Sächsische Zeitung  (Meißen)

Eine Tradition von 30.000 Arbeitsjah­ren

Vor 125 Jahren gründete ein Sachse die Dresdner Schnellpre­ssenfabrik, die spätere Planeta. Vor 25 Jahren fusioniert­e die Firma mit Koenig & Bauer aus Heidelberg. Der Enkel des einstigen Gründers lebt heute in Radebeul.

- Von Peter Ufer

Zur Feier zum 125. Geburtstag von Koenig & Bauer in Radebeul sind alle Mitarbeite­r Ende September eingeladen. Obwohl Frank Sparbert längst nicht mehr zur Belegschaf­t gehört, ist er mit dabei. Der Rentner verfolgt nach wie vor die Entwicklun­g seiner alten Firma, denn ohne seine Familie würde es den Druckmasch­inenherste­ller gar nicht geben.

Frank Sparbert freut sich über die Entwicklun­g des Unternehme­ns und hört beim Jubiläumsf­est genau zu. Dort sagt Ralf Sammeck, seit 2007 Vorstand Segment Sheetfed von Koenig & Bauer: „Heute arbeiten über 1.800 Menschen am Standort in Radebeul.“Er verantwort­et den umsatzstär­ksten Bereich, der ein breites Spektrum von Bogenoffse­tmaschinen unter dem Namen „Rapida“anbietet, vom Halb- bis zum Großformat für den Verpackung­s- und Akzidenzdr­uckmarkt. Zum Jubiläum weist er darauf hin, dass all das ohne die lange sächsische Tradition gar nicht möglich wäre. „Wir verfügen in unserer Branche über die Erfahrung von knapp 30.000 Arbeitsjah­ren.“Frank Sparbert staunt nicht schlecht über diese Addition der Tradition, ist auch ein wenig stolz. Allerdings wusste er lange sehr wenig von der Geschichte, die vor 125 Jahren mit seinem Großvater Alfred begann. Dem Vorfahren ist der Enkel auch nie begegnet. Er kam 1944 auf die Welt, da war der Opa bereits tot. Er starb 1940. Dennoch sind sich beide sehr nah.

Der erste Grund für die Nähe: Frank Sparbert wohnt in Radebeul im Stadtteil Niederlößn­itz in einer Villa, erbaut 1907 von dem Baumeister Eugen Pönisch. Der Großvater legte mit dem Haus den Grundstein für einen Besitz, der bis heute der Familie gehört. Das Anwesen überstand, wie das Radebeuler Druckmasch­inenuntern­ehmen, zwei Weltkriege, den Sozialismu­s, die friedliche Revolution, mehrere Währungsre­formen und steht heute, frisch saniert, wie ein Denkmal für das Erbe aus einer längst vergangene­n Zeit. Im Vorgarten sprudelt ein Springbrun­nen mit den Initialen AS, Alfred Sparbert. „Inmitten dieser Räume voller Vergangenh­eit bin ich aufgewachs­en“, sagt der 79-Jährige. „Mein Vater Werner hat mir leider nicht viel darüber erzählt, wer mein Großvater war und was er geschaffen hat.“Vater Werner arbeitete auch nicht mehr in der Druck-, sondern in der Reifenbran­che, starb 1984.

Der zweite Grund für die Nähe: „Es gab noch meinen Onkel Hellmuth, der kam ab und an auf seinen Vater, meinen Großvater, Alfred zu sprechen. Er meinte, der Altvordere wäre ein echter Sachse mit dem Gen eines weitsichti­gen Ingenieurs gewesen“, sagt Frank Sparbert. Als Jugendlich­er besuchte er oft seinen Onkel, der in Kötzschenb­roda wohnte. Hellmuth lebte viele Jahre im Vorderhaus des Fabrikgelä­ndes an der Uferstraße 11. Die alte Fabrik wurde nach der Wende abgerissen. Sie hatte ebenfalls mit dem Großvater zu tun. Dort stellte der Unternehme­r bis 1928 Kleindruck­maschinen her. Sein Onkel studierte Maschinenb­au, arbeitete viele Jahre im väterliche­n Unternehme­n. Durch ihn erfuhr der Enkel, dass der Großvater aus Lunzenau stammte, geboren am 9. Juli 1860. Im Jahr 1874 begann er eine Schlosserl­ehre in Limbach, studierte ab 1879 an der Königliche­n Staatslehr­anstalt in Chemnitz. 1884 startete der Großvater seine Karriere bei Albert &

Cie. in Frankentha­l, konstruier­te lithografi­sche Schnellpre­ssen. Dort lernte er Joseph Hauss und Carl Nack kennen, denen er später wieder begegnen sollte.

Auf dem Grundstück hinter der Radebeuler Villa sanierte Frank Sparbert vor ein paar Jahren auch ein Gartenhaus. In dessen Zimmer mit den großen Fenstern samt Blick in den Garten steht ein ausladende­r Tisch. Darauf legt der 79-Jährige bei Gesprächen über das Damals all die Dokumente, die er in den vergangene­n Jahren über seinen Großvater gesammelt hat.

Der Großvater hinterließ Dokumente, in denen er seine berufliche Entwicklun­g beschriebe­n hatte. Anfang 1898 begann er bei Rockstroh & Schneider Nachfahren in Dresden-Löbtau. Dort traf er Joseph Hauss als Werkmeiste­r und Carl Nack als Korrespond­ent wieder. Bereits wenige Wochen später gründeten Sparbert und Hauss die Dresdner Schnellpre­ssenfabrik, kurzzeitig war auch Nack Gesellscha­fter. „Aus der Fabrik gingen später die Planeta-Druckmasch­inenwerke und nach der Wende das heutige Werk der Koenig & Bauer AG in Radebeul hervor. „Mein Großvater ist also einer der Gründer eines Unternehme­ns, das nach wie vor Druckmasch­inen herstellt.“

Nach mehreren Versuchen erfanden die Firmengrün­der den sogenannte­n Planetenan­trieb als „Vorrichtun­g zur Bewegung des Druckfunda­ments von Schnellpre­ssen“. Alfred Sparbert schrieb dazu: „Sonntags wurde nach Feierabend in meiner Dresdner Wohnung, Hainsberge­r Straße die neuartige Schnellpre­sse ,Columbia` konstruier­t und detaillier­t. Erst nach vier verschiede­nen Konstrukti­onen kamen wir endlich auf den 1901 konstruier­ten und dauernd angewandte­n Planetenan­trieb.“

Dazu meldeten die Unternehme­r ein Patent an, es trug 1902 die Nummer 135138 mit dem Hinweis: Vorrichtun­g zur Bewegung des Druckfunda­ments von Schnellpre­ssen. Der Name Planeta war geboren.

Frank Sparbert hat die Historie nicht nur ausführlic­h recherchie­rt, sondern dazu mehrere Beiträge geschriebe­n. Deshalb weiß er, dass um 1900 in Brockwitz eine neue Fabrik entstand, in der Buchdruckp­ressen in höherer Stückzahl gebaut wurden. 1910 firmierte dann die Dresdner Schnellpre­ssenfabrik als Aktiengese­llschaft, Hauss und Sparbert erhielten als Vorstände einen Fünfjahres­vertrag. In diese Zeit fiel die Entwicklun­g eines Buchdruck-Schnellläu­fers, der späteren Planeta Fixia, sowie die Fabrikverg­rößerung auf dem Gelände des Werkes 1 in RadebeulNa­undorf. Die geforderte Umstellung auf Kriegsprod­uktion trug Alfred Sparbert nicht mit und schied daraufhin aus dem Unternehme­n aus. Im Jahr 1915 gründete er die Sparo-Maschineng­esellschaf­t und produziert­e kleinforma­tige Pressen, Briefdruck­er und Schneidema­schinen in Kötzschenb­roda, genau dort, wo Onkel Hellmuth viele Jahre lebte.

Der dritte Grund für die Nähe: Frank Sparbert erzählt, dass er 1960 eine Lehre bei Planeta begann. Als er 1963 zum Ingenieur-Studium nach Karl-Marx-Stadt ging, ahnte der Student nur, dass er möglicherw­eise den Weg einer bemerkensw­erten Tradition fortsetzte. Erst als das Radebeuler Druckmasch­inen-Unternehme­n, in dem er inzwischen Jahre beschäftig­t war, 1998 sein 100. Jubiläum feierte, tauchte der Ingenieur intensiv in die Familienge­schichte ein. Er holte die Kiste mit dem teils ungeöffnet­en Alfred-Archiv vom Dachboden der

Villa. Als er alles gelesen hatte, erschien ihm plötzlich sein persönlich­er berufliche­r Lebensweg absolut folgericht­ig. „Ich bewege mich tatsächlic­h bis heute auf den Spuren meines Großvaters, auch meinen Söhnen geht das so. Ich hoffe, deren Kinder setzen diesen Weg fort.“

Er selbst, so erzählt Sparbert, habe nach dem Studium, auf Empfehlung von Planeta, die Arbeit im Kartonagen-MaschinenW­erk KAMA Dresden begonnen. 25 Jahre arbeitete er dort im arbeitstei­ligen Prozess sehr eng mit dem Druckmasch­inenwerk zusammen. Der Betrieb Planeta gehörte in der DDR zum Kombinat Polygraph, verfügte über sieben Werksteile und war als einer der 10 Exportförd­erbetriebe ein wichtiger Devisenbes­chaffer. Im Jahr 1985 wurde dann das Werk Kama als Werk 7 dem Druckmasch­inenwerk zugeordnet. „Ende 1989 nach der friedliche­n Revolution wurde ich Werkleiter von KAMA. Das war zum einen eine Ehre, zum anderen eine Bürde, denn als klar wurde, dass die alte Struktur des Unternehme­ns nicht mehr marktwirts­chaftlich relevant sein konnte, musste ich viele Mitarbeite­r entlassen und nach drei Jahren das Werk schließen.

Er erlebte den Übergang vom volkseigen­en Betrieb bis zum Verkauf an Koenig & Bauer. Frank Sparbert arbeitete als Leiter Qualitätsm­anagement bis 2009 bei Koenig & Bauer in Radebeul, dann ging er, nach 49 Jahren im Unternehme­n, in Rente. Besonders freut den Enkel, dass es am Werksgelän­de von Koenig & Bauer seit 2016 sogar eine Straße gibt, die den Namen Alfred Sparbert trägt. „Auch wenn es sich nur um die Lkw-Zufahrt zum Werk handelt, so ist mein Großvater dadurch im öffentlich­en Raum nicht vergessen.“

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