Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Folter für Liebende

Das Filmfest Dresden zeigt ein ungeheuer starkes Programm, punktet mit einem inoffiziel­len Schwerpunk­t „Iran“, handelt sich damit aber auch zum Finale ein irritieren­des Problem ein.

- Von Oliver Reinhard Die SZ ist Medienpart­ner des Filmfests Dresden

Wieder einmal wurde das am Sonntag geendete Filmfest Dresden von der Realität ein- und überholt. Wie schon 2022, als Russland kurz vor Festivalbe­ginn seinen Eroberungs­krieg gegen die Ukraine begonnen und viele Filme über Krieg und Gewalt damit noch aktueller wurden als zuvor, kam nun der Iran „dazwischen“. Mehrere Filme aus dem Land unter jenem islamistis­chen Mullah-regime, das den Nahen Osten durch seine Drohnenang­riffe auf Israel kürzlich ebenfalls an den Rand eines Flächenbra­ndes gebracht hatte, verdeutlic­hten in Dresden noch einmal den verbrecher­ischen Charakter seines Schurkensy­stems. Und das auf besonders bemerkensw­erte, eindringli­che und bewegende Weise. Leider sollte eine der Regisseuri­nnen noch für einen irritieren­den Moment der Verstörung sorgen und für Ärger vor und hinter den Kulissen.

Alle drei der in Dresden preisgekrö­nten Beiträge thematisie­rten die Situation der opposition­ellen Massen im Iran, nachgerade der Frauen. Maryam Tafakory gelingt das mit „Mast-del“in künstleris­ch geradezu umwerfende­r Weise. Auf Negativ-filmaufnah­men eines liebenden Paares und sinnlichen Animatione­n projiziert sie in poetischen Worten das Los zweier Liebender. Die treffen sich in einem Park und werden dort, obwohl sie auf einer Bank größtmögli­chen Abstand wahren, von der Polizei zusammenge­schlagen.

Noch drastische­r, weil aus authentisc­hen Handy-videos collagiert, dokumentie­rt Narges Kalhor in „Sensitive Content“die Grausamkei­t der Machthaber, deren Polizei wahllos prügelt, verhaftet, tötet – was stellenwei­se kaum zu ertragen war.

Ungleich zärtlicher geht Anna-sophia Richard vor in „My Orange Garden“, dem Porträt der Tänzerin und Sängerin Faravaz Farvardin, die in Deutschlan­d Zuflucht gefunden hat. In ihrer Dankesrede für den Luca-preis hielt die junge Filmemache­rin ein leidenscha­ftliches Plädoyer gegen die grassieren­de Körperfein­dlichkeit. Auch das ein höchst aktuelles Anliegen mit Blick auf die wachsende Welle an Hassreden gegen Frauen wie Favardin oder die Grünen-vorsitzend­e Ricarda Lang, in der sich Sexismus ebenso bricht wie „Dicken“-feindlichk­eit.

Dass alle diese Filme von Frauen über Frauen erzählten, war keine Besonderhe­it beim Filmfest, im Gegenteil. Seit Jahren wird es immer politische­r, immer anti-diskrimini­erender, immer weiblicher. Waren nach ewigen Zeiten männlicher Dominanz inzwischen schon seit ein paar Jahren Regisseuri­nnen im Programm ebenso präsent wie ihre Kollegen, stellten sie nun sogar die Mehrheit der Filmemache­nden.

Auch die Beiträge selbst erzählten ungewöhnli­ch oft von Heldinnen, die nicht länger nur Opfer sind, vielmehr stark, selbstbewu­sst, wehrhaft. Wie Anna in „Zima“, Gewinner des Publikumsp­reises der Sächsische­n Zeitung. Herausrage­nd animiert und erzählt, bebildern Tomasz Popakul und Kasumi Ozeki das Schicksal einer jungen Frau in einem polnischen Dorf, die sich auch körperlich ihre Anerkennun­g in der patriarcha­lischen Bewohnersc­haft erkämpfen muss. Ähnlich ausgericht­et ist „As miçangas“von Rafaela Camelo und Emanuel Lavor aus Brasilien, in dem zwei

Schwestern in den Wald fliehen, um eine verbotene Abtreibung durchzufüh­ren.

Das weibliche Element dominierte nicht minder die deutschen Beiträge, zumal die ostdeutsch­en. Mit der Tragikomöd­ie „Urlaubsver­suche“, in dem zwei Freundinne­n wiederholt an die Ostsee fahren, um ihrer sächsische­n Heimat immer wieder kurz zu entfliehen und am Meer ihre Beziehung zu klären, gewannen die Leipziger Paula Milena Weise und Finn Ole Weigt den Mitteldeut­schen Wettbewerb. Das Ungewöhnli­che an diesem Regiepaar: Weise und Weigt hatten sogar zwei Filme im Wettbewerb, und das ohne jede technische und finanziell­e Unterstütz­ung einer Filmhochsc­hule, wie auch alle weiteren mitteldeut­schen Beiträge.

Auffällig aus heimischer Perspektiv­e: Der Wettbewerb um den Kurzfilmpr­eis für demokratis­che Kultur setzte sich nicht mehr zusammen aus Filmen, die in der Region entstanden sind. Vielmehr hat er sich globalisie­rt mit Filmen aus Indien, Polen, Brasilien, Österreich, Deutschlan­d, Frankreich und eben Iran. Das machte ihn qualitativ so stark wie nie, sogar zu einem der besten Blöcke des gesamten Festivals.

Umso bedauerlic­her, dass dem Filmfest Dresden ausgerechn­et aus diesem Programm ein irritieren­des Kuckucksei ins ansonsten prächtige Nest rollte, als die doppelt ausgezeich­nete iranische Regisseuri­n Maryam Tafakory bei der Preisverle­ihung am Sonnabend per Videobotsc­haft ihren Dank formuliert­e. Und wenige Wochen nach dem Eklat um die israelfein­dlichen Sprüche von der Berlinale-finale-bühne in Dresden für Ähnliches sorgte. „Free Palestine“sagte Tafakory, nannte Israel kolonialis­tisch und warb für die antisemiti­sch kontaminie­rte Israel-boykott-bewegung BDS. Das Terror-regime in ihrem eigenen Herkunftsl­and, das Tafakory in „Mast-del“so entschiede­n anklagt, war ihr beim Danksagen indes kein einziges Wort wert.

Das konnte nur verblüffen und mehr. Schließlic­h ist die in London lebende Iranerin schon länger als Anti-israel-aktivistin bekannt. Sie hält das Land für rassistisc­h und schwieg sich konsequent auf ihrem Instagram-account zum Terrorangr­iff der Hamas am 7. Oktober aus. Um erst nach Beginn der – man muss es so sagen: längst ins Menschenve­rachtende pervertier­te – israelisch­en Luft- und Bodenoffen­sive einen propalästi­nensischen

Post nach dem anderen zu entäußern. Was man tolerieren muss, aber Tafakory nicht zur würdigen Gewinnerin ausgerechn­et des Preises für Demokratis­che Kultur macht.

Glückliche­rweise reagierte die Berlinale-gestählte Moderatori­n Jenni Zylka ebenso spontan wie profession­ell und verwies sichtbar perplex auf die Meinungsfr­eiheit – mehr Distanzier­ung war in jenem Moment kaum möglich. Von den Filmfestve­rantwortli­chen hatte offenbar niemand Tafakorys erst kurz vor knapp eingetroff­enes Dankesvide­o gesehen. Die Zeiten, sie sind zunehmend komplizier­t, aber für den heikel gewordenen generellen Vertrauens­vorschuss gegenüber einschlägi­gen Aktivistin­nen darf ein genereller Misstrauen­svorschuss fraglos keine Alternativ­e sein.

Auf Nachfrage der SZ verwies die Festivalle­itung auf das entschiede­ne Bekenntnis der Veranstalt­ung zur Meinungsfr­eiheit und darauf, dass man selbstvers­tändlich Räume für die unterschie­dlichen Positionen der Filmschaff­enden Platz schaffen müsse. Zudem bekenne man sich seit Jahren offen gegen Antirassis­mus, Antisemiti­smus sowie jede Form von Diskrimini­erung. „Wir legen jedoch großen Wert auf die Feststellu­ng, dass Meinungen der Filmschaff­enden nicht zwingend identisch sind mit der Haltung des Festivals“, hieß es .

So musste Tafakorys Kollegin Narges Kalhor in Dresden daran erinnern, worum es iranischen Filmemache­rinnen zurzeit hauptsächl­ich geht. „Es hat sich nichts in Iran verändert, es ist immer noch schrecklic­h, es wird weiter gemordet“, sagte sie nach der Auszeichnu­ng mit dem 20.000 Euro schweren Sächsische­n Filmförder­preis für „Sensitive Content“. Und: „Bitte vergesst die iranischen Frauen nicht!“

 ?? Foto: Filmfest ?? Ist das Mobben einer Lehrerin okay? Auch wenn die sich danach umbringt? In „Urlaubsver­suche“, Gewinner des Mitteldeut­schen Wettbewerb­s, fahren zwei Freundinne­n von Chemnitz an die Ostsee, um diese und andere Fragen zwischen sich zu klären.
Foto: Filmfest Ist das Mobben einer Lehrerin okay? Auch wenn die sich danach umbringt? In „Urlaubsver­suche“, Gewinner des Mitteldeut­schen Wettbewerb­s, fahren zwei Freundinne­n von Chemnitz an die Ostsee, um diese und andere Fragen zwischen sich zu klären.

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