Sächsische Zeitung (Hoyerswerda)
Wo selbst die Buchhaltung künstlerischen Wert hat
Als Co-chefin des Dresdner Beatpols hat Luisa Mühl zwar viel mit Rock’n’roll, aber noch mehr mit schnöden Zahlen zu tun. Ihre Mutter würde es lieben.
Wovon jeder dritte Teenager wenigstens phasenweise träumt, erfüllte sich für sie ziemlich schnell: Gerade volljährig geworden zog Luisa Mühl von Freiberg nach Dresden um, weil sie professionell Musik machen wollte. Und für den Start schien ihr Dresden noch übersichtlich, dennoch groß genug, also perfekt passend zu sein. Bald zelebrierte sie tatsächlich den Rock’n’roll, spielte zig Konzerte, ging in Europa und Übersee auf Tour, um jetzt zwar immer noch ganz dicht an der Musik dran, aber eigentlich die Frau für Abrechnungen, Kalkulationen, für die Buchhaltung zu sein. Fast ein bisschen trotzig sagt sie: „Wer die Zahlen nicht im Griff hat, bekommt auch den Rock’n’roll nicht auf die Reihe.“
Bevor in dieser Woche die Neuauflage des Polimagie-festivals im Neustadtclub Ostpol starten und im Beatpol am westlichen Rand Dresdens einen mehrtägigen Höhepunkt erleben wird, hat auch Luisa Mühl als Beatpol-co-chefin überdurchschnittlich viel Stress. Tritt doch nicht eine Haupt- plus Vorband allabendlich auf, was auch schon eine Menge Arbeit hinter den Kulissen bedeutet. Nur zum Festival steht eine zweite Bühne im Saal, damit die Wechsel schnell gehen und bis zu fünf, teils vielköpfige Ensembles direkt hintereinander spielen können. „Für unser Team heißt das extrem wenig Schlaf, manche bleiben deshalb gleich über Nacht im Club.“Sie hingegen fährt dann doch lieber spät als gar nicht nach Hause. Obwohl der Beatpol kein Club wie jeder andere, eben kein muffiges Loch, sondern sogar international für seine aufwendige Gästebetreuung bekannt ist.
Gutes Essen für die Bandmoral
Selbst Bands, die zum ersten Mal anreisten, würden voller Vorfreude den hinter der Bühne servierten Mahlzeiten entgegenfiebern. „Es hat sich in der Szene rumgesprochen, dass wir den Musikern keine Fertigsalate oder Fastfood vorsetzen“, sagt Luisa Mühl. „Wer gerade noch ein liebevoll angerichtetes Menü verputzt hat, geht doch mit viel mehr Lust auf die Bühne.“Die Beatpoltruppe glaubt jedenfalls an den direkten Zusammenhang zwischen kulinarischem Genuss und Spielfreude. Deshalb wurde auch vor einem Jahr ein Koch fest angestellt. Damit hat der Verein insgesamt fünf Vollzeitbeschäftigte. Diesen Status hat Luisa Mühl seit 2019.
Ihre Erstbegegnung mit dem Club liegt bereits zehn Jahre zurück. „Ich kann mich komischerweise nicht an mein erstes Konzert erinnern, dafür aber daran, dass ich die Show von King Buzzo im September 2014 noch knapp verpasst habe.“Generell habe sie ein sehr gutes Gedächtnis für Zahlen, könne Bandnamen und dazugehörige Konzerttermine flugs in der richtigen Kombination runterspulen. Ein gewisses Rechen-talent zahlte sich umgehend aus, als sie nicht länger zugucken, sondern aktiv im Verein mitmachen wollte. Die 33-Jährige erinnert sich: „Als ich Lotte, dem damaligen Geschäftsführer, eines Abends von meinen Ambitionen erzählte, sagte er nur knapp: Okay, da kannst du dich doch gleich heute mal hinter den Tresen stellen.“Sie hatte keinerlei Problem damit, statt vorsichtig getestet gleich ins tiefe Wasser geworfen zu werden, übernahm den Job, erledigte ihn hinreichend professionell und gehörte fortan dazu. Stundenweise ackernd und langsam unverzichtbar werden. Bis schließlich Langzeit-boss Hans-jürgen „Lotte“Lachotta 2019 seinen Posten räumte. Carsten Becker übernahm den Job des geschäftsführenden Bandbuchers, Luisa Mühl rückte an seine Seite als Mitregentin und Buchhalterin, sie hält seither den Laden wirtschaftlich zusammen. „Meine Mutter findet das großartig“, sagt sie dezent lachend. „Sie wollte immer, dass ich einen richtigen Büro-job mache. Näher wird wohl kaum etwas jemals an ihre Vorstellung rankommen.“
Dass sie nicht so richtig für eine bürgerliche Karriere taugen würde, bewies sie bereits mit 16. Luisa Mühl: „Ich wollte unbedingt Musik machen, besorgte mir ein Schlagzeug und stellte meine Eltern vor vollendete Tatsachen.“Etwas anderes als Rock’n’roll stand fortan nicht mehr auf ihrem Zettel. Immerhin legte sie sich mächtig ins Zeug und beherrschte das Instrument bald so gut, dass sie tatsächlich nur drei Jahre später und knapp nach dem Abitur mit der Dresdner Retrorock-combo The Roaring 420s sogar in den USA spielte, in einigen anderen Bands mitmischte und beim dänischen Unternehmen Powersolo aushalf. Zuletzt war sie mit der Truppe als Tourbegleiterin unterwegs durch Belgien und Frankreich. Seit ihrem Vollzeit-einstieg beim Beatpol ist das alles Geschichte. „Ich kann nicht in einer Band spielen und zugleich den Club verwalten. Und irgendwas davon halbherzig zu tun, kommt für mich nicht infrage.“Also staubt das Schlagzeug mittlerweile im Keller ein, bekommt höchstens noch manchmal einen wehmütigen Blick zugeworfen. „Mein Motto ist jetzt eben: Musik hören statt machen.“Luisa Mühl fegt mit der Hand über den Tisch und grinst. „Außerdem bezeichne ich meine Arbeit als künstlerisch wertvolle Buchhaltung. Schließlich geht es ja selbst bei den profansten bürokratischen Abläufen immer um den Club und damit um Kultur.“
Klar, ein Verein wie der hinter dem Beatpol tickt völlig anders als ein normales Unternehmen. „Ende vergangenen Jahres haben wir einen der von der Bundesregierung ausgeschriebenen Applaus-awards in der Kategorie ,Bestes Livemusikprogramm’ und damit 50.000 Euro zur freien Verwendung gewonnen. Selbstverständlich stecken wir das Geld ins Programm.“So gelte gerade für das Polimagie-festival: „Wir suchen uns erst die Bands zusammen, die wir haben wollen, und klären im zweiten Schritt, wie wir sie bezahlen.“
Angesagte Künstler wie etwa das am Sonnabend als Headliner auftretende österreichische Duo Cari Cari treffen so auf vielversprechende Newcomer. „Entdecken wir eine weitgehend unbekannte Band, die uns wirklich überzeugt, geben wir ihr unbedingt eine Chance.“Das Ziel sei es, immer wieder Talente aufzubauen. „Schaffen sie den Durchbruch, lohnt sich das sogar wirtschaftlich für uns. Weil sie dann ja den Club füllen und wir genug einnehmen, um wieder den nächsten Auftritt einer Nachwuchsband zu subventionieren.“
Noch eine clevere und kostensenkende Idee hatte das Beatpol-team: Fürs Polimagie-festival werden Bands in Absprache mit dem Pop-salon in Osnabrück gebucht. Die Entfernung ist groß genug, um sich nicht wechselseitig Publikum abzujagen, Musiker hingegen können die Strecke von einer Show zur nächsten problemlos schaffen. Diese überregionale Zusammenarbeit geht weiter, versichert Luisa Mühl. „Wir haben bereits die ersten Bands für das 2025er-festival gemeinsam gebucht.“Mithilfe künstlerisch wertvoller Buchhaltung lässt sich eben eine Menge auf die Beine stellen.