Mordprozess wird zum Gerichtskrimi
Der Prozess im Radeberger Mordfall geht weiter. Den klaren Beweis, dass ein 32-Jähriger seine Frau umgebracht hat, gibt es auch nach dem vierten Verhandlungstag nicht. Erstmals kommen die Kinder zu Wort.
Ein 32-jähriger Afghane, der sich derzeit im Landgericht Görlitz für den Mord an seiner 27-jährigen Frau verantworten muss, bestreitet die Tat nach wie vor. Er soll die Frau laut Anklage am 11. Juni 2023 zwischen 19.30 und 20.53 Uhr in der gemeinsamen Radeberger Wohnung mit einem Schal erdrosselt haben. Seine Strategie: Als er mit den Kindern in der fraglichen Zeit für rund eine halbe Stunde unterwegs gewesen war, habe ein noch Unbekannter seine Frau erdrosselt. Und auch ein Motiv für die Tat habe er nicht gehabt.
Die Beweislage ist offenbar nicht einfach. Sogar die achtjährige Tochter sollte am zweiten Verhandlungstag unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagen, nachdem ihr juristischer Vormund dem zugestimmt hatte. Viel gesagt hat sie aber offenbar nicht.
Zu Beginn des vierten Prozesstages am Freitag gab es nun eine überraschende Wendung: Die Kinder, die in den zehn Monaten seit jenem Tattag im Juni 2023 verschlossen waren und nichts über jenen Abend gesagt haben, sollen sich gegenüber Erzieherinnen plötzlich offenbart haben. Zwei Erzieherinnen wurden dazu als Zeuginnen gehört.
Kinder brechen ihr Schweigen
Die eine sagte aus, wann die Kinder davon sprachen – per Zufall auf der Heimfahrt von der Kindertagesstätte. Als ein anderes Kind sagte, dass alle tot sein könnten, wenn die Fahrerin sich umdreht und nicht aufpasst, rutschte der siebenjährigen Tochter des Angeklagten heraus: „Nein, tot wird man, wenn man mit den Händen am Hals drückt.“So schilderte es die fahrende Erzieherin. Eine weitere Erzieherin habe daraufhin die ältere Tochter des Angeklagten damit konfrontiert, dass ihre Schwester was ganz Schlimmes gesagt habe. Die Achtjährige habe dann laut jener Erzieherin sofort gewusst, worum es ging.
Auf die Frage der Erzieherin, ob sie so etwas schon einmal gesehen habe, soll das Mädchen genickt haben. Schließlich sei es aus ihr herausgebrochen. Zusammengefasst habe das Mädchen schließlich erzählt, dass die drei Kinder – es gibt noch einen kleineren Bruder – vom Dönerholen nach Hause zurückkamen. Dann habe man gemeinsam gegessen. Papa und Mama hätten sich „gezankt und gekloppt“. Papa habe dann auf Mama gesessen und auf den Hals gedrückt. Sie und ihre Geschwister hätten geweint. Der Vater habe verboten, jemandem etwas davon zu erzählen. Vor Gericht habe sie Angst gehabt. So schildert es die Erzieherin.
Mit diesen Aussagen gib es jedoch mehrere Probleme. Verteidiger Andreas Suchy
widersprach sofort der Verwertung dieser Aussagen, weil das Zeugnisverweigerungsrecht der Kinder, das ihnen unzweifelhaft zusteht, so durch die Hintertür gebrochen würde. Der Vorsitzende Richter Theo Dahm befragte die Erzieherinnen, ob sie
von den Ermittlungsbehörden gebeten worden seien, etwas aus den Kindern herauszubekommen, was beide verneinten. Dass die Kinder, insbesondere die älteste Tochter, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, bekräftigte jetzt auch der gesetzliche Vormund der Kinder. Fraglich bleibt auch, wann der Vater die Kinder überhaupt eingeschüchtert haben soll. Direkt nach der Tat war sehr wenig Zeit, seitdem gibt es bis auf einen Gefängnisbesuch keinen Kontakt. Dort war eine Erzieherin dabei. Es wurde nur Deutsch gesprochen – und nichts über jenen Abend, sagte sie vor Gericht.
Wann geschah der Mord?
Ein weiteres Problem: Die Geschichte der Kinder kann so vom Zeitablauf her nicht stimmen. Anhand der Handy- und Wlandaten in der Wohnung legte ein Kriminalkommissar minutengenau dar, wann der Angeklagte Gelegenheit hatte, seine Frau zu töten, und wann ein Unbekannter das hätte tun können. Sein Ergebnis: Ab 19.17 Uhr waren alle gemeinsam in der Wohnung. Eine gute Stunde später loggte sich das Handy des Angeklagten wieder aus dem Wohnungs-wlan aus. Er verließ mit den Kindern die Wohnung, um Essen zu holen. In dieser Zeit schauten die Kinder erst Youtube-videos auf seinem Handy, dann schrieb und telefonierte der Angeklagte mit der Mutter des Opfers in Afghanistan. Trotzdem könnte er in dieser Zeit seine Frau getötet haben, wäre dann allerdings, als ob nichts gewesen wäre, mit seinen Kindern aufgebrochen, um ein Alibi zu haben. Nach knapp 30 Minuten kehrte der
Angeklagte ins Wlan seiner Wohnung zurück. Im Treppenhaus loggte sich sein Handy um 20:52:08 Uhr ein, um 20:53:53 Uhr begann bereits sein aufgezeichneter Notruf. Die zwei Minuten reichen definitiv nicht für die Tatbegehung aus, bestätigte auch der rechtsmedizinische Gutachter Prof. Schmidt. Die Geschichte des Mädchens vom Streit nach dem Essen kann rein zeitlich also nicht stimmen. Trotzdem bleibt natürlich die Frage, wie das Mädchen zu einer solchen Offenbarung gegenüber den Erzieherinnen kommt.
Nach mehreren weiteren Zeugen aus dem Umfeld der afghanischen Familie und von der Polizei erschien am Nachmittag schließlich auch jener 25-jährige Afghane als Zeuge vor Gericht, der als „Liebhaber“der getöteten Frau bezeichnet wird und sich noch am Tattag mit ihr in Dresden getroffen hatte. Ihm hatte der Angeklagte in seiner Einlassung ein Motiv unterstellt. Seine Frau habe das beenden wollen und 8.000 Euro zurückgefordert, behauptete der Angeklagte.
Allerdings kam es zu keiner Aussage in der Öffentlichkeit. Auf sein Verlangen hin schloss der Vorsitzende Richter Theo Dahm die Öffentlichkeit aus, weil während der Zeugenaussage „intime Details den Zeugen betreffend“zur Sprache kommen könnten. Das Verfahren wird nun am 2. Mai fortgesetzt.