Sächsische Zeitung (Löbau-Zittau)
Nach 110 Jahren: Ende von Olbersdorfer Handwerkerbetrieb zeichnet sich ab
Frank Heidrich arbeitet in seiner Tischlerei nur noch im Nebengewerbe. Das hat mehrere Gründe.
Wenn Frank Heidrich an die Firmengeschichte seiner Tischlerei denkt, dann geht ihm unweigerlich ein Stück Kindheit durch den Kopf. Als kleiner Junge begleitete er oft den Vater in die Werkstatt, staunte nicht nur über die lärmenden Maschinen in der Olbersdorfer August-BebelStraße. „Ich durfte mich auch ausprobieren“, erinnert sich der heute 64-Jährige. Holzverschnitt war immer da, Ideen für allerlei Basteleien auch. Besonders aber, lacht er, hätten es ihm die Spänekisten angetan. „Ich weiß nicht warum. Aber darin rumzuwühlen, fand ich irgendwie toll.“
Bald wird Frank Heidrich wahrscheinlich nur noch in Erinnerungen schwelgen. Denn nach 110-jährigem Bestehen ist abzusehen, dass es den Familienbetrieb nicht mehr lange geben wird. Der letzte Geselle hat sich einen neuen Job gesucht. Heidrich selbst ist seit Kurzem kein Tischler im Hauptberuf mehr. Aber weil er noch nicht ganz aufhören will, hat er ein Nebengewerbe angemeldet. „Von heute auf morgen überhaupt nichts mehr machen, das kann ich einfach nicht.“Der Olbersdorfer hält es deshalb wie Leistungssportler nach ihrer Karriere: Sie müssen abtrainieren.
Seit 1914 gibt es die Tischlerei Heidrich in Olbersdorf. Großvater Emil und dessen Bruder Richard fingen klein an und bauten das Geschäft mit zunehmender Nachfrage immer mehr aus. „Damals wurden hauptsächlich Möbel gebaut – Buffets, Schränke, ganze Schlafstuben“, hat Frank Heidrich aus Erzählungen seiner Familie erfahren. Bald lief die Firma so gut, dass das ursprüngliche Haus erweitert werden musste. In den Anbau kam oben die Werkstatt für die Endfertigung hinein. In den unteren Räumen standen die Großmaschinen, außerdem gab es ein Ladenlokal. „Dort konnten wir anhand von Beispielen zeigen, was wir drauf haben.“Das war offenbar viel – denn an Arbeit habe es seinen Vorfahren nicht gemangelt. Ende der 1950er Jahre brach dann eine neue Ära an: Franks Vater Gotthard Heidrich hatte sich zum Meister ausbilden lassen und übernahm die Firmenleitung. Handwerksbetriebe hatten es in dieser Zeit nicht leicht. Es mangelte vor allem an dem für Tischler so wichtigen Grundstoff: Holz. „Wir mussten nehmen, was und wie viel es gerade gab. Vorgeschnittene Bretter aber nicht. Eher Stämme, die wir selbst auf Maß bringen mussten. Da war es gut, dass wir mit Maschinen gut ausgestattet waren.“Es gab Zeiten, da stapelten sich die Baumstämme vor dem Haus. Und andere, wo kaum noch etwas übrig war. Der Bau von Möbeln ging allmählich zurück, die Menschen bestellten vor allem Fenster, Haus- und Innentüren.
Frank Heidrichs Berufsweg war seit seiner Jugend vorgezeichnet – eigentlich. „Ich wollte das übernehmen, was mein Großvater angefangen und mein Vater fortgeführt hatte.“Doch so richtig klappte das vorerst nicht. „In der DDR sollte ja die Kohlegrube in Olbersdorf noch erweitert werden. Wir wussten also nicht, ob es mit unserer Firma in der August-Bebel-Straße weitergehen würde. Denn das alles war ja mehr oder weniger Abbaugebiet.“Heidrich begann Mitte der 1970er Jahre deshalb eine Schlosserlehre, gedanklich hatte die Familie mit dem Standort im Niederdorf abgeschlossen.
„Als nach der Wende klar wurde, dass die Kohle hier in der Erde bleibt, waren wir natürlich erleichtert.“In der Tischlerei blickte man wieder nach vorn. Und für Frank Heidrich bedeutete es: umschulen.
„Vieles hatte ich bei meinem Vater schon mitgemacht, aber wenn man es von der Pike auf lernt, ist das natürlich nochmal etwas anderes.“1992 stieg der Sohn als Geselle im Unternehmen des Vaters ein, übernahm es dann 2008.
Der Familienbetrieb im Niederdorf blühte in den 1990er und 2000er Jahren richtig auf. „In der Spitze gab es neben dem Chef noch drei Gesellen und einen Lehrling“, erinnert sich der Olbersdorfer. Allerdings wandelte sich die Produktionspalette stark. Weil nach der Wende anfangs immer mehr Eigenheime gebaut wurden, waren
Den Maschinenpark (im Hintergrund die große Presse) hat noch Frank Heidrichs Großvater angeschafft. Nun zeichnet sich ab, dass die Tradition demnächst zu Ende gehen wird. auch Türen weiter gefragt. Aber schon bei Fenstern sah das anders aus. Hier hielt der Kunststoff Einzug und verdrängte das Holz. Ebenso rückläufig die Nachfrage bei Möbeln. „Vieles kauften die Leute nun ‚von der Stange‘“, erzählt Frank Heidrich. Sonderanfertigungen seien fortan immer seltener geworden.
Der Trend zum Massenprodukt hat sich in den zurückliegenden Jahren fortgesetzt – die Tischlerbranche, besetzt sie nicht eine nachgefragte Nische, hat damit schwer zu kämpfen. „Heute wird fast alles schon fertig angeboten. Individuelles steht auf dem Abstellgleis.“Das hat in erster Linie mit den Kosten zu tun. Aber auch, wie der Olbersdorfer Tischler findet, mit der aktuellen Regierungspolitik und den vielen Krisen, die es gibt. „Seitdem die Ampel an der Macht ist, sind die Leute noch zurückhaltender geworden. Aufträge werden kaum noch erteilt.“Für ihn sei das durchaus nachvollziehbar, so Heidrich. „In unsicheren Zeiten halten die Menschen ihr Geld zusammen, lassen nur noch das anfertigen, was unbedingt notwendig ist.“
Beim Blick auf die historischen, noch voll funktionstüchtigen Maschinen aus den 1920er/30er Jahren und der Aussicht, sie bald nicht mehr anzuschalten, kommt bei ihm ein bisschen Wehmut auf. „Ich habe die Vielseitigkeit meines Berufes immer geliebt. Deshalb kann ich noch keinen Schlussstrich ziehen – nicht komplett.“Solange er gesund sei, werde er ein paar kleine Aufträge machen, versichert er. Lust und Laune seien noch immer da.