Der unermüdliche Jockey
Er ist 51 – und noch immer erfolgreich: Alexander Pietsch gewinnt zum Galopp-saisonstart auf seiner Heimbahn in Dresden.
Wenn die Startbox aufschnellt, fühlt sich Alexander Pietsch lebendig. Da war er wieder, der Kick, wie es der Jockey beschreibt, den er vor jedem Rennen spürt. Und dann die Anerkennung, das Schulterklopfen, wenn der Plan aufgeht. „Ohne Sieg wollte ich nicht nach Hause fahren“, sagt er. Im sechsten Rennen beim Dresdner Aufgalopp – es war der Radeberger Kräutercup – gewann der 51-Jährige am Sonntag auf Außenseiterin Agathe Christy und sicherte seinem Besitzer 3.600 Siegprämie. Pietsch genoss den Erfolg vor 8.060 Zuschauern besonders.
Kein Jockey ist auf der Dresdner Rennbahn so bekannt wie er – und keiner kennt sie so gut wie er. „Ich kenne jeden Grashalm“, sagt er. Der Start in Dresden sei für ihn eine Win-win-situation. „Ich mag das Flair, kenne viele Leute, liebe diese altertümliche Rennbahn“, betonte er – und „ich kann meinen Papa besuchen“.
In der dritten Generation führt er die Familientradition schon fort. Seit mehr als hundert Jahren verbindet man die Familie Pietsch mit dem Galoppsport. Er selbst vergleicht es mit dem Zirkus: „Da wird man reingeboren.“Der gebürtige Dresdner war als Kind von seinem Vater nach Hoppegarten mitgenommen worden, als dieser noch Rennen bestritt.
Auf der Rennbahn am Rande von Berlin absolvierte er auch einst seine Ausbildung und feierte 1990 seinen ersten Sieg. Mittlerweile sind es mehr als 1.300. „Die Tausend war so eine magische Zahl. Danach habe ich aufgehört zu zählen“, sagt Pietsch. Zu Ddr-zeiten war Jockey ein anerkannter Beruf, sie waren die „einzigen geduldeten Profisportler im Sozialismus“.
Sieben Rennen an einem Tag
Wer glaubt, dass die strenge Diät vor jedem Rennen oder die vielen Stürze die größten Herausforderungen in dem Job seien, der liegt falsch. Ein Problem, mit dem wohl jeder Jockey zu kämpfen hat, ist die finanzielle Unsicherheit. Denn selbst wenn er Woche für Woche Siege einheimst, bleibt nicht viel in der eigenen Tasche.
Ein Renntag wie der an diesem Sonntag ist Arbeit im Akkord. Alle sieben Rennen absolvierte Pietsch, fast immer im Auftrag unterschiedlicher Ställe: umziehen, wiegen, reiten, umziehen, wiegen, reiten. „Ich brauche natürlich eine entsprechende Anzahl an Ritten, damit sich die Anreise lohnt“, erklärt der 51-Jährige, der mittlerweile in der Nähe von Dormagen wohnt.
Pietsch erhält fünf Prozent des Gewinns, dazu für jedes Rennen ein Startgeld von 100 Euro. Mit seinem Sieg auf Agathe Christy, bei dem es ein Preisgeld von insgesamt 3.600 Euro gab, bekommt er 180 Euro. Mit rund 1.000 Euro für seine sieben Ritte
fährt er nach Hause. „Man muss sehr fleißig sein, um sich sein Monatsgehalt zusammenzustottern“, sagte Pietsch mal.
Es sei schwieriger im Galoppsport als früher, sagt er. „Es gibt weniger Rennen, weil es weniger Pferde gibt. Und 30 Prozent der Starts finden in Frankreich statt, das waren rund 1.800 im Vorjahr. Dort werden natürlich eher einheimische Reiter engagiert – allein wegen der Reisekosten, die anfallen würden.“
Für Pietsch ist der Traumberuf Jockey seit Jahren ein Zubrot. Mit seiner Frau Caroline, die als Besitzertrainerin arbeitet, hat er einen Stall in der Nähe von Köln gemietet. Dort betreuen sie zusammen 33 Pferde, die als Zweijährige erst auf die Karriere als Rennpferd vorbereitet oder als Rekonvaleszenten wieder aufgepäppelt werden.
Wann ist für den Champion-jockey von 2015 und 2017 mit dem Galopprennsport Schluss? „Das ist die meistgestellte Frage“, sagt der Altmeister und beantwortet sie diplomatisch: „Ich werde noch so lange Rennen reiten, wie es Spaß macht. Der Sport gibt mir viel zurück. Und Trainer kann ich immer noch werden“, sagt er.
Anders als viele Männer in seinem Alter hat er mit dem Gewicht null Probleme. „Es fällt mir nicht schwer. Mein ganzes Leben schon beschäftige ich mich mit Ernährung und habe mich besser im Griff als früher. Man kennt seinen Körper“, sagt er. 54,5 Kilo bringt Pietsch am Renntag auf die Waage. Mit den Entbehrungen hat er gelernt zu leben. Das Adrenalin am Renntag gibt ihm mehr. Noch immer.