Sächsische Zeitung (Löbau-Zittau)
Warum finden viele Sachsen keinen Hausarzt, Doktor Ostendorf?
Auf einer Hausärztetagung in Leipzig geht es heute um Geld, Personal und die Tücken der Digitalisierung. Die SZ sprach vorab mit dem sächsischen Hausärzte-Chef, wie sich die Probleme lösen lassen.
Von den 2.600 praktizierenden Hausärzten in Sachsen ist etwa jeder dritte älter als 60 Jahre. Viele werden in absehbarer Zukunft in den Ruhestand gehen. Doch schon jetzt gibt es 213 unbesetzte Hausarztstellen – vor allem im ländlichen Bereich. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat Gesetzentwürfe vorgelegt, die den Hausarztberuf attraktiver machen sollen. Auf der Frühjahrstagung des Hausärzteverbandes in Leipzig diskutieren Hausärzte aus ganz Deutschland zwei Tage über die nötigen Reformen und steigende Mehrarbeit durch IT-Ausfälle. Der Vorsitzende der Hausärzte in Sachsen, Dr. Torben Ostendorf, sieht noch Klärungsbedarf.
Herr Ostendorf, viele Versicherte haben schon heute keine Möglichkeit mehr, einen Hausarzt zu finden. Was ist da bisher versäumt worden?
Es ist nicht gelungen, Absolventen für den Hausarztberuf zu begeistern. Sie gehen stattdessen in andere Fachbereiche. Ein Großteil von ihnen arbeitet in der Wissenschaft oder in Behörden. Diese Absolventen fehlen uns für die Patienten.
Warum ist der Hausarztberuf nicht attraktiv genug?
Im Studium wird viel zu wenig Wissen in der Fachrichtung Allgemeinmedizin vermittelt, es gibt lediglich ein zweimonatiges Blockpraktikum. Das reicht nicht. Seit Jahren drängen wir auf die Umsetzung einer neuen Approbationsordnung. Dazu wurde bereits von der Vorgänger-Bundesregierung der „Masterplan Medizinstudium 2020“beschlossen, der deutlich größere Anteile Allgemeinmedizin enthält. Umgesetzt wurde noch nichts. Hinzu kommen die immer schlechter werdenden Rahmenbedingungen – wie der Mangel an Praxispersonal, Budgetierung von Leistungen und ein immer größer werdender Pool an Patienten, weil Arztpraxen schließen und keine Nachfolger finden. Hinzu kommen Regressforderungen bei geringsten Budgetüberschreitungen. Ich frage Sie – wer will sich schon ernsthaft darauf einlassen?
Die Budgetierung für Hausärzte soll doch noch dieses Jahr fallen, wie es von Lauterbach heißt. Dürfen Sie dann ohne Begrenzung verordnen?
Nein, denn wir unterliegen weiterhin dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Trotzdem hat der Gesundheitsminister mit der Entbudgetierung eines der drängendsten aktuellen Themen angepackt. Denn dass ein Arzt jede erbrachte Leistung auch bezahlt bekommt, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dennoch müssen noch viele Details geklärt werden.
Welche zum Beispiel?
Unter anderem die Pauschale für chronisch kranke Patienten. Sie ist dafür gedacht, dass die Patienten nicht wegen jeder Rezeptverlängerung in die Praxis kommen müssen. Doch nach jetziger Lesart soll die Pauschale nur der erstbehandelnde Arzt bekommen, zu dem der Patient geht. Da chronisch Kranke aber im Schnitt 1,4 Hausärzte haben, wird der zweite konsultierte Hausarzt leer ausgehen. Er merkt das aber beim Einlesen der Karte noch nicht, sondern frühestens zur Quartalsabrechnung. Ein Unding! Eine solche Pauschale erfordert eine hausarztzentrierte Versorgung, bei der sich chronisch Kranke bei einem festen Hausarzt einschreiben.
Viele Hausärzte haben ihre Sprechzeiten eingeschränkt. Wird es mit der Entbudgetierung längere Sprechzeiten und mehr Arztpraxen geben?
Längere Sprechzeiten sind durchaus denkbar. Denn bisher ist es so, dass zum Ende des Quartals das Budget der meisten Hausärzte ausgeschöpft ist, sie arbeiten dann unentgeltlich. Viele planen in dieser Zeit Weiterbildungen, Praxisrenovierungen oder Urlaub. Mit Wegfall der Budgets stünde diese Zeitspanne für die Patienten zur Verfügung. Das könnte ihre Situation sicher merklich bessern. Doch es wird dadurch vorerst – und ich spreche hier von einem Zeitraum in Jahren – keine neue Praxis entstehen. Vielleicht können wir aber die Welle von Praxisschließungen aufhalten – vor allem im ländlichen Bereich.
Karl Lauterbach will aber auch etwa 5.000 neue Medizinstudienplätze schaffen. Das bringt doch auch neue Hausarztpraxen?
Nein, denn es ist aus genannten Gründen nicht sicher, dass die Absolventen in die Allgemeinmedizin gehen. Und es ist erst recht nicht sicher, dass sie nach Sachsen kommen. Verstehen Sie mich nicht falsch, es sind alles richtige und wichtige Schritte, die zudem längst überfällig sind. Aber sie werden die aktuellen Versorgungsprobleme keinesfalls komplett lösen.
Mit der geplanten Krankenhausreform sollen Kliniken mehr ambulante Leistungen anbieten können. Wäre das eine Entlastung?
Die Patienten haben damit zwar mehr Möglichkeiten, sich ärztlich behandeln zu lassen. Es ist aber zweifelhaft, ob die Krankenhäuser, die ja nach eigener Aussage in einer tiefen Krise stecken, bereit sein werden, hausärztliche Versorgung, inklusive der aufwendigen Betreuung chronisch Kranker, dauerhaft zu übernehmen. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass hier Rosinenpickerei betrieben wird. Die Arbeit würde bei den Niedergelassenen hängen bleiben, das Geld und folgend das Personal aber in die Krankenhäuser wandern.
Das Gleiche gilt wahrscheinlich auch für die Gesundheitskioske als niedrigschwellige Beratungsangebote?
Genau. Der Personalmangel ist unser aktuell größtes Problem. Dieser kann die komplette medizinische Versorgung ins Wanken bringen. Deshalb sollten nicht immer neue Strukturen geschaffen, sondern die bestehenden gestärkt und gefestigt werden. Das nichtärztliche Personal in unseren Teams braucht mehr Wertschätzung, die sich auch in der Entlohnung und in den Arbeitsbedingungen zeigen muss.
Die Digitalisierung, zum Beispiel E-Rezepte und elektronische Patientenakten, können Arbeitsabläufe vereinfachen und letztlich auch Arbeitskräfte einsparen. Warum werden immer noch Befunde oder Arztbriefe ausgedruckt, in Umschläge gesteckt und verschickt?
Dazu müssten die technischen Anwendungen aber erst einmal funktionieren. Ich kann nicht einfach einen Befund an einen Kollegen zur Weiterbehandlung meines Patienten weiterleiten. Da gibt es datenschutzrechtliche Schnittstellen. Ich brauche einen Dienstleister, der die Daten verschlüsselt, einen, der sie transportiert und einen der sie wieder entschlüsselt. Diese Systeme sind so anfällig, dass sie im Praxisalltag eher Zeitfresser sind. Ein mehrfaches Stecken der Gesundheitskarte, die zahlreichen Versuche über mehrere Minuten hinweg und die damit verbundenen Systemabstürze belasten das Personal und die Patientenversorgung. Die ständigen Ausfälle der Telematik-Infrastruktur haben ein versorgungsgefährdendes Maß erreicht. Der Gesetzgeber muss jetzt reagieren und die Betreiber unter Androhung finanzieller Haftung zu einem störungsfreien Betrieb der Technik verpflichten. Das werden wir auf dem Hausärztetag auch nochmals eindringlich fordern.
Bessere Technik, mehr Personal, bessere Entlohnung und mehr Studienplätze werden aber sehr viel kosten. Soll dafür der Beitragszahler aufkommen?
Ich vertrete in erster Linie meinen Berufsstand und habe die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen eine gute Patientenversorgung ermöglichen. Nicht, woher das Geld dafür kommt. Das ist Aufgabe der Regierung. Das Maßnahmenpaket zur Stärkung der hausärztlichen Versorgung ist notwendiger denn je. Andernfalls wird die hausärztliche Versorgung absehbar zusammenbrechen. Die Folgekosten, sowohl für Patienten als auch für unser Sozialsystem wären enorm.