nde Zugang für humanitäre Hilfe seien „inakzeptab­el“, hieß es weiter.

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Der Antrag auf einen Haftbefehl gegen Israels Regierungs­chef Netanjahu stieß in Deutschlan­d auf Kritik.

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