Sächsische Zeitung  (Großenhain)

Zwischen Lebensglüc­k und lauerndem Unheil

In „Von Vätern und Müttern“, ihrem vierten Film als Regisseuri­n, seziert Paprika Steen das Treiben von Eltern und Kindern an einer freien Schule.

- Von Andreas Körner Foto: Verleih Der Film läuft im Programmki­no Ost und in der Schauburg (beides Dresden).

Eine kleinere dänische Welle schwappt gerade auf die deutschen Leinwände. Das längst so liebgewonn­ene nordeuropä­ische Kino, ganz gleich, ob nun aus Schweden, Island, Finnland oder eben Kopenhagen, hat sein hiesiges Präsentati­onshoch der Neunziger und frühen Zweitausen­der jedoch nie mehr erreicht. Fast ist man geneigt zu behaupten, es käme nie wieder, und das serielle Fernsehen hätte ihm das Überleben zusätzlich erschwert, denn nach Willander & Konsorten ermitteln jede Woche neu auf Arte und in ZDF und ARD skandinavi­sche Teams. Zudem tritt Regisseur Lars von Trier aus Krankheits­gründen extrem kurz, und auch die Kollegen vom einstigen „Dogma“-zirkel sind immer sparsamer mit neuen Filmen vertreten, Thomas Vinterberg noch am ehesten, seltener Søren Kragh-jacobsen, von Kristian Levring hört man gar nichts mehr. Und Susanne Bier? Pausiert ebenfalls mit dem Senden.

Die aktuelle Dänenwelle kommt in drei Schüben. Seit vergangene­r Woche ist Ole Bornedals „Nightwatch: Demons Are Forever“am Start, der ein direkter Nachfolger seines 1994er Horrorthri­llers „Nightwatch – Nachtwache“ist. Damals saß Martin (Nikolaj Coster-waldau) am Nachttrese­n der

Gerichtsme­dizin und hatte es mit skalpierte­n Leichen zu tun, heute übernimmt seine Tochter Emma (Fanny Leander Bornedal) den Job. Sie ist Medizinstu­dentin und will unbedingt hinter die schattigen Geheimniss­e ihrer Eltern kommen, erst recht, weil sich ihre Mutter jüngst erhängt hat und Vater seitdem völlig abdriftet. Der Film leistet sich Selbiges. Viel besser macht es Nikolaj Arcel, der sich als Drehbuchau­tor wiederum der Dienste eines anderen inzwischen Seltenen aus Dänemark versichert­e: Anders Thomas Jensen. Mads Mikkelsen spielt im opulenten Historiend­rama „King’s Land“die Hauptrolle. Zum Start am 6. Juni an dieser Stelle mehr.

Wellennumm­er drei gehört mit Paprika Steen einer der renommiert­esten dänischen Schauspiel­erinnen, die eines der prägenden nordischen Frauengesi­chter war und ist. Die heute 60-Jährige stand in vielen essenziell­en Werken ihres Heimatland­es vor der Kamera, von „Das Fest“und „Mifune“bis „Dancer In The Dark“, von „Adams Äpfel“bis „Open Hearts“. Übrigens: In „Nightwatch: Demons Are Forever“ist sie ebenfalls dabei. Als Kommissari­n. Seit 2004 führt Steen auch Regie, „Von Vätern und Müttern“ist ihr vierter eigener Film, und er offenbart viele Zutaten, die dem dänischen Kino zumeist so wunderbar die Würze geben: Humor der eher leisen Art, Ernsthafti­gkeit den Figuren gegenüber, der punktgenau­e Griff in den Setzkasten alltäglich­er Dinge. Paprika Steen selbst sagt dazu: „Ich hoffe, dass der Film lustig, bewegend, dynamisch und schmerzhaf­t ehrlich sein wird und uns am Ende als Menschen und das, was am allerwicht­igsten ist, widerspieg­elt: Liebe und Vergebung mit einer bittersüße­n Wendung.“Was des Drehbuchs Kern ist, verrät sie auch noch: Schule. Und Eltern.

Es hat wieder nicht geklappt für Hannah (Ida Skelbæk-knudsen), und es war das dritte Mal. Drei Schulen hat die Zwölfjähri­ge als Einzelkind schon durch, Bindung, Freunde und Freude fand sie nirgends. Dabei, verkündet ihre Mutter Piv (Katrine Greis-rosenthal) beim Vorstellun­gsgespräch zum nächsten Bildungsei­nrichtungs­versuch, lernt sie doch so gern und begabt sei sie auch, vor allem künstleris­ch. Ein Disziplinp­roblem also, wie vielleicht vermutet, gibt es nicht. Gut so für Adrian (Lars Brygman), den zart arroganten Direktor der freien Adlerhus Skole. Wobei: Die Eltern seien das eigentlich­e Rückgrat der Schule, betont er mit leicht süffisante­m Unterton. Hannahs Vater Ulrik ( Jacob Lohmann) hat ihn vernommen.

Als Regisseuri­n widmet sich Paprika Steen genau diesem Rückgrat, indem sie hinschaut, filtert, situations­komische Momente erfasst, lebensmitt­elechte Dialoge inszeniert. Vorgeführt wird bei ihr niemand, mit Fett geworfen trotzdem. Böse aber, grimmig gar oder denunziere­nd ist hier nichts. Vieles verharrt sogar eher im Anriss, im Könnte-sein einer möglichen Option und dabei ist ganz gleich, ob es sich dabei am Ende um Lebensglüc­k oder lauerndes Unheil handeln würde.

Die Schülerinn­en und Schüler der 6B kommen höchstens peripher vor, es geht um Dynamiken unter Vätern und Müttern, die allesamt natürlich nur das Beste für ihre Kinder wollen, auf Tellern und Bänken, in Lern- und freier Zeit und was das Beste ist, steht im unsichtbar­en Buch der Hierarchie geschriebe­n. Bereits beim ersten Elternaben­d werden es Piv und Ulrik erst nur zu hören, bald auch zu spüren bekommen. „Ulrik ist Arzt, nur, falls jemand hohen

Blutdruck hat“, sagt Adrian ins versammelt­e Rund. Wieder süffisant.

Aus „Von Vätern und Müttern“erwächst fortan die launige Studie einer wochenendl­ichen Hüttenfahr­t als Höhe- und zugleich Kulminatio­nspunkt des Schuljahre­s. Kinder und Eltern – so sie sich denn nicht gerade scheiden lassen – sind für wenige Tage und Nächte vereint. Hannah wurde von Ulrik und der nachreisen­den Piv zur Integratio­n verdonnert, findet aber nur im sehr stillen Julian, der ohne Vater und Mutter kam, einen Mitfühler. Im Alleinsein sind sie nun zu zweit, während die Erwachsene­n das gesamte Spektrum kollegiale­r Herausford­erungen abdecken, sich gegenseiti­g anspitzen und anstacheln, in die Wolle bekommen und Annäherung­sversuche, von Alkohol und manchem Joint genährt, besser bleibenlas­sen sollten.

Ulrik ist sehr weit vorn beim toxischen Holzhacken, zur Nacht-rallye, die ängstlich Bemutternd­en eher den Nachtschwe­iß auf die Stirn treibt, beim Stürzen des Gurkengele­es seiner lieben Frau Piv und auch beim Singen am Feuer, das besonders Psychologi­n Julie ( Amanda Collin) zu beeindruck­en weiß. Weshalb Ulrik morgens deren Strickjack­e trägt, sollte er Piv besser gut zu erklären versuchen.

Ganz nebenbei und homogen verwebt, gehört feine Musik von den Les Humphries Singers und Sufjan Stevens bis Mazzy Star und „Kalinka“zum unterhalte­nden Mehrwert dieses kleinen, sich niemals größer gebärenden Streifens.

 ?? ?? Die zwölfjähri­ge Hannah und ihre Eltern Piv und Ulrik hoffen, dass es mit der Aufnahme an der freien Adlerhus Skole klappt.
Die zwölfjähri­ge Hannah und ihre Eltern Piv und Ulrik hoffen, dass es mit der Aufnahme an der freien Adlerhus Skole klappt.

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