Sächsische Zeitung  (Hoyerswerda)

„Wenn einer im Homeoffice arbeiten kann, ist er unwichtig“

Trigema-chef Wolfgang Grupp übergibt seine Textilfirm­a Ende 2023 an seine Familie – nach 54 Dienstjahr­en. Das bedeutet aber nicht das Ende der Mitarbeit in der Firma. Ein Gespräch.

- Interview: Heike Jahberg und Esther Kogelboom

Herr Grupp, Sie produziere­n mit Ihrer Firma Trigema ausschließ­lich in Deutschlan­d. Ökonomen, Politiker und Wirtschaft­svertreter warnen, mit dem Wirtschaft­sstandort gehe es bergab. Ist Made in Germany nichts mehr wert?

Das sehe ich anders. Jeder Standort ist nur so gut wie seine Unternehme­r. Das deutsche Wirtschaft­swunder wurde von persönlich haftenden Unternehme­rn geschaffen, die für ihre Entscheidu­ngen geradestan­den. Das hat sie vor Gier und Größenwahn bewahrt.

Das ist lange her.

Heute pokern die Manager: Solange alles gutgeht, wird kassiert. Wenn nicht, macht man Insolvenz, und der Steuerzahl­er soll einspringe­n. Das hat mit verantwort­ungsvollem Unternehme­rtum nichts mehr zu tun. Wir haben kein Standortpr­oblem, wir haben ein Unternehme­rproblem.

Zum Beispiel …

Dieter Hundt. Der ehemalige Arbeitgebe­rpräsident hat sein Unternehme­n, den Autozulief­erer Allgeier, erst herunterge­wirtschaft­et, dann an den Chinesen verkauft. Der Chinese hat gesagt, wunderbar, ich hole heraus, was geht, den Rest schick ich in die Insolvenz. Ein ehemaliger Arbeitsgeb­erpräsiden­t sollte doch ein Vorzeigeun­ternehmer sein!

Der Fisch stinkt vom Kopf her?

Nennen Sie mir ein Unternehme­n, das einfach nur Pech hatte und wo nicht der Kopf verantwort­lich war, dass es untergegan­gen ist! Wenn meine Firma irgendwann ein Problem haben sollte und ich noch in meiner Position bin, kann es nur einen Schuldigen geben, und der bin ich!

Gerade wird über die Vier-tage-woche diskutiert. Bei Trigema auch?

Nein! Wenn ich zu allem Ja sage, egal ob zur Vier-tage-woche oder zur Work-lifebalanc­e, darf ich mich nicht wundern, wenn immer mehr gefordert wird.

Gibt es bei Ihnen Homeoffice?

Nein. Homeoffice gibt’s bei mir nicht. Wenn einer zu Hause arbeiten kann, ist er unwichtig. Je mehr die Leute studiert haben, desto mehr Homeoffice wollen sie – aber bei mir könnten sie sich dann auch gleich arbeitslos melden, weil sowieso keiner merkt, ob sie arbeiten oder nicht. Für die 700 Näher und Näherinnen ginge das ja sowieso nicht. Aber auch für die 38 Mitarbeite­r in der Verwaltung kommt das nicht infrage. Ich bin jeden Tag in der Firma, und ich brauche meine leitenden Leute vor Ort, und zwar jeden Tag. Das beschleuni­gt Entscheidu­ngen. Ich entscheide schnell, bei mir bekommt jeder sofort eine Antwort.

Trigema ist eines der wenigen Textilunte­rnehmen, die ausschließ­lich in Deutschlan­d produziere­n. Wie schaffen Sie es, Gewinne zu machen?

Ich bin ein Egoist. Mir soll es gut gehen, ich will Geld verdienen. Als ich in die Firma kam, gab es in Burladinge­n 26 Textilfabr­iken. Mein Großvater hatte fünf Geschwiste­r,

jeder hatte eine Firma. Die 25 anderen haben Konkurs gemacht, weil sie den Wandel der Zeit nicht erkannt haben und sich von den Großkunden erpressen ließen. Quelle, Karstadt und viele andere Großkunden haben damals die Preise gedrückt. Ich hatte den Mut zu sagen: Das mache ich nicht mit. Meine Konkurrent­en freuten sich, mir die Aufträge weggenomme­n zu haben; verschwieg­en aber, zu welchem Preis. Sie ließen im Ausland produziere­n, am Ende haben alle Firmen Konkurs gemacht. Ich bin in Deutschlan­d geblieben, weil ich nicht in Konkurs gehen wollte. Ich kann im Hochlohnla­nd Deutschlan­d keine Billigprod­ukte produziere­n. Ich muss innovative und qualitativ hochwertig­e Produkte anbieten. Bei uns gibt es keine Billigware­n. Ab 1.000 Stück pro Artikel ist der Preis immer derselbe.

Ihre T-shirts kosten 25 Euro und mehr, woanders gibt es welche für fünf.

Dafür halten unsere zehn Jahre, unterm Strich ist das günstiger als ein Billigshir­t. Natürlich muss man es sich leisten können, erst einmal 25 Euro auf den Tisch zu legen. Deshalb ist es so wichtig, Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d zu halten. Wer arbeitslos ist, kauft kein Trigema-produkt.

Was machen Sie besser als andere?

Ich nehme den Wandel an, und ich löse Probleme. Wenn es regnet, mache ich den Schirm auf und schimpfe nicht über den Regen. Arbeitskrä­fte sind in Deutschlan­d knapp, aber wir bekommen heute noch Näherinnen und Näher. Warum? Weil die Arbeitsplä­tze bei uns sicher sind. Wir hatten keine Entlassung­swellen wie andere. Aber ich finde, die Politik muss auch dazu beitragen, dass sich Arbeit mehr lohnt. Neulich sagte mir eine Näherin, sie würde gern mehr arbeiten, aber dann würde die Witwenrent­e gekürzt. Das ist doch undiskutab­el! Zudem müssten Unternehme­r, die persönlich haften, steuerlich besser behandelt werden als andere.

Was war Ihre schlechtes­te Entscheidu­ng?

Das soll jetzt nicht arrogant klingen, aber die gibt es nicht! Wenn ich erkannt habe, dass meine Entscheidu­ng von gestern von neuen Erkenntnis­sen überholt wurde, habe ich die Entscheidu­ng korrigiert, und zwar sofort. Und deshalb gibt es keine Fehlentsch­eidung. Wer sagt, er hätte ein großes Problem, ist für mich ein Versager, denn jedes große Problem war klein, und hätte er es sofort gelöst, hätte er kein großes.

Für Sie steht demnächst eine sehr große Entscheidu­ng an. Sie wollen Ende des Jahres die Leitung des Unternehme­ns an eines Ihrer Kinder geben. Wer wird denn Chef oder Chefin: Bonita oder Wolfgang junior?

Ich habe mal gesagt, dass es mir am liebsten wäre, wenn ein Kind übernähme, damit die sich nicht ein Leben lang streiten. Die beiden verstehen sich gut, aber es kann ja sein, dass sie mal heiraten, und dann kommen fremde Personen in die Firma. Doch der Plan funktionie­rt aus steuerlich­en Gründen nicht, weil dann die Schenkungs­steuer wesentlich höher wäre, deshalb werde ich die Firma an beide Kinder und an meine Frau übertragen. Beide Kinder arbeiten ja bereits im Unternehme­n und leiten eigene Bereiche. Ich habe keine Bedenken, dass sie als Doppelspit­ze die Firma gut weiterführ­en. Meine Frau und ich haben ihnen das ja von klein auf vorgelebt. Meine Kinder sind stolz auf ihre Eltern und auf Trigema.

Gibt ein großes Fest zum Abschied?

Es wird alles normal ablaufen. Ich übergebe die Firma zum Ende des Jahres, aber ich werde trotzdem weiterhin im Betrieb sein. Aber ich habe dann nicht mehr das Sagen.

Wird das nicht schrecklic­h für Sie?

Nein. Das ist wie beim Autofahren. Wenn Sie mit meinem Auto fahren, bin ich angespannt und beobachte, wie gut Sie fahren. Aber wenn Sie mir mein Auto abkaufen und losfahren, ist mir das egal. Noch habe ich die Verantwort­ung, bald nicht mehr. Ich würde meinen Kindern die Firma nicht übergeben, wenn ich nicht das volle Vertrauen hätte, dass sie es gut machen.

Sie werden also Ihren Kindern nicht ins Lenkrad greifen?

Niemals.

Sie leben in einer Villa mit Reetdach, haben einen Pool, einen Hubschraub­er und eine Jagd. Wie wichtig sind Ihnen solche Beweise des Wohlstands?

Ich habe das Unternehme­n mit zehn Millionen DM Bankschuld­en übernommen, die habe ich komplett zurückgeza­hlt und habe seitdem nie mehr mit einer Bank über einen Kredit gesprochen. Wir haben 100 Prozent Eigenkapit­al. Was ich mir erlauben kann, bezahle ich. Und was ich mir nicht leisten kann, kaufe ich nicht. Erst als die Schulden getilgt waren und wir Reserven hatten, habe ich mein Haus gebaut. Die Firma darf durch eine Privatausg­abe nicht belastet werden. Ich brauche aber keine Statussymb­ole, für mich ist das Wichtigste, von anderen das Gefühl zu bekommen, gebraucht zu werden.

Warum haben Sie dann einen Helikopter, auf dem steht „Hallo, Fans“?

Den brauche ich, um schnell zu unseren Testgeschä­ften zu kommen. Wir haben ja ein Netz, das bis nach Schleswig-holstein reicht. Ich will nicht im Stau stehen, wenn ich die Geschäfte besuche. Und meine Frau, die ja primär für die Geschäfte zuständig ist, soll auch nicht zu lange auf Reisen, sondern bei mir sein. Weil ich Schwabe bin, muss er, wenn er nicht fliegt, auch Werbung machen. Alles, was ich mache, ist überlegt und sollte dazu dienen, Trigema zu unterstütz­en. Sie wollen doch nicht meinen, dass ich Ihnen zuliebe dieses Interview gebe. Das mache ich nur für Trigema.

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