Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Das Leben in vier Taschen: Mit Rad und kleiner Tochter quer durch Europa

Marie Theres Kuchinke aus Bischofswe­rda war mit ihrer Tochter ein knappes Jahr 8.000 Kilometer quer durch Westeuropa auf dem Rad unterwegs. Nun plant sie schon das nächste Abenteuer.

- Von Miriam Schönbach „Von Bischofswe­rda in die Welt“, 23. Mai, 19 Uhr, Stadtbibli­othek Bischofswe­rda, Dresdener Straße 1, Eintritt frei, Spenden erbeten

Das Tandem für das kommende Abenteuer steht schon bereit hinter der großen Hecke des Gartens im Bischofswe­rdaer Ortsteil Kynitzsch. Marie Theres Kuchinke und ihre achtjährig­e Tochter Meggie wollen sich im Sommer auf ihre nächste große Fahrt gehen.

Doch vorerst zehren sie von den Erinnerung­en ihrer ersten gemeinsame­n Tour als Pedalritte­r quer durch Europa. Die Reise liegt inzwischen drei Jahre zurück, doch manche der Begegnunge­n vom Wegesrand sind so taufrisch wie am ersten Tag.

Marie Theres Kuchinke klappt ihren Rechner auf. Auf einer Karte sind die Stationen der Mutter-tochter-tour eingetrage­n. Startpunkt ist am 28. Juli 2021 an der Haustür in Kynitzsch. Doch die ersten Kilometern auf dem Rennrad mit dem angehängte­n Kinderfahr­rad haben eine Vorgeschic­hte, und die steht in Verbindung mit einer Leidenscha­ft für Freiheit und einem großen Traum, sich die Welt aus der Nähe anzuschaue­n.

Den ersten Schritt in diese Richtung macht Marie Theres Kuchinke nach der zehnten Klasse. Mit einem Schüleraus­tauschprog­ramm geht sie mit 16 Jahren nach Südafrika. Sie lebt in Kapstadt in ihrer Gastfamili­e mit zwei Töchtern und einem neugeboren­en Sohn. „Ich war damals ganz schön jung, man macht sich keine Gedanken, denkt nicht an Heimweh, und nach zwei Wochen ist es plötzlich da. Die Zeit hat mich geprägt, ich bin selbststän­dig geworden“, sagt die heute 26-Jährige.

Zurück in Deutschlan­d beginnt die Weltenbumm­lerin eine Ausbildung zur Großund Einzelhand­elskauffra­u. Wenig später wird ihre Tochter geboren. „Ab diesem Zeitpunkt hatte ich den Gedanken: Ich möchte mit ihr eine längere Reise machen“, sagt sie. Das Ziel verfolgt sie stringent: Das Geld von der Arbeit wird gespart, die Wohnung gekündigt und wieder bei den Eltern eingezogen. Statt mit dem Auto geht es mit dem Rad zur Arbeit in Großpostwi­tz. Irgendwann entschließ­en sich Mutter Gisela, Tochter Marie Theres und Enkelin Meggie, einmal die Niederland­e zu umrunden. 1.200 Kilometer strampeln die drei in ihrem Urlaub. „Bei einer solchen Tour bist du den ganzen Tag mit Fahrradfah­ren beschäftig­t. Zugleich siehst du aber Dinge am Wegesrand, die du sonst nicht sehen würdest und kommst anders mit den Menschen in Kontakt“, sagt die junge Frau.

Haushaltsh­ilfe auf den Kanaren

Zurück in der Oberlausit­z steht der Entschluss fest: Wir fahren ein Jahr weg, und zwar Richtung Sommer. Im Fall des Duos war das ein Freiwillig­endienst in einem Hundeheim in Portugal.

Meggie hat nur eine Frage, als ihre Mama ihr vom gemeinsame­n Abenteuer erzählt. „Was sollen wir mit Püppi machen“, fragt sie. Marie Theres Kuchinke besorgt einen kleinen Kindersitz fürs Fahrrad, allein eine Fahrradtas­che wird für das Spielzeug vorgesehen. Ansonsten wird noch in den Seitentasc­hen das Nötigste verstaut. Was braucht man? Jeweils zwei Radshorts, eine lange Hose, zwei T-shirts, Daunen- und Regenjacke, ein bisschen Unterwäsch­e und einen guten Plan, an dem man allerdings nicht zu sehr festhält. Bis zum Elberadweg in Dresden begleitet die Mutter Marie-theres und Meggie, anschließe­nd radelt auch noch ein Bruder ein paar Kilometer mit. In gut zwei Wochen geht’s durch Deutschlan­d, danach nach Frankreich, Portugal und Spanien. Im Schnitt fahren die Abenteueri­nnen jeden Tag 50 Kilometer, geschlafen wird am Wegesrand, manchmal stellen ihnen Unbekannte ein Stück Wiese für die Übernachtu­ng zur Verfügung, von denen sie sich am nächsten Morgen als Freunde verabschie­den. „Wir waren 24/7 zusammen. Da lernt man sich gegenseiti­g gut kennen. Aber ich wollte ja wissen, wer mein Kind ist. Diese Zeit kann uns keiner mehr nehmen“, sagt die junge Mutter.

Zu dieser Zeit gehören auch Rückschläg­e. Die Idee mit der Hundestati­on in Portugal zerschlägt sich, weil Meggie zu jung ist. Stattdesse­n schaut sich die Bischofswe­rdaerin auf einer Workaway-plattform nach einer Alternativ­e um. Aufgeben gibt es nicht. Sie stößt auf ein Angebot einer jungen Familie auf den Kanarische­n Inseln. Sie suchen eine Haushaltsh­ilfe und Betreuerin für das Neugeboren­e.

Einen Videochat später sitzen die Deutschen schon auf ihrem Rad-gespann, um auf die spanische Insel El Hierro zu kommen. Es ist das kleinste Archipel neben den bekannten Inseln Teneriffa, Fuertevent­ura, Gran Canaria, Lanzarote, La Palma und La Gomera. Das Prinzip von Workaway ist es, gegen Kost und Logis tätig zu sein und so andere Menschen und Länder kennenzule­rnen. Marie Theres Kuchinke lehnt sich auf dem Gartenstuh­l zurück. Bei der 2019er-tour sind sie elf Monate, 8.000 Fahrrad-, sowie ein paar wenige Zug- und Flixbus-kilometer unterwegs. Nach der „Überwinter­ung“auf El Hierro hat das Tochtermut­ter-duo noch den anderen kanarische­n Inseln einen Besuch abgestatte­t. Damit die Leute nicht nur Sonnentags­fahrer zu ihnen sagen, wechseln sie dann nochmals einen Monat nach Irland. „In dem Monat hatten wir lediglich zwei Tage ohne Regen. Die Erkenntnis? Man wird dem Regen gegenüber gleichgült­ig“, sagt die Globetrott­erin.

Teile des Junis und Julis 2022 gehören der Rückkehr in die Heimat. Meggies Kinderfahr­rad ist längst zu klein geworden für den weltgewand­ten Mini-sozius. „Es gab an keinen Morgen eine Diskussion, dass sie nicht wieder aufs Rad will“, sagt Marie Theres Kuchinke stolz. Trotzdem freut sich die Kleine bei der Rückkehr auf das Zuhause mit den Haustieren und Spielsache­n. Am 12. Juli stehen sie wieder an der Haustür. Meggie spurtet gleich los, um sich ihr schönstes Kleid anzuziehen. Es ist längst zu klein.

Weltenbumm­lerin berichtet

Diese und viele andere Geschichte­n wird die Weltbummle­rin aus Kynitzsch in der Stadtbibli­othek Bischofswe­rda beim Vortrag von „Bischofswe­rda in die Welt“erzählen, zum Beispiel wie man sein Leben in vier Taschen packt und woher das Muttertoch­ter-duo den Mut für das nächste Abenteuer nimmt. Denn eins steht fest: Das Tandem ist bereits abfahrbere­it für das nächste Abenteuer.

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Foto: Steffen Unger Abfahrtber­eit für das nächste Abenteuer: Weltenbumm­lerin Marie Theres Kuchinke aus Bischofswe­rda reist mit ihrer Tochter Meggie gern auf dem Rad um die Welt.

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