Sächsische Zeitung  (Hoyerswerda)

Wo selbst die Buchhaltun­g künstleris­chen Wert hat

Als Co-chefin des Dresdner Beatpols hat Luisa Mühl zwar viel mit Rock’n’roll, aber noch mehr mit schnöden Zahlen zu tun. Ihre Mutter würde es lieben.

- Von Andy Dallmann Das Dresdner Polimagie-festival wird am 17.4. im Ostpol eröffnet, vom 18. bis 21.4. folgen vier Livemusik-abende im Beatpol. Tages- und Full-festivalti­ckets gibt es in allen Ddv-lokalen sowie online unter www.sz-ticketserv­ice.de.

Wovon jeder dritte Teenager wenigstens phasenweis­e träumt, erfüllte sich für sie ziemlich schnell: Gerade volljährig geworden zog Luisa Mühl von Freiberg nach Dresden um, weil sie profession­ell Musik machen wollte. Und für den Start schien ihr Dresden noch übersichtl­ich, dennoch groß genug, also perfekt passend zu sein. Bald zelebriert­e sie tatsächlic­h den Rock’n’roll, spielte zig Konzerte, ging in Europa und Übersee auf Tour, um jetzt zwar immer noch ganz dicht an der Musik dran, aber eigentlich die Frau für Abrechnung­en, Kalkulatio­nen, für die Buchhaltun­g zu sein. Fast ein bisschen trotzig sagt sie: „Wer die Zahlen nicht im Griff hat, bekommt auch den Rock’n’roll nicht auf die Reihe.“

Bevor in dieser Woche die Neuauflage des Polimagie-festivals im Neustadtcl­ub Ostpol starten und im Beatpol am westlichen Rand Dresdens einen mehrtägige­n Höhepunkt erleben wird, hat auch Luisa Mühl als Beatpol-co-chefin überdurchs­chnittlich viel Stress. Tritt doch nicht eine Haupt- plus Vorband allabendli­ch auf, was auch schon eine Menge Arbeit hinter den Kulissen bedeutet. Nur zum Festival steht eine zweite Bühne im Saal, damit die Wechsel schnell gehen und bis zu fünf, teils vielköpfig­e Ensembles direkt hintereina­nder spielen können. „Für unser Team heißt das extrem wenig Schlaf, manche bleiben deshalb gleich über Nacht im Club.“Sie hingegen fährt dann doch lieber spät als gar nicht nach Hause. Obwohl der Beatpol kein Club wie jeder andere, eben kein muffiges Loch, sondern sogar internatio­nal für seine aufwendige Gästebetre­uung bekannt ist.

Gutes Essen für die Bandmoral

Selbst Bands, die zum ersten Mal anreisten, würden voller Vorfreude den hinter der Bühne servierten Mahlzeiten entgegenfi­ebern. „Es hat sich in der Szene rumgesproc­hen, dass wir den Musikern keine Fertigsala­te oder Fastfood vorsetzen“, sagt Luisa Mühl. „Wer gerade noch ein liebevoll angerichte­tes Menü verputzt hat, geht doch mit viel mehr Lust auf die Bühne.“Die Beatpoltru­ppe glaubt jedenfalls an den direkten Zusammenha­ng zwischen kulinarisc­hem Genuss und Spielfreud­e. Deshalb wurde auch vor einem Jahr ein Koch fest angestellt. Damit hat der Verein insgesamt fünf Vollzeitbe­schäftigte. Diesen Status hat Luisa Mühl seit 2019.

Ihre Erstbegegn­ung mit dem Club liegt bereits zehn Jahre zurück. „Ich kann mich komischerw­eise nicht an mein erstes Konzert erinnern, dafür aber daran, dass ich die Show von King Buzzo im September 2014 noch knapp verpasst habe.“Generell habe sie ein sehr gutes Gedächtnis für Zahlen, könne Bandnamen und dazugehöri­ge Konzertter­mine flugs in der richtigen Kombinatio­n runterspul­en. Ein gewisses Rechen-talent zahlte sich umgehend aus, als sie nicht länger zugucken, sondern aktiv im Verein mitmachen wollte. Die 33-Jährige erinnert sich: „Als ich Lotte, dem damaligen Geschäftsf­ührer, eines Abends von meinen Ambitionen erzählte, sagte er nur knapp: Okay, da kannst du dich doch gleich heute mal hinter den Tresen stellen.“Sie hatte keinerlei Problem damit, statt vorsichtig getestet gleich ins tiefe Wasser geworfen zu werden, übernahm den Job, erledigte ihn hinreichen­d profession­ell und gehörte fortan dazu. Stundenwei­se ackernd und langsam unverzicht­bar werden. Bis schließlic­h Langzeit-boss Hans-jürgen „Lotte“Lachotta 2019 seinen Posten räumte. Carsten Becker übernahm den Job des geschäftsf­ührenden Bandbucher­s, Luisa Mühl rückte an seine Seite als Mitregenti­n und Buchhalter­in, sie hält seither den Laden wirtschaft­lich zusammen. „Meine Mutter findet das großartig“, sagt sie dezent lachend. „Sie wollte immer, dass ich einen richtigen Büro-job mache. Näher wird wohl kaum etwas jemals an ihre Vorstellun­g rankommen.“

Dass sie nicht so richtig für eine bürgerlich­e Karriere taugen würde, bewies sie bereits mit 16. Luisa Mühl: „Ich wollte unbedingt Musik machen, besorgte mir ein Schlagzeug und stellte meine Eltern vor vollendete Tatsachen.“Etwas anderes als Rock’n’roll stand fortan nicht mehr auf ihrem Zettel. Immerhin legte sie sich mächtig ins Zeug und beherrscht­e das Instrument bald so gut, dass sie tatsächlic­h nur drei Jahre später und knapp nach dem Abitur mit der Dresdner Retrorock-combo The Roaring 420s sogar in den USA spielte, in einigen anderen Bands mitmischte und beim dänischen Unternehme­n Powersolo aushalf. Zuletzt war sie mit der Truppe als Tourbeglei­terin unterwegs durch Belgien und Frankreich. Seit ihrem Vollzeit-einstieg beim Beatpol ist das alles Geschichte. „Ich kann nicht in einer Band spielen und zugleich den Club verwalten. Und irgendwas davon halbherzig zu tun, kommt für mich nicht infrage.“Also staubt das Schlagzeug mittlerwei­le im Keller ein, bekommt höchstens noch manchmal einen wehmütigen Blick zugeworfen. „Mein Motto ist jetzt eben: Musik hören statt machen.“Luisa Mühl fegt mit der Hand über den Tisch und grinst. „Außerdem bezeichne ich meine Arbeit als künstleris­ch wertvolle Buchhaltun­g. Schließlic­h geht es ja selbst bei den profansten bürokratis­chen Abläufen immer um den Club und damit um Kultur.“

Klar, ein Verein wie der hinter dem Beatpol tickt völlig anders als ein normales Unternehme­n. „Ende vergangene­n Jahres haben wir einen der von der Bundesregi­erung ausgeschri­ebenen Applaus-awards in der Kategorie ,Bestes Livemusikp­rogramm’ und damit 50.000 Euro zur freien Verwendung gewonnen. Selbstvers­tändlich stecken wir das Geld ins Programm.“So gelte gerade für das Polimagie-festival: „Wir suchen uns erst die Bands zusammen, die wir haben wollen, und klären im zweiten Schritt, wie wir sie bezahlen.“

Angesagte Künstler wie etwa das am Sonnabend als Headliner auftretend­e österreich­ische Duo Cari Cari treffen so auf vielverspr­echende Newcomer. „Entdecken wir eine weitgehend unbekannte Band, die uns wirklich überzeugt, geben wir ihr unbedingt eine Chance.“Das Ziel sei es, immer wieder Talente aufzubauen. „Schaffen sie den Durchbruch, lohnt sich das sogar wirtschaft­lich für uns. Weil sie dann ja den Club füllen und wir genug einnehmen, um wieder den nächsten Auftritt einer Nachwuchsb­and zu subvention­ieren.“

Noch eine clevere und kostensenk­ende Idee hatte das Beatpol-team: Fürs Polimagie-festival werden Bands in Absprache mit dem Pop-salon in Osnabrück gebucht. Die Entfernung ist groß genug, um sich nicht wechselsei­tig Publikum abzujagen, Musiker hingegen können die Strecke von einer Show zur nächsten problemlos schaffen. Diese überregion­ale Zusammenar­beit geht weiter, versichert Luisa Mühl. „Wir haben bereits die ersten Bands für das 2025er-festival gemeinsam gebucht.“Mithilfe künstleris­ch wertvoller Buchhaltun­g lässt sich eben eine Menge auf die Beine stellen.

 ?? Foto: Andreas Jankwerth ?? Keine Szene aus einer Karl-may-film-drehpause, sondern einer der angesagtes­ten Pop-exporte Österreich­s: Das Duo Cari Cari gehört zu den Top-attraktion­en des diesjährig­en Polimagie-festivals und spielt am Sonnabend im Beatpol.
Foto: Andreas Jankwerth Keine Szene aus einer Karl-may-film-drehpause, sondern einer der angesagtes­ten Pop-exporte Österreich­s: Das Duo Cari Cari gehört zu den Top-attraktion­en des diesjährig­en Polimagie-festivals und spielt am Sonnabend im Beatpol.
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Foto: privat Luisa Mühl hat im Beatpol ihren Traumjob gefunden.

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