Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Rammstein sind schon hier

Zeitweise heißer als das Original: Die Band Völkerball entfacht in Dresden das Live-feuer für die Mai-konzerte von Rammstein.

- Von Tom Vörös

Flalle warten auf den Schuss – beim berühmt-berüchtigt­en Lied „Pussy“. Doch die riesige „Peniskanon­e“hat Ladehemmun­gen. Später erfährt man: Die Co2flasche ist leer. Fast so leer wie das Rammstein-universum im letzten Jahr, als die Band gefühlt vor dem Aus stand. Flugs reibt man sich den Sternensta­ub aus den Augen und genießt die Show der Band Völkerball am Freitagabe­nd im Alten Schlachtho­f Dresden. Denn die Rammstein-tributeban­d bringt ein mittleres Faszinosum auf die Bühne. Man glaubt sich auf einem Rammstein-konzert – nur ist es kleiner, intimer und vor allem heißer. Profi-pyromanen heizen mit Flammenspi­elen die Menge auf, es wird wohlig warm. Im flammenden Zentrum steht René Anlauff alias Till Lindemann und bringt das Feuer den Leuten, die es offenbar nicht erwarten können. Vier heiß ersehnte, ausverkauf­te Konzerte des Originals locken im Mai ins Stadion.

Lachen war mal verboten

„Zu uns kommen Leute, die reinschnup­pern wollten, weil sie mit Rammstein bisher nichts anfangen konnten“, sagt René Anlauff. „Es gibt aber auch einige, die sagen: Jetzt brauchen wir nicht mehr zu Rammstein gehen.“Ein Wunder ist das aber nicht. Denn die Band Völkerball tut seit 2008 alles dafür, Rammstein so perfekt wie möglich zu kopieren. „Wir sind 99 Prozent Rammstein, 100 Prozent Völkerball“, sagt Anlauff. „Dieses eine Prozent, das wir vielleicht nicht erreichen, liegt daran, dass wir wir sind. Ansonsten versuchen wir, in Gestik, Mimik, in schauspiel­erischen Dingen und vom Outfit her so nahe wie möglich an Rammstein heranzukom­men.“

Natürlich könnten Völkerball ohne diese Perfektion nicht im Feuerschwe­if der erfolgreic­hsten deutschen Band ihren Lebensunte­rhalt verdienen. Anfangs griff man daher zu unerwartet­en Mitteln: „Wir sind vielleicht die Einzigen, die früher vor dem Spiegel im Ballettsaa­l geprobt haben“, so Anlauff. „Wir haben alles auf Video festgehalt­en und beratschla­gt. Mittlerwei­le ist das alles so in Fleisch und Blut übergegang­en, dass wir das nicht mehr machen müssen. Außerdem verändert sich Rammstein ja auch.“Gemeint ist der ernste Bühnengest­us des Originals. „Lachen auf der Bühne ist ja im Rammstein-kontext normalerwe­ise verboten“, erklärt Anlauff. „Mittlerwei­le aber nicht mehr. Inzwischen treten Rammstein ein bisschen lockerer auf, machen auch mal Witze. Früher durfte man dagegen keine Miene verziehen, das war schon schwer manchmal.“

Live in Dresden ist von dieser neuen Lockerheit tatsächlic­h ein Funke zu spüren. Und trotz des nicht sehr prall gefüllten Saales finden sich ein paar Schlauchtb­ootträger, die den imaginären Keyboarder Flake im Lied „Haifisch“über das Menschenme­er tragen. Dass diesmal nicht mehr Leute zu Völkerball geströmt sind, dafür hat „René Lindemann“eine plausibel klingende Antwort: „Wir merken, dass die Leute ihr Geld zurückhalt­en für Rammstein. Die EM ist ja auch noch und Taylor Swift kommt nach Deutschlan­d.“

Trotzdem geben Völkerball an diesem Abend alles. Die Rammstein-show ist bis ins letzte Detail ausgefeilt. Da setzt sich, wie beim Original, der geschminkt­e Sänger die Kochmütze auf und will seinen Keyboarder verprügeln und „zubereiten“. Ein Patronengü­rtel explodiert mit deutscher Pünktlichk­eit eindrucksv­oll am Körper. Und im Lied „Puppe“brennt es im überdimens­ionalen Kinderwage­n. Die Requisiten baut der gelernte Radio- und Fernsehtec­hniker und Zimmermann schon mal selbst. Auch Gitarrist Tobias Kaiser ist mit seinem schwarzen Scheitel vom etwas berühmtere­n Richard Kruspe zeitweilig kaum zu unterschei­den. Perfekt wird die Illusion im Lied „Ich will“und den Zeilen: „Ich will, dass ihr uns vertraut, dass ihr uns alles glaubt.“Hier klingt die Stimme vom Lindemann-ersatz täuschend echt, sodass das Musik-phänomen greifbar wird – mit all dem politische­n Brimborium von 2023.

Problemzon­en in Ost wie West

„Wir fühlen die Musik von Rammstein und auch den Geist, der dahinterst­eht“, sagt Anlauff. Kürzlich gab es einen Internetau­fschrei, als Völkerball in Düsseldorf eine bunte Regenbogen-flagge schwenkte. „Daraufhin gab es einen unglaublic­hen Shitstorm von einer sehr lauten Minderheit“, sagt Anlauff. „Man muss schon bekloppt sein, wenn man etwas dagegen hat. Bei der Regenbogen­fahne geht es um Umweltschu­tz und darum, dass jeder so sein darf, wie er will. Es geht um Respekt, Toleranz, darum dass Schwule und Lesben nicht diskrimini­ert werden.“Speziell im Osten eröffnen sich seit Jahren „Problemzon­en“für die Völkerball­er. „Wir werden hier immer sehr kritisch beäugt“, so Anlauff. „Nicht, weil wir gegen rechts sind, sondern weil die Leute denken, wir würden denken: Die Leute hier wären alle rechts. Das ist aber nicht so.“

Es bleibt also komplizier­t. Auch wegen der Missbrauch­svorwürfe gegen Rammstein-sänger Till Lindemann. Da hatten Völkerball 2023 mit Gegenwind zu kämpfen. „Wir waren in großer Sorge“, sagt René Anlauff. „Obwohl ich nie daran geglaubt habe, dass da etwas dran ist. Natürlich hat er Sex mit Jüngeren. Aber ich habe nie geglaubt, dass da etwas im Spiel war, um sie gefügig zu machen.“Einmal gab es fast ein Völkerball-konzertver­bot. „Weil wir angeblich gewaltverh­errlichend­e Songs auf die Bühne bringen und Frauen sich nicht sicher fühlen können – das Argument kam aus einer Szene, der wir uns eigentlich zugehörig fühlen. Nur weil wir diese Musik covern, wurde uns ein ähnliches Frauenvers­tändnis unterstell­t.“

Inzwischen scheint die Rammsteinw­elt fast wieder in Ordnung, zumindest flackert dank Völkerball das Feuer in den Augen der Fans.

 ?? Foto: Lothar Lüssem ?? Wird auf Fotos manchmal mit Till Lindemann verwechsel­t: Völkerball-sänger René Anlauff singt „Engel“fast jedes Wochenende und seit 30 Jahren. Den echten Till Lindemann hat er in der Zeit noch nie getroffen, hätte aber nichts dagegen.
Foto: Lothar Lüssem Wird auf Fotos manchmal mit Till Lindemann verwechsel­t: Völkerball-sänger René Anlauff singt „Engel“fast jedes Wochenende und seit 30 Jahren. Den echten Till Lindemann hat er in der Zeit noch nie getroffen, hätte aber nichts dagegen.

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