Letzte Hoffnung Radon-Kur
Ines Jäger aus Schneeberg hat viel probiert, um trotz Long-Covid ins Leben zurückzufinden. Ein neues Konzept im Radon-Therapiezentrum Bad Brambach zeigt Erfolg. Doch für die wissenschaftliche Anerkennung gibt es ein Problem.
Auf Knopfdruck der Therapeutin sprudelt das Heilwasser aus den Händen der Wettina, nach der die Quelle im vogtländischen Bad Brambach benannt ist. „Sie hat den höchsten Radongehalt weltweit“, sagt Sylvia Sommer, Abteilungsleiterin der Sächsischen Staatsbäder. Deshalb gibt es das Wasser nur auf ärztliche Verordnung. Zwei Gläser pro Tag gehören zum Therapieprogramm der neu aufgelegten Long-Covid-Kur.
„Das Wasser schmeckt wie Eisen, so als hätte man sich auf die Zunge gebissen“, sagt Ines Jäger aus Schneeberg. Die 55-jährige Physiotherapeutin leidet seit fast drei Jahren an Long-Covid. Sie hatte sich bei einer Patientin angesteckt. Viel hat sie seitdem schon probiert. Dann wurden im letzten Jahr für eine Radonkur Probanden gesucht. Diese Kur war ihre letzte Hoffnung.
Im November 2020 erkrankte sie das erste Mal an Corona. „Es war eigentlich nicht viel mehr als eine Erkältung, doch ich hatte ungewöhnlich starke Kopf- und Gliederschmerzen“, so Ines Jäger. Ein paar Wochen später verstärkten sich die Schmerzen. Es sei ein Brennen und Stechen in den Beinen, in Muskeln und Gelenken gewesen. Hinzu kamen Geruchs- und Geschmacksstörungen. „Am schwersten kam ich aber mit der ständigen Erschöpfung und der Atemnot zurecht. Ich fühlte mich wie ein alter Akku, der dringend wieder ans Netz muss“, sagt sie. Doch es gab nichts, was sie wieder aufladen konnte. Da Ines Jäger immer ein aktiver Mensch war, wollte sie sich nicht geschlagen geben und habe immer zumindest halbtags gearbeitet. „Doch oft musste ich Patienten umbestellen, weil ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Sie hatten viel Verständnis, dafür danke ich ihnen noch heute.“
Auch mit Freunden und Angehörigen konnte sie nicht mehr mithalten. Aktivitäten und Treffen fanden meist ohne sie statt, darunter hat sie sehr gelitten. „Ich bin an Corona zwar nicht gestorben, doch die Infektion hat mir mein Leben genommen – das Leben, das ich früher hatte“, sagt sie.
Da bei ihr die Infektion als Berufskrankheit galt, bekam sie als eine der Ersten eine Reha. „Ich war an der Nordsee, auf Föhr. Alle Therapien durfte ich an der frischen Luft ausführen.“Sie konnte danach besser atmen und sei auch nicht mehr ganz so kaputt gewesen. Sie hatte wieder Hoffnung.
Doch auf die erste folgte schnell eine zweite und dritte Corona-Infektion, die sie immer wieder zurückwarfen. „Eine weitere Reha im September 2022 hat meine Beschwerden sogar verschlimmert. Ich musste den ganzen Tag FFP2-Maske tragen, auch alle Therapien damit durchführen“, so Ines Jäger. Sie sei kränker zurückgekommen als hingefahren.
„Das geht vielen von unseren Patienten so. Die meisten haben schon Rehas hinter sich“, sagt Annedore Penzel, Fachärztin für Physikalische und Reha-Medizin im RadonTherapiezentrum Bad Brambach. Der leistungsorientierte Ansatz der meisten RehaAngebote und die häufige Fokussierung auf ein Hauptsymptom seien nichts für LongCovid-Kranke, die unter vielen verschiedenen Beschwerden und chronischer Erschöpfung litten. „Aktivität lässt sich nicht mit Gewalt erzwingen. In unserem ganzheitlichen Kurkonzept setzen wir auf Ruhe und Entspannung. Das Immunsystem ist in Aufruhr und greift körpereigene Strukturen an. Dagegen helfen nur Ruhe und sanfte Stimulation, zum Beispiel mit unserem Radon“, sagt Annedore Penzel.
Radon – ist das nicht gefährlich? Der als Bergarbeiterkrankheit bezeichnete Lungenkrebs wird laut Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) auf eine zu hohe Radonbelastung über lange Zeiträume zurückgeführt. Professor Karl-Ludwig Resch, der das Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaften geleitet hat, arbeitete an klinischen Studien mit Radon als Heilmittel mit. Er sagt: „Nicht die viralen Attacken auf einzelne Zellen haben die Infektion so gefährlich gemacht, sondern die überschießende Gegenreaktion des Immunsystems.“Der regulationsmedizinische Ansatz von Radontherapien führe zu einer Neuordnung und Anpassung des Immunsystems. Die Dosis mache das Gift – so sei es auch bei dem radioaktiven Gas.
Laut BfS könnten fünf Prozent der Lungenkrebsfälle dem Radon zugeordnet werden. Diese Differenzierung sei aber nicht einfach, da Bergarbeiter neben dem Einatmen der Stäube meist zusätzlich rauchten und Alkohol tranken. Was letztlich krebsauslösend war, ist schwer zu sagen. Obwohl das dauerhafte Einatmen des radioaktiven Gases das Lungenkrebsrisiko erhöhe, treffe das nicht auf Radon-Heilkuren zu, so das BfS. Nach Ansicht der Behörde sei die Radon-Konzentration in Heilstollen zwar besonders hoch. Da Patienten dem Radon aber nur kurzzeitig ausgesetzt seien, sei die Lungenkrebsgefahr kaum erhöht. Dennoch sollten Nutzen und Schaden abgewogen werden. „Wird Radon aber in Heilbädern, Luftbädern oder als Trinkkur vorwiegend über die Haut und den Magen-DarmTrakt aufgenommen, ist das Risiko noch deutlich geringer als in Heilstollen“, so das BfS. Da Radon Schmerzen vielfach für mehrere Monate lindere und damit der Verbrauch an Schmerzmitteln zurückginge, überwiege laut BfS der Nutzen.
In Bad Brambach nehmen die Patienten das Radon nicht nur in Trinkkuren zu sich. Wasser mit dem radioaktiven Gas wird inhaliert, in geringerer Konzentration für Bäder, Nasenspülungen und zum Gurgeln verwendet. „In Kombination mit dem darin enthaltenen Kohlendioxid, dem Sauerstoff und den vielen Mineralien regt Radon das Immunsystem an“, sagt die Bad Brambacher Ärztin. Long-Covid-Patienten hätten pro Tag eine solche Radonanwendung. Intensiviert werde die Anregung des Immunsystems außerdem durch Kneipp-Anwendungen.
Um die Wirkung des Radons bei LongCovid zu überprüfen, startete das Kurbad
Ende letzten Jahres ein Beobachtungsprotokoll. Zehn Long-Covid-Patienten nahmen daran teil – auch Ines Jäger. „Bis auf zwei Patienten, die wegen ihrer Corona-Erkrankung auf der Intensivstation behandelt und beatmet werden mussten, hatten die meisten leichtere Verläufe“, sagt Annedore Penzel. Trotzdem seien die Folgen bei allen schwerwiegend gewesen. „Die Patienten waren mindestens seit einem Jahr krank, oft aufgrund der chronischen Erschöpfung, der Atemnot und von Herz-Kreislauf-Problemen.“Alle hätten ihren Alltag nicht mehr wie vorher bewältigen können. „Nach der zweiwöchigen Kur ging es allen besser“, sagt sie. Zu Beginn gaben die Patienten auf einer Skala von eins bis zehn an, wie stark ihre Beschwerden waren. „Dieses Messsystem gibt es auch in der Schmerztherapie“, so Penzel. Von einem Score-Wert acht oder neun seien die Patienten auf vier oder fünf am Ende der Kur gekommen. Zwei Teilnehmer seien sogar gleich wieder arbeitsfähig gewesen.
„Doch auch wie lange die Wirkung anhält, war wichtig für uns“, sagt Abteilungsleiterin Sylvia Sommer. Ein Viertel- und ein halbes Jahr nach der Kur wurden alle wieder angerufen. „Es gab bei keinem einen Rückfall“, so Sommer. Sie weiß, dass die Ergebnisse nicht mit richtigen Studien vergleichbar sind. Dazu hatten sie zu wenige Patienten, auch eine Kontrollgruppe fehlte. „Mit der vorgeschriebenen wissenschaftlichen Begleitung ist das für uns gar nicht finanzierbar“, sagt sie. Eine deutschlandoder europaweite Erforschung wäre wünschenswert für die vielen Patienten. Untersuchungen zeigen, dass etwa jeder zehnte Coronakranke nicht wieder gesund geworden ist. In Deutschland sind das etwa vier Millionen Long-Covid-Patienten.
Eine wissenschaftliche Bestätigung der Wirksamkeit und des medizinischen Nutzens der Radon-Therapie ist auch die Voraussetzung für eine Kostenübernahme. Gerade bei Long-Covid-Patienten sei das maßgeblich. Die meisten hätten eine lange Krankheitsdauer hinter sich und seien finanziell nicht in der Lage, die Kosten von 2.000 bis 2.700 Euro für zwei Kurwochen selbst aufzubringen. „Das wäre sicher auch bei mir so gewesen“, sagt Ines Jäger. „Zum Glück konnte ich aber auf Kosten des Kurbades wieder zu Kräften kommen.“Die Unfallkasse hat viele Anträge auf Kostenübernahme abgelehnt. „Ich musste um alles kämpfen, Widersprüche einlegen oder klagen. Ohne die Hilfe vom Sozialverband VdK hätte ich das alles nicht geschafft.“
„Seit der Kur spüre ich, dass ich endlich aus dem Long-Covid-Tief herauskomme“, sagt Ines Jäger. Die 55-Jährige arbeitet noch nicht voll, hofft aber, bald wieder komplett in ihren Beruf einsteigen zu können. „Besonders das Babyschwimmen, das ich viele Jahre angeboten habe, möchte ich wieder aufnehmen.“Noch fehle ihr etwas die Kraft dazu. „Aber ich bin sicher, dass es jetzt immer weiter aufwärtsgeht.“