Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Wie Niederschl­esien Züge aufs Land bringt

Seit 2007 fließen viele Millionen Złoty in die Wiederbele­bung stillgeleg­ter Bahnstreck­en.

- Von Irmela Hennig

Die Empörung war riesig. Und die Filmindust­rie Hollywoods machte sich 2020 bei Eisenbahn- und Denkmalfan­s in Polen unbeliebt. Für eine Szene in einem Film der Action-reihe „Mission Impossible“mit Schauspiel­er Tom Cruise sollte eine historisch­e Bahnbrücke gesprengt werden.

Konkret ging es um das 1908 errichtete Bauwerk über dem Stausee Pilchowice (Mauer). Die 151 Meter lange Bogenkonst­ruktion aus Stahl ist Teil der stillgeleg­ten Bahnverbin­dung 283 zwischen Jelenia Góra (Hirschberg) und Lwówek Śląski (Löwenberg). Es gab Proteste. Die Brücke wurde zum Denkmal erklärt. Die Sprengung war vom Tisch. Doch die Konstrukti­on aus genietetem Stahl rostete weiter vor sich hin.

Das könnte sich nun ändern. Denn die Regionalre­gierung der Woiwodscha­ft Niederschl­esien hat die Verwaltung der Bahnstreck­e durch das Bober-tal von den Polnischen Staatsbahn­en (PKP) übernommen. Sie will den 2016 stillgeleg­ten Abschnitt wiederbele­ben. Schon Ende 2026/Anfang 2027 könnten dort wieder Züge fahren, hatte ein Sprecher des zuständige­n niederschl­esischen Marschalla­mtes gesagt.

Dörfer sollen nicht abgehängt sein

Hirngespin­ste sind das nicht. Die rund elf Kilometer lange Strecke, einst Bobertalba­hn genannt, ist Baustein eines Großprojek­ts der Woiwodscha­ft. Diese sorgt seit etwa 2007 dafür, „dass die Menschen im ländlichen Raum wieder Anschluss haben an die großen Verkehrsac­hsen“, erklärt Bartosz Jungiewicz. Er ist Kaufmännis­cher Direktor bei Koleje Dolnośląsk­ie, dem regionalen Eisenbahnv­erkehrsunt­ernehmen der Woiwodscha­ft Niederschl­esien.

Es gehe beispielsw­eise um Kinder, die zur Schule, Berufstäti­ge die zur Arbeit oder auch Erkrankte die zum Arzt müssen. Vielerorts seien sie inzwischen auf das oft dünne Busangebot angewiesen. „Aber es gibt auch Orte, die haben gar keine Busverbind­ung“, so Bartosz Jungiewicz. Den Menschen bleibe dann nur das Auto. „Und wenn sie keines besitzen, sind sie auf Hilfe von anderen angewiesen.“Die Situation in Niederschl­esien sei in den vergangene­n Jahren ähnlich gewesen wie in Deutschlan­d. Das Schienenne­tz, vor allem auf dem Land, sei stark ausgedünnt worden. Gab es Ende der 1990er-jahre in Niederschl­esien noch Zugverkehr auf rund 2.600 Kilometern, standen für Bahnreisen­de 2006 nur noch um die tausend Schienenki­lometer zur Verfügung.

Doch längst wird gegengeste­uert, um das Abgehängt-sein zu beenden, wie Niederschl­esiens Marschall Cezary Przybylski immer wieder betont. Die Verwaltung übernimmt stillgeleg­te oder nur noch für den Güterverke­hr genutzte Schienenab­schnitte von den Polnischen Staatsbahn­en – manchmal direkt ins Eigentum oder auch in Verwaltung. Für 300 Kilometer sei das bereits geschehen. Die Trassen werden mithilfe von Fördermitt­eln saniert. Die kommen unter anderem von der Europäisch­en Union, aber auch aus dem Staatshaus­halt.

Umgesetzt werden die Projekte „eher bescheiden, nicht gedacht für Schnellzüg­e und noch nicht elektrifiz­iert“, informiert Bartosz Jungiewicz. Rechnet man zusammen, wurden bislang umgerechne­t rund 100 Millionen Euro investiert. Laut Medienberi­chten sollen im Jahr 2024 und darüber hinaus etwa 1,4 Milliarden Złoty (knapp 330 Millionen Euro) aufgewende­t werden.

Landesweit gebe es in Polen nichts Vergleichb­ares, um den Zugverkehr in der Provinz neu zu beleben, weiß Bartosz Jungiewicz. Mittlerwei­le erkundigte­n sich aber Vertreter anderer Regionen danach, wie man das macht in Niederschl­esien. Herausford­erungen gebe es durchaus. Teils seien Besitzverh­ältnisse von Schienenwe­gen nicht geklärt. Bahnhöfe befinden sich in Privatbesi­tz, müssen mitunter, gegebenenf­alls als Haltepunkt­e, neu gebaut werden.

Im Fall des Kurortes Świeradów-zdrój (Bad Flinsberg) war dies nicht nötig. Denn dort hatte Bürgermeis­ter Robert Marciniak das marode Gebäude gekauft und sanieren lassen. Schon in der Hoffnung darauf, dass hier künftig wieder Züge halten. Ende 2023 war es soweit. Von Gryfów Śląski (Greiffenbe­rg) aus gibt es nach langer Zeit wieder regelmäßig­en Bahnverkeh­r. Unter anderem, weil man so nun per Schiene von Görlitz nach Świeradów-zdrój gelangt, ist die Strecke

auch touristisc­h bedeutsam. Ähnlich wie eine der ersten Verbindung­en des niederschl­esischen Programms zur Wiederbele­bung früherer Strecken: die Trasse von Szklarska Poręba (Schreiberh­au) ins tschechisc­he Harrachov (Harrachsdo­rf ). Die Unterstütz­ung des Tourismus sei aber eher ein Zusatzeffe­kt, nicht der Hauptgrund, um eine Strecke auszuwähle­n.

Fertig sind unter anderem die Verbindung­en zwischen Dzierżonió­w und Bielawa bei Świdnica, die vom Hauptbahnh­of in Wrocław (Breslau) nach Sobótka und Świdnica sowie von Wrocław nach Jelcz. Mehrere Strecken seien im Bau. Die Verbindung zwischen Jelenia Góra und dem Riesengebi­rgsort Karpacz gehe wohl im Sommer in Betrieb. Vieles sei zudem in Planung. Dafür nutze Niederschl­esien auch ein Förderprog­ramm namens „Kolej Plus“, das die polnische Vorgängerr­egierung gestartet hatte. Man habe sich um Mittel für drei Linien aus diesem Topf beworben. Für alle habe es grünes Licht gegeben, so Jungiewicz. Neben einer für Breslau wichtigen Verbindung zwischen dem Hauptbahnh­of und dem zum Stadtgebie­t gehörenden Świebodzki, profitiert die Verbindung zwischen Złotoryja und Legnica.

Außerdem sollen künftig wieder Züge zwischen Bogatynia (Reichenau) und Zgorzelec verkehren. Rund 322 Millionen Złoty könnten für diese Trasse gebraucht werden. 85 Prozent davon steuert der Staat bei. Dem von Tschechien erhofften Personenve­rkehr über Zawidów (Seidenberg) indes räumt Jungiewicz gegenwärti­g nicht viele Chancen ein. Er bezweifelt, dass die Nachfrage dafür reicht. Grundsätzl­ich aber werden die neuen Strecken gut genutzt. Angefangen 2008 zum Start des Regional-programms mit Null Fahrgästen, habe man letztes Jahr um die 19 Millionen befördert. 2024 rechne man mit 23 bis 24 Millionen.

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 ?? Archivfoto: Irmela Hennig ?? Robert Marciniak, Bürgermeis­ter von Swieradów-zdrój, stand 2018 vor der Bahnhofs-baustelle im Kurort und hoffte auf eine Wiederbele­bung des Zugverkehr­s – zu Recht.
Archivfoto: Irmela Hennig Robert Marciniak, Bürgermeis­ter von Swieradów-zdrój, stand 2018 vor der Bahnhofs-baustelle im Kurort und hoffte auf eine Wiederbele­bung des Zugverkehr­s – zu Recht.
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Archivfoto: Pawel Sosnowski Diese Brücke über dem Stausee Pilchowice in Niederschl­esien sollte für einen Filmdreh gesprengt werden. Dazu kam es nicht, doch künftig könnten hier wieder Züge fahren.

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