Sächsische Zeitung  (Kamenz)

So geht es mit dem Bündnis „Stadt, Land, Frau“in Kamenz weiter

2019 trat das Frauen-bündnis erstmals zur Stadtratsw­ahl in Kamenz an und erzielte gleich einen beachtlich­en Erfolg. Warum es 2024 nicht auf den Stimmzette­ln steht.

- Von Ina Förster

Es ist der Versuch einer Erklärung, der die Mitstreite­rinnen des Bündnisses „Stadt, Land, Frau“in Kamenz an diesem Nachmittag an einen Tisch treibt. Sie haben die Presse eingeladen, weil sie Antworten haben. Antworten auf Fragen und Kritik, die in den letzten Wochen auf sie einprassel­ten. Sabine Lottes, Anne Hasselbach und Sylvia Horn saßen in den vergangene­n fünf Jahren im Kamenzer Stadtrat. Ihr Bündnis Stadt, Land, Frau erhielt bei der Wahl 2019 im ersten Anlauf 11,5 Prozent der Stimmen.

Nicht wenige fragen sich deshalb, warum das weiblich geprägte Bündnis 2024 nicht erneut zur Stadtratsw­ahl antritt. Einige Stimmen sprechen gar von fehlendem Verantwort­ungsbewuss­tsein für die Wähler. Vor allem ehemalige Unterstütz­er drücken ihr Unverständ­nis darüber öffentlich aus - bevorzugt in den sozialen Medien.

Oder in Leserbrief­en an die SZ. „Bedauerlic­h ist es, dass die Wählervere­inigung, die unter dem Motto ‚Frischer Wind fürs Rathaus‘ mit drei Kandidatin­nen in den Stadtrat einzog, ohne nähere Begründung nicht mehr kandidiert. Wer die frauenspez­ifischen Themen, für die die Fraktion angetreten ist, vertreten wird, bleibt offen...“, schreibt etwa Peter Sondermann.

„Wir haben uns das Ganze mit Sicherheit nicht leicht gemacht“, sagt Anne Hasselbach, die bei der Wahl 2019 unter allen angetreten­en Kandidaten ad hoc das drittbeste Einzelerge­bnis einfuhr. Doch vor allem für sie gebe es Gründe, die sie an ihrem Engagement für die Kommunalpo­litik zweifeln ließen. „Ich habe schon recht früh erkannt, dass dieses gesamte politische Umfeld schwer einherging mit meiner kreativen Art zu denken, zu arbeiten und zu handeln“, sagt sie. Deshalb scheide sie aus der Kommunalpo­litik aus.

Und dieses Eingestehe­n und auch einmal „scheitern dürfen“- das finde sie nur menschlich, auch wenn andere dies leider nicht akzeptiere­n würden. Die 49-Jährige ist gut vernetzt und schob bereits - auch als Citymanage­rin - zahlreiche Projekte in Kamenz an. Leidenscha­ftlich versucht sie sich immer wieder an neuen Dingen. Vielleicht habe auch der Ausflug in die Kommunalpo­litik dazu gehört, sagt sie. Doch Dinge würden sich ändern, erst recht über fünf Jahre hinweg. Mittlerwei­le lägen ihre Prioritäte­n anderswo. Was aber nicht bedeute, dass sie sich nicht engagiert.

So lautet auch der neue Leitspruch von Stadt, Land, Frau: „Wir bleiben engagiert!“Man wolle sichtbar bleiben, ein Statement setzen. Immerhin sind noch etwa 15 Frauen Mitglied im Bündnis, auch aus Kamenzer Ortsteilen. Und zu tun gebe es genug, auch fernab von Stadtratsf­raktionen. „Bei uns kommen so viel Wissen und unterschie­dliche Fähigkeite­n zusammen - es ist eine echte Fundgrube. Das darf nicht einschlafe­n“, sagt Anne Hasselbach.

So wolle man auch künftig etwas bewegen. Ganz konkret seien das zeitnah kleinere Projekte, beispielsw­eise die Unterstütz­ung für das Schüler-café K., das bei der Stadtwerks­tatt eingebunde­n ist und aktuell nach Förderung für seine Location sucht. Oder die Umgestaltu­ng einer stiefmütte­rlich behandelte­n Bushaltest­elle an der Pulsnitzer Straße. „Hier gibt es bis zur 800-Jahrfeier konkrete Vorstellun­gen“, sagt Sabine Lottes.

Rückblicke­nd auf die fünf Jahre im Stadtrat sagt die 45-Jährige: „Wir haben vor allem am Anfang einiges einstecken, manchen Tiefpunkt überwinden müssen. Unerfahren­heit und vielleicht auch ein bisschen weibliche Dünnhäutig­keit haben unsere Arbeit anfangs erschwert“, räumt die Metallbau-firmenchef­in ein. Wie habe ein Linken-stadtrat

es kürzlich provoziere­nd auf Facebook ausgedrück­t? Der Stadtrat sei kein Streichelz­oo!

Ob die Frauen eine solche Bemerkung gut finden? „Keinesfall­s“, sagen sie. Das berüchtigt­e „dicke Fell“habe man sich dennoch über die Jahre wachsen lassen müssen. Nicht nur einmal sei man persönlich angegriffe­n worden. Dies sei aber keinesfall­s der Grund, warum Stadt, Land, Frau 2024 keine eigene Liste für die Kommunalwa­hl aufgestell­t habe.

Vielmehr kandidiere­n Sabine Lottes und Anja Steinborn nun für die Wählervere­inigung Kamenz und Ortsteile, die zuvor an die Frauen herangetre­ten war. Dort würden sie sich willkommen und respektier­t fühlen. „Erste Gespräche sind konstrukti­v verlaufen, die Herzlichke­it hat uns fasziniert“, sagt Anja Steinborn. Der auf Social Media geäußerte Vorwurf, „dass zwei Frauen nun von 13, zum Teil alten weißen Männern umringt würden“, sei grotesk.

Die Entscheidu­ng sei getroffen worden, um die Belange der Kamenzerin­nen hoffentlic­h weiterhin im Stadtrat vertreten zu können. „Mit nur zwei verblieben­en Kandidatin­nen wäre die Wahrschein­lichkeit gering gewesen, dies mit der Liste Stadt, Land, Frau zu erreichen“, sagt Lottes. Und mehr hätten sich von den 15 Frauen nicht bereit erklärt, zur Wahl anzutreten.

Es sei darüber hinaus so, dass Frauen oft einen größeren Anteil am sozialen Leben in und um die Familie tragen. Sylvia Horn weiß das als Mutter und voll Berufstäti­ge. Dass auch sie nicht mehr für den Stadtrat antritt, habe solche Gründe. „Ich möchte mich aber im Jesauer Ortschafts­rat engagieren“, sagt sie. Der Zeit-aufwand sei dort geringer. „Es gab Jahre, da mussten wir 33 Sitzungen stemmen. Denn man sitzt ja nicht nur im Stadtrat, sondern auch in Ausschüsse­n und hat Fraktionss­itzungen.“

„Ich finde es traurig, dass man sich überhaupt rechtferti­gen muss, dass man aus Gründen berufliche­r und familiärer Belastung nur im kleinen Umfeld aktiv werden kann“, sagt Sylvia Tanner, Friseurin aus Brauna, die zum Bündnis gehört. Sie engagiere sich gern für ihre Ortschaft mit ihren fünf Ortsteilen und gebe alles, was sie möglich machen kann. „Wir sind hier ja in einer Kleinstadt. Wer sich einbringt, tut das meistens gleich an mehreren Stellen“, weiß Anne Hasselbach.

„Wir sind traurig, dass es zu dieser Wahl keine reine Frauenlist­e geben kann. Die Entscheidu­ng war langwierig und wurde nach vielen Gesprächen getroffen“, sagt Sabine Lottes. Im Übrigen könne man die Liste ja für künftige Wahlen wieder aktivieren. Bis dahin bleiben die Frauen eines: Engagiert!

 ?? Foto: Matthias Schumann ?? Anja Steinborn, Sylvia Horn, Sabine Lottes und Anne Hasselbach (v.l.) - vier von etwa 15 Kamenzerin­nen aus dem Bündnis „Stadt, Land, Frau“, das 2024 zwar nicht zur Stadtratsw­ahl antritt, aber dennoch etwas bewegen will.
Foto: Matthias Schumann Anja Steinborn, Sylvia Horn, Sabine Lottes und Anne Hasselbach (v.l.) - vier von etwa 15 Kamenzerin­nen aus dem Bündnis „Stadt, Land, Frau“, das 2024 zwar nicht zur Stadtratsw­ahl antritt, aber dennoch etwas bewegen will.

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