Sächsische Zeitung (Hoyerswerda)
„Ein Wunder, dass wir uns 1.600 Jahre lang gehalten haben“
Der Film „Bei uns heißt sie Hanka“bringt die Geschichte, Kultur und den Alltag der Sorben auf die große Kinoleinwand.
Sehr zum Glück läuft Grit Lemkes Film jetzt nicht unter „Das vergessene Volk“. Es war für die Regisseurin ein liebgewonnener Arbeitstitel, der es dann doch nicht über die Ziellinie geschafft hat. Der nunmehr gültige, „Bei uns heißt sie Hanka“, erhebt keinen solchen Zeigefinger. Ihm wohnt eine feine Poesie inne, und trotzdem öffnet er, weil ein Zitat, auch eine sachliche Welt, in der sich Tradition und Moderne berühren und kreuzen. Das müsse ja nicht immer Konflikt bedeuten, sagt die sorbische Künstlerin Hella Stoletzki, eine der Protagonistinnen und zugleich wichtige Entdeckung des Films. Der, auch das ist im Grunde Fingerzeig genug, damit beworben wird, er sei der erste Kinofilm „über, von und mit Sorben“.
Kinofilm bedeutet, er ist nicht allein für die Region entstanden, ist kein Mdr-programmpunkt, um versprochene Sendezeit zu füllen. Anders noch als Lemkes Vorgängerwerk, „Gundermann Revier“, geht „Bei uns heißt sie Hanka“direkt auf gesamtdeutsche Leinwände. Im Westen, sagt die als Gritka selbst sorbisch verwurzelte Regisseurin und Buchautorin („Kinder von Hoy“), schaue man schon jetzt etwas argwöhnisch auf ihn, so, als würde er das Nationalistische feiern, was er ja gerade nicht will. Aber: Was will er? Was schafft er?
Nun, wichtig sind vor allem die Fragen, die er stellt. Die dann mit aus dem Kinosaal rausgehen, gerade weil man vielleicht sehr angetan ist von der Begegnung mit Annarosina Wjeselina und ihrem Mann Ignac Wjesela, der Juristin in Ausbildung und dem Biobauern aus Crostwitz (Chrósćicy) nahe Kamenz. Während für ihn praktiziertes Leben und Identität als Sorbe stets gesetzt waren, wollte sie dort erst hineinwachsen. Über die Liebe. Denn die sehr wohl vorhandenen sorbischen Vorfahren spielten in ihrer Familie keine große Rolle.
Als Paar aber haben jetzt beide eine sorbische Vision auch für ihre gemeinsame, bald zweijährige Tochter und ihr zweites Kind, das unterwegs ist, wie sie letzte Woche auf der Dresden-premiere verkündeten. Nicht ohne Stolz. Der Abend im Programmkino Ost zeigte aber auch, wie stabil sensibel das Thema Identität für Teile der Sorben ist. Dass es Fronten gibt und Grenzen im Welt- und Weitblick. Vieles beginnt noch immer bei Sensibilitäten gegenüber Begriffen wie „Minderheit“, „Regionalkultur“, „Volk“und „Sprache“, und es kann dort auch schon wieder enden. Da genügt die pure Feststellung, dass es, wie im Film zu erleben, „sogar“sorbischen Hip-hop gibt, um sich den Vorwurf eines „kolonialen Blicks“einzufangen.
Anna-rosina, die „bei ihnen“Hanka heißt, ist bei Grit Lemke die Säule. Sie spricht offen, begleitet von Alltagsbildern und -tönen, darunter sehr ausführlichen ihrer traditionellen Hochzeit mit Ignac im Gasthof Dreikretscham. Beide engagieren sich im Serbski Sejm für die offizielle Anerkennung der Sorben als indigenes Volk nach Abkommen 169 der internationalen Arbeitsorganisation ILO und nicht länger nur als eine von vier nationalen Minderheiten in Deutschland.
Ein indigenes Volk?
Es ist eine der Fragen eines ganzen Fragenkomplexes, die man aus diesem fein gefilmten Streifen (Kamera: Uwe Mann) mitnimmt und über die zu diskutieren lohnt – frei und ohne Ressentiments. Im besten Falle. Welche Rolle kann der 2018 mit parlamentarischen Strukturen gegründete und gewählte Sejm gerade für die Jüngeren spielen? Soll und kann er sich neben der über 100 Jahre in Stein gemeißelten Domowina als Interessenvertretung der Sorben wirklich behaupten, sie irgendwann sogar ablösen? An der ersten Wahl beteiligten sich nicht einmal zwei Prozent der etwa 60.000 Sorben. Und überhaupt: Wie dringlich sehen sie als Volk der bislang ausgebliebenen Antwort auf das 2023er „Ultimatum“des Serbski Sejm an die Bundesregierung und die Staatsregierungen in Brandenburg und Sachsen entgegen, die „indigene Sache“betreffend? Gibt es ein Fundament
dafür? Es sei ein Wunder, sagt der heute 87-jährige sorbische Schriftsteller Jurij Koch, dass „wir uns 1.600 Jahre lang gehalten haben“. Koch musste einfach in den Film hinein, Grit Lemke war nicht angestrengt auf langer Suche nach geeigneten Protagonisten, sie nutzte zum Teil jahrelang währende Kontakte. Doch sie fand auch Martin, der „mal rechts“war, bei dem „das Denken dann später kam“, weil sein Großvater über seine Herkunft sprach. Als Sorbe. Martin nennt sich heute Męto. Es kommt auch Ginter Pawlis zu Wort, der im gesetzten Alter noch seine Muttersprache erlernt. Oder eben Hella Stoletzki aus Cottbus mit ihrem Kultur- und Kunst-kollektiw Wakuum, die wissen will, wo sie herkommt, um als Sorbin eigene Wege zu gehen, eigene Verbindungen zu knüpfen und Prioritäten zu setzen. Auch auf der Straße, auch beim Demonstrieren gegen Nazis.
Schlichtweg großartig und eine essenzielle Entdeckung durch „Bei uns heißt sie Hanka“ist die Musik von Walburga Walde, eingespielt zusammen mit der polnischen Geigerin Izabela Kałduńska. Faszinierend, wie sorbische Folklore hier mit zeitgenössischen Klängen im besten Sinne fusioniert. Für den Film ist es mehr als ein akustischer Glücksfall, eben auch, weil er Kino sein will. Und da sind die ausufernden Aufnahmen von Feiern und Trachten fürs Auge nötig, während das Kurz-treffen einer sorbischen Delegation in Brüssel mit dem windig-unverbindlichen CDU-CHEF Friedrich Merz wie ein verzichtbarer Kropf wirkt.
Grit Lemke führt als lyrisches Ich durch ihr Werk, bringt sehr persönliche Gedanken ein, um sich geschickt eines gängigen Dok-kommentars zu enthalten. Zu dem aber fühlt sich der Betrachter manchmal regelrecht angespitzt, speziell in einer Szene, da eine „Truhentracht“ans Licht kommt, einer sehr jungen Frau angelegt wird und eine der älteren helfenden Damen mit kleinen Kissen wedelt, weil ihr „die Brust nicht gefällt. Da muss was drunter.“Nein, muss nicht!