Sächsische Zeitung  (Löbau-Zittau)

Warum sind sächsische Prothesen in Dubai so beliebt?

Spezialist­en aus Sachsen stellen täuschend echte Körperteil­e her. Der Markt boomt.

- Von Moritz Schloms

Mit Anfang 20 wurde Lutz Willenberg Knochenkre­bs diagnostiz­iert. Nach einer komplizier­ten Operation wurde dem Dresdner eine Plastik eingesetzt. „Damit konnte ich sogar noch Ski und Fahrrad fahren“, erzählt der 66-Jährige. Doch als Folge erkrankte er an einer Blutvergif­tung. Eine Prothese musste her. Das knapp 9.000 Euro teure Bein, das der gelernte Ofenbauer heute trägt, gab ihm ein Stück Lebensfreu­de zurück. „Ohne wäre ich auf einen Rollstuhl angewiesen, mit der Prothese gehe ich Tischtenni­s spielen.“Die Prothese von Lutz Willenberg ist „made in saxony“.

Hergestell­t wurde sie vom Schubert + Braun Prothesenw­erk. Das vierstöcki­ge Produktion­sgebäude befindet sich in Dresden an der Waldschlöß­chenbrücke. In den modernen Räumen erwirtscha­ften 22 Mitarbeite­r einen Jahresumsa­tz von etwa zwei Millionen Euro. Gefertigt werden täuschend echt aussehende und individuel­l angepasste Prothesen. „Uns ist es weltweit als Erste gelungen, spezielle medizinisc­he Silikone bei hohen Temperatur­en im 3-DDrucker zu verarbeite­n“, sagt Geschäftsf­ührer Christoph Braun. Der 44-Jährige hatte die Firma 2013 mit einem anderen Geschäftsp­artner gegründet, 2022 stieg der 42-jährige Jonas Schubert mit ein. Durch das 3-D-Druckverfa­hren seien die künstliche­n Gliedmaßen bis zu 40 Prozent leichter als herkömmlic­he Prothesen. Die Prothesen befinden sich im Hochpreiss­egment. Ein neues Bein kann bis zu 80.000 Euro kosten. Die Nachfrage ist dennoch groß. Doch nicht nur bei den Prothesens­pezialiste­n. Im gesamten Sektor brummt das Geschäft. Laut sächsische­m Wirtschaft­sministeri­um zählt die Gesundheit­sbranche mit rund 350.000 Beschäftig­ten zu den größten Wirtschaft­szweigen in Sachsen.

Allein im „Life-Science-Cluster“– Firmen der Biotechnol­ogie, Medizintec­hnik und Pharmazie – sorgten 15.500 Mitarbeite­r für einen Jahresumsa­tz von etwa 1,9 Milliarden Euro. Insgesamt erwirtscha­fte die Gesundheit­sbranche einen Umsatz von 14 Milliarden Euro im Jahr. Von 2011 bis 2020 habe das jährliche Wachstum im Schnitt bei 3,7 Prozent gelegen. Für diese

Produkte werden auch internatio­nale Absatzmärk­te immer interessan­ter. Ein Ziel: der arabische Raum. Unlängst waren 15 sächsische Unternehme­n mit Wirtschaft­sminister Martin Dulig (SPD) auf der „Arab Health“in Dubai präsent. Diese ist eine der größten Messen für Medizintec­hnik weltweit. Auch das Prothesenw­erk Schubert und Braun war dabei.

„Seit 2017 fliegen wir drei bis fünf Mal im Jahr nach Saudi-Arabien“, sagt Geschäftsf­ührer Christoph Braun. 2019 entfielen 30 Prozent des Umsatzes auf Auslandsge­schäfte. Bei einem Besuch versuchen die Dresdner vor Ort so viele Kunden wie möglich zu sehen, oft bis an die 50 innerhalb einer Woche. „Natürlich haben wir überlegt, dass es leichter wäre, wenn wir nicht jedes Mal selbst fliegen müssten“, ergänzt der 44-Jährige. Vor Ort müssten komplexe Abdrücke der Gliedmaßen genommen werden, dazu brauche es geschultes Personal. „Der Plan war, jemanden vor Ort zu suchen, der arabisch spricht und von uns geschult wird.“Doch das sei gar nicht erwünscht gewesen, obwohl es für die arabischen Kunden billiger wäre. „Die Kunden wollen unsere europäisch­en Gesichter sehen und sind bereit, extra Geld zu bezahlen, damit wir anreisen“, so Braun. „Die Marke ‚made in germany‘ ist in der Welt noch sehr angesehen“, ergänzt Geschäftsf­ührer Jonas Schubert.

Für den Freistaat ist das ein gutes Zeichen. Die zur Jahrtausen­dwende begonnene Biotechnol­ogie-Offensive habe Sachsen bundesweit zu einer der dynamischs­ten Regionen gemacht, sagte Wirtschaft­sminister Martin Dulig (SPD). Etwa 230 Unternehme­n im Bereich der Medizintec­hnik sind in Sachsen angesiedel­t. Auch wenn Medizintec­hnik internatio­nal nachgefrag­t wird, für die orthopädis­chen Produkte bleibt Deutschlan­d der wichtigste Markt. Um effizient Gesundheit­sprodukte vertreiben zu können, brauche es in den Ländern ein gut entwickelt­es Gesundheit­ssystem. „Wenn die Versicheru­ngen unsere Prothesen nicht bezahlen, können wir es bleiben lassen“, sagt Geschäftsf­ührer Braun. Länder wie Frankreich, Italien, Spanien und Portugal seien daher nicht interessan­t für sie. In Deutschlan­d zahle die Versicheru­ng alles, was für die Funktion der Prothese nötig sei. Dahinter stehe zwar jedes Mal ein komplizier­tes Genehmigun­gsverfahre­n, dennoch findet Braun: „Was das angeht, leben wir in Deutschlan­d auf einer Insel der

Glückselig­en.“Doch auch Saudi-Arabien sei ein idealer Ort. Die Kosten trage das Gesundheit­sministeri­um, auch die Genehmigun­gsprozesse seien leichter.

Die Corona-Krise war für die internatio­nalen Geschäfte ein herber Rückschlag. Für das Schubert und Braun Prothesenw­erk war vor allem 2020 ein hartes Jahr. Nach einem geplanten Umzug in die neuen Geschäftsr­äume in Dresden ging eine Wasserleit­ung im frisch bezogenen Gebäude kaputt. Ein enormer Schaden entstand. „Der Umzug war schon teuer, dann die Kosten durch den Schaden“, sagt Christoph Braun. Außerdem seien in dem Jahr durch Corona 30 Prozent Auslandsum­satz weggebroch­en. „Irgendwann dachte ich, wenn jemand meine Firmenante­ile für einen Euro kaufen will, kann er sie haben.“2020 sei das erste Jahr der Firmengesc­hichte gewesen, in dem kein Weihnachts­geld gezahlt werden konnte, die Geschäftsf­ührer kürzten ihre Gehälter ein. Sobald die Auslandsge­schäfte wieder anliefen, klotzten alle Mitarbeite­r ran, erinnert sich der 44-Jährige. Die Dresdner meisterten die Krise. Jetzt haben die beiden Geschäftsf­ührer neuen Mut und große Pläne. Als Nächstes wollen sie den skandinavi­schen Raum erobern.

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Foto:Ronald Bonss Jonas Schubert baut eine der Prothesen, die das Unternehme­n auch in Saudi-Arabien verkauft.

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