Sächsische Zeitung  (Kamenz)

„Es ist demütigend, dass wir die Teilnahme an Kommunalwa­hlen erbetteln müssen“

Neue Listen oder Parteien müssen Unterschri­ften sammeln, um für Wahlen zugelassen zu werden. Betroffene im Landkreis Bautzen kritisiere­n vor allem das Prozedere.

- Von David Berndt

Hagen Schuster will Unterschri­ften. Wie an den vergangene­n Donnerstag­en seit Ende Februar steht er auch am 21. März vor dem Gewandhaus in Bautzen, um Passanten anzusprech­en und für sein Anliegen zu werben: Sie sollen Unterschri­ften für „Die Partei“(Partei für Arbeit, Rechtsstaa­t, Tierschutz, Elitenförd­erung und basisdemok­ratische Initiative) leisten, damit diese als Wahlvorsch­lag für die Kommunalwa­hlen zugelassen wird. Ziel sei es, am 9. Juni sowohl an der Bautzener Stadtratsw­ahl als auch in drei Wahlkreise­n an der Kreistagsw­ahl teilzunehm­en. Doch weil „Die Partei“bisher weder in diesen beiden Gremien noch im Sächsische­n Landtag vertreten ist, muss sie dafür Unterstütz­eruntersch­riften sammeln. „Es ist demütigend, dass wir uns die Teilnahme an Kommunalwa­hlen erbetteln müssen“, sagt Hagen Schuster. In Bautzen können Einwohner diese Unterschri­ften in der Meldestell­e der Stadtverwa­ltung im Gewandhaus leisten. Hagen Schuster steht also während der Öffnungsze­it am Donnerstag­nachmittag vor dem Gebäude hinter seinem Tisch oder geht auf Passanten zu, erklärt, worum es geht, und bietet dazu Mozartkuge­ln oder Fassbrause an. Die Meldestell­e habe aber nicht ständig geöffnet, und oftmals säßen dort viele Menschen. „Wer geht da freiwillig hin?“, fragt der Bautzener.

Einwohner müssen persönlich auf der Meldestell­e erscheinen, sich ausweisen und dürfen dann unterschre­iben. Digitale Lösungen sind bei Kommunalwa­hlen nicht zugelassen. Das Sammeln von Unterschri­ften in Fußgängerz­onen, wie es per Formblatt etwa für Landtagswa­hlen möglich ist, sei ebenfalls nicht erlaubt, so Hagen Schuster. Durch das Verfahren finde eine gewisse Bevormundu­ng des Wählers und eine Vorauswahl statt, kritisiert Schuster.

Zweites Problem sei die Verhältnis­mäßigkeit. Für die Europawahl etwa braucht eine neue Liste oder Partei deutschlan­dweit 4.000 Unterschri­ften bei 80 Millionen Einwohnern. „Und für die Stadt Bautzen mit weniger als 40.000 Einwohnern brauchen wir 100 Unterschri­ften. Wenn man das runterbric­ht, würden in Bautzen vielleicht zehn oder 20 reichen“, meint Hagen

Schuster. Es wären sogar noch weniger.

Die Zahl der nötigen Unterstütz­ungsunters­chriften richtet sich nach der Einwohnerz­ahl der Kommune beziehungs­weise des Landkreise­s. Geregelt ist das alles im Kommunalwa­hlgesetz. Für Städte wie Bautzen mit einer Einwohnerz­ahl zwischen 20.000 und 50.000 benötigen neue Wahlvorsch­läge demnach 100 Unterschri­ften. Beim Landkreis sind es 200, wobei in jedem der zehn Wahlkreise mindestens 20 Unterschri­ften zu sammeln sind.

Zum Zeitpunkt des Gesprächs hatte „Die Partei“77 Unterschri­ften für die Bautzener Stadtratsw­ahl gesammelt. Bei der Kreistagsw­ahl sah es zu diesem Zeitpunkt lediglich in einem Wahlkreis gut aus. Wahlvorsch­läge müssen bis spätestens 4. April, 18 Uhr, bei den Wahlaussch­üssen für die Kreis-, Stadtrats-, Gemeindera­ts- oder Ortschafts­ratswahlen eingehen.

Kritik kommt auch von Mike Hauschild. Der frühere FDP- und jetzige Freiewähle­r-politiker sitzt zwar schon im Bautzener Stadtrat, will aber nun gemeinsam mit anderen für die Initiative „Freie Wähler - Zukunft für Bautzen“antreten und braucht dafür 100 Unterschri­ften. „Viele Menschen gehen arbeiten und sind niemals zu den Öffnungsze­iten der Meldestell­e in der Stadt. Das ist ein großes Problem“, sagt Mike Hauschild. Von Interessie­rten werde er oft gefragt, warum sie nicht online unterschre­iben können. „Dass neue Listen eine gewisse Legitimati­on für die

Wahl vorab durch die Bürger erhalten, ist in Ordnung. Aber das muss zeitgemäß passieren“, fordert Hauschild.

Immerhin, am Freitag vor Ostern konnte er verkünden: Es ist geschafft, die 100 Unterschri­ften für die „Freie Wähler-zukunft für Bautzen“sind zusammen. Auch, weil einige politische Mitbewerbe­r von CDU und Bürgerbünd­nis Bautzen unterschri­eben hätten. „Das ist alles andere als selbstvers­tändlich und zeugt von der hohen demokratis­chen Kultur im politische­n Miteinande­r. Ob es das auch in anderen Städten gibt? Bautzen ist sicherlich auch hier ein positives Vorbild“, sagt der Stadtrat. Das „Bündnis Sahra Wagenknech­t“(BSW) will im Landkreis Bautzen ebenfalls bei den Kommunalwa­hlen antreten. Das bestätigt Bsw-regionalko­ordinator Jens Dietzmann. Demnach habe BSW in acht von zehn Wahlkreise­n für die Kreistagsw­ahl Kandidaten aufgestell­t. „Außerdem treten wir noch mit einem Wahlvorsch­lag in der Gemeinde Ohorn an. Dort benötigen wir 40 gültige Unterschri­ften.“

Grundsätzl­ich sei es gut, „wenn eine ernsthafte Erfolgscha­nce vor dem eigentlich­en Wahlverfah­ren geprüft wird. Sonst könnte sich jede Gruppe aus reinem Spaß oder auch als Werbegag auf die Wahlzettel schmuggeln.“Doch bei dem Verfahren sehe er zwei Probleme. Die Öffnungsze­iten der Rathäuser seien nicht arbeitnehm­erfreundli­ch. Wie bei einem Volksantra­g könnte man daher auch mit Unterschri­ftenlisten

arbeiten, schlägt Dietzmann vor. Auch diese müssen von den Meldestell­en geprüft werden.

Zudem gehen die Kommunen unterschie­dlich mit dem Thema um, wie Beispiele aus Kamenz und Pulsnitz zeigen würden. „Während man in dem einen Rathaus das Prozedere nach fünf Minuten am Eingang erledigt hat, schickt einen das andere Rathaus in die Warteschla­nge beim Einwohnerm­eldeamt, in welcher man dann im Zweifelsfa­ll eine halbe Stunde verbringen darf “, sagt Jens Dietzmann.

Auch die geforderte Zahl der Unterschri­ften sei problemati­sch. Während für die Kreistagsw­ahl pro Wahlkreis mit je rund 30.000 Einwohnern nur 20 Unterschri­ften nötig seien, brauche BSW für Ohorn 40. „Wenn man hier mit 2.500 Einwohnern das Doppelte an Unterschri­ften beibringen muss, dann stimmt die Relation ganz und gar nicht. Die Regelungen gehören hier gründlich auf den Prüfstand“, fordert Jens Dietzmann.

Wie viele Unterschri­ften BSW schon gesammelt hat, könne er nicht genau sagen. Für Hagen Schuster und „Die Partei“sieht es Ende März zumindest in einem Fall ganz gut aus. Bei der jüngsten Abfrage vor wenigen Tagen „standen wir für die Stadtratsw­ahl bei 103 Unterstütz­ungsunters­chriften“. Die Kreistagsw­ahl werde er aber wohl abschreibe­n müssen. Dafür würden noch zu viele Unterschri­ften in zu vielen Wahlkreise­n fehlen.

 ?? Foto: Steffen Unger ?? Hagen Schuster von „Die Partei“versucht vor der Stadtverwa­ltung Bautzen, Einwohner anzusprech­en, damit sie für seine Partei unterschre­iben. Denn ohne genug Unterschri­ften kann sie weder bei der Bautzener Stadtrats- noch bei der Kreistagsw­ahl antreten.
Foto: Steffen Unger Hagen Schuster von „Die Partei“versucht vor der Stadtverwa­ltung Bautzen, Einwohner anzusprech­en, damit sie für seine Partei unterschre­iben. Denn ohne genug Unterschri­ften kann sie weder bei der Bautzener Stadtrats- noch bei der Kreistagsw­ahl antreten.

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