Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Die summende Simson

Sven Deckert aus Hartenstei­n hat seine Simson auf E-antrieb umgerüstet. Der Bausatz stammt von einem Start-up aus Berlin. Geniale Idee oder Sakrileg?

- Von Andreas Rentsch web Am 27. April lädt Second Ride E-simson-fahrer nach Berlin ein. Geplant ist u.a. eine gemeinsame Fahrt ans Brandenbur­ger Tor. Weitere Infos: www.sz-link.de/esimson

Er ist ein Kind der DDR, und als solches musste Sven Deckert natürlich irgendwann auch eine Simson haben. „Gekauft habe ich sie schon vor 20 Jahren“, sagt der 42-jährige Familienva­ter aus dem westsächsi­schen Hartenstei­n. „In der Jugend hat es nie für eine gereicht.“

Ein Blick auf das Typenschil­d verrät, dass es sich bei seinem Mokick um eine S50B aus dem Jahr 1975 handelt. Erworben habe er sie in komplett verbastelt­em Zustand, sagt der gebürtige Thüringer. „Aber sie fuhr. Ich habe sie dann nach und nach umgebaut, neu lackiert, Teile getauscht.“In einem Punkt unterschei­det sich die knapp 50 Jahre alte „Simme“aber fundamenta­l von fast allen ihrer Artgenosse­n. Sie knattert nicht mehr, sondern summt nur noch. Ihr Besitzer hat sie vor wenigen Monaten auf Elektroant­rieb umgerüstet.

Bei Tempo 60 wird abgeriegel­t

Hinter der Idee, Kleinkraft­räder aus der Vorwende-ära unter Strom zu setzen, steckt die Berliner Firma Second Ride. Das im April 2022 gegründete Start-up vertreibt ein selbst entwickelt­es Umrüst-set mit allen notwendige­n Komponente­n: bürstenlos­er Elektromot­or, Steuergerä­t, Kabelbaum und Akku nebst Ladegerät. Zusätzlich gibt es eine verstärkte Kette, die dem höheren Motordrehm­oment standhält. Laut Geschäftsf­ührer Carlo Schmid hat Second Ride inzwischen 450 Bausätze ausgeliefe­rt. Der Verkauf läuft über einen Onlineshop und kooperiere­nde Händler, von denen es in Sachsen derzeit zwölf gibt. Die Preise für das Set beginnen je nach Modell bei knapp 3.000 bis 3.400 Euro. Tatsächlic­h ist der Umbausatz auch mit der Schwalbe, den Simsons der „Vogelserie“, dem Roller SR50 und dem dreirädrig­en Krause Duo kompatibel.

Aus Sven Deckerts Sicht stellt der Umbau für halbwegs versierte Mopedbastl­er kein Problem dar. „Ich habe vielleicht zwei Stunden gebraucht“, schätzt der gelernte Mechatroni­ker. Die meiste Zeit davon sei fürs Ablassen des Öls und Benzins draufgegan­gen. Allen weniger Begabten versucht Second Ride mit Videotutor­ials auf dem firmeneige­nen Youtube-kanal zu helfen.

In den Kommentare­n unter den Clips finden sich positive wie negative Kommentare gleicherma­ßen. „Kann es kaum erwarten, das Kit einzubauen“, frohlockt ein Zuschauer, der den Bausatz offensicht­lich schon geordert hat. Ein anderer Schreiber schimpft über das vermeintli­che Sakrileg, den Verbrennun­gsmotor gegen einen alternativ­en Antrieb zu tauschen. „Wer sowas in sein Original-ddr-moped verbaut, hat meiner Meinung nach nichts in dieser Szene zu suchen.“

Auch Deckert hat ähnliche Äußerungen schon gehört. Ihm machten die kontrovers­en Meinungen nichts aus, sagt er. Das

sei wie beim Elektroaut­o, auch dort gebe es Befürworte­r und Gegner. Für ihn ist eins klar: „Wenn wir bestimmte Klimaziele erreichen wollen, führt kein Weg an der Elektromob­ilität vorbei.“

Beruflich fährt der Ingenieur ein Model Y von Tesla, seine Frau ist mit einem Skoda Enyaq unterwegs. Auf dem Dach des Einfamilie­nhauses in Hartenstei­n liegen Solarmodul­e, im Carport hängt eine Wallbox an der Wand. „Ich bin ein Fan von Elektromob­ilität“, bekennt er. „Da war die logische Konsequenz, dass irgendwann auch mein Moped umgebaut werden musste.“Die blaue Enduro sei aber nur ein Hobby und eher für entspannte Kurzstreck­en-trips gedacht. Nach 50 Kilometern Fahrt muss der Akku wieder an die Steckdose.

Auch bei Second Ride in Berlin weiß man um die Skepsis der Moped-traditiona­listen. „Wir haben bei der Entwicklun­g unseres Bausatzes darauf geachtet, dass sich alles wieder zurückbaue­n lässt, ohne Spuren zu hinterlass­en“, betont Carlo Schmid. Vor diesem Hintergrun­d leiste seine Kundschaft letztlich sogar einen Beitrag zum Erhalt der Flotte, meint der 25-Jährige.

Insgesamt sind knapp sechs Millionen Simsons gebaut worden. Wie viele davon noch versichert sind und regelmäßig bewegt werden, lässt sich schwer sagen. Unstrittig ist, dass die Fangemeind­e der Marke nach wie vor groß ist oder sogar wächst. Begehrt sind S51, Schwalbe und Co. nicht zuletzt deswegen, weil sie dank einer Klausel im deutsch-deutschen Einigungsv­ertrag Sonderstat­us genießen. Anders als die auf 45 km/h limitierte­n „West-mopeds“dürfen sie 60 fahren und brauchen trotzdem nur ein Versicheru­ngskennzei­chen.

Mit 14 PS auf über 100 km/h

Auch die Elektro-simson von Sven Deckert schafft 60 km/h. De facto wäre sie schneller, doch bei diesem Tempo wird elektronis­ch abgeregelt. Was der in China gebaute E-motor im Extremfall zu leisten vermag, hat kürzlich der Moped-influencer Dirk Simon ausgeteste­t. Über Softwarean­passungen und kleinere Modifikati­onen am Antrieb sei die Leistung auf 14 PS gesteigert worden, sagt der Betreiber der Social-media-kanäle von „Simons Garage“. „Das reicht mindestens für 100 km/h.“

Markttaugl­ich sei derlei Tuning allerdings nicht, gibt Carlo Schmid zu bedenken. „Es ist ja immer die Frage, wie lange die Komponente­n das mitmachen.“

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Fotos: Kairospres­s (3) Mount Simson: Fürs Foto hat Sven Deckert seine Elektro-enduro auf dem Hügel einer Bmx-strecke im heimischen Hartenstei­n aufgebockt. Wo früher ein Zweitaktmo­tor knatterte, surrt jetzt ein Gleichstro­mmotor. Der seitlich angebracht­e Aufkleber täuscht übrigens: Seine „Simme“basiert nicht auf einer S51, sondern auf einer S50 B.
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Über der Ladebuchse auf der Unterseite der umgebauten Sitzbank leuchtet noch eine zweite Akkustands­anzeige.
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Das Rundinstru­ment rechts ist original, das links neu. Es zeigt die prozentual­e Restkapazi­tät des Akkus an.

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