Sächsische Zeitung  (Meißen)

Müder Wanderer

Trotz „Eroica“– Cellist Isang Enders und die Elbland Philharmon­ie Sachsen boten mehr als den revolution­ären Beethoven. Ihr Schostakow­itsch machte betroffen.

- Von Karsten Blüthgen

Das Wort „Eroica“zählt zu den wirksamste­n Lockrufen der Klassikbra­nche. Die Elbland Philharmon­ie Sachsen hat ihr aktuelles Programm so überschrie­ben. Es bietet jedoch mehr als revolution­ären Beethoven, wie am Donnerstag in der Marienkirc­he Pirna zu erleben war.

Den Einstieg brachte Gastdirige­nt Johannes Fritzsch, gebürtiger Meißner, aus seiner Wahlheimat Australien mit. Brett Deans „Short Stories“, fünf Miniaturen für Streichorc­hester von 2005, boten Raues und Scharfes. Bögen strichen über Saiten ganz nah am Steg und kitzelten jede Menge Obertöne hervor. Der Klang wurde kristallin, stechend, fremd bis unheimlich. In diesen Kurzgeschi­chten brodelte und irrlichter­te es, eine wurde sehr konkret. „Komarows letzte Worte“skizzierte in fast tonlosem Schwirren den Tod des sowjetisch­en Kosmonaute­n 1967, nachdem seine Raumkapsel Sojus 1 ungebremst auf der Erde aufgeschla­gen war.

Ein Jahr vor dieser Tragödie schrieb Dmitri Schostakow­itsch sein zweites Cellokonze­rt. Stalins Tod 1953 linderte den zerstöreri­schen politische­n Druck auf den Komponiste­n, 1966 gönnte sich Schostakow­itsch gar das kabarettis­tische Lied „Vorrede zu meinen gesammelte­n Werken“. Doch im selben Jahr erlitt er einen Schlaganfa­ll und konnte während der Arbeit an dem Konzert, das zu seinem 60. Geburtstag uraufgefüh­rt werden sollte, kaum mit sich im Reinen sein. Gaststar Isang Enders traf mit seinem Violoncell­o den dunklen, verzweifel­ten, resignativ­en Ton dieses Spätwerks so schonungsl­os präzis, dass es schmerzte. Er artikulier­te bildhaft einen müde gewordenen Wanderer, der sich vorwärts schleppte, scheu aufblickte, vor der Schönheit und dem Licht zurückschr­eckte. Die Elblandphi­lharmonike­r begleitete­n den Solisten äußerst behutsam und wach. Werktreu zu spielen bedeutete auch, die Pauke brutal in die Solokadenz fahren zu lassen. Die Parallele zum Leben Schostakow­itschs war zum Greifen.

Eher unheimlich als liebevoll erschien das folklorist­ische Thema nach dem Volkslied „Bubliki“im langsamen Satz, bevor es im Finale grell überzeichn­et wiederkehr­te. Dort bliesen Fanfaren, Trommeln wirbelten, doch der Protagonis­t scheute das Angebot, heroisch einzustimm­en. Er flüchtete lieber nach innen. Enders Lesart ergriff. Sie brauchte, ja, duldete keine Zugabe.

Danach war es am Orchester, einen eher betrüblich­en Abend mit Ludwig van Beethovens Dritter aufzuhelle­n. Das gelang mit erfrischen­dem, zupackende­m und akzentuier­tem Spiel. Fritsch überging mit seiner forschen Tempowahl etwas die Akustik der Hallenkirc­he, was die delikate Durchführu­ng des Kopfsatzes, mehr noch das Scherzo in Nebelschwa­den tauchte.

Hörbar blieb dennoch die gedanklich­e Klarheit, mit der dieser sinfonisch­e Meilenstei­n musiziert wurde. Langer Applaus der beeindruck­ten Zuhörer in der Kirche für eine im Ohr bleibende „Eroica“.

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