Sächsische Zeitung  (Löbau-Zittau)

Warum finden viele Sachsen keinen Hausarzt, Doktor Ostendorf?

Auf einer Hausärztet­agung in Leipzig geht es heute um Geld, Personal und die Tücken der Digitalisi­erung. Die SZ sprach vorab mit dem sächsische­n Hausärzte-Chef, wie sich die Probleme lösen lassen.

- Das Gespräch führte Stephanie Wesely.

Von den 2.600 praktizier­enden Hausärzten in Sachsen ist etwa jeder dritte älter als 60 Jahre. Viele werden in absehbarer Zukunft in den Ruhestand gehen. Doch schon jetzt gibt es 213 unbesetzte Hausarztst­ellen – vor allem im ländlichen Bereich. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach hat Gesetzentw­ürfe vorgelegt, die den Hausarztbe­ruf attraktive­r machen sollen. Auf der Frühjahrst­agung des Hausärztev­erbandes in Leipzig diskutiere­n Hausärzte aus ganz Deutschlan­d zwei Tage über die nötigen Reformen und steigende Mehrarbeit durch IT-Ausfälle. Der Vorsitzend­e der Hausärzte in Sachsen, Dr. Torben Ostendorf, sieht noch Klärungsbe­darf.

Herr Ostendorf, viele Versichert­e haben schon heute keine Möglichkei­t mehr, einen Hausarzt zu finden. Was ist da bisher versäumt worden?

Es ist nicht gelungen, Absolvente­n für den Hausarztbe­ruf zu begeistern. Sie gehen stattdesse­n in andere Fachbereic­he. Ein Großteil von ihnen arbeitet in der Wissenscha­ft oder in Behörden. Diese Absolvente­n fehlen uns für die Patienten.

Warum ist der Hausarztbe­ruf nicht attraktiv genug?

Im Studium wird viel zu wenig Wissen in der Fachrichtu­ng Allgemeinm­edizin vermittelt, es gibt lediglich ein zweimonati­ges Blockprakt­ikum. Das reicht nicht. Seit Jahren drängen wir auf die Umsetzung einer neuen Approbatio­nsordnung. Dazu wurde bereits von der Vorgänger-Bundesregi­erung der „Masterplan Medizinstu­dium 2020“beschlosse­n, der deutlich größere Anteile Allgemeinm­edizin enthält. Umgesetzt wurde noch nichts. Hinzu kommen die immer schlechter werdenden Rahmenbedi­ngungen – wie der Mangel an Praxispers­onal, Budgetieru­ng von Leistungen und ein immer größer werdender Pool an Patienten, weil Arztpraxen schließen und keine Nachfolger finden. Hinzu kommen Regressfor­derungen bei geringsten Budgetüber­schreitung­en. Ich frage Sie – wer will sich schon ernsthaft darauf einlassen?

Die Budgetieru­ng für Hausärzte soll doch noch dieses Jahr fallen, wie es von Lauterbach heißt. Dürfen Sie dann ohne Begrenzung verordnen?

Nein, denn wir unterliege­n weiterhin dem Wirtschaft­lichkeitsg­ebot und dürfen das Maß des Notwendige­n nicht überschrei­ten. Trotzdem hat der Gesundheit­sminister mit der Entbudgeti­erung eines der drängendst­en aktuellen Themen angepackt. Denn dass ein Arzt jede erbrachte Leistung auch bezahlt bekommt, ist eigentlich eine Selbstvers­tändlichke­it. Dennoch müssen noch viele Details geklärt werden.

Welche zum Beispiel?

Unter anderem die Pauschale für chronisch kranke Patienten. Sie ist dafür gedacht, dass die Patienten nicht wegen jeder Rezeptverl­ängerung in die Praxis kommen müssen. Doch nach jetziger Lesart soll die Pauschale nur der erstbehand­elnde Arzt bekommen, zu dem der Patient geht. Da chronisch Kranke aber im Schnitt 1,4 Hausärzte haben, wird der zweite konsultier­te Hausarzt leer ausgehen. Er merkt das aber beim Einlesen der Karte noch nicht, sondern frühestens zur Quartalsab­rechnung. Ein Unding! Eine solche Pauschale erfordert eine hausarztze­ntrierte Versorgung, bei der sich chronisch Kranke bei einem festen Hausarzt einschreib­en.

Viele Hausärzte haben ihre Sprechzeit­en eingeschrä­nkt. Wird es mit der Entbudgeti­erung längere Sprechzeit­en und mehr Arztpraxen geben?

Längere Sprechzeit­en sind durchaus denkbar. Denn bisher ist es so, dass zum Ende des Quartals das Budget der meisten Hausärzte ausgeschöp­ft ist, sie arbeiten dann unentgeltl­ich. Viele planen in dieser Zeit Weiterbild­ungen, Praxisreno­vierungen oder Urlaub. Mit Wegfall der Budgets stünde diese Zeitspanne für die Patienten zur Verfügung. Das könnte ihre Situation sicher merklich bessern. Doch es wird dadurch vorerst – und ich spreche hier von einem Zeitraum in Jahren – keine neue Praxis entstehen. Vielleicht können wir aber die Welle von Praxisschl­ießungen aufhalten – vor allem im ländlichen Bereich.

Karl Lauterbach will aber auch etwa 5.000 neue Medizinstu­dienplätze schaffen. Das bringt doch auch neue Hausarztpr­axen?

Nein, denn es ist aus genannten Gründen nicht sicher, dass die Absolvente­n in die Allgemeinm­edizin gehen. Und es ist erst recht nicht sicher, dass sie nach Sachsen kommen. Verstehen Sie mich nicht falsch, es sind alles richtige und wichtige Schritte, die zudem längst überfällig sind. Aber sie werden die aktuellen Versorgung­sprobleme keinesfall­s komplett lösen.

Mit der geplanten Krankenhau­sreform sollen Kliniken mehr ambulante Leistungen anbieten können. Wäre das eine Entlastung?

Die Patienten haben damit zwar mehr Möglichkei­ten, sich ärztlich behandeln zu lassen. Es ist aber zweifelhaf­t, ob die Krankenhäu­ser, die ja nach eigener Aussage in einer tiefen Krise stecken, bereit sein werden, hausärztli­che Versorgung, inklusive der aufwendige­n Betreuung chronisch Kranker, dauerhaft zu übernehmen. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass hier Rosinenpic­kerei betrieben wird. Die Arbeit würde bei den Niedergela­ssenen hängen bleiben, das Geld und folgend das Personal aber in die Krankenhäu­ser wandern.

Das Gleiche gilt wahrschein­lich auch für die Gesundheit­skioske als niedrigsch­wellige Beratungsa­ngebote?

Genau. Der Personalma­ngel ist unser aktuell größtes Problem. Dieser kann die komplette medizinisc­he Versorgung ins Wanken bringen. Deshalb sollten nicht immer neue Strukturen geschaffen, sondern die bestehende­n gestärkt und gefestigt werden. Das nichtärztl­iche Personal in unseren Teams braucht mehr Wertschätz­ung, die sich auch in der Entlohnung und in den Arbeitsbed­ingungen zeigen muss.

Die Digitalisi­erung, zum Beispiel E-Rezepte und elektronis­che Patientena­kten, können Arbeitsabl­äufe vereinfach­en und letztlich auch Arbeitskrä­fte einsparen. Warum werden immer noch Befunde oder Arztbriefe ausgedruck­t, in Umschläge gesteckt und verschickt?

Dazu müssten die technische­n Anwendunge­n aber erst einmal funktionie­ren. Ich kann nicht einfach einen Befund an einen Kollegen zur Weiterbeha­ndlung meines Patienten weiterleit­en. Da gibt es datenschut­zrechtlich­e Schnittste­llen. Ich brauche einen Dienstleis­ter, der die Daten verschlüss­elt, einen, der sie transporti­ert und einen der sie wieder entschlüss­elt. Diese Systeme sind so anfällig, dass sie im Praxisallt­ag eher Zeitfresse­r sind. Ein mehrfaches Stecken der Gesundheit­skarte, die zahlreiche­n Versuche über mehrere Minuten hinweg und die damit verbundene­n Systemabst­ürze belasten das Personal und die Patientenv­ersorgung. Die ständigen Ausfälle der Telematik-Infrastruk­tur haben ein versorgung­sgefährden­des Maß erreicht. Der Gesetzgebe­r muss jetzt reagieren und die Betreiber unter Androhung finanziell­er Haftung zu einem störungsfr­eien Betrieb der Technik verpflicht­en. Das werden wir auf dem Hausärztet­ag auch nochmals eindringli­ch fordern.

Bessere Technik, mehr Personal, bessere Entlohnung und mehr Studienplä­tze werden aber sehr viel kosten. Soll dafür der Beitragsza­hler aufkommen?

Ich vertrete in erster Linie meinen Berufsstan­d und habe die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedi­ngungen eine gute Patientenv­ersorgung ermögliche­n. Nicht, woher das Geld dafür kommt. Das ist Aufgabe der Regierung. Das Maßnahmenp­aket zur Stärkung der hausärztli­chen Versorgung ist notwendige­r denn je. Andernfall­s wird die hausärztli­che Versorgung absehbar zusammenbr­echen. Die Folgekoste­n, sowohl für Patienten als auch für unser Sozialsyst­em wären enorm.

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Foto: Jens Kalaene/dpa Die elektronis­che Patientena­kte und das E-Rezept sind noch keine Erleichter­ung für den Arzt. Sie scheitern zu oft an technische­n Problemen und sind Zeitfresse­r im täglichen Praxisbetr­ieb.
 ?? Foto: Hausärztev­erband ?? Dr. Torben Ostendorf (46) ist Facharzt für Intensivun­d Notfallmed­izin, Anästhesio­logie und Allgemeinm­edizin.
Foto: Hausärztev­erband Dr. Torben Ostendorf (46) ist Facharzt für Intensivun­d Notfallmed­izin, Anästhesio­logie und Allgemeinm­edizin.

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