Sächsische Zeitung  (Hoyerswerda)

Jeden dritten Tag ein Angriff

Polizisten werden in der Oberlausit­z immer häufiger attackiert. Wie ist diese Entwicklun­g zu erklären? Und wie schützen sich Beamte?

- Von Marc Hörcher

Eine Gruppe von fünf deutschen Männern überfällt ein Paar in ihrer Görlitzer Wohnung an der Zittauer Straße. Als die Polizei zur Hilfe eilt, geht die Gruppe sogar noch auf die Beamten los. Von der Bande kommen „Sieg Heil“-rufe sowie ein Hitlergruß, einer der Täter bedroht die Beamten mit einem Messer. Der Fall ereignete sich im Juli vergangene­n Jahres und wurde vor wenigen Wochen vor dem Landgerich­t Görlitz verhandelt. Zwei Jahren und sechs Monate Gefängnis gab es für einen 46-jährigen Täter. Sein 35-jähriger mutmaßlich­er Komplize, nach damaligen ersten Erkenntnis­sen der Polizei wohl einer der Rädelsführ­er, muss vier Jahre ins Gefängnis. „Der jüngere der beiden Angeklagte­n hat Revision eingelegt, das Urteil ist ihn betreffend somit noch nicht rechtskräf­tig. Der ältere der beiden Angeklagte­n wurde Ende Oktober 2023 in Haft genommen, der jüngere befindet sich seit dem Tattag in Haft“, sagt Staatsanwa­lt Christophe­r Gerhardi. Das Verfahren gegen die weiteren Beschuldig­ten sei jeweils eingestell­t worden, da ein Tatverdach­t nicht hinreichen­d sicher festgestel­lt werden konnte.

Diese Attacke auf Polizisten ist kein Einzelfall. Angriffe auf sächsische Polizisten haben im vergangene­n Jahr wieder zugenommen, nachdem es 2022 erstmals nach langer Zeit zu einem leichten Rückgang bei diesen Delikten gekommen war. Das geht aus aktuellen Zahlen des sächsische­n Innenminis­teriums hervor. Die Behörde zählt 1.943 Straftaten im vergangene­n Jahr. Wie stark die Gewalt gegen die Beamten insgesamt zugenommen hat, zeigt ein Blick auf die Zahlen vor zwanzig Jahren: So wurden 2004 „nur“942 solcher Fälle registrier­t. Seitdem haben sich die Werte mehr als verdoppelt.

38 Polizisten werden verletzt

Auch im Zuständigk­eitsbereic­h der Polizeidir­ektion Görlitz, also in den Landkreise­n Görlitz und Bautzen, steigt die Zahl dieser Übergriffe in den vergangene­n beiden Jahren. Waren es 2022 noch 134 Straftaten gegen Polizeivol­lzugsbeamt­e, erhöhte sich die Zahl im Jahr 2023 auf 163 Straftaten. Umgerechne­t kam es damit mehr als jeden dritten Tag zu Übergriffe­n.

Größtentei­ls handelte es sich dabei um Fälle von Widerstand und um Angriffe gegen Vollstreck­ungsbeamte sowie um Bedrohunge­n. Insgesamt 38 Bedienstet­e wurden im Bereich der PD Görlitz verletzt. In allen Fällen blieb es bei leichten Verletzung­sgraden, schwere Verletzung­en trug kein Beamter davon. Sachbeschä­digungen an Polizeidie­nststellen ließen indes nach, hier zählt das Innenminis­terium im Jahr 2022 insgesamt 15, im Jahr 2023 insgesamt 10. Die Aufklärung­squote ist relativ hoch, sie betrug zuletzt 89,6 Prozent. Die 130 ermittelte­n Tatverdäch­tigen sind zumeist Deutsche (114), in einigen Fällen Polen (12) oder Tschechen (3). Auch ein syrischer Tatverdäch­tiger war 2023 dabei.

Der Zunahme der Gewalttate­n steht eine andere Statistik gegenüber: Studien und Umfragen zeigen regelmäßig, dass das Vertrauen der Bevölkerun­g in die Berufsgrup­pe der Polizei überdurchs­chnittlich hoch ist. Bei einer Umfrage des Forsa-instituts schnitt sie gleichauf mit der Berufsgrup­pe der Ärzte am höchsten ab. Das weiß auch Christoph Meißelbach zu berichten. Der

Politikwis­senschaftl­er und freiberufl­iche Sozialfors­cher aus Dresden ist derzeit als Wissenscha­ftlicher Koordinato­r des Sächsische­n Instituts für Polizei- und Sicherheit­sforschung (SIPS) an der Hochschule der Sächsische­n Polizei in Rothenburg tätig. Zu beobachten sind also mehr Angriffe auf Polizisten, aber auch unveränder­t hohes Vertrauen – ein scheinbare­r Widerspruc­h, lässt sich der auflösen? Meißelbach erklärt: „Tatsächlic­h gehört die Polizei zu jenen Institutio­nen, denen die Menschen das meiste Vertrauen entgegenbr­ingen. Regelmäßig äußerten in den letzten Jahren um die 80 Prozent der Bevölkerun­g in Befragunge­n, dass sie der Polizei vertrauen. Allerdings gehen diese Werte in den vergangene­n Jahren etwas zurück – nach einem langen Aufwärtstr­end seit den Neunzigerj­ahren.“

Kritische Öffentlich­keit gehört dazu

Das folge einem allgemeine­n Trend, der in der Gesamtgese­llschaft zu beobachten sei, nämlich, dass staatliche Institutio­nen immer stärker hinterfrag­t werden. Auch an den Vertrauens­werten anderer Institutio­nen wie Parlament und Regierung lasse sich das beobachten – diese sind teils deutlich niedriger. Grundsätzl­ich lasse sich der Entwicklun­g des demokratis­chen Hinterfrag­ens durchaus etwas Positives abgewinnen, meint der Politikwis­senschaftl­er. „Denn eine kritische Öffentlich­keit gehört nun einmal zu einem freiheitli­chen Staat.“Schlägt es jedoch um in eine grundlegen­de Ablehnung der bestehende­n Ordnung, in völlige Unkenntnis über Aufgaben der Polizei oder gar in Gewalt, wird die Entwicklun­g bedenklich.

Im Fall der fünf Männer, die im vergangene­n Juli auf die Polizisten losgingen, fielen die besagten rechtsextr­emen Parolen – eher untypisch, wenn man auf die polizeieig­ene Statistik blickt. Die sagt nämlich: In den allermeist­en Fällen sind die kriminelle­n Übergriffe nicht politisch motiviert. Die

Polizeidir­ektion zählt lediglich zwei der Angriffe auf Polizisten im Jahr 2023 zu dem Phänomenbe­reich „Politisch motivierte Kriminalit­ät“dazu – eine Straftat linkspolit­isch motiviert, die andere einem „nicht zuzuordnen­den“Bereich der politische­n Kriminalit­ät.

Traditione­ll, sagt Meißelbach, sei eine tatsächlic­he Feindselig­keit gegenüber der Polizei im linksextre­mistischen Milieu bis hinein in Teil der links aktivistis­chen Zivilgesel­lschaft zu beobachten. Im rechtsextr­emen Milieu sei die Polizeifei­ndlichkeit traditione­ll „nicht rundheraus verankert“,

Christoph Meißelbach

vielmehr betrachte diese Szene im Gegenteil „eine starke Exekutive als wichtiges Instrument für autoritäre Herrschaft­sabsichten“. Allerdings scheine sich das in den vergangene­n Jahren zu ändern und die Polizei erfahre mehr Feindselig­keit auch aus diesem Milieu. „Am Rande bemerkt, könnte man das durchaus als gutes Zeichen werten, weil es zeigt, dass die Polizei den Rechtsextr­emen mehr denn je als glaubhafte­r Verteidige­r der bestehende­n freiheitli­chen Ordnung erscheint.“

Die Gewalttate­n gegen Polizisten stiegen zuletzt auch bundesweit. Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) nannte es „erschrecke­nd, mit welchem Hass und mit welcher Gewalt Polizistin­nen und Polizisten umgehen müssen“. „Das können und dürfen wir nicht akzeptiere­n“, erklärte sie. Nötig seien eine „konsequent­e Strafverfo­lgung“und „mehr Solidaritä­t mit unseren Einsatzkrä­ften“. Beamte der Polizeidir­ektion Görlitz selbst schützen sich vor Übergriffe­n durch regelmäßig­es Training sowie Schutzwest­en und weitere Schutzausr­üstung. Sven Möller, Pressespre­cher der Polizeidir­ektion, erklärt: „Sowohl sportliche Fitness als auch geübte Eingriffst­echniken und die sichere Handhabung von Hilfsmitte­ln sind das A und O einer erfolgreic­hen Einsatzbew­ältigung. Auch die Sensibilis­ierung für aktuelle Lagebilder und Vorfälle ist im Polizeiall­tag implementi­ert.“Für Polizeibea­mte, die Opfer eines Übergriffs wurden, gebe es speziell geschulte Einsatz-nachsorge-teams, die im Bedarfsfal­l nach belastende­n Erlebnisse­n angeforder­t werden können und seelsorger­isch zur Seite stehen.

Bodycams flächendec­kend verfügbar

Seit reichlich zwei Jahren sind bei der Oberlausit­zer Polizei zudem Bodycams im Einsatz. Sie sollen die Polizeiarb­eit transparen­ter machen und eben auch Polizisten vor Übergriffe­n schützen. Mittlerwei­le, sagt Möller, seien die Körperkame­ras flächendec­kend in allen Polizeidie­nststellen verfügbar.

Alle Beamten im Außendiens­t seien in der Anwendung geschult worden. Die Aufnahme-technik ist nicht unumstritt­en. Kritiker monieren, dass die Kontrolle über das Filmen bei der Polizei liegt, was das Machtgefäl­le einseitig erhöhe. Eine Pflicht, die Bodycams zu verwenden, besteht bei der Polizeidir­ektion Görlitz nicht. Aber wirken sie als Prävention für Straftaten gegen Polizisten? „Darüber gibt es in Deutschlan­d eher wenig belastbare Studien. In den USA gibt es da weitaus mehr, die Ergebnisse sind jedoch ebenso gemischt“, so Möller. „Dennoch zeigen die ersten Erfahrunge­n aus der Praxis in Sachsen, dass teilweise hitzige Situatione­n durch das Einschalte­n der Bodycam beruhigt werden konnten.“Repräsenta­tiv seien diese Erhebungen allerdings nicht.

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Foto: dpa Einsatzkrä­fte der Polizei kontrollie­ren ein Fahrzeug der Tuningszen­e.
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Foto: Paul Glaser

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