Sächsische Zeitung (Hoyerswerda)
Die Blutsauger sind unter uns
Die Landesbühnen bringen die romantische Oper „Der Vampyr“auf die Bühne und erzählen eine schrecklich aktuelle Geschichte.
Tod und Teufel brauchen immer neue Opfer. Drei Jungfrauen soll der Vampyr beibringen, dann darf er ein weiteres Jahr leben. Heinrich Marschner, hörbar ein Zeitgenosse Webers, hat aus der Geschichte eine große romantische Oper komponiert. Die Landesbühnen, eigentlich in diesem Segment wegen der Felsenbühne auf Webers „Freischütz“abonniert, wollten das Stück im Frühjahr 2020 herausbringen, da wurde in Rathen gebaut. Doch zwischen Generalprobe und Premiere fiel der erste Lockdown. Erst jetzt, mehr als drei Jahre später, wurde die Inszenierung erstmalig gezeigt. Und so viel ist klar: Sie wird ihr Publikum finden.
Ekkehard Klemm leitet die Aufführung musikalisch. Elblandphilharmonie und Chor sowie das große Solistenensemble musizieren und singen engagiert. Das an Aushängen reiche Bühnenbild verschlechtert die suboptimale Akustik des Radebeuler Stammhauses nochmals und dämpft manchen schönen Klang. In der zweiten Vorstellung kamen anfangs gewisse Differenzen zwischen Chor und Orchester dazu. Dennoch kann man Klangreichtum und romantische Farbigkeit der Musik erfahren, ergreifen die großen Gefühle, die dramatischen Höhepunkte und derb-heitere Szenen die Hörerinnen und Hörer. Statt ausufernder Dialoge werden wesentliche Handlungsstränge von Freya Schmidt aus dem Off eingesprochen.
Regisseur Manuel Schmitt und Ausstatter Julius Theodor Semmelmann nehmen die düstere Grundstimmung der Oper auch bildlich auf. Ihre Lesart ist etwas anders als erwartet. Die Satansmesse am Beginn findet in der gleichen Kirche und mit dem gleichen Popen statt wie die Hochzeit am Ende. Keine Polarisierung zwischen Gut und Böse, Himmel und Hölle. Kirche und Glaube sind Opium des Volkes und Hoffnung in Hoffnungslosigkeit.
Eigentlich findet das ganze Leben, einschließlich wilder Wirtshaus- oder erotischer Verführungsszenen, in diesem Gotteshaus statt. Kirchliche Kulte sind bis zur Blasphemie profaniert, und der Alltag ist von kirchlichen Ritualen, Glaube und Aberglaube durchdrungen. Der zweite unkonventionelle Ansatz ist, dass ein Vampyr auch nur ein Mensch ist. Und in vielen Menschen auch ein Vampyr schlummert.
Vor diesem Hintergrund, in diesem Kontext spielt die Geschichte des Lord Ruthwen. Dániel Foki gibt ihn als einen Getriebenen, dessen Verführungskünste nicht ausgelebte Lust, sondern verzweifelte Angst vor dem endgültigen Aus ist. Da ist er dem Freischütz-kaspar ein Bruder im Geiste. Schließlich kommt er seinem besten, wahrscheinlich einzigem Freund Edgar ins Gehege. Der hatte einst geschworen, Ruthwens Wesen nie zu verraten. Aljaž Vesel gibt den Widerpart des Vampyrs mit großem Ausdruck. Er ist innerlich zerrissen, umso mehr in dieser Lesart der Vampyr sein Alter Ego, seine eigene dunkle Seite ist. Dieser will als dritte Braut ausgerechnet Malwine, Edgars Braut.
Anna Maria Schmidt gibt eine junge Frau, die ganz und gar nicht in diese finstere Welt zu passen scheint. Sie ringt um ihr Glück, glaubt an das Gute, bringt einen Lichtschein in die Tristesse. Ihre darstellerische Präsenz und der Klang ihrer berührenden Stimme, im Freischütz-vergleich eine Synergie aus Agathe und Ännchen, sind bewegende Glanzpunkte des Opernabends.
Edgar ringt sich ihr zuliebe dazu durch, den Vampyr zu entdecken. In dieser Inszenierung bedeutet das, sich selber zu entlarven. Er stirbt, aber Malwine ist gerettet ... Manuel Schmitts Regie lässt sich viel Zeit, bis sie anfängt, tatsächlich innere Vorgänge in szenische Aktion zu übersetzen. Die erste Begegnung Malwines mit Edgar und dem dazukommenden Vater ist bestenfalls einfallslos. Der Raum ist leer und wird nicht gefüllt. Man singt, steht oder geht hin und her. Wenn dagegen der Vampyr Emmy, der zweiten Braut, temperamentvoll gespielt von Stephanie Krone, nachstellt, ist das lebendiges, doppeldeutiges Theaterspiel. Es geht querbeet über die Kirchenbänke. Das Bühnenbild spielt mit, und wer da lockt und wer da folgt, bleibt spielerisch offen. Großen
Spaß macht auch das schwarzhumorige Trinklied mit vier Herren, die nicht Wein, dafür aber die Weinkönigin austrinken. Schöne, berührende Bilder entstehen, wenn Edgar und der Vampyr, quasi in einem Selbstgespräch, die Möglichkeiten, den Vampyr zu verraten oder die Geliebte zu opfern, durchdeklinieren. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, aus dem Schneeballprinzip des Blutrausches auszusteigen? Und zu welchen Bedingungen, mit welchen Folgen?
„Der Vampyr“ist eine romantische Oper. Das Inszenierungsteam unternimmt augenscheinlich keinen Versuch, das Stück ins Heute zu ziehen. Die Optik verbleibt konsequent im 19. Jahrhundert. Doch mit den Fragen nach der Zwangsläufigkeit von immer neuen Opfern ist man direkt in der Ukraine und im Nahen Osten. Nicht Stück und Inszenierung, aber die Zuschauer können sich die Frage stellen, ob Pazifismus heutzutage Verrat an der Freiheit ist und Spiralen der Gewalt undurchbrechbar sind. Tod uns Teufel brauchen immer neue Opfer. Was ist, wenn man sie ihnen nicht mehr bringt?