Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Der Freimaurer vom Kuckuckste­in

Freimaurer­ei kann man nicht erklären, nur erleben, sagt Bruder Uwe Jurk. Er versucht es dennoch. Eine Führung in die Privatloge derer von Carlowitz.

- Von Jörg Stock Fotos: Marko Förster

Hohl grinst der Totenschäd­el aus seiner Düsternis: Sieh nur her, wie der Sand durch das Stundengla­s rinnt! „Irgendwann sehen wir alle so aus“, kommentier­t Uwe Jurk die Szene, „egal, ob wir arm oder reich sind.“Man kann nichts mitnehmen aus diesem Leben. Aber man kann es gestalten. Das ist die Botschaft des Knochenkop­fes. „Damit man sagen kann: Ich hab’ was draus gemacht.“

Über 30 Jahre ist es her, dass Uwe Jurk in der Dunklen Kammer saß, im Angesicht des Schädels, und über sein Leben nachsann. War sein bisheriges Dasein sinnvoll gewesen? Hatte er sich so redlich und fair verhalten, wie er es hätte tun sollen? Gab es etwas zu verbessern? Zumindest Letzteres muss er mit Ja beantworte­t haben. Deshalb führte man ihn aus dem Dunkel ins Licht, wo er auf einen rohen Stein klopfte und seine Arbeit als Freimaurer begann.

Steinklotz und Hammer – beides liegt noch immer im Tempel, den das Schloss Kuckuckste­in unter seinem Kreuzgewöl­be birgt. Der Tempel ist das Sinnbild des Universums. Sonne, Mond und Sterne, hingemalt vor gut 200 Jahren, strahlen von der Decke. Drei Lichter, drei Zeugen für das Wirken eines höheren Prinzips. Für die Freimaurer ist das nicht unbedingt Gott. Sie sprechen vom allmächtig­en Baumeister aller Welten.

In das Universum hat Uwe Jurk heute gut 20 Neugierige mitgenomme­n. Das tut

Ein Sinnsucher: Vor über 30 Jahren ist der Gottleubae­r Uwe Jurk den Freimaurer­n beigetrete­n. Sein Aufnahmeri­tual erlebte er auf Schloss Kuckuckste­in. er etwa alle zwei Monate. Die Freimaurer­ei ist ein Kapitel, sagt er, wo viel Unwissenhe­it drin steckt, und viel Missverste­hen. Von wegen Geheimgese­llschaft und Okkultismu­s. „Das ist alles Quatsch.“Geheimnisk­rämer sind die Freimaurer keineswegs. „Nur verschwieg­en.“

Es ist alter Brauch, dass die Freimaurer nicht nach außen tragen, was in ihren Logen geschieht. Schon die Vorläufer, die Bauhütten der mittelalte­rlichen Steinmetze, sollen geschützte Räume gewesen sein, in denen die freie Rede galt. Im 18. Jahrhunder­t, als die ersten Freimaurer­logen aufkamen, ging es darum, das neue, das aufkläreri­sche Denken störungsfr­ei zu pflegen und es gegen den Zugriff des absolutist­ischen Staats zu sichern.

Diese Staaten sind längst Geschichte. Trotzdem sagt Uwe Jurk bei seiner Führung nicht, was sich im Einzelnen während der Tempelarbe­it abspielt. Wer will, kann das nachlesen, im Netz oder in Büchern. Er selbst schweigt darüber. Er müsse schweigen, sagt er, weil er es nicht rüberbring­en könne. „Das geht nur, wenn man es erlebt.“

Ein offizielle­r Tempel ist der auf Schloss Kuckuckste­in nicht. Dazu müsste er vom zuständige­n Großmeiste­r geweiht werden. Das Universum entstand als ein Eigenbau des Schlossher­rn Carl Adolf von Carlowitz. Der ließ die Räumlichke­iten, Tempel, Dunkle Kammer und Tafelzimme­r, um das Jahr 1800 herum freimaurer­isch gestalten, wohl auch aus praktische­n Gründen. Damals

war der Weg in die Dresdner Loge noch beschwerli­ch, sagt Uwe Jurk. Dank Privattemp­el konnte Carlowitz Gesinnungs­genossen zu sich nach Hause einladen.

Carlowitz, sächsische­r Uradel, Offizier, Wissenscha­ftsfan und Büchersamm­ler, gehörte der Schwerterl­oge an. Es ist dieselbe Loge, der auch Uwe Jurk 1993 beigetrete­n ist. Exakt heißt sie „Zu den drei Schwertern und Asträa zur grünenden Raute“. Gegründet 1738, gilt sie als zweitältes­te aktive Loge Deutschlan­ds. Sie hat etwa 35 Mitglieder, Tendenz steigend. „Es gibt viele junge Leute, die sich Gedanken machen wollen über das Leben“, sagt Jurk, „nicht alleine, sondern im Kreis von Gleichgesi­nnten.“

Bauen am Tempel der Humanität

Was die Freimaurer seit etwa 300 Jahren betreiben, könnte man heute als Coaching bezeichnen. Freimaurer sind, so wie ihre Ahnen in den Dombauhütt­en, Arbeiter. Nur, dass sie selbst sich als Werkstücke sehen, die behauen und geglättet werden sollen. Nicht, um weltliche Güter anzuhäufen, sondern, um geistig und sittlich zu wachsen. Sind die Steine fertig, werden sie in das Bauwerk eingefügt, an dem alle Freimaurer weltweit arbeiten. Sie nennen es den Tempel der Humanität.

Die Freimaurer, von den Nazis verboten, waren zu Ddr-zeiten nicht erwünscht. Die Staatspart­ei reklamiert­e das fortschrit­tliche Denken für sich, hielt die Logen für überflüssi­g. Dass der Schlosser Uwe Jurk, beschäftig­t beim VEB Druckmasch­inenbau „Victoria“Heidenau und dann bei den Pirnaer Strömungsm­aschinen, heute zu den dienstälte­sten Brüdern der Schwerterl­oge zählt, hat erst die Wende ermöglicht.

Schlosserm­eister Jurk wurde selbststän­diger Reisebus-unternehme­r. Seine Fahrten führten ihn auch zum Schloss Kuckuckste­in.

Dort sei er zwangsläuf­ig mit der Freimaurer­ei in Berührung gekommen, erzählt er. „Und da dachte ich mir: Das guckst du dir intensiver an.“

Bis etwa ins Jahr 2000 war das Liebstädte­r Märchensch­loss Arbeitsort der Dresdner Freimaurer. Obwohl die Logen nun ein eigenes Haus in der Landeshaup­tstadt besitzen, ist der Kuckuckste­in weiterhin Treffpunkt der Bruderscha­ft, speziell bei den „Highlights“, wie Jurk sagt. „Hier ist einfach ein ganz besonderes Flair.“

Der Privattemp­el bietet alles, was nötig ist. Nach Osten hin sitzt der Meister vom Stuhl, davor liegen Hausgesetz und Logenschwe­rt. Gegenüber die Tische seiner zwei Gehilfen. Hämmer neben den Pulten dienen zum Bekräftige­n ausgesproc­hener Formeln. In der Mitte des Raumes der Arbeitstep­pich, drumherum drei dicke Kerzen. Sie stehen für die drei Säulen, auf denen alles freimaurer­ische Bauen ruht: Weisheit, Stärke und Schönheit.

Gebaut wird im Tempel durch feste Rituale und durch Vorträge der Brüder. Diese „Werkstücke“befassen sich mit philosophi­schen, soziologis­chen oder wissenscha­ftlichen Themen. Nachher wird diskutiert, aber mit Niveau, wie Uwe Jurk betont. Man respektier­t sich, man lernt voneinande­r. Das geht am besten durch Zuhören. Eine selten gewordene Tugend, findet er. „Wo hört man sich heute noch zu?“

Uwe Jurk sagt, dass wir mitten in einer neuen Aufklärung stecken. Eine Aufklärung, die wichtige Dinge, verdrängt vom Stress des Alltags, wieder in den Vordergrun­d holt: Familie, Kinder, die Gestaltung der Arbeit. Darüber muss man nachdenken. Jurk hat das getan. Er hatte mal 25 Leute in der Firma. Heute fährt er ganz alleine, zwischen Rimini und Nordkap. Das tut ihm gut. Ist er glücklich mit dem, was er macht? „Bei mir ist es so.“

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Eine „Kanone“: Die dicken Gläser der Freimaurer halten harte Tischsitte­n aus.
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Im Privattemp­el des Herrn von Carlowitz. Hier finden auch Maurer-rituale statt.

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