Sächsische Zeitung (Hoyerswerda)
Wie steht es um die Gleichstellung?
Der Frauentag und weitere Aktionstage im Frühjahr weisen auf geschlechtsspezifische Unterschiede hin. So äußern sich regionale und lokale Akteure.
Laut dem Statistischen Bundesamt lebten im Jahr 2022 ungefähr 42,8 Millionen Frauen (50,7 Prozent) und 41,6 Millionen Männer (49,3 Prozent) in Deutschland. Zahlen, die bis in das Jahr 1970 zurückreichen, belegen, dass seitdem stets mehr Frauen als Männer in Deutschland gelebt haben. Doch die Differenz beläuft sich nur auf wenige Prozentpunkte – also ein ziemlich gleichwertiges Verhältnis.
Andere Statistiken legen jedoch nahe, dass eine Gleichstellung/gleichberechtigung der Geschlechter nicht erreicht ist – die Diskrepanzen sind unterschiedlich ausgeprägt.
Bildungszeit wird gefordert
„Bei der Gleichstellung von Frauen und Männern in Sachsen ist noch viel Luft nach oben“, sagt zum Beispiel Daniela Kolbe, stellvertretende Vorsitzende des Dgb-bezirks Sachsen, die konkrete Politik fordert, um diese Lücken zu schließen. Dabei werden die Themen Lohnunterschied, Niedriglöhne, Sorgearbeit und Führungspositionen angesprochen. „Als Gewerkschaften sorgen wir mit Tarifverträgen für mehr Gerechtigkeit – bei den Löhnen, bei den Arbeitszeiten und bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, so Daniela Kolbe. Konkret wird das Recht auf fünf Tage Bildungszeit in Sachsen gefordert. „Für viele Frauen spielt die individuelle Weiterbildung, der Erwerb von Zusatzkompetenzen und das ehrenamtliche Engagement eine große Rolle. Die Vereinbarkeit dieser Bildungswünsche mit dem Job und der Familie sind aber ohne eine Freistellung kaum möglich“, erklärt Daniela Kolbe den Hintergrund.
Ähnlich äußert sich auch der Landesbezirk Sachsen, Sachsen-anhalt, Thüringen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di): „«Gleicher Lohn für gleiche Arbeit», «bevorzugte Einstellung von Frauen bei gleicher Qualifikation», «Wahrung der Aufstiegsund Qualifizierungschancen nach zeitweiliger Unterbrechung der Arbeit» und vielem anderen mehr wird in unserer Gesellschaft zu wenig Beachtung geschenkt.“
Auf die Tarifbindung achten
Eine Forderung lautet, „bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen nur Unternehmen zu berücksichtigen, die einer Tarifbindung unterliegen“, sagt die stellvertretende Landesbezirksleiterin, Kerstin Raue. Auch wird darauf hingewiesen, dass durch „zunehmende populistische, antidemokratische, antifeministische und zugleich europafeindliche Tendenzen in den Eu-ländern Frauenrechte und der Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit immer stärker unter Druck geraten“. Deshalb wird für ein demokratisches und sozial gerechtes Europa geworben.
Anne Kretschmar, Pressesprecherin im Landratsamt Bautzen, spricht davon, dass sich der Landkreis „selbstverständlich für die Gleichstellung aller Geschlechter und für Chancengerechtigkeit einsetzt“. Es werden einige Zahlen in diesem Zusammenhang genannt: Stichtag 30. Juni 2023 gab es 1.839 Landkreis-beschäftigte – davon 1.240 Frauen (67,4 Prozent), 71 von 124 Führungspositionen werden von Frauen besetzt und 34 von 51 Auszubildenden sind weiblich.
Des Weiteren ist bei der Bezahlung von Beamtinnen und Beamten und Tarifbeschäftigten eine geschlechterspezifische Ungleichbehandlung bei den Entgelten ausgeschlossen. Außerdem werden die Möglichkeiten der Teilzeit, der Gleitzeit und der Telearbeit für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf genannt.
Die Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt in der Arbeitsagentur, Petra Prager, setzt sich dafür ein, dass „jede
Frau und jeder Mann die Chancen nutzen können soll, welche der Arbeitsmarkt bietet“. Es heißt dazu weiter, dass niemand wegen des Geschlechts oder wegen familiärer Aufgaben benachteiligt werden soll. Petra Prager nimmt diese Aufgabe seit dem 1. März 2024 wahr.
Mit 100.631 Frauen, die in den Landkreisen Bautzen und Görlitz wohnen, gingen 64,8 Prozent von jenen im erwerbsfähigen Alter einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Das entspricht auch der Beschäftigungsquote in Sachsen – vor zehn Jahren waren beide Werte niedriger (Landkreise: 57,0 Prozent/ Sachsen: 57,7 Prozent). „Der Anteil der berufstätigen ostsächsischen Frauen liegt deutlich über dem bundesweiten Niveau“von 58,7 Prozent, wie die Agentur für Arbeit Bautzen mitteilt. Doch der Anteil der berufstätigen Männer liegt in Ostsachsen bei 65,8 Prozent und damit einen Prozentpunkt höher. Besondere Erwähnung findet das Jahr 2022: Da lagen lediglich 0,2 Prozentpunkte zwischen den Beschäftigungsquoten der Frauen (65,7 Prozent) und der Männer (65,9 Prozent), lässt die Agentur für Arbeit wissen.
Verdienstlücke hat sich verringert
Als Ursachen wird unter anderem die Bevölkerungsentwicklung genannt: Die Zahl der Frauen im erwerbsfähigen Alter nahm zu, während die Zahl der Männer hingegen zurückging. Das dürfte auf den Zugang von geflüchteten Menschen zurückzuführen sein. Ein weiterer Faktor ist der Rückgang der Beschäftigtenzahl im Dienstleistungssektor, wo mehr Frauen als Männer beschäftigt sind. Demgegenüber stieg die Zahl der Beschäftigten im produzierenden Sektor, wo viele Männer beschäftigt sind. Nichtsdestotrotz lag die Arbeitslosenquote der Frauen in der Region im Februar 2024 mit 7,2 Prozent deutlich unter jener der Männer, die 8,3 Prozent beträgt. Diesen Unterschied erklärt die Agentur für Arbeit mit dem „immer noch vorhandenen geschlechtstypischen Muster der Berufswahl“. Zum Thema Verdienstlücke wird mitgeteilt, dass sie sich seit 2020 in Ostsachsen zwischen Männern und Frauen verringert hat: konkret von 90 Euro (2020) auf 60 Euro (2023), wenn die mittleren Bruttomonatsentgelte betrachtet werden.
„Gleichstellung beginnt zu Hause“
„Mein Beratungsangebot richtet sich einerseits an Frauen und Männer, die nach einer Familienphase wieder in den Beruf einsteigen wollen. Andererseits bin ich für berufstätige Frauen da, die Rat und Auskunft in Fragen der beruflichen Ausbildung, des beruflichen Einstiegs oder Aufstiegs benötigen. Zudem bin ich Ansprechpartnerin für Unternehmen, um individuelle Wege der Beschäftigung von Frauen zu schaffen“, macht Petra Prager die Möglichkeiten deutlich. Ähnlich äußert sich auch Korina Jenßen, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Hoyerswerda: „Gleichstellungsbeauftragte wirken nach außen hin. Sie sind gut vernetzt und für die Stadtgesellschaft da. Wir sind Ansprechpartnerinnen, wenn es um Fragen und Anliegen geht, die eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechtes zum Inhalt haben. Das trifft auch für das Aufzeigen möglicher Handlungsoptionen zu. Und durch die gute Vernetzung können zudem entsprechende Partnerinnen und Partner – zum Beispiel Gewerkschaften, Agentur für Arbeit, Jobcenter, Kammern und Verbände – eingebunden werden.“
Doch für Korina Jenßen fängt die Thematik schon deutlich eher an: „Gleichstellung beginnt zu Hause“, findet sie. Das bedeutet beispielsweise eine faire, partnerschaftliche Teilung der Sorgearbeit – Familienarbeit und Pflegeaufgaben. Bereits hierin liege ein Schlüssel für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt bzw. ihrer gesellschaftlichen Mitwirkung. Für Männer bestehe wiedrum die Chance, sich mehr in die Sorgearbeit einbringen zu können und somit als Vater eine engere Bindung zum Kind aufbauen zu können, erklärt sie. So wirkt das Elternhaus prägend, was sich auf die spätere Berufswahl auswirken kann. Es sei wichtig, sich vor Augen zu führen, was Kindern vorgelebt wird.