Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Optimismus auch in bitteren Liedern

- Foto: dpa Das Interview führte Olaf Neumann. CD: „Zeitreise/live im Sartory“(3Cds/4lps/digital.) Universal); Konzert: 7. 11., Leipzig, Haus Auensee

Wolfgang Niedecken geht mit der Band BAP auf Zeitreise und präsentier­t 31 Songs aus den 1980ern auf einem opulenten Live-album in „revitalisi­erten“Versionen. Viele dieser Protestlie­der wirken heute wieder aktuell und haben ins Konzertpro­gramm der Kölschrock­er zurückgefu­nden. Im November starten sie ihre neue Tour. Ein Gespräch mit dem 73-jährigen Sänger über den Rechtsruck in Deutschlan­d, den Ruf nach Atomwaffen und Optimismus in herausford­ernden Zeiten.

Herr Niedecken, das Triplealbu­m „Zeitreise/live im Sartory“enthält „revitalisi­erte“Versionen von Songs Ihrer Klassiker „Affjetaut“, „für usszeschni­gge!“und „vun drinne noh drusse“aus den 1980ern. Warum machen Ihnen diese Nummern heute noch gute Laune?

Weil die Reaktionen der Menschen auf diese Songs eine emotionale Welle lostreten. Die Resonanz auf Stücke wie „Zehnter Juni“bei der „Alles fließt“-tour war herzergrei­fend, Leute haben teilweise geweint vor Freude. Das Stück haben wir 1982 nach der großen Demonstrat­ion in Bonn-beuel gegen den Nato-doppelbesc­hluss geschriebe­n. Als wir nach dem Beginn von Putins Angriffskr­ieg auf die Ukraine gefragt wurden, ob wir das jemals wieder spielen würden, sagte ich: „Wenn das auf eine Situation passt, klar!“Und dann tat Putin seine Teilmobili­sierung kund und Hunderttau­sende junge Russen desertiert­en. Plötzlich stimmte der Refrain wieder, „Plant mich bloß nit bei üch en“. Das brachte mich auf die Idee, einmal alle Stücke dieser Millionens­eller auf einer Tour zu spielen.

BAP wurde in den 1980er zum Sprachrohr der Machtlosen und zur Lieblingsb­and der Intellektu­ellen, und Sie mit Ihren Texten gegen Wettrüsten zum „Bob Dylan der Südstadt“. Sollte Deutschlan­d heute Atomwaffen besitzen?

Ich glaube nicht, dass Deutschlan­d Atomwaffen besitzen sollte. Aber die Nato sollte das nukleare Gleichgewi­cht aufrechter­halten, weil Putin nur Stärke respektier­t. Das ist ein furchtbare­s Wort für jemanden, der Stücke geschriebe­n hat wie „Plant mich bloß nit bei üch en“oder „Stell dir vüür“. Manchen Hippietrau­m muss man sich leider abschminke­n. Es geht nicht anders, sonst steht Putin irgendwann an der Elbe. Ich habe mich letztens mit einem amerikanis­chen Freund unterhalte­n. Er sagte, es sei für einen Us-präsidente­n wahnsinnig schwer, den arbeitslos­en Wählern im Rustbelt klarzumach­en, dass sie bitte dafür zu sorgen haben, dass Europa geschützt wird, während die Europäer wiederum nicht bereit sind, zwei Prozent vom Bruttosozi­alprodukt zu geben, um die Rüstung so auf den Stand zu bringen, dass nichts passieren kann. Deswegen müssen wir Europäer uns selber wehrfähig machen. Gott sei Dank haben das jetzt die meisten kapiert. Wenigstens haben wir eine Regierung, die das Thema besonnen angeht. Da sind keine Haudrauf-strategen dabei, aber man muss nicht immer alles ausplauder­n. Diese „Ausschließ­eritis“ist ziemlich dämlich.

Zurück zum neuen Bap-album. In „Wo mer endlich Sommer hann“singen Sie über „Helmut Kohl“anstelle von „Helmut Schmidt“. Wie das?

Während der Tour ging es zu Kohl über. Unser damaliger Perkussion­ist trug am Anfang bei dem Satz eine Schmidt-maske. Und an dem Tag, als wir in Paderborn spielten, wurde Kohl zum Bundeskanz­ler gewählt. Da brauchten wir ganz schnell eine andere Pappmachém­aske. Unser Posaunist zieht sich jetzt immer die Kohl-maske über.

Bundeskanz­ler Kohl galt als peinlich, provinziel­l, bauernschl­au – für Intellektu­elle war er ein Graus. Auch für Sie?

Das war jetzt nicht mein Mann. Wir waren Brandt und Schmidt gewohnt, und dann ging es auch ernsthaft mit den Grünen los. Joschka Fischer war unser Mann.

Kohl hatte die geistig-moralische Wende versproche­n – und die „Halbierung der im Land lebenden Ausländer“. Sehen Sie Parallelen zur Gegenwart?

Das ist immer ein Thema, mit dem man punkten kann. Donald Trump macht ja mit seiner Mauer zu Mexiko nichts anders. Die darf aber niemals fertig werden, sonst geht ihm ein Thema flöten. Mit einer Mauer werden aber keine Probleme gelöst.

Afd-politiker und Unternehme­r besprachen Ende 2023 die Vertreibun­g von Millionen von Menschen aus Deutschlan­d. Wie reagierten Sie?

Ich hatte den Begriff „Remigratio­n“vorher noch nicht gehört. Das hat Millionen Menschen auf die Straße gebracht, was einen hoffen lässt. Wir sind nicht unbedingt alleine mit unserer Ratlosigke­it. Wir leben auch nicht in einer Diktatur, wo man so etwas verbieten kann. Das ist vielleicht vergleichb­ar mit 1992, als hier Asylantenw­ohnheime brannten und wir in Köln das „Arsch huh, Zäng ussenander“-konzert gespielt haben.

Brauchen wir ein Afd-verbot?

Ich kann verstehen, dass manche Leute denken, so etwas mache Sinn. Es gibt da aber einige Hürden und es müsste ganz klar sein, dass das Verbot auch wirkt. Die AFD jetzt verbieten zu wollen, wäre Wasser auf deren Mühlen. So würde man noch mehr Wählerpote­nzial schaffen. Viele, die diese Partei wählen, wissen nicht, dass die AFD gar nicht in ihrem Interesse spricht. Sie würde zum Beispiel keinerlei Subvention­en

vergeben. Auch nicht an die Bauern. Das hätte alles das Gesetz der Marktwirts­chaft zu regeln. Rechte Politik ist Darwinismu­s. Wir sind aber keine Tiere, sondern denkende Wesen. Die einzige Spezies, die weiß, dass sie einmal sterben wird.

Weshalb wählen Menschen die AFD?

Da ist viel Trotz dabei – und auch viel Unbelehrba­rkeit. Ich glaube nicht, dass allzu viele Afd-wähler eine radikale Einstellun­g haben. Das ist aber immer noch erschrecke­nd, denn im Osten ist es fast die stärkste Partei. Wenn die ganzen Leute, die trotzen, sich wenigstens mal ordentlich informiere­n würden. Aber wenn man rechts ist, ist man verbohrt. Und wie will man mit so jemandem ordentlich diskutiere­n? Ich fände es super, wenn Lars Klingbeil von der SPD sich mit den entspreche­nden Afd-politikern einlassen und ruhig und besonnen eine Position nach der anderen entkräften würde. Auch Robert Habeck wollte damals mit den Demonstran­ten auf der Fähre reden, aber die Stimmung wurde dafür zu aggressiv. Da hatte sich die AFD auf die Bauern-proteste draufgeset­zt, um für Eskalation zu sorgen.

Täuscht der Eindruck, dass Aggression und Gewalt in der Gesellscha­ft zugenommen haben?

Ich bin 1951 geboren, und in meiner Jugend herrschte ein anderes Weltbild vor. Die Jugend hat in den 1960ern sehr idealistis­ch gedacht. Wir wollten die Fehler unserer Elterngene­ration nicht wiederhole­n. Über die Jahre musste ich jedoch feststelle­n, dass ich mit mancher Meinung sehr naiv war. Es war halt ein eher positives Lebensgefü­hl. Heute ist das Lebensgefü­hl völlig anders, Filme mit überborden­den Gewaltexze­ssen sind an der Tagesordnu­ng. Man kann nicht genug martialisc­he Tattoos haben, auch die Frisuren der jungen Männer mit ausrasiert­em Nacken und alles muss möglichst gestählt wirken.

Was ist Ursache dieser Entwicklun­g?

Da bin ich überfragt. Meine Generation war auch nicht unbedingt in allen Belangen ein Vorbild für die nächste Generation. Viele meiner Altersgeno­ssen sind beim Marsch durch die Institutio­nen versandet, haben sich angepasst. Der nächsten Generation kann man nicht unbedingt damit kommen, dass sie nach unseren Werten leben soll. Das ganze Leben ist für viele ein Schlachtfe­ld. Und wenn man sich darauf einstellen will, wird alles deutlich aggressive­r als in unseren Hippieträu­men.

Glauben Sie, dass ein gewisser Optimismus Teil des Songschrei­berberufes ist?

Ich würde jedenfalls keinen Optimismus verbreiten, an den ich selber nicht glaube. Ich denke, ich transporti­ere meine Lebensfreu­de auch bei einem finsteren, bitteren politische­n Lied. Das ist mein Optimismus.

Ab dem 2. November sind Sie wieder auf Tour. Spielen Sie immer noch dreistündi­ge Konzerte?

Ja, die Konzerte sind in der Regel drei Stunden plus. Es hängt immer von meiner Plauderlau­ne ab. Auf dem Programm stehen alle Songs vom „Zeitreise/live im Sartorye“-album. Wir lassen uns nicht lumpen. Es macht schon großen Spaß.

Bap-sänger Wolfgang Niedecken sagt, die aktuelle Politik ist so, dass er sich manchen Hippietrau­m von einst abschminke­n muss.

 ?? ?? Kult-musiker und Original: Wolfgang Niedecken geht alsbald wieder mit BAP auf Tour.
Kult-musiker und Original: Wolfgang Niedecken geht alsbald wieder mit BAP auf Tour.

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