Folter für Liebende
Das Filmfest Dresden zeigt ein ungeheuer starkes Programm, punktet mit einem inoffiziellen Schwerpunkt „Iran“, handelt sich damit aber auch zum Finale ein irritierendes Problem ein.
Wieder einmal wurde das am Sonntag geendete Filmfest Dresden von der Realität ein- und überholt. Wie schon 2022, als Russland kurz vor Festivalbeginn seinen Eroberungskrieg gegen die Ukraine begonnen und viele Filme über Krieg und Gewalt damit noch aktueller wurden als zuvor, kam nun der Iran „dazwischen“. Mehrere Filme aus dem Land unter jenem islamistischen Mullah-regime, das den Nahen Osten durch seine Drohnenangriffe auf Israel kürzlich ebenfalls an den Rand eines Flächenbrandes gebracht hatte, verdeutlichten in Dresden noch einmal den verbrecherischen Charakter seines Schurkensystems. Und das auf besonders bemerkenswerte, eindringliche und bewegende Weise. Leider sollte eine der Regisseurinnen noch für einen irritierenden Moment der Verstörung sorgen und für Ärger vor und hinter den Kulissen.
Alle drei der in Dresden preisgekrönten Beiträge thematisierten die Situation der oppositionellen Massen im Iran, nachgerade der Frauen. Maryam Tafakory gelingt das mit „Mast-del“in künstlerisch geradezu umwerfender Weise. Auf Negativ-filmaufnahmen eines liebenden Paares und sinnlichen Animationen projiziert sie in poetischen Worten das Los zweier Liebender. Die treffen sich in einem Park und werden dort, obwohl sie auf einer Bank größtmöglichen Abstand wahren, von der Polizei zusammengeschlagen.
Noch drastischer, weil aus authentischen Handy-videos collagiert, dokumentiert Narges Kalhor in „Sensitive Content“die Grausamkeit der Machthaber, deren Polizei wahllos prügelt, verhaftet, tötet – was stellenweise kaum zu ertragen war.
Ungleich zärtlicher geht Anna-sophia Richard vor in „My Orange Garden“, dem Porträt der Tänzerin und Sängerin Faravaz Farvardin, die in Deutschland Zuflucht gefunden hat. In ihrer Dankesrede für den Luca-preis hielt die junge Filmemacherin ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die grassierende Körperfeindlichkeit. Auch das ein höchst aktuelles Anliegen mit Blick auf die wachsende Welle an Hassreden gegen Frauen wie Favardin oder die Grünen-vorsitzende Ricarda Lang, in der sich Sexismus ebenso bricht wie „Dicken“-feindlichkeit.
Dass alle diese Filme von Frauen über Frauen erzählten, war keine Besonderheit beim Filmfest, im Gegenteil. Seit Jahren wird es immer politischer, immer anti-diskriminierender, immer weiblicher. Waren nach ewigen Zeiten männlicher Dominanz inzwischen schon seit ein paar Jahren Regisseurinnen im Programm ebenso präsent wie ihre Kollegen, stellten sie nun sogar die Mehrheit der Filmemachenden.
Auch die Beiträge selbst erzählten ungewöhnlich oft von Heldinnen, die nicht länger nur Opfer sind, vielmehr stark, selbstbewusst, wehrhaft. Wie Anna in „Zima“, Gewinner des Publikumspreises der Sächsischen Zeitung. Herausragend animiert und erzählt, bebildern Tomasz Popakul und Kasumi Ozeki das Schicksal einer jungen Frau in einem polnischen Dorf, die sich auch körperlich ihre Anerkennung in der patriarchalischen Bewohnerschaft erkämpfen muss. Ähnlich ausgerichtet ist „As miçangas“von Rafaela Camelo und Emanuel Lavor aus Brasilien, in dem zwei
Schwestern in den Wald fliehen, um eine verbotene Abtreibung durchzuführen.
Das weibliche Element dominierte nicht minder die deutschen Beiträge, zumal die ostdeutschen. Mit der Tragikomödie „Urlaubsversuche“, in dem zwei Freundinnen wiederholt an die Ostsee fahren, um ihrer sächsischen Heimat immer wieder kurz zu entfliehen und am Meer ihre Beziehung zu klären, gewannen die Leipziger Paula Milena Weise und Finn Ole Weigt den Mitteldeutschen Wettbewerb. Das Ungewöhnliche an diesem Regiepaar: Weise und Weigt hatten sogar zwei Filme im Wettbewerb, und das ohne jede technische und finanzielle Unterstützung einer Filmhochschule, wie auch alle weiteren mitteldeutschen Beiträge.
Auffällig aus heimischer Perspektive: Der Wettbewerb um den Kurzfilmpreis für demokratische Kultur setzte sich nicht mehr zusammen aus Filmen, die in der Region entstanden sind. Vielmehr hat er sich globalisiert mit Filmen aus Indien, Polen, Brasilien, Österreich, Deutschland, Frankreich und eben Iran. Das machte ihn qualitativ so stark wie nie, sogar zu einem der besten Blöcke des gesamten Festivals.
Umso bedauerlicher, dass dem Filmfest Dresden ausgerechnet aus diesem Programm ein irritierendes Kuckucksei ins ansonsten prächtige Nest rollte, als die doppelt ausgezeichnete iranische Regisseurin Maryam Tafakory bei der Preisverleihung am Sonnabend per Videobotschaft ihren Dank formulierte. Und wenige Wochen nach dem Eklat um die israelfeindlichen Sprüche von der Berlinale-finale-bühne in Dresden für Ähnliches sorgte. „Free Palestine“sagte Tafakory, nannte Israel kolonialistisch und warb für die antisemitisch kontaminierte Israel-boykott-bewegung BDS. Das Terror-regime in ihrem eigenen Herkunftsland, das Tafakory in „Mast-del“so entschieden anklagt, war ihr beim Danksagen indes kein einziges Wort wert.
Das konnte nur verblüffen und mehr. Schließlich ist die in London lebende Iranerin schon länger als Anti-israel-aktivistin bekannt. Sie hält das Land für rassistisch und schwieg sich konsequent auf ihrem Instagram-account zum Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober aus. Um erst nach Beginn der – man muss es so sagen: längst ins Menschenverachtende pervertierte – israelischen Luft- und Bodenoffensive einen propalästinensischen
Post nach dem anderen zu entäußern. Was man tolerieren muss, aber Tafakory nicht zur würdigen Gewinnerin ausgerechnet des Preises für Demokratische Kultur macht.
Glücklicherweise reagierte die Berlinale-gestählte Moderatorin Jenni Zylka ebenso spontan wie professionell und verwies sichtbar perplex auf die Meinungsfreiheit – mehr Distanzierung war in jenem Moment kaum möglich. Von den Filmfestverantwortlichen hatte offenbar niemand Tafakorys erst kurz vor knapp eingetroffenes Dankesvideo gesehen. Die Zeiten, sie sind zunehmend kompliziert, aber für den heikel gewordenen generellen Vertrauensvorschuss gegenüber einschlägigen Aktivistinnen darf ein genereller Misstrauensvorschuss fraglos keine Alternative sein.
Auf Nachfrage der SZ verwies die Festivalleitung auf das entschiedene Bekenntnis der Veranstaltung zur Meinungsfreiheit und darauf, dass man selbstverständlich Räume für die unterschiedlichen Positionen der Filmschaffenden Platz schaffen müsse. Zudem bekenne man sich seit Jahren offen gegen Antirassismus, Antisemitismus sowie jede Form von Diskriminierung. „Wir legen jedoch großen Wert auf die Feststellung, dass Meinungen der Filmschaffenden nicht zwingend identisch sind mit der Haltung des Festivals“, hieß es .
So musste Tafakorys Kollegin Narges Kalhor in Dresden daran erinnern, worum es iranischen Filmemacherinnen zurzeit hauptsächlich geht. „Es hat sich nichts in Iran verändert, es ist immer noch schrecklich, es wird weiter gemordet“, sagte sie nach der Auszeichnung mit dem 20.000 Euro schweren Sächsischen Filmförderpreis für „Sensitive Content“. Und: „Bitte vergesst die iranischen Frauen nicht!“