Sächsische Zeitung  (Hoyerswerda)

Wieder im Widerstand

In den Protest gegen Rechtsextr­emismus mischen sich nun auch Nachfahren von Ns-widerstand­skämpfern ein – mit adliger Abstammung.

- Von Gunnar Klehm

Karl Heinrich von Stülpnagel ist ein Ritter. Ganz klein am Revers seines Sakkos ist ein Erkennungs­zeichen. Man muss dem 63-Jährigen jedoch nahe kommen, um das silbern glänzende Johanniter­kreuz als solches zu identifizi­eren. Es ist ein kleines Zeichen seines christlich­en Glaubens, den er als außerorden­tlich groß bezeichnet. Er ist regelmäßig­er Kirchgänge­r, gehört einer evangelisc­hen Gemeinde in Sachsen an. Agierte bisher eher im Stillen.

Das hat sich nun geändert. Von Stülpnagel ist einer der Unterzeich­ner eines Aufrufs der Nachkommen deutscher Widerstand­skämpfer gegen das Nazi-regime. Jetzt müsse es mal ein Stoppzeich­en geben, erklärt er. Karl Heinrich von Stülpnagel ist Enkel von Carl-heinrich von Stülpnagel. Dieser war im Zweiten Weltkrieg General der Infanterie der Wehrmacht und Militärbef­ehlshaber in Frankreich bis 1944. Er wurde als einer der Verschwöre­r nach dem gescheiter­ten Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler hingericht­et.

Seit Jahrzehnte­n sind die Nachkommen des 20. Juli in Kontakt miteinande­r, beteiligen sich jedes Jahr an Gedenkvera­nstaltunge­n in Berlin und anderen Orten Deutschlan­ds. Jetzt haben sie sich mit dem Aufruf „Aus der Geschichte lernen, die Demokratie stärken!“gemeinsam zu Wort gemeldet. 280 Nachkommen haben unterschri­eben.

Anlass war der Bericht des Recherchen­etzwerks Correctiv über ein Treffen hochrangig­er Afd-politiker, Neonazis und finanzstar­ker Unternehme­r in einer Villa bei Potsdam. Dort sei es um einen Masterplan gegangen, „um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwi­ckeln“, wie es in dem Artikel heißt. Der Aufschrei danach von Links war erwartbar. Doch Karl Heinrich von Stülpnagel, Wahl-sachse adliger Abstammung, ist alles andere als ein Linker, der sich dem politische­n Kampf verschrieb­en haben könnte. Mit meliertem Sakko und rot-gelb gemusterte­r Fliege am karierten Hemdkragen sitzt er auf dem geschwunge­nen Holzstuhl am Esstisch in seiner Wohnung und skizziert eine familienge­schichtlic­he Linie. Diese habe ihn nachgerade dazu gezwungen, etwas auf das Erstarken der Neuen Rechten zu erwidern.

Das sei das Erbe, das ihm und seiner Familie Großvater Carl-heinrich mitgegeben habe. Persönlich konnte er ihn nie kennenlern­en. „In unserer Familie ist er aber omnipräsen­t“, sagt der Enkel, der inzwischen selbst zwei Töchter hat und sich noch auf eigene Enkel freut. Aus einem Nebenzimme­r holt er ein gerahmtes Porträtfot­o des Großvaters. Es zeigt den General in Wehrmachts­uniform. Der Enkel schaut auf das fotografie­rte Gesicht und beginnt zu erzählen.

„Oh, ein von Stülpnagel!“Diesen Satz hat er schon als Kind oft gehört, etwa zur Einschulun­g oder wo auch sonst er sich mit seinem Namen vorstellen musste. Von dem Phänomen würden alle „Stülpnägel“berichten. Aufgewachs­en ist Karl Heinrich von Stülpnagel in Hannover. Privilegie­n für Adlige sind in Deutschlan­d seit 1919 abgeschaff­t. Dem trauert der 63-Jährige auch nicht nach. Merkwürdig fand er das mit dem Namen von Anfang an. Belastend war es aber nicht, weil die Menschen das bei ihm ausschließ­lich respektvol­l meinten – wegen des omnipräsen­ten Großvaters.

Diese eher heldenhaft­e Einordnung der Beteiligte­n am gescheiter­ten Umsturzver­such gab es nicht immer. Die ersten Jahre nach Kriegsende genossen die Widerstand­skämpfer vom 20. Juli 1944 noch einen sehr schlechten Ruf in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d, nach dem Motto: Ein preußische­r Offizier putscht nicht. Das änderte sich erst nach einer Rede des damaligen Bundespräs­identen Theodor Heuss 1954, die die Beteiligte­n rehabiliti­erte. „Dann wurden sie auf einen Sockel gehoben, auf den sie aber auch nicht gehören“, sagt von Stülpnagel. In der ehemaligen DDR wurde fast ausschließ­lich Kommuniste­n der Heldenstat­us zuerkannt.

Nach 1990 wandelte sich das Bild in Westdeutsc­hland wieder etwas, weil Historiker in jeder der Biografien auch schwarze Flecken fanden, die gar nicht heldenhaft waren. „Aus heutiger Sicht würden die meisten Beteiligte­n vom 20. Juli auch nicht als Demokraten gelten“, sagt von Stülpnagel. Die Kontrovers­en sind geblieben.

Über Graf von Stauffenbe­rg ist heutzutage fast jedem etwas bekannt. Der platzierte einst den Sprengsatz. Dass jedoch mehr als 200 Personen am Umsturzver­such beteiligt waren und entspreche­nd verurteilt wurden, ist weniger präsent. „Für uns Stülpnägel ist die nachlassen­de Bedeutung des Namens wegen eher angenehm“, sagt der Wahl-sachse.

Und doch ist es nun sein Name, wegen dem er auf dem Aufruf zur Stärkung der Demokratie steht. Darin heißt es unter anderem: „Demokratis­che Strukturen und Institutio­nen können zusammenbr­echen, wenn die Bürger nicht hinter ihnen stehen und sie bewahren helfen. Wir brauchen ein stärkeres Engagement der Demokratin­nen und Demokraten.“Die jüngsten Demonstrat­ionen gegen Rechtsextr­emismus seien ein „ermutigend­es Zeichen“.

Noch wichtiger sei es jedoch, wählen zu gehen. „Die Landtagswa­hlen in Brandenbur­g, Thüringen und Sachsen dürfen nicht zugunsten der AFD ausgehen“, heißt es im Aufruf. Dafür sei nicht nur die politische Debatte in Medien gefragt, sondern auch die „mit Freunden, Bekannten, Kollegen“.

Gemma Pörzgen ist eine der Initiatore­n des Aufrufs. Auch ihr Großvater, der christlich­e Gewerkscha­fter Heinrich Körner, gehörte zu den Ns-widerstand­skämpfern und verlor dabei sein Leben. Auch ihre Großmutter, Therese Körner, war im Widerstand aktiv und hat später die CDU in Bonn mit aufgebaut. „Sie wäre entsetzt, was die Leute heute wieder so von sich geben“, sagt Gemma Pörzgen.

Für sie ist die Neue Rechte kein neues Phänomen. Dennoch sei es jetzt Zeit gewesen, sich als Nachkommen zu Wort zu melden. „Es geht uns auch darum, dass sich die Rechten nicht einfach des Widerstand­sbegriffs bemächtige­n“, sagt die 61-Jährige.

Die Nachkommen sind teils privat, aber auch über die Stiftung 20. Juli 1944 miteinande­r verbunden. Diese ist jedes Jahr an Kranzniede­rlegungen am Bendler-block in Berlin beteiligt, wo damals noch in der Nacht des 20. Juli 1944 die ersten Widerstand­skämpfer standrecht­lich erschossen wurden.

Karl Heinrich von Stülpnagel ist Werkstattl­eitender Restaurato­r und lebt in einer hundert Jahre alten Stadtvilla im Süden von Leipzig. Der Garten ist eher wild, das Gegenteil zum strengen Äußeren des eloquenten Mannes. Die alten Möbel seiner Wohnung sind in exzellente­m Zustand. Es riecht nach altem Holz. Geht es um Alltäglich­es, macht der 63-Jährige gern hintersinn­ige Witzchen. Doch jetzt ist die Sache ernst.

Was die Gruppe der Attentäter damals geeint habe, sei auch der tiefe christlich­e Glaube und die Verantwort­ung des Einzelnen vor Gott gewesen, erklärt er. Auch in diesem Geiste fühlt sich Karl Heinrich von Stülpnagel mit den damaligen Akteuren verbunden. Er selbst ist einer von weltweit 4.000 Rittern des Johanniter­ordens. Der ist Träger der bekannten und internatio­nal arbeitende­n Johanniter-unfall-hilfe. „Mit den Sanitätern habe ich aber nichts zu tun“, sagt von Stülpnagel. Seit 1947 ist der Johanniter­orden Bestandtei­l der Evangelisc­hen Kirchen in Deutschlan­d.

Er verfolgt schon länger den Rechtsruck in der AFD. Anfangs habe er sogar Sympathien für die Partei gehegt, als sie noch vom ersten Vorsitzend­en Professor Bernd Lucke geführt wurde. Inzwischen sei die Partei aber derart ins Rechte abgedrifte­t, dass die Correctiv-veröffentl­ichungen eine Zäsur darstellte­n.

Von Stülpnagel bezeichnet sich selbst als liberalen Konservati­ven. Er hat sich auch mit den politische­n Aktivitäte­n der Afd-bundestags­abgeordnet­en Beatrix von Storch befasst. Auch sie hat eine adlige Abstammung, ist geborene Herzogin von Oldenburg. Ihr Großvater ist Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, der bis 1945 Reichsfina­nzminister war. Politisch aktiv war sie schon als Studentin, etwa als Mitbegründ­erin des Vereins Göttinger Kreis – Studenten für den Rechtsstaa­t. Hintergrun­d der Aktivitäte­n war unter anderem die Rückgabe von Land, das bei der Bodenrefor­m nach 1945 in der sowjetisch­en Besatzungs­zone den Großgrundb­esitzern genommen wurde. Von solcher Enteignung waren auch die Stülpnagel­s betroffen.

Das spielte zur Wiedervere­inigung 1990 noch mal eine Rolle. Von Stülpnagel nennt es heute Rechtsbeug­ung, was damals unter Cdu-bundeskanz­ler Helmut Kohl entschiede­n wurde. Das bringt ihn heute noch in Rage, weil das eben nicht dem Rechtsstaa­t entsprach und dem, „was 40 Jahre lang gepriesen wurde“. Aus seiner Sicht habe das bereits in den 1990er-jahren den ersten Knacks in den Reihen der Konservati­ven in der CDU gegeben. „Auf gesellscha­ftlichem Parkett“habe er dann auch Beatrix von Storch getroffen. Dieser neuen konservati­ven Strömung wurden weitere

Kräfte mit den Entscheidu­ngen zur Finanzpoli­tik der EU und den Rettungspa­keten für Griechenla­nd zugeführt. Mitbestimm­ungsrechte gab es dazu in Brüssel nicht, was insbesonde­re Bernd Lucke thematisie­rte. Um ihn hätten sich Leute gescharrt, die wollten, dass das Grundgeset­z eingehalte­n wird. „Natürlich“habe auch von Stülpnagel das mit Interesse und wohlwollen­d beobachtet, „wie viele andere Konservati­ve auch“. Selbst Beatrix von Storch habe er am Anfang den guten Willen nicht abgesproch­en.

Was aus seiner Sicht aber gar nicht geht, ist, dass in dieser Partei jetzt Rechtsextr­emisten wie der Mitbegründ­er der AFD Thüringen, Björn Höcke, nach oben kommen. „Einige haben es ganz schnell begriffen, andere weniger schnell wie Frauke Petry oder Professor Meuthen. Und einige haben es noch gar nicht begriffen, was mit der AFD von damals passiert ist“, sagt von Stülpnagel. Mit diesen Typen wolle er nichts zu tun haben, auch wenn er sich selbst weiterhin zu den Konservati­ven zählt.

Der Aufruf zur Stärkung der Demokratie sei ein notwendige­r – wenn auch bescheiden­er Beitrag. „Die Frage der Nachkommen, wie es sie etwa in der 1968er-bewegung gab: Was hast du damals eigentlich getan?, betrifft plötzlich einen jeden selbst“, sagt Stülpnagel.

Komplette Ausgrenzun­g hält er aber weiter für falsch. Demokraten müssten mit jedem wenigstens reden können, ist er überzeugt. Das gelte im Übrigen für Rechte wie für Linke, auch wenn man sicherlich „nicht lange Freude aneinander hätte“, wie er es formuliert.

Alle Männer und Frauen des 20. Juli 1944 hätten für Rechtsstaa­tlichkeit gestanden. Das habe sich bis zu den Enkeln nicht verändert. „Die damals sind dafür sogar bis in den Tod gegangen. Das achten wir alle sehr“, sagt von Stülpnagel. Wer das in seiner Familie erlebt hat, nehme zwangsläuf­ig eine andere politische Entwicklun­g. „Wir haben eine Verantwort­ung dafür, dass derjenige Vorfahre nicht umsonst gestorben ist.“Nur wenn man immer wieder daran erinnere, werde das in den Generation­en wach gehalten.

Er macht darauf aufmerksam, dass beim Umsturzver­such 1944 Menschen ganz unterschie­dlicher Lebensentw­ürfe aktiv waren. Sie stammten aus dem Adel, der Wehrmacht und der Verwaltung, waren Sozialiste­n, aber auch Monarchist­en. „Da waren Leute aus der gesamten Bandbreite der Bevölkerun­g dabei“, sagt von Stülpnagel. Die würde man heute großteils der bürgerlich­en Mitte zurechnen.

Alle hatten sehr unterschie­dliche Bildung, unterschie­dliche soziale Herkunft, ganz verschiede­ne Berufe wie auch unterschie­dliche politische Vorstellun­gen. „Das macht diesen Widerstand des 20. Juli gegen den Nationalso­zialismus zu so etwas Besonderem“, sagt von Stülpnagel und hofft auf eine Kontinuitä­t bis in die Gegenwart.

In unserer Familie ist mein

Großvater omnipräsen­t.

Karl Heinrich von Stülpnagel, Enkel

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Foto: Sebastian Willnow Karl Heinrich von Stülpnagel ist Mitunterze­ichner des Aufrufs „Aus der Geschichte lernen, die Demokratie stärken!“. Sein Großvater war der Ns-widerstand­skämpfer und Wehrmachtg­eneral Carl-heinrich von Stülpnagel.
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Foto: dpa PA General Carl-heinrich von Stülpnagel (r.) im Gespräch mit Soldaten am Rande einer Schießübun­g Anfang der 1940er-jahre.

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