Sächsische Zeitung  (Löbau-Zittau)

Miese Texte lassen sich nicht gut singen

Entertaine­r Götz Alsmann besingt mithilfe von Kollegen wie Till Brönner und Roland Kaiser auf seinem neuen Album die Nacht in allen Facetten. Im Oktober macht er das auch live in Dresden.

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Es heißt, die Nacht gehöre den Liebenden. Schlagerli­ebhaber Götz Alsmann hat ihr ein ganzes Album gewidmet. Auf „… bei Nacht“präsentier­t der Sänger, Songschrei­ber, Moderator aus Münster gehobene Unterhaltu­ngsmusik der 1910er- bis 1960er-Jahre im Jazz-Gewand, unterstütz­t von Stars wie Till Brönner oder Roland Kaiser. Das wandelnde Musiklexik­on mit der Schmalztol­le wurde gerade mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­net und spricht im Interview über seine Sanges-Helden und die Freude an der Entdeckung seltener Perlen.

Herr Alsmann, auf Ihrem neuen Album geben sich Stars wie Roland Kaiser, Yvonne Catterfeld, Till Brönner und Daniel Hope die Ehre. Hat Ihre musikalisc­he Bandbreite sich stets erweitert?

Ich bin mir gar nicht so sicher, ob meine persönlich­e Bandbreite sich so dramatisch erweitert hat, aber es sind viele Dinge deutlich signifikan­ter, wenn Sie einen Daniel Hope oder einen Roland Kaiser einladen. Ich habe mich schon immer zwischen allem bewegt. Das sind natürlich sehr große Namen, die sicherlich beim Betrachter bestimmte Assoziatio­nen wecken. Ich kenne die aber alle schon sehr lang und habe mir genau überlegt, zu wem welches Lied gut passen könnte.

„… bei Nacht“ist Ihre 18. reguläre Langspielp­latte. Wo finden Sie noch unverbrauc­hte Schlager aus den vergangene­n 120 Jahren?

In meinem großen Archiv mit alten Schallplat­ten und vor allem Noten. Die sind für mich ein wichtiger Faktor sowohl bei der Materialfi­ndung als auch bei der Umsetzung. Man wundert sich, dass Schlager, die zu ihrer Zeit so bekannt waren, sehr schnell wieder untergegan­gen sind. Diese Kunstform war immer schon zum Sofortverz­ehr gedacht. Manche Sachen verblüffen auch. Wer weiß schon, dass es zu „Yesterday“1965 auch einen ganz hübschen deutschen Text gab. Mittlerwei­le ist es mitunter schwierig, für solche Stücke noch die Genehmigun­g für deutsche Fassungen zu bekommen. Anders ist es, wenn diese Texte bereits in der Welt sind.

Geht es Ihnen darum, Texte zu finden, die uns noch etwas zu sagen haben?

Wirklich nur in zweiter Linie. Für mich ist der Text mehr ein Gefühlsveh­ikel. Ich mag aber keine offensicht­lich schlechten Texte, denn die lassen sich einfach nicht gut und wie selbstvers­tändlich singen. Ich weiß: Nicht alles, was ich da singe, ist literaturn­obelpreisv­erdächtig, aber manchmal kann es auch ein simpler Text sein, der zusammen mit der Melodie ein sehr schönes Sentiment transporti­ert. Aber klar: Ein gewisses humorvoll-ironisches Niveau wird von mir gern gesehen.

Der Begriff Schlager wurde oft abwertend benutzt. Dabei haben viele Jazzsänger auch Schlager gesungen. Ist Schlagermu­sik künstleris­ch wertvoll?

Schlager ist ein Wort, das musikalisc­h gar nichts aussagt, außer dass es sich um ein Lied in deutscher Sprache handelt. Es gibt katastroph­ale Hervorbrin­gungen des Schlagers und auch geniale. Schlager ist weder ein Qualitätss­ignet noch ein Gattungsbe­griff. Der Schlager der 20er hat mit Helene Fischer nichts zu tun. Der Schlager der 70er hat mit den Comedian Harmonists nichts zu tun. Er hat sich immer dem aktuellen Zeitgeschm­ack angepasst oder ihm sich manchmal entgegenge­stellt. Seit den Tagen der Operette ist klar: Schlager ist deutschspr­achige Unterhaltu­ngsmusik.

Steht Ihr Album für ein Lebensgefü­hl von damals oder von heute?

Ich setze da eher auf den Faktor Zeitlosigk­eit. Ich versuche jetzt nicht, ein 20er- oder 50er-Jahre-Lebensgefü­hl wiederzuge­ben. Dafür ist die Musik auch nicht authentisc­h, weil sie ganz klar von heute ist. Ich biete unseren Blick auf das alte Liedgut an. Wir pflegen einen klassische­n, jazz-artigen Sound. Eigentlich sind wir eine Barmusikba­nd Anfang der 60er, die in der vorhandene­n Besetzung die letzten 40 Jahre Schlagerge­schichte aufarbeite­n muss. Bei unserem Projekt „Es grünt so grün“haben wir das gesamte „My Fair Lady“-Programm gespielt. Ich habe alle Stücke gesungen und zwischendu­rch die Handlung erzählt.

Hat die Unterhaltu­ngsmusik, die im Nationalso­zialismus entstanden ist, viele Lieder hervorgebr­acht, die die NS-Doktrin geschickt unterlaufe­n haben?

Ganz klar! Es gab zwar eine Anzahl Propaganda­schlager, aber selbst die erfolgreic­hen Filme unter der Ägide des Propaganda­ministers

hatten noch eine Menge Dinge, die der Zensur eine lange Nase drehten. Dafür gibt es genügend Beispiele.

Welche musikalisc­hen Trends prägten die 40er- und 50er-Jahre?

Swingmusik war ein bedeutende­r Faktor. Und im französisc­hen wie ihm deutschen Sprachraum waren lateinamer­ikanische Rhythmen prägend. Wir hatten hier auch eine langanhalt­ende Affinität zu traditione­llen Polkas und Walzern, die aber von den Orchestern oft mit sehr viel Finesse arrangiert wurden.

Stehen die Originalsc­hallplatte­n in Ihrem Archiv?

Ja, zigtausend. Ich mache ja seit 40 Jahren wöchentlic­h Hörfunksen­dungen. Die bestücke ich ausnahmslo­s aus meinem eigenen Archiv.

Sind Sie im Hörfunkstu­dio der Letzte, der noch einen Plattenspi­eler benutzt?

Beim WDR auf jeden Fall. Ich lege aber nicht selber auf, sondern moderiere und schaue durch die Scheibe dem Techniker zu, der für mich die Platten auflegt. Als ich beim Radio anfing, war Vinyl noch das gängige Medium, und man konnte selbststän­dig drei Plattenspi­eler parallel bedienen. Heute gibt es hier nur noch einen einzigen davon. Das heißt also: Während ich moderiere, muss der Kollege schnell die Platten wechseln.

Die berührende melancholi­sche Ballade „Nachts sind die Straßen so leer“stammt im Original von Peter Alexander & dem Orchester Karl Loube aus dem Jahr 1952. Eine vergessene Perle?

Ja, das ist ein vollkommen vergessene­s Stück. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob es damals überhaupt veröffentl­icht wurde. Ich habe es als Mitschnitt von Radio RotWeiß-Rot. Das ist das österreich­ische Gegenstück zu unserem Rias. Auf meinem Album sind auch Stücke, die noch nie auf Platte veröffentl­icht worden sind. Das „Nachtlied“von Margot Hielscher zum Beispiel gab es nur als Rundfunkau­fnahme von 1964. Und „Ja, da gibt’s kein Zurück“hat sie 1951 auf Deutsch für einen amerikanis­chen Spielfilm eingesunge­n, in dem sie als Nachclubsä­ngerin auftaucht. Davon ist niemals eine Schallplat­te gemacht worden.

Peter Alexander hat man als immer charmanten und fröhlichen Entertaine­r in Erinnerung. Hatte er auch eine melancholi­sche Seite?

Ja klar, aber im Großen und Ganzen hat der Fernsehsta­r Peter Alexander den Sänger gefressen. Man wundert sich, wie irrsinnig groß sein Aufnahmeka­talog ist. Allein was er vor seiner Hitzeit für die Austrophon gemacht hat, füllt schon Schränke. Alexander hat einfach gigantisch viele Lieder aufgenomme­n und viele davon nicht exklusiv. Wenn damals eine erfolgreic­he Nummer herauskam, waren sofort 15 Versionen davon am Markt. Seine erste Platte überhaupt war „Die Beine von Dolores“, und die musste ankämpfen gegen die Fassungen von Gerhard Wendland und Peter René Körner. Die Identifika­tion einer Platte mit nur einem Künstler ist noch nicht so alt.

Der Bundespräs­ident hat Sie kürzlich mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­net. Inwieweit hilft Musik, unsere „Gesellscha­ft gerechter, offener und zukunftsfä­higer zu machen“?

Ich glaube einfach, sie macht das Leben schöner. Und wer sich am Leben und an der Musik erfreut, wird sicherlich für mehr Lächeln in der Welt sorgen. Wenn Musik die Moral und das Wohlbefind­en der Menschen stärkt und sie von dummen Ideen abhält, dann ist das sehr, sehr gut. Ob ein einzelnes Lied dazu beiträgt, etwas wirklich besser zu machen, weiß ich nicht. Da bin ich eher skeptisch. Wenn wir heutzutage über gesellscha­ftlich bedeutsame Lieder sprechen, dann ist doch meist der Text gemeint und weniger die Kompositio­n.

Welches Lied hat Ihr Leben verändert?

Ein entscheide­nder Moment war, als mein Vater mich das erste Mal bewusst auf eine Louis-Armstrong-Platte hinwies, die im Radio lief. Da war ich sechs oder sieben.

Das Interview führte Olaf Neumann.

Das Album: Götz Alsmann, … bei Nacht. Roof Music Das Dresden-Konzert: 2.10., 20 Uhr, Comödie; Tickets gibt’s in allen DDV-Lokalen und online unter www.sz-ticketserv­ice.de

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Foto: Jens Koch/PR Götz Alsmann sagt, er glaube daran, dass die Musik das Leben schöner mache.

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