„Kein Kind sollte Teil dieses Krieges sein“
Ihre Töchter und Söhne wurden von der Hamas verschleppt. In Berlin bitten israelische Eltern Deutschland um Hilfe, ihre Kinder wiederzubekommen. Sie hoffen – trotz allem – auf Frieden.
Als Batsheva Yahalomi Cohen die rettenden Soldaten sieht, weint sie das erste Mal an diesem Tag. So erzählt sie es. Es ist der 7. Oktober 2023. Dreieinhalb Stunden ist sie mit ihren beiden Töchtern, zehn Jahre und 22 Monate alt, über Felder gelaufen, nachdem sie Hamas-Terroristen zweimal entkommen sind. Ihr Mann, Ohad, ist angeschossen in ihrem Haus im Kibbuz Nir Oz. Ihren Sohn, Eitan Yahalomi, zwölf Jahre alt, haben die Terroristen entführt.
Seit diesem Tag hat Cohen, 44, nichts mehr von ihrem Sohn gehört, ihr Mann ist verschollen. Seit inzwischen mehr als vierzig Tagen, seit die Hamas Israel überfallen hat. Es sei schwer, an ihn zu denken, sagt sie. Wie er gefangen gehalten wird, mutmaßlich in einem unterirdischen Tunnel. Irgendwo im Gaza-Streifen, dessen Gebäude unablässig bombardiert werden. „Kein Kind sollte ohne seine Mutter sein. Kein Kind sollte Teil dieses Krieges sein“, sagt sie.
Cohen weint. Mitte November sitzt sie in einem Raum der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Sie erzählt, wie sie an dem Tag zum Sirenen-Alarm aufwachten, dass es ein Problem mit der Tür des Saferaumes in ihrem Haus gab. Wie Terroristen ins Haus kamen, sie filmten. Auf ihren Mann schossen, der versucht hatte, die Tür des Saferaumes zuzusperren. „Ich habe versucht, meine Babys zu retten“, sagt Cohen. Sie habe die Terroristen angefleht, nur sie als Geisel zu nehmen. Doch sie verschleppten auch ihre Kinder. Entkommen konnte sie letztlich nur, weil das Motorrad der Terroristen, auf dem sie mit ihren beiden Töchtern sitzen musste, einen Unfall hatte. Ihr
Sohn Eitan saß auf einem zweiten Motorrad. Sie erzählt, dass sie ein Buch von Eitans Lieblingsbuchreihe erst vor wenigen Wochen bestellt hat. Es ist nach dem 7. Oktober angekommen, die Buchhandlung hat angerufen: Wohin sie es liefern soll? Den Kibbuz gibt es nicht mehr, der Postbote ist tot, sagt Cohen. Sie hat das Buch dabei, Eitan soll es bekommen, wenn er freikommt. Cohen sitzt neben Avihai Brodutch und Gilad Korngold. Brodutchs kleine Kinder wurden verschleppt, genau wie Korngolds erwachsener Sohn mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern. Sie sind in Berlin, um für Aufmerksamkeit zu sorgen. Sie sprechen mit Politikern, Journalistinnen und Journalisten und Diplomaten.
Sie seien zu einem Gespräch in der katarischen Botschaft gewesen, sagt Brodutch. Es sei ein Treffen gewesen, das ihm Hoffnung gegeben habe. Es sind die Katarer, die derzeit vor allem mit der Hamas um die Freilassung der Geiseln verhandeln, zwei Geiseln wurden Berichten zufolge auf Vermittlung Katars befreit.
„Wir, alle Juden in Israel, sind mit den Geschichten des Holocausts aufgewachsen“, sagt Brodutch. „Mein Vater wurde in Deutschland in einem Flüchtlingslager geboren, er ist Pole“, sagt er. „Mir wurde immer gesagt, nie wieder“, sagt er, „das ist der Grund für die Existenzgründung Israels. Es ist traurig, zu sagen, dass es wieder passiert ist. Auf israelischem Boden. Ich will niemandem die Schuld geben, auch nicht der palästinensischen Bevölkerung. Es ist keine Frage der Schuld. Aber es ist passiert.“
Die Chance, auf die viele Angehörige hoffen, ist eine Feuerpause. Um Druck auf die israelische Regierung auszuüben, marschieren sie von Tel Aviv nach Jerusalem. Allerdings sind nicht alle Geiseln in den Händen der Hamas, manche wurden von anderen Terrorgruppen wie dem Islamischen Dschihad entführt.
Die Eltern in Berlin hoffen, trotz allem, auf Frieden. Es seien furchtbare Dinge geschehen, sagt Brodutch. „Sie werden nicht vergessen. Aber vielleicht wird es zu Frieden führen.“