„Es ist demütigend, dass wir die Teilnahme an Kommunalwahlen erbetteln müssen“
Neue Listen oder Parteien müssen Unterschriften sammeln, um für Wahlen zugelassen zu werden. Betroffene im Landkreis Bautzen kritisieren vor allem das Prozedere.
Hagen Schuster will Unterschriften. Wie an den vergangenen Donnerstagen seit Ende Februar steht er auch am 21. März vor dem Gewandhaus in Bautzen, um Passanten anzusprechen und für sein Anliegen zu werben: Sie sollen Unterschriften für „Die Partei“(Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative) leisten, damit diese als Wahlvorschlag für die Kommunalwahlen zugelassen wird. Ziel sei es, am 9. Juni sowohl an der Bautzener Stadtratswahl als auch in drei Wahlkreisen an der Kreistagswahl teilzunehmen. Doch weil „Die Partei“bisher weder in diesen beiden Gremien noch im Sächsischen Landtag vertreten ist, muss sie dafür Unterstützerunterschriften sammeln. „Es ist demütigend, dass wir uns die Teilnahme an Kommunalwahlen erbetteln müssen“, sagt Hagen Schuster. In Bautzen können Einwohner diese Unterschriften in der Meldestelle der Stadtverwaltung im Gewandhaus leisten. Hagen Schuster steht also während der Öffnungszeit am Donnerstagnachmittag vor dem Gebäude hinter seinem Tisch oder geht auf Passanten zu, erklärt, worum es geht, und bietet dazu Mozartkugeln oder Fassbrause an. Die Meldestelle habe aber nicht ständig geöffnet, und oftmals säßen dort viele Menschen. „Wer geht da freiwillig hin?“, fragt der Bautzener.
Einwohner müssen persönlich auf der Meldestelle erscheinen, sich ausweisen und dürfen dann unterschreiben. Digitale Lösungen sind bei Kommunalwahlen nicht zugelassen. Das Sammeln von Unterschriften in Fußgängerzonen, wie es per Formblatt etwa für Landtagswahlen möglich ist, sei ebenfalls nicht erlaubt, so Hagen Schuster. Durch das Verfahren finde eine gewisse Bevormundung des Wählers und eine Vorauswahl statt, kritisiert Schuster.
Zweites Problem sei die Verhältnismäßigkeit. Für die Europawahl etwa braucht eine neue Liste oder Partei deutschlandweit 4.000 Unterschriften bei 80 Millionen Einwohnern. „Und für die Stadt Bautzen mit weniger als 40.000 Einwohnern brauchen wir 100 Unterschriften. Wenn man das runterbricht, würden in Bautzen vielleicht zehn oder 20 reichen“, meint Hagen
Schuster. Es wären sogar noch weniger.
Die Zahl der nötigen Unterstützungsunterschriften richtet sich nach der Einwohnerzahl der Kommune beziehungsweise des Landkreises. Geregelt ist das alles im Kommunalwahlgesetz. Für Städte wie Bautzen mit einer Einwohnerzahl zwischen 20.000 und 50.000 benötigen neue Wahlvorschläge demnach 100 Unterschriften. Beim Landkreis sind es 200, wobei in jedem der zehn Wahlkreise mindestens 20 Unterschriften zu sammeln sind.
Zum Zeitpunkt des Gesprächs hatte „Die Partei“77 Unterschriften für die Bautzener Stadtratswahl gesammelt. Bei der Kreistagswahl sah es zu diesem Zeitpunkt lediglich in einem Wahlkreis gut aus. Wahlvorschläge müssen bis spätestens 4. April, 18 Uhr, bei den Wahlausschüssen für die Kreis-, Stadtrats-, Gemeinderats- oder Ortschaftsratswahlen eingehen.
Kritik kommt auch von Mike Hauschild. Der frühere FDP- und jetzige Freiewähler-politiker sitzt zwar schon im Bautzener Stadtrat, will aber nun gemeinsam mit anderen für die Initiative „Freie Wähler - Zukunft für Bautzen“antreten und braucht dafür 100 Unterschriften. „Viele Menschen gehen arbeiten und sind niemals zu den Öffnungszeiten der Meldestelle in der Stadt. Das ist ein großes Problem“, sagt Mike Hauschild. Von Interessierten werde er oft gefragt, warum sie nicht online unterschreiben können. „Dass neue Listen eine gewisse Legitimation für die
Wahl vorab durch die Bürger erhalten, ist in Ordnung. Aber das muss zeitgemäß passieren“, fordert Hauschild.
Immerhin, am Freitag vor Ostern konnte er verkünden: Es ist geschafft, die 100 Unterschriften für die „Freie Wähler-zukunft für Bautzen“sind zusammen. Auch, weil einige politische Mitbewerber von CDU und Bürgerbündnis Bautzen unterschrieben hätten. „Das ist alles andere als selbstverständlich und zeugt von der hohen demokratischen Kultur im politischen Miteinander. Ob es das auch in anderen Städten gibt? Bautzen ist sicherlich auch hier ein positives Vorbild“, sagt der Stadtrat. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“(BSW) will im Landkreis Bautzen ebenfalls bei den Kommunalwahlen antreten. Das bestätigt Bsw-regionalkoordinator Jens Dietzmann. Demnach habe BSW in acht von zehn Wahlkreisen für die Kreistagswahl Kandidaten aufgestellt. „Außerdem treten wir noch mit einem Wahlvorschlag in der Gemeinde Ohorn an. Dort benötigen wir 40 gültige Unterschriften.“
Grundsätzlich sei es gut, „wenn eine ernsthafte Erfolgschance vor dem eigentlichen Wahlverfahren geprüft wird. Sonst könnte sich jede Gruppe aus reinem Spaß oder auch als Werbegag auf die Wahlzettel schmuggeln.“Doch bei dem Verfahren sehe er zwei Probleme. Die Öffnungszeiten der Rathäuser seien nicht arbeitnehmerfreundlich. Wie bei einem Volksantrag könnte man daher auch mit Unterschriftenlisten
arbeiten, schlägt Dietzmann vor. Auch diese müssen von den Meldestellen geprüft werden.
Zudem gehen die Kommunen unterschiedlich mit dem Thema um, wie Beispiele aus Kamenz und Pulsnitz zeigen würden. „Während man in dem einen Rathaus das Prozedere nach fünf Minuten am Eingang erledigt hat, schickt einen das andere Rathaus in die Warteschlange beim Einwohnermeldeamt, in welcher man dann im Zweifelsfall eine halbe Stunde verbringen darf “, sagt Jens Dietzmann.
Auch die geforderte Zahl der Unterschriften sei problematisch. Während für die Kreistagswahl pro Wahlkreis mit je rund 30.000 Einwohnern nur 20 Unterschriften nötig seien, brauche BSW für Ohorn 40. „Wenn man hier mit 2.500 Einwohnern das Doppelte an Unterschriften beibringen muss, dann stimmt die Relation ganz und gar nicht. Die Regelungen gehören hier gründlich auf den Prüfstand“, fordert Jens Dietzmann.
Wie viele Unterschriften BSW schon gesammelt hat, könne er nicht genau sagen. Für Hagen Schuster und „Die Partei“sieht es Ende März zumindest in einem Fall ganz gut aus. Bei der jüngsten Abfrage vor wenigen Tagen „standen wir für die Stadtratswahl bei 103 Unterstützungsunterschriften“. Die Kreistagswahl werde er aber wohl abschreiben müssen. Dafür würden noch zu viele Unterschriften in zu vielen Wahlkreisen fehlen.