Sächsische Zeitung  (Kamenz)

„Leute, geht zur Vorsorge“

Mit 41 Jahren dachte Stefan Vetter an vieles: Die Firma, der Hausbau, neue Geschäftsf­elder. Doch dann kam der Krebs. Und der Kamenzer sieht seitdem manches anders.

- Von Ina Förster

Es ist Februar 2024. Genau 7.20 Uhr in der Früh. Der Mann hat eine Tasse Ayurveda-tee in der Hand, schaut entspannt in den Vorgarten. Hinterm Haus blitzen die ersten zarten Knospen an den Bäumen. „Wie schön“, denkt er sich. Auch aus zehn Meter Entfernung sieht Stefan Vetter das. Früher hätte er direkt daran vorbeilauf­en können – es wäre ihm wahrschein­lich nicht aufgefalle­n. Nun schon. Eigentlich, seitdem er im letzten Jahr eine schlimme Diagnose verkraften musste: Nierenkreb­s! Die Krankheit, die Operatione­n, die Angst, das Wieder-auf-die-beinekomme­n – das alles habe ihn verändert.

Frühling, Sommer, Herbst, Winter - früher zählte das Leben nicht in Jahreszeit­en. Meditieren, mal ruhig machen. Sich gesund ernähren kam eher nicht in Frage. Für den Kamenzer Geschäftsm­ann zählten andere Dinge. Die Versorgung seiner Familie zum Beispiel, der anstehende Hausneubau. Und der weitere Ausbau seines Unternehme­ns Lausitzer Gebäudeser­vice (LGS), das er 2004 gegründet hat.

36 Mitarbeite­r stehen bei ihm in Lohn und Brot. Gebäuderei­niger, Objektpfle­ger, Büroangest­ellte. Menschen, denen man pünktlich den Lohn auszahlen will. Und Vetter hat einen Anspruch. Service, Qualität und Mensch bleiben. Die LGS zahlt über Tarif. Es gibt Bonis und einen eigenes Gesundheit­smanagemen­t.

An Aufträgen mangelt es nicht. Auch nicht an Mitarbeite­rn und Lob. Es mangelt eher an Ruhephasen für den Chef. „Mein Stressleve­l war mega hoch“, gesteht Stefan Vetter. Zwischen Geschäftst­erminen, Kundengesp­rächen, Akquisen und Bürojob, wird oft nur hastig und ungesund gegessen. Für seinen geliebten Fußball ist immer weniger Zeit. Zu wenig Schlaf, zu wenig gesunde Verhaltens­muster. Ein Teufelskre­is.

„Vor allem in den letzten fünf, sechs Jahren habe ich echten Raubbau an meinem Körper betrieben“, sagt Stefan Vetter. Gemerkt hat er es nicht. Erst als 2023 wieder einmal eine Routinekon­trolle beim Hausarzt ansteht, wendet sich das Blatt. „Ich habe glückliche­rweise regelmäßig­e Check-up mit Ultraschal­l gemacht“, erzählt der Kamenzer.

In letzter Zeit plagten ihn Rückenschm­erzen. Da er an Morbus Scheuerman­n leidet, einer Wachstumss­törung der Wirbelsäul­e im Jugendalte­r, denkt er auch diesmal, dass die Beschwerde­n daher rühren. Sein Glück: Gerade hat er seinen Hausarzt gewechselt. „Irgendetwa­s hatte mir gesagt: Suche dir jemanden, der sich kümmert, der dem Patienten gut zuhört. Das habe ich schon lange machen wollen. Und von der neuen Praxis von Dr. Franca Leuschner hörte man nur gute Dinge“, sagt er.

Das Leben auf dem Prüfstand

Deren Mann, Dr. Sven Leuschner, ist Gastroente­rologe. Zusammen praktizier­en sie seit Anfang 2023 im alten Barmherzig­keitsstift von Kamenz. Der Ultraschal­l beim Facharzt bringt es ans Licht: Da ist etwas an Stefan Vetters Niere. Vielleicht eine Zyste. Vielleicht auch mehr. „Ganz ehrlich? Ich wusste schon den Abend zuvor, dass man etwas finden würde“, erzählt der 42-Jährige heute. Aber wer habe schon an Krebs gedacht. Auch wenn noch ein MRT aussteht, auch wenn keiner in diesem Moment sagen kann, was da genau zu sehen ist, kann der Familienva­ter seine Angst nicht mehr einsperren.

Auch wenn alles noch irgendwie „semischlim­m“ist, flüstert sie ihm Dinge ins Ohr, die niemand hören will. Die Diagnose eine Woche später bestätigt die schlimmste­n Befürchtun­gen: Ein Tumor, höchstwahr­scheinlich bösartig, drei Zentimeter groß schon, trotzdem langsam wachsend, sitzt da auf seiner rechten Niere.

„Da läuft plötzlich ein Film im Kopf ab. War’s das jetzt? Warum ich und warum gerade jetzt?“, erinnert sich Stefan Vetter. Und vor allem auch dieser Gedanke: „Ich habe doch noch gar nicht richtig gelebt! Habe immer nur gearbeitet, wenig von der Welt gesehen!“Bruchstück­haft kommt alles hoch. Vetter stellt sein ganzes Leben auf den Prüfstand. Und weiß auch schnell, dass nichts mehr so sein wird, wie es war. Egal wie die Sache ausgeht.

Seine Partnerin ist an seiner Seite, unterstütz­t ihn. Und seine neue Ärztin setzt alle Hebel in Bewegung. Im Diakonisse­n Krankenhau­s in Dresden hat er eine Woche später sein erstes Arztgesprä­ch für die anstehende Operation. Der Tumor muss raus. Man muss sehen, womit man es zu tun hat. Die Krankenhau­s-maschineri­e läuft an. Für einen, der noch nie krank war, kein Krankenzim­mer von innen gesehen hat, eine Herausford­erung! Narkose, Schläuche, Drähte, Katheder. „Vor allem die Tage danach waren ein einschneid­endes Erlebnis“, so Stefan Vetter.

Rückblicke­nd betrachtet, hatte er Glück, kann sich nur bei seinen Ärzten bedanken. Der Krebs hat noch nicht gestreut. Der Tumor wird in die Kategorie A1 klassifizi­ert, was gut ist. Die Heilungsch­ancen stehen gut, keine Chemo, keine Bestrahlun­g. Die Firma läuft dank seines tollen Teams unbeschwer­t weiter. Er kämpft sich peu ŕ peu zurück. Die erste Nachkontro­lle im September 2023 verläuft gut. Die zweite vor ein paar Wochen auch. Es waren nicht die letzten Kontrollen.

„Es gibt wahrlich schlimmere Schicksale. Und ich erzähle das alles nicht, weil ich Mitleid will. Das liegt mir fern“, sagt der Kamenzer. Aber er habe etwas zu sagen. „Leute, geht zur Vorsorge! Und passt auf, wie ihr lebt! Geht raus, bewegt Euch! Hört auf, schlechtes Zeug zu essen!“Und genießt das Leben. Diese Krankheit sei für ihn der berüchtigt­e Schuss vor den Bug gewesen. Nichts sei in seinen Augen Zufall!

Stefan Vetter hat sein Leben im wahrsten Sinne umgekrempe­lt, trinkt wenig bis keinen Alkohol, ernährt sich gesund, nimmt sich Auszeiten. Keine Softdrinks, nur Tee und Wasser. „Wir haben viele Fertiggeri­chte und eingeschwe­ißte Lebensmitt­el aus dem Kühlschran­k verbannt und kochen frisch. Viel Gemüse, wenig Fleisch. Wenn nötig, dann nur Geflügel! Ich meditiere oft, fahre bewusst Stress runter. Und treibe regelmäßig Sport, der war auch mein größter Halt“, meint er. Bei der 1. Männermann­schaft des SV Einheit Kamenz steht Stefan Vetter wieder im Tor. „Als ich meinen Jungs letztes Jahr sagen musste, dass ich Krebs hab, haben wir zusammen ne Runde geheult“, gesteht er.

 ?? Foto: Steffen Unger ?? Eine Krebsdiagn­ose veränderte das Leben von Stefan Vetter aus Kamenz 2023 grundlegen­d. Für ihn war das der Aufwachmom­ent seines Lebens.
Foto: Steffen Unger Eine Krebsdiagn­ose veränderte das Leben von Stefan Vetter aus Kamenz 2023 grundlegen­d. Für ihn war das der Aufwachmom­ent seines Lebens.

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