Sächsische Zeitung (Löbau-Zittau)
Landschaft voller Risse
Der Autor Clemens Meyer diskutierte in Dresden mit Kollegen über Glanz und Elend der DDR-Literatur.
Gerade ist Rammstein für jeden Artikel Pflicht. Auch, wenn es um DDRLiteratur geht? Kein Problem! Der Vater von Sänger Till Lindemann war ein bekannter Kinderbuchautor in der Verflossenen. Generationen wuchsen mit Geschichten über Tina Tüftelchen, Rübesam und Pustemehl auf. Der Schriftsteller Werner Lindemann lebte eine Weile mit seinem erwachsenen Sohn zusammen. Doch er war nur ein Beifang am Donnerstagabend im Dresdner Hygiene-Museum. Im gut besuchten großen Saal diskutierten Autoren über „Glanz und Elend“der DDRLiteratur. Clemens Meyer hatte Heike Geißler und Marko Martin aufs Podium gebeten. Drei Sachsen unter sich. Martin stammt aus Burgstädt bei Chemnitz, Geißler wurde in Riesa geboren und lebt wie Meyer in Leipzig. Sie sind um die fünfzig und haben manches Buch aus der DDR erst im Nachhinein für sich entdeckt.
Ihre Diskussion bestätigt die These, die schon zu Lebzeiten des Landes kursierte: dass es die DDR-Literatur nicht gibt – bestenfalls eine Literatur aus der DDR. Denn zu unterschiedlich sind die Texte, zu unterschiedlich die Wege der Verfasser. Im Grunde müsse man auch die Weggegangenen und Ausgewiesenen dazuzählen wie Erich Loest, Günter Kunert, Jurek Becker oder Reiner Kunze, meint Marko Martin. Er nennt die damalige Literaturszene eine schrundige Landschaft voller Risse. „Oft ging der Riss durch den Einzelnen hindurch.“Er erinnert an den Dresdner Dichter Manfred Streubel, der früh mit der Staatsmacht in Konflikt geriet, sich als Redakteur der Kinderzeitschrift
„Frösi“im Unverfänglichen tarnte und nach dem Mauerfall keinen neuen Anfang fand. Streubel nahm sich das Leben.
Wenige ostdeutsche Schriftsteller konnten nach 1989 ihre Karriere nahtlos fortsetzen. Hiesige Verlage wurden geschlossen oder geschrumpft. Westdeutsche zeigten sich kaum interessiert. Christa Wolfs Erzählung „Was bleibt?“löste einen Literaturstreit aus, in dem fast die komplette Literatur aus der DDR als wertlos bezeichnet wurde. Wer hiergeblieben war, bekam schnell das Etikett „Staatsdichter“aufgeklebt. Beurteilt wurde vor allem die politische Haltung. Die literarische Qualität zählte weniger. Gerade darum aber geht es an diesem Abend in Dresden. Clemens Meyer befasst sich seit Langem mit Autoren aus der DDR. Man müsse prüfen, was von damals für heute tauge. Das sollte man im Gedächtnis der Gesellschaft bewahren. Für seinen Erstling „Als wir träumten“habe er sich von Irmtraud Morgners Montageroman über die Trobadora Beatriz anregen lassen. Kürzlich veröffentlichte er einen Band über Christa Wolf. Er spricht von ihrer „Hoffnungswilligkeit“.
Ein treffendes Wort. Marko Martin wirft Wolf eine „deutschnationale Tradition der Innerlichkeit“vor. Es sei ein Mythos, dass der Westen der DDR-Literatur den Garaus habe machen wollen. Unterschiedliche Sichten prallen aufeinander, ohne dass daraus Funken schlagen.
Einig ist sich das Podium darin, dass die Darstellung des Arbeiters in der ostdeutschen Literatur eine ganz andere Rolle spielte als in der westdeutschen. Meyer erinnert begeistert an Werke von Wolfgang Hilbig und Franz Fühmanns Bergwerks-Projekt. Heike Geißler sagt, sie sei dankbar, dass sie im Studium den „Bitterfelder Weg“kennenlernte. Den Namen gab eine Konferenz 1959 im Elektrochemischen Kombinat. Sie wollte Werktätige und Schriftsteller zusammenbringen. „Kann man etwas davon auf die Gegenwart übertragen?“, fragt Heike Geißler. Über ihre Erfahrungen in einem Amazon-Lager schrieb sie den viel beachteten Band „Saisonarbeit“. Sie liest einige Gedichte von Inge Müller, die 1966 Suizid beging, und von Jürgen Fuchs, der inhaftiert und ausgewiesen wurde.
Meyer kritisiert „die fehlende Neugier des westdeutschen Feuilletons“für Schriftsteller wie Werner Heiduczeck. Dessen Roman „Abschied von den Engeln“erschien kürzlich neu im Mitteldeutschen Verlag, „ein großes Melodram, sprachlich meisterhaft und wunderbar komponiert“, so Meyer. Heiduczecks Roman „Tod am Meer“und auch Hermann Kants Roman „Der Aufenthalt“nennt Meyer: Weltliteratur. Sein Fazit: „Die DDR ist untergegangen. Aber ihre Literatur ist noch da.“