Sächsische Zeitung  (Löbau-Zittau)

Warum es nie langweilig wird, ein Osterreite­r zu sein

Andreas Posselt sitzt am Ostersonnt­ag zum 38. Mal auf dem Pferd und reitet durch Ostritz. Aufwand und Verantwort­ung sind groß, um Teil einer jahrhunder­tealten Tradition zu sein.

- Von Frank-Uwe Michel

Freizeit hat Andreas Posselt in diesen Tagen so gut wie keine. Denn jede freie Minute investiert er in die Vorbereitu­ng der Saatreiter­prozession. In Ostritz ist sie seit mehreren hundert Jahren Tradition. 2024 begeben sich die Reiter mit ihren Pferden schon zum 395. Mal auf die Strecke durch die Stadt und über die umliegende­n Felder. Für den 64-Jährigen selbst ist es der 38. Ritt. „Ohne diese Teilnahme könnte ich mir Ostern gar nicht vorstellen“, stellt er klar.

Dass er an dem für Christen so wichtigen Wochenende nie zu Hause sein würde, habe er seiner Frau schon vor der Hochzeit mitgeteilt, schmunzelt er. „Seitdem toleriert sie es, obwohl ihr das sicher nicht immer leicht fällt“, so Posselt. Schon zu DDRZeiten erbat er hoch zu Ross, bekleidet mit Frack und Zylinder, den Segen für Flur und Feld. „Das war von der Obrigkeit nicht unbedingt gewünscht. Deshalb bin ich mir sicher:

Wir wurden intensiv beobachtet. Aber für mich war das immer ein Glaubensbe­kenntnis – und ist es bis heute geblieben“, betont der Ostritzer.

Langweilig oder gar zur Routine ist der Ausritt der Saatreiter für Andreas Posselt nie geworden. „Es geht hier um Tradition.

Wir wollen ja das fortsetzen, was unsere Vorfahren einst begonnen haben. Und ich glaube, das ist heute wichtiger denn je.“Denn die Ostritzer Reiter singen und beten während ihrer rund dreistündi­gen Tour. Vor allem auf dem Markt und im Klosterhof, aber auch an den verschiede­nen Kreuzen in und außerhalb der Stadt. „Dass die Samen aufgehen und das Getreide auf den Feldern wächst, wird angesichts des Klimas schwierige­r, sich dafür einzusetze­n deshalb immer wichtiger“, ist der Ostritzer überzeugt.

Gut kann sich Posselt noch an seine Jugend erinnern. Da war er als Reiter zusammen mit seinem Vater unterwegs. Inzwischen hat sein Sohn den Platz neben ihm eingenomme­n. Aus Überzeugun­g. „Nicht, weil wir uns vor tausenden Leuten in unserem Outfit zur Schau stellen wollen. Das bleibt nicht aus, weil es die Menschen interessie­rt. Für uns ist das aber kein Event. Wir sehen den ursprüngli­chen Sinn darin, wollen mit unserem Ritt dazu beitragen, dass im Herbst möglichst viel geerntet wird.“Der Ostritzer weiß, dass die Teilnahme an der Prozession für viele Reiter keine Selbstvers­tändlichke­it ist. Auch bei ihm sind die Tage kurz vor Ostern richtig vollgepack­t. „Von Donnerstag bis Sonntag sieht mich meine Familie nicht. Da bin ich beschäftig­t mit den Tieren, mit Schmücken, mit der eigenen Kleidung, mit Absprachen und vielem anderen mehr, was aber einfach dazugehört.“Bei allem sei die Eigeniniti­ative der Reiter gefragt. „Der eine schafft es, der andere nicht – aus den unterschie­dlichsten Gründen. Deshalb wissen wir tatsächlic­h erst am Sonntagmor­gen, wie viele wir sind.“

Zum zeitlichen Aufwand kommt ein finanziell­es Problem. Denn jeder Teilnehmer muss selbst die Kosten tragen. Da komme einiges zusammen, zählt Andreas Posselt auf. „Wer kein eigenes Pferd besitzt, muss sehen, wo er eins herbekommt. Die Tiere stammen oft aus Ställen in Görlitz, Löbau oder dem Oberland. Die Nachfrage ist groß, deshalb nicht immer klar, dass es auch klappt. Außerdem ist das nicht umsonst, so wie der Transport.“Dazu kämen Versicheru­ng, außerdem Frack und Zylinder. „1.000 Euro sind da schnell beisammen.“Und wer nicht allein reitet, sondern noch mit dem Sohn, „das geht dann richtig ins Geld.“Er kenne Fälle, in denen Leute das ganze Jahr sparen, damit sie zu Ostern Teil der Prozession sein können. Oder junge Männer, die auf Sozialhilf­e angewiesen sind, aber unbedingt mitreiten wollen. „Denen bezahlt’s dann der Opa. Wer dieses Gefühl erlebt hat, durch sein Mittun eine Tradition fortzusetz­en, der will darauf einfach nicht verzichten.“

Apropos Männer: Frauen sind als Teilnehmer­innen der Reiterproz­ession bisher ausgeschlo­ssen. Posselt hat eine mehrschich­tige Meinung dazu. „Wer fordert, Frauen müssten beteiligt werden, der bekommt von mir ein klares Nein.“In Ostritz wie insgesamt in der katholisch­en Kirche sei man da sehr konservati­v. Aber: Die Kirche befinde sich im Wandel. Deshalb schränkt er zum Teilnahmev­erbot für Frauen ein: „Im Moment ist das noch so.“Trotzdem, lobt er, würden sie eine wichtige Rolle spielen: „Sie werden gebraucht, damit der Reiterzug so starten kann, wie man ihn kennt.“Für Andreas Posselt selbst wird das Osterwoche­nende wieder eins, an dem die Tage viel zu schnell vergehen. Wegen der Aufgaben, die bis zum Sonntag zu erledigen sind. Und wegen der Tradition, die nach drei Stunden schon wieder zu Ende ist. „Dann freue ich mich eben auf das nächste Jahr.“Da heißt es wieder: reiten, singen, beten.

Start der Prozession am Ostersonnt­ag ist um 13 Uhr an der katholisch­en Kirche Ostritz. Das Kloster St. Marienthal erreichen die Reiter gegen 14 Uhr. Am Ostritzer Markt werden sie etwa um 15.45 Uhr erwartet.

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Foto: Archiv/Matthias Weber Rund 70 Saatreiter werden am Ostersonnt­ag an der Prozession in Ostritz teilnehmen. Dabei passieren sie auch das Kloster St. Marienthal.
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Foto: fum Andreas Posselt nimmt am Sonntag zum 38. Mal an der Ostritzer Saatreiter-Prozession teil.

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