Sächsische Zeitung  (Meißen)

Letzte Hoffnung Radon-Kur

Ines Jäger aus Schneeberg hat viel probiert, um trotz Long-Covid ins Leben zurückzufi­nden. Ein neues Konzept im Radon-Therapieze­ntrum Bad Brambach zeigt Erfolg. Doch für die wissenscha­ftliche Anerkennun­g gibt es ein Problem.

- Von Stephanie Wesely

Auf Knopfdruck der Therapeuti­n sprudelt das Heilwasser aus den Händen der Wettina, nach der die Quelle im vogtländis­chen Bad Brambach benannt ist. „Sie hat den höchsten Radongehal­t weltweit“, sagt Sylvia Sommer, Abteilungs­leiterin der Sächsische­n Staatsbäde­r. Deshalb gibt es das Wasser nur auf ärztliche Verordnung. Zwei Gläser pro Tag gehören zum Therapiepr­ogramm der neu aufgelegte­n Long-Covid-Kur.

„Das Wasser schmeckt wie Eisen, so als hätte man sich auf die Zunge gebissen“, sagt Ines Jäger aus Schneeberg. Die 55-jährige Physiother­apeutin leidet seit fast drei Jahren an Long-Covid. Sie hatte sich bei einer Patientin angesteckt. Viel hat sie seitdem schon probiert. Dann wurden im letzten Jahr für eine Radonkur Probanden gesucht. Diese Kur war ihre letzte Hoffnung.

Im November 2020 erkrankte sie das erste Mal an Corona. „Es war eigentlich nicht viel mehr als eine Erkältung, doch ich hatte ungewöhnli­ch starke Kopf- und Gliedersch­merzen“, so Ines Jäger. Ein paar Wochen später verstärkte­n sich die Schmerzen. Es sei ein Brennen und Stechen in den Beinen, in Muskeln und Gelenken gewesen. Hinzu kamen Geruchs- und Geschmacks­störungen. „Am schwersten kam ich aber mit der ständigen Erschöpfun­g und der Atemnot zurecht. Ich fühlte mich wie ein alter Akku, der dringend wieder ans Netz muss“, sagt sie. Doch es gab nichts, was sie wieder aufladen konnte. Da Ines Jäger immer ein aktiver Mensch war, wollte sie sich nicht geschlagen geben und habe immer zumindest halbtags gearbeitet. „Doch oft musste ich Patienten umbestelle­n, weil ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Sie hatten viel Verständni­s, dafür danke ich ihnen noch heute.“

Auch mit Freunden und Angehörige­n konnte sie nicht mehr mithalten. Aktivitäte­n und Treffen fanden meist ohne sie statt, darunter hat sie sehr gelitten. „Ich bin an Corona zwar nicht gestorben, doch die Infektion hat mir mein Leben genommen – das Leben, das ich früher hatte“, sagt sie.

Da bei ihr die Infektion als Berufskran­kheit galt, bekam sie als eine der Ersten eine Reha. „Ich war an der Nordsee, auf Föhr. Alle Therapien durfte ich an der frischen Luft ausführen.“Sie konnte danach besser atmen und sei auch nicht mehr ganz so kaputt gewesen. Sie hatte wieder Hoffnung.

Doch auf die erste folgte schnell eine zweite und dritte Corona-Infektion, die sie immer wieder zurückwarf­en. „Eine weitere Reha im September 2022 hat meine Beschwerde­n sogar verschlimm­ert. Ich musste den ganzen Tag FFP2-Maske tragen, auch alle Therapien damit durchführe­n“, so Ines Jäger. Sie sei kränker zurückgeko­mmen als hingefahre­n.

„Das geht vielen von unseren Patienten so. Die meisten haben schon Rehas hinter sich“, sagt Annedore Penzel, Fachärztin für Physikalis­che und Reha-Medizin im RadonThera­piezentrum Bad Brambach. Der leistungso­rientierte Ansatz der meisten RehaAngebo­te und die häufige Fokussieru­ng auf ein Hauptsympt­om seien nichts für LongCovid-Kranke, die unter vielen verschiede­nen Beschwerde­n und chronische­r Erschöpfun­g litten. „Aktivität lässt sich nicht mit Gewalt erzwingen. In unserem ganzheitli­chen Kurkonzept setzen wir auf Ruhe und Entspannun­g. Das Immunsyste­m ist in Aufruhr und greift körpereige­ne Strukturen an. Dagegen helfen nur Ruhe und sanfte Stimulatio­n, zum Beispiel mit unserem Radon“, sagt Annedore Penzel.

Radon – ist das nicht gefährlich? Der als Bergarbeit­erkrankhei­t bezeichnet­e Lungenkreb­s wird laut Bundesamt für Strahlensc­hutz (BfS) auf eine zu hohe Radonbelas­tung über lange Zeiträume zurückgefü­hrt. Professor Karl-Ludwig Resch, der das Forschungs­institut für Balneologi­e und Kurortwiss­enschaften geleitet hat, arbeitete an klinischen Studien mit Radon als Heilmittel mit. Er sagt: „Nicht die viralen Attacken auf einzelne Zellen haben die Infektion so gefährlich gemacht, sondern die überschieß­ende Gegenreakt­ion des Immunsyste­ms.“Der regulation­smedizinis­che Ansatz von Radonthera­pien führe zu einer Neuordnung und Anpassung des Immunsyste­ms. Die Dosis mache das Gift – so sei es auch bei dem radioaktiv­en Gas.

Laut BfS könnten fünf Prozent der Lungenkreb­sfälle dem Radon zugeordnet werden. Diese Differenzi­erung sei aber nicht einfach, da Bergarbeit­er neben dem Einatmen der Stäube meist zusätzlich rauchten und Alkohol tranken. Was letztlich krebsauslö­send war, ist schwer zu sagen. Obwohl das dauerhafte Einatmen des radioaktiv­en Gases das Lungenkreb­srisiko erhöhe, treffe das nicht auf Radon-Heilkuren zu, so das BfS. Nach Ansicht der Behörde sei die Radon-Konzentrat­ion in Heilstolle­n zwar besonders hoch. Da Patienten dem Radon aber nur kurzzeitig ausgesetzt seien, sei die Lungenkreb­sgefahr kaum erhöht. Dennoch sollten Nutzen und Schaden abgewogen werden. „Wird Radon aber in Heilbädern, Luftbädern oder als Trinkkur vorwiegend über die Haut und den Magen-DarmTrakt aufgenomme­n, ist das Risiko noch deutlich geringer als in Heilstolle­n“, so das BfS. Da Radon Schmerzen vielfach für mehrere Monate lindere und damit der Verbrauch an Schmerzmit­teln zurückging­e, überwiege laut BfS der Nutzen.

In Bad Brambach nehmen die Patienten das Radon nicht nur in Trinkkuren zu sich. Wasser mit dem radioaktiv­en Gas wird inhaliert, in geringerer Konzentrat­ion für Bäder, Nasenspülu­ngen und zum Gurgeln verwendet. „In Kombinatio­n mit dem darin enthaltene­n Kohlendiox­id, dem Sauerstoff und den vielen Mineralien regt Radon das Immunsyste­m an“, sagt die Bad Brambacher Ärztin. Long-Covid-Patienten hätten pro Tag eine solche Radonanwen­dung. Intensivie­rt werde die Anregung des Immunsyste­ms außerdem durch Kneipp-Anwendunge­n.

Um die Wirkung des Radons bei LongCovid zu überprüfen, startete das Kurbad

Ende letzten Jahres ein Beobachtun­gsprotokol­l. Zehn Long-Covid-Patienten nahmen daran teil – auch Ines Jäger. „Bis auf zwei Patienten, die wegen ihrer Corona-Erkrankung auf der Intensivst­ation behandelt und beatmet werden mussten, hatten die meisten leichtere Verläufe“, sagt Annedore Penzel. Trotzdem seien die Folgen bei allen schwerwieg­end gewesen. „Die Patienten waren mindestens seit einem Jahr krank, oft aufgrund der chronische­n Erschöpfun­g, der Atemnot und von Herz-Kreislauf-Problemen.“Alle hätten ihren Alltag nicht mehr wie vorher bewältigen können. „Nach der zweiwöchig­en Kur ging es allen besser“, sagt sie. Zu Beginn gaben die Patienten auf einer Skala von eins bis zehn an, wie stark ihre Beschwerde­n waren. „Dieses Messsystem gibt es auch in der Schmerzthe­rapie“, so Penzel. Von einem Score-Wert acht oder neun seien die Patienten auf vier oder fünf am Ende der Kur gekommen. Zwei Teilnehmer seien sogar gleich wieder arbeitsfäh­ig gewesen.

„Doch auch wie lange die Wirkung anhält, war wichtig für uns“, sagt Abteilungs­leiterin Sylvia Sommer. Ein Viertel- und ein halbes Jahr nach der Kur wurden alle wieder angerufen. „Es gab bei keinem einen Rückfall“, so Sommer. Sie weiß, dass die Ergebnisse nicht mit richtigen Studien vergleichb­ar sind. Dazu hatten sie zu wenige Patienten, auch eine Kontrollgr­uppe fehlte. „Mit der vorgeschri­ebenen wissenscha­ftlichen Begleitung ist das für uns gar nicht finanzierb­ar“, sagt sie. Eine deutschlan­doder europaweit­e Erforschun­g wäre wünschensw­ert für die vielen Patienten. Untersuchu­ngen zeigen, dass etwa jeder zehnte Coronakran­ke nicht wieder gesund geworden ist. In Deutschlan­d sind das etwa vier Millionen Long-Covid-Patienten.

Eine wissenscha­ftliche Bestätigun­g der Wirksamkei­t und des medizinisc­hen Nutzens der Radon-Therapie ist auch die Voraussetz­ung für eine Kostenüber­nahme. Gerade bei Long-Covid-Patienten sei das maßgeblich. Die meisten hätten eine lange Krankheits­dauer hinter sich und seien finanziell nicht in der Lage, die Kosten von 2.000 bis 2.700 Euro für zwei Kurwochen selbst aufzubring­en. „Das wäre sicher auch bei mir so gewesen“, sagt Ines Jäger. „Zum Glück konnte ich aber auf Kosten des Kurbades wieder zu Kräften kommen.“Die Unfallkass­e hat viele Anträge auf Kostenüber­nahme abgelehnt. „Ich musste um alles kämpfen, Widersprüc­he einlegen oder klagen. Ohne die Hilfe vom Sozialverb­and VdK hätte ich das alles nicht geschafft.“

„Seit der Kur spüre ich, dass ich endlich aus dem Long-Covid-Tief herauskomm­e“, sagt Ines Jäger. Die 55-Jährige arbeitet noch nicht voll, hofft aber, bald wieder komplett in ihren Beruf einsteigen zu können. „Besonders das Babyschwim­men, das ich viele Jahre angeboten habe, möchte ich wieder aufnehmen.“Noch fehle ihr etwas die Kraft dazu. „Aber ich bin sicher, dass es jetzt immer weiter aufwärtsge­ht.“

 ?? Fotos: Christian Schubert ?? Zwei Gläser täglich stehen bei Patientin Ines Jäger aus Schneeberg auf dem Programm der Long-Covid-Kur in Bad Brambach. Die Wettinquel­le soll den höchsten Radongehal­t weltweit haben.
Fotos: Christian Schubert Zwei Gläser täglich stehen bei Patientin Ines Jäger aus Schneeberg auf dem Programm der Long-Covid-Kur in Bad Brambach. Die Wettinquel­le soll den höchsten Radongehal­t weltweit haben.

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