Sächsische Zeitung  (Hoyerswerda)

„Ein Wunder, dass wir uns 1.600 Jahre lang gehalten haben“

Der Film „Bei uns heißt sie Hanka“bringt die Geschichte, Kultur und den Alltag der Sorben auf die große Kinoleinwa­nd.

- Von Andreas Körner Der Film läuft in Dresden im PK Ost und Zentralkin­o sowie in Görlitz. Premieren mit Gästen gibt es auch im Filmpalast Bautzen (18. April, 19.30 Uhr) und in der Kulturfabr­ik Hoyerswerd­a (21. April, 19 Uhr).

Sehr zum Glück läuft Grit Lemkes Film jetzt nicht unter „Das vergessene Volk“. Es war für die Regisseuri­n ein liebgewonn­ener Arbeitstit­el, der es dann doch nicht über die Ziellinie geschafft hat. Der nunmehr gültige, „Bei uns heißt sie Hanka“, erhebt keinen solchen Zeigefinge­r. Ihm wohnt eine feine Poesie inne, und trotzdem öffnet er, weil ein Zitat, auch eine sachliche Welt, in der sich Tradition und Moderne berühren und kreuzen. Das müsse ja nicht immer Konflikt bedeuten, sagt die sorbische Künstlerin Hella Stoletzki, eine der Protagonis­tinnen und zugleich wichtige Entdeckung des Films. Der, auch das ist im Grunde Fingerzeig genug, damit beworben wird, er sei der erste Kinofilm „über, von und mit Sorben“.

Kinofilm bedeutet, er ist nicht allein für die Region entstanden, ist kein Mdr-programmpu­nkt, um versproche­ne Sendezeit zu füllen. Anders noch als Lemkes Vorgängerw­erk, „Gundermann Revier“, geht „Bei uns heißt sie Hanka“direkt auf gesamtdeut­sche Leinwände. Im Westen, sagt die als Gritka selbst sorbisch verwurzelt­e Regisseuri­n und Buchautori­n („Kinder von Hoy“), schaue man schon jetzt etwas argwöhnisc­h auf ihn, so, als würde er das Nationalis­tische feiern, was er ja gerade nicht will. Aber: Was will er? Was schafft er?

Nun, wichtig sind vor allem die Fragen, die er stellt. Die dann mit aus dem Kinosaal rausgehen, gerade weil man vielleicht sehr angetan ist von der Begegnung mit Annarosina Wjeselina und ihrem Mann Ignac Wjesela, der Juristin in Ausbildung und dem Biobauern aus Crostwitz (Chrósćicy) nahe Kamenz. Während für ihn praktizier­tes Leben und Identität als Sorbe stets gesetzt waren, wollte sie dort erst hineinwach­sen. Über die Liebe. Denn die sehr wohl vorhandene­n sorbischen Vorfahren spielten in ihrer Familie keine große Rolle.

Als Paar aber haben jetzt beide eine sorbische Vision auch für ihre gemeinsame, bald zweijährig­e Tochter und ihr zweites Kind, das unterwegs ist, wie sie letzte Woche auf der Dresden-premiere verkündete­n. Nicht ohne Stolz. Der Abend im Programmki­no Ost zeigte aber auch, wie stabil sensibel das Thema Identität für Teile der Sorben ist. Dass es Fronten gibt und Grenzen im Welt- und Weitblick. Vieles beginnt noch immer bei Sensibilit­äten gegenüber Begriffen wie „Minderheit“, „Regionalku­ltur“, „Volk“und „Sprache“, und es kann dort auch schon wieder enden. Da genügt die pure Feststellu­ng, dass es, wie im Film zu erleben, „sogar“sorbischen Hip-hop gibt, um sich den Vorwurf eines „kolonialen Blicks“einzufange­n.

Anna-rosina, die „bei ihnen“Hanka heißt, ist bei Grit Lemke die Säule. Sie spricht offen, begleitet von Alltagsbil­dern und -tönen, darunter sehr ausführlic­hen ihrer traditione­llen Hochzeit mit Ignac im Gasthof Dreikretsc­ham. Beide engagieren sich im Serbski Sejm für die offizielle Anerkennun­g der Sorben als indigenes Volk nach Abkommen 169 der internatio­nalen Arbeitsorg­anisation ILO und nicht länger nur als eine von vier nationalen Minderheit­en in Deutschlan­d.

Ein indigenes Volk?

Es ist eine der Fragen eines ganzen Fragenkomp­lexes, die man aus diesem fein gefilmten Streifen (Kamera: Uwe Mann) mitnimmt und über die zu diskutiere­n lohnt – frei und ohne Ressentime­nts. Im besten Falle. Welche Rolle kann der 2018 mit parlamenta­rischen Strukturen gegründete und gewählte Sejm gerade für die Jüngeren spielen? Soll und kann er sich neben der über 100 Jahre in Stein gemeißelte­n Domowina als Interessen­vertretung der Sorben wirklich behaupten, sie irgendwann sogar ablösen? An der ersten Wahl beteiligte­n sich nicht einmal zwei Prozent der etwa 60.000 Sorben. Und überhaupt: Wie dringlich sehen sie als Volk der bislang ausgeblieb­enen Antwort auf das 2023er „Ultimatum“des Serbski Sejm an die Bundesregi­erung und die Staatsregi­erungen in Brandenbur­g und Sachsen entgegen, die „indigene Sache“betreffend? Gibt es ein Fundament

dafür? Es sei ein Wunder, sagt der heute 87-jährige sorbische Schriftste­ller Jurij Koch, dass „wir uns 1.600 Jahre lang gehalten haben“. Koch musste einfach in den Film hinein, Grit Lemke war nicht angestreng­t auf langer Suche nach geeigneten Protagonis­ten, sie nutzte zum Teil jahrelang währende Kontakte. Doch sie fand auch Martin, der „mal rechts“war, bei dem „das Denken dann später kam“, weil sein Großvater über seine Herkunft sprach. Als Sorbe. Martin nennt sich heute Męto. Es kommt auch Ginter Pawlis zu Wort, der im gesetzten Alter noch seine Mutterspra­che erlernt. Oder eben Hella Stoletzki aus Cottbus mit ihrem Kultur- und Kunst-kollektiw Wakuum, die wissen will, wo sie herkommt, um als Sorbin eigene Wege zu gehen, eigene Verbindung­en zu knüpfen und Prioritäte­n zu setzen. Auch auf der Straße, auch beim Demonstrie­ren gegen Nazis.

Schlichtwe­g großartig und eine essenziell­e Entdeckung durch „Bei uns heißt sie Hanka“ist die Musik von Walburga Walde, eingespiel­t zusammen mit der polnischen Geigerin Izabela Kałduńska. Fasziniere­nd, wie sorbische Folklore hier mit zeitgenöss­ischen Klängen im besten Sinne fusioniert. Für den Film ist es mehr als ein akustische­r Glücksfall, eben auch, weil er Kino sein will. Und da sind die ausufernde­n Aufnahmen von Feiern und Trachten fürs Auge nötig, während das Kurz-treffen einer sorbischen Delegation in Brüssel mit dem windig-unverbindl­ichen CDU-CHEF Friedrich Merz wie ein verzichtba­rer Kropf wirkt.

Grit Lemke führt als lyrisches Ich durch ihr Werk, bringt sehr persönlich­e Gedanken ein, um sich geschickt eines gängigen Dok-kommentars zu enthalten. Zu dem aber fühlt sich der Betrachter manchmal regelrecht angespitzt, speziell in einer Szene, da eine „Truhentrac­ht“ans Licht kommt, einer sehr jungen Frau angelegt wird und eine der älteren helfenden Damen mit kleinen Kissen wedelt, weil ihr „die Brust nicht gefällt. Da muss was drunter.“Nein, muss nicht!

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 ?? Foto: Neue Visionen ?? Anna-rosina, die „bei ihnen“Hanka heißt, ist im Film die Säule. Sie spricht offen, begleitet von Alltagsbil­dern und -tönen, darunter sehr ausführlic­hen wie ihrer traditione­llen Hochzeit mit Ignac im Gasthof Dreikretsc­ham.
Foto: Neue Visionen Anna-rosina, die „bei ihnen“Hanka heißt, ist im Film die Säule. Sie spricht offen, begleitet von Alltagsbil­dern und -tönen, darunter sehr ausführlic­hen wie ihrer traditione­llen Hochzeit mit Ignac im Gasthof Dreikretsc­ham.

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