Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Der unermüdlic­he Jockey

Er ist 51 – und noch immer erfolgreic­h: Alexander Pietsch gewinnt zum Galopp-saisonstar­t auf seiner Heimbahn in Dresden.

- Von Michaela Widder

Wenn die Startbox aufschnell­t, fühlt sich Alexander Pietsch lebendig. Da war er wieder, der Kick, wie es der Jockey beschreibt, den er vor jedem Rennen spürt. Und dann die Anerkennun­g, das Schulterkl­opfen, wenn der Plan aufgeht. „Ohne Sieg wollte ich nicht nach Hause fahren“, sagt er. Im sechsten Rennen beim Dresdner Aufgalopp – es war der Radeberger Kräutercup – gewann der 51-Jährige am Sonntag auf Außenseite­rin Agathe Christy und sicherte seinem Besitzer 3.600 Siegprämie. Pietsch genoss den Erfolg vor 8.060 Zuschauern besonders.

Kein Jockey ist auf der Dresdner Rennbahn so bekannt wie er – und keiner kennt sie so gut wie er. „Ich kenne jeden Grashalm“, sagt er. Der Start in Dresden sei für ihn eine Win-win-situation. „Ich mag das Flair, kenne viele Leute, liebe diese altertümli­che Rennbahn“, betonte er – und „ich kann meinen Papa besuchen“.

In der dritten Generation führt er die Familientr­adition schon fort. Seit mehr als hundert Jahren verbindet man die Familie Pietsch mit dem Galoppspor­t. Er selbst vergleicht es mit dem Zirkus: „Da wird man reingebore­n.“Der gebürtige Dresdner war als Kind von seinem Vater nach Hoppegarte­n mitgenomme­n worden, als dieser noch Rennen bestritt.

Auf der Rennbahn am Rande von Berlin absolviert­e er auch einst seine Ausbildung und feierte 1990 seinen ersten Sieg. Mittlerwei­le sind es mehr als 1.300. „Die Tausend war so eine magische Zahl. Danach habe ich aufgehört zu zählen“, sagt Pietsch. Zu Ddr-zeiten war Jockey ein anerkannte­r Beruf, sie waren die „einzigen geduldeten Profisport­ler im Sozialismu­s“.

Sieben Rennen an einem Tag

Wer glaubt, dass die strenge Diät vor jedem Rennen oder die vielen Stürze die größten Herausford­erungen in dem Job seien, der liegt falsch. Ein Problem, mit dem wohl jeder Jockey zu kämpfen hat, ist die finanziell­e Unsicherhe­it. Denn selbst wenn er Woche für Woche Siege einheimst, bleibt nicht viel in der eigenen Tasche.

Ein Renntag wie der an diesem Sonntag ist Arbeit im Akkord. Alle sieben Rennen absolviert­e Pietsch, fast immer im Auftrag unterschie­dlicher Ställe: umziehen, wiegen, reiten, umziehen, wiegen, reiten. „Ich brauche natürlich eine entspreche­nde Anzahl an Ritten, damit sich die Anreise lohnt“, erklärt der 51-Jährige, der mittlerwei­le in der Nähe von Dormagen wohnt.

Pietsch erhält fünf Prozent des Gewinns, dazu für jedes Rennen ein Startgeld von 100 Euro. Mit seinem Sieg auf Agathe Christy, bei dem es ein Preisgeld von insgesamt 3.600 Euro gab, bekommt er 180 Euro. Mit rund 1.000 Euro für seine sieben Ritte

fährt er nach Hause. „Man muss sehr fleißig sein, um sich sein Monatsgeha­lt zusammenzu­stottern“, sagte Pietsch mal.

Es sei schwierige­r im Galoppspor­t als früher, sagt er. „Es gibt weniger Rennen, weil es weniger Pferde gibt. Und 30 Prozent der Starts finden in Frankreich statt, das waren rund 1.800 im Vorjahr. Dort werden natürlich eher einheimisc­he Reiter engagiert – allein wegen der Reisekoste­n, die anfallen würden.“

Für Pietsch ist der Traumberuf Jockey seit Jahren ein Zubrot. Mit seiner Frau Caroline, die als Besitzertr­ainerin arbeitet, hat er einen Stall in der Nähe von Köln gemietet. Dort betreuen sie zusammen 33 Pferde, die als Zweijährig­e erst auf die Karriere als Rennpferd vorbereite­t oder als Rekonvales­zenten wieder aufgepäppe­lt werden.

Wann ist für den Champion-jockey von 2015 und 2017 mit dem Galopprenn­sport Schluss? „Das ist die meistgeste­llte Frage“, sagt der Altmeister und beantworte­t sie diplomatis­ch: „Ich werde noch so lange Rennen reiten, wie es Spaß macht. Der Sport gibt mir viel zurück. Und Trainer kann ich immer noch werden“, sagt er.

Anders als viele Männer in seinem Alter hat er mit dem Gewicht null Probleme. „Es fällt mir nicht schwer. Mein ganzes Leben schon beschäftig­e ich mich mit Ernährung und habe mich besser im Griff als früher. Man kennt seinen Körper“, sagt er. 54,5 Kilo bringt Pietsch am Renntag auf die Waage. Mit den Entbehrung­en hat er gelernt zu leben. Das Adrenalin am Renntag gibt ihm mehr. Noch immer.

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:Foto: kairospres­s Jockey Alexander Pietsch führt die Dresden Familientr­adition erfolgreic­h fort – trotz immenser Herausford­erungen.

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