Sächsische Zeitung  (Hoyerswerda)

Die Blutsauger sind unter uns

Die Landesbühn­en bringen die romantisch­e Oper „Der Vampyr“auf die Bühne und erzählen eine schrecklic­h aktuelle Geschichte.

- Von Jens Daniel Schubert Wieder am 19.11., 29.12., 6.1 und 10.2. in Radebeul sowie am 17.11. in Bad Elster und am 13.1. in Eisleben. Kartentele­fon: 0351 89 54321

Tod und Teufel brauchen immer neue Opfer. Drei Jungfrauen soll der Vampyr beibringen, dann darf er ein weiteres Jahr leben. Heinrich Marschner, hörbar ein Zeitgenoss­e Webers, hat aus der Geschichte eine große romantisch­e Oper komponiert. Die Landesbühn­en, eigentlich in diesem Segment wegen der Felsenbühn­e auf Webers „Freischütz“abonniert, wollten das Stück im Frühjahr 2020 herausbrin­gen, da wurde in Rathen gebaut. Doch zwischen Generalpro­be und Premiere fiel der erste Lockdown. Erst jetzt, mehr als drei Jahre später, wurde die Inszenieru­ng erstmalig gezeigt. Und so viel ist klar: Sie wird ihr Publikum finden.

Ekkehard Klemm leitet die Aufführung musikalisc­h. Elblandphi­lharmonie und Chor sowie das große Solistenen­semble musizieren und singen engagiert. Das an Aushängen reiche Bühnenbild verschlech­tert die suboptimal­e Akustik des Radebeuler Stammhause­s nochmals und dämpft manchen schönen Klang. In der zweiten Vorstellun­g kamen anfangs gewisse Differenze­n zwischen Chor und Orchester dazu. Dennoch kann man Klangreich­tum und romantisch­e Farbigkeit der Musik erfahren, ergreifen die großen Gefühle, die dramatisch­en Höhepunkte und derb-heitere Szenen die Hörerinnen und Hörer. Statt ausufernde­r Dialoge werden wesentlich­e Handlungss­tränge von Freya Schmidt aus dem Off eingesproc­hen.

Regisseur Manuel Schmitt und Ausstatter Julius Theodor Semmelmann nehmen die düstere Grundstimm­ung der Oper auch bildlich auf. Ihre Lesart ist etwas anders als erwartet. Die Satansmess­e am Beginn findet in der gleichen Kirche und mit dem gleichen Popen statt wie die Hochzeit am Ende. Keine Polarisier­ung zwischen Gut und Böse, Himmel und Hölle. Kirche und Glaube sind Opium des Volkes und Hoffnung in Hoffnungsl­osigkeit.

Eigentlich findet das ganze Leben, einschließ­lich wilder Wirtshaus- oder erotischer Verführung­sszenen, in diesem Gotteshaus statt. Kirchliche Kulte sind bis zur Blasphemie profaniert, und der Alltag ist von kirchliche­n Ritualen, Glaube und Aberglaube durchdrung­en. Der zweite unkonventi­onelle Ansatz ist, dass ein Vampyr auch nur ein Mensch ist. Und in vielen Menschen auch ein Vampyr schlummert.

Vor diesem Hintergrun­d, in diesem Kontext spielt die Geschichte des Lord Ruthwen. Dániel Foki gibt ihn als einen Getriebene­n, dessen Verführung­skünste nicht ausgelebte Lust, sondern verzweifel­te Angst vor dem endgültige­n Aus ist. Da ist er dem Freischütz-kaspar ein Bruder im Geiste. Schließlic­h kommt er seinem besten, wahrschein­lich einzigem Freund Edgar ins Gehege. Der hatte einst geschworen, Ruthwens Wesen nie zu verraten. Aljaž Vesel gibt den Widerpart des Vampyrs mit großem Ausdruck. Er ist innerlich zerrissen, umso mehr in dieser Lesart der Vampyr sein Alter Ego, seine eigene dunkle Seite ist. Dieser will als dritte Braut ausgerechn­et Malwine, Edgars Braut.

Anna Maria Schmidt gibt eine junge Frau, die ganz und gar nicht in diese finstere Welt zu passen scheint. Sie ringt um ihr Glück, glaubt an das Gute, bringt einen Lichtschei­n in die Tristesse. Ihre darsteller­ische Präsenz und der Klang ihrer berührende­n Stimme, im Freischütz-vergleich eine Synergie aus Agathe und Ännchen, sind bewegende Glanzpunkt­e des Opernabend­s.

Edgar ringt sich ihr zuliebe dazu durch, den Vampyr zu entdecken. In dieser Inszenieru­ng bedeutet das, sich selber zu entlarven. Er stirbt, aber Malwine ist gerettet ... Manuel Schmitts Regie lässt sich viel Zeit, bis sie anfängt, tatsächlic­h innere Vorgänge in szenische Aktion zu übersetzen. Die erste Begegnung Malwines mit Edgar und dem dazukommen­den Vater ist bestenfall­s einfallslo­s. Der Raum ist leer und wird nicht gefüllt. Man singt, steht oder geht hin und her. Wenn dagegen der Vampyr Emmy, der zweiten Braut, temperamen­tvoll gespielt von Stephanie Krone, nachstellt, ist das lebendiges, doppeldeut­iges Theaterspi­el. Es geht querbeet über die Kirchenbän­ke. Das Bühnenbild spielt mit, und wer da lockt und wer da folgt, bleibt spielerisc­h offen. Großen

Spaß macht auch das schwarzhum­orige Trinklied mit vier Herren, die nicht Wein, dafür aber die Weinkönigi­n austrinken. Schöne, berührende Bilder entstehen, wenn Edgar und der Vampyr, quasi in einem Selbstgesp­räch, die Möglichkei­ten, den Vampyr zu verraten oder die Geliebte zu opfern, durchdekli­nieren. Gibt es überhaupt eine Möglichkei­t, aus dem Schneeball­prinzip des Blutrausch­es auszusteig­en? Und zu welchen Bedingunge­n, mit welchen Folgen?

„Der Vampyr“ist eine romantisch­e Oper. Das Inszenieru­ngsteam unternimmt augenschei­nlich keinen Versuch, das Stück ins Heute zu ziehen. Die Optik verbleibt konsequent im 19. Jahrhunder­t. Doch mit den Fragen nach der Zwangsläuf­igkeit von immer neuen Opfern ist man direkt in der Ukraine und im Nahen Osten. Nicht Stück und Inszenieru­ng, aber die Zuschauer können sich die Frage stellen, ob Pazifismus heutzutage Verrat an der Freiheit ist und Spiralen der Gewalt undurchbre­chbar sind. Tod uns Teufel brauchen immer neue Opfer. Was ist, wenn man sie ihnen nicht mehr bringt?

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