Der Freimaurer vom Kuckuckstein
Freimaurerei kann man nicht erklären, nur erleben, sagt Bruder Uwe Jurk. Er versucht es dennoch. Eine Führung in die Privatloge derer von Carlowitz.
Hohl grinst der Totenschädel aus seiner Düsternis: Sieh nur her, wie der Sand durch das Stundenglas rinnt! „Irgendwann sehen wir alle so aus“, kommentiert Uwe Jurk die Szene, „egal, ob wir arm oder reich sind.“Man kann nichts mitnehmen aus diesem Leben. Aber man kann es gestalten. Das ist die Botschaft des Knochenkopfes. „Damit man sagen kann: Ich hab’ was draus gemacht.“
Über 30 Jahre ist es her, dass Uwe Jurk in der Dunklen Kammer saß, im Angesicht des Schädels, und über sein Leben nachsann. War sein bisheriges Dasein sinnvoll gewesen? Hatte er sich so redlich und fair verhalten, wie er es hätte tun sollen? Gab es etwas zu verbessern? Zumindest Letzteres muss er mit Ja beantwortet haben. Deshalb führte man ihn aus dem Dunkel ins Licht, wo er auf einen rohen Stein klopfte und seine Arbeit als Freimaurer begann.
Steinklotz und Hammer – beides liegt noch immer im Tempel, den das Schloss Kuckuckstein unter seinem Kreuzgewölbe birgt. Der Tempel ist das Sinnbild des Universums. Sonne, Mond und Sterne, hingemalt vor gut 200 Jahren, strahlen von der Decke. Drei Lichter, drei Zeugen für das Wirken eines höheren Prinzips. Für die Freimaurer ist das nicht unbedingt Gott. Sie sprechen vom allmächtigen Baumeister aller Welten.
In das Universum hat Uwe Jurk heute gut 20 Neugierige mitgenommen. Das tut
Ein Sinnsucher: Vor über 30 Jahren ist der Gottleubaer Uwe Jurk den Freimaurern beigetreten. Sein Aufnahmeritual erlebte er auf Schloss Kuckuckstein. er etwa alle zwei Monate. Die Freimaurerei ist ein Kapitel, sagt er, wo viel Unwissenheit drin steckt, und viel Missverstehen. Von wegen Geheimgesellschaft und Okkultismus. „Das ist alles Quatsch.“Geheimniskrämer sind die Freimaurer keineswegs. „Nur verschwiegen.“
Es ist alter Brauch, dass die Freimaurer nicht nach außen tragen, was in ihren Logen geschieht. Schon die Vorläufer, die Bauhütten der mittelalterlichen Steinmetze, sollen geschützte Räume gewesen sein, in denen die freie Rede galt. Im 18. Jahrhundert, als die ersten Freimaurerlogen aufkamen, ging es darum, das neue, das aufklärerische Denken störungsfrei zu pflegen und es gegen den Zugriff des absolutistischen Staats zu sichern.
Diese Staaten sind längst Geschichte. Trotzdem sagt Uwe Jurk bei seiner Führung nicht, was sich im Einzelnen während der Tempelarbeit abspielt. Wer will, kann das nachlesen, im Netz oder in Büchern. Er selbst schweigt darüber. Er müsse schweigen, sagt er, weil er es nicht rüberbringen könne. „Das geht nur, wenn man es erlebt.“
Ein offizieller Tempel ist der auf Schloss Kuckuckstein nicht. Dazu müsste er vom zuständigen Großmeister geweiht werden. Das Universum entstand als ein Eigenbau des Schlossherrn Carl Adolf von Carlowitz. Der ließ die Räumlichkeiten, Tempel, Dunkle Kammer und Tafelzimmer, um das Jahr 1800 herum freimaurerisch gestalten, wohl auch aus praktischen Gründen. Damals
war der Weg in die Dresdner Loge noch beschwerlich, sagt Uwe Jurk. Dank Privattempel konnte Carlowitz Gesinnungsgenossen zu sich nach Hause einladen.
Carlowitz, sächsischer Uradel, Offizier, Wissenschaftsfan und Büchersammler, gehörte der Schwerterloge an. Es ist dieselbe Loge, der auch Uwe Jurk 1993 beigetreten ist. Exakt heißt sie „Zu den drei Schwertern und Asträa zur grünenden Raute“. Gegründet 1738, gilt sie als zweitälteste aktive Loge Deutschlands. Sie hat etwa 35 Mitglieder, Tendenz steigend. „Es gibt viele junge Leute, die sich Gedanken machen wollen über das Leben“, sagt Jurk, „nicht alleine, sondern im Kreis von Gleichgesinnten.“
Bauen am Tempel der Humanität
Was die Freimaurer seit etwa 300 Jahren betreiben, könnte man heute als Coaching bezeichnen. Freimaurer sind, so wie ihre Ahnen in den Dombauhütten, Arbeiter. Nur, dass sie selbst sich als Werkstücke sehen, die behauen und geglättet werden sollen. Nicht, um weltliche Güter anzuhäufen, sondern, um geistig und sittlich zu wachsen. Sind die Steine fertig, werden sie in das Bauwerk eingefügt, an dem alle Freimaurer weltweit arbeiten. Sie nennen es den Tempel der Humanität.
Die Freimaurer, von den Nazis verboten, waren zu Ddr-zeiten nicht erwünscht. Die Staatspartei reklamierte das fortschrittliche Denken für sich, hielt die Logen für überflüssig. Dass der Schlosser Uwe Jurk, beschäftigt beim VEB Druckmaschinenbau „Victoria“Heidenau und dann bei den Pirnaer Strömungsmaschinen, heute zu den dienstältesten Brüdern der Schwerterloge zählt, hat erst die Wende ermöglicht.
Schlossermeister Jurk wurde selbstständiger Reisebus-unternehmer. Seine Fahrten führten ihn auch zum Schloss Kuckuckstein.
Dort sei er zwangsläufig mit der Freimaurerei in Berührung gekommen, erzählt er. „Und da dachte ich mir: Das guckst du dir intensiver an.“
Bis etwa ins Jahr 2000 war das Liebstädter Märchenschloss Arbeitsort der Dresdner Freimaurer. Obwohl die Logen nun ein eigenes Haus in der Landeshauptstadt besitzen, ist der Kuckuckstein weiterhin Treffpunkt der Bruderschaft, speziell bei den „Highlights“, wie Jurk sagt. „Hier ist einfach ein ganz besonderes Flair.“
Der Privattempel bietet alles, was nötig ist. Nach Osten hin sitzt der Meister vom Stuhl, davor liegen Hausgesetz und Logenschwert. Gegenüber die Tische seiner zwei Gehilfen. Hämmer neben den Pulten dienen zum Bekräftigen ausgesprochener Formeln. In der Mitte des Raumes der Arbeitsteppich, drumherum drei dicke Kerzen. Sie stehen für die drei Säulen, auf denen alles freimaurerische Bauen ruht: Weisheit, Stärke und Schönheit.
Gebaut wird im Tempel durch feste Rituale und durch Vorträge der Brüder. Diese „Werkstücke“befassen sich mit philosophischen, soziologischen oder wissenschaftlichen Themen. Nachher wird diskutiert, aber mit Niveau, wie Uwe Jurk betont. Man respektiert sich, man lernt voneinander. Das geht am besten durch Zuhören. Eine selten gewordene Tugend, findet er. „Wo hört man sich heute noch zu?“
Uwe Jurk sagt, dass wir mitten in einer neuen Aufklärung stecken. Eine Aufklärung, die wichtige Dinge, verdrängt vom Stress des Alltags, wieder in den Vordergrund holt: Familie, Kinder, die Gestaltung der Arbeit. Darüber muss man nachdenken. Jurk hat das getan. Er hatte mal 25 Leute in der Firma. Heute fährt er ganz alleine, zwischen Rimini und Nordkap. Das tut ihm gut. Ist er glücklich mit dem, was er macht? „Bei mir ist es so.“