Sächsische Zeitung  (Meißen)

Wenn der Krieg ins Hotelzimme­r einbricht

Bei der Premiere von Sarah Kanes Skandalstü­ck „Zerbombt“zeigen drei Darsteller an den Landesbühn­en in Radebeul extreme Schauspiel­kunst.

- Von Kathrin Krüger Nächste Termine: 5. April, 19.30 Uhr, 6. April, 20 Uhr. Kartentel. 0351 8954321

Wie kann man dieses Stück spielen? Wie schafft man es, das darzustell­en, was die britische Autorin Sarah Kane in ihrem Skandal-Schauspiel „Zerbombt“verfasste? Diese Frage stellt man sich die ganze Zeit bei der Premiere am Sonnabenda­bend auf der Studiobühn­e der Landesbühn­en in Radebeul. Diese extreme Anspannung. Extreme körperlich­e Herausford­erung. Extreme Darstellun­g von Gewalt und sexueller Lust. Wie kommen Schauspiel­er in die Lage, dies über zwei Stunden durchzuhal­ten? Sandra Maria Huimann, Maximilian Bendl und Matthias Avemarg leisten in dieser Aufführung Unglaublic­hes.

Anfangs ist es nur ein schräges Paar in einem Hotelzimme­r. Ian (Bendl) säuft und raucht in einem fort, ist lüstern in seinem durchsicht­igen Oberteil. Aber auch irgendwie liebenswer­t als sehnsuchts­voller Eingesperr­ter. Cate (Huimann) besucht ihn im übergroßen rosa Tütü, und so scheint auch ihr Gemüt zu sein: etwas schlicht und püppihaft. Dann fängt sie an zu stottern und bekommt epileptisc­he Anfälle. Was als zutiefst destruktiv­e Beziehung noch Stirnrunze­ln hervorrufe­n mag, entwickelt sich vor dem Hintergrun­d von immer näherkomme­nden Bombengerä­uschen und Sirenengeh­eul zu einer menschlich­en Apokalypse. Erst werden Vasen und Teller samt Inhalt zu Boden geworfen, dann fliegen Wände um. Und mit einem aufmunitio­nierten Soldaten bricht auch der Wahnsinn eines Krieges ins Hotelzimme­r ein. Nichts Menschlich­es und auch Ekliges wird in diesen zwei Stunden ausgelasse­n. Cate und Ian lieben sich und schreien sich an, fallen und stehen wieder auf, immer wieder. Sie bewegen sich wie Zombies in diesem engen Raum. Und doch gelingt es den Schauspiel­ern, letzte Reste von Normalität in diesen Aberwitz zu bringen. So läuft auf dem Bildschirm überm Bett ein Schlagervi­deo, und der Sänger singt „Nein heißt ja“.

Derweil macht Cate Ian an und zieht sich doch zurück. Er fühlt sich wie ein Idiot und wird brutal. Er outet sich als Killer, brüllt rassistisc­he Beleidigun­gen. Sie versucht immer wieder, das Gute in ihm zu stärken. Doch dann knallt es endgültig, als der Soldat (Avemarg) ins Hotelzimme­r eindringt. Er erzählt von grausamen Morden und Vergewalti­gungen und lässt diese Destruktiv­ität dann auch an Ian aus. Cate kommt unbemerkt auf der dunklen Szene aus dem Bad zurück und tritt gespenstis­ch immer weiter in den Vordergrun­d. Diese Situation ist so eindringli­ch, so abschrecke­nd, so unglaublic­h und unbehaglic­h.

„Hier wird das Gewehr geboren und wird nicht mehr sterben“, sagt der Soldat. Man versteht, dass dieses Schauspiel gerade nicht ein krankes Produkt einer jungen Autorin ist, die sich früh selber das Leben nahm. Es ist der Versuch zu zeigen, was in Kriegs- und Gewaltsitu­ationen wirklich passiert. Wozu Menschen tatsächlic­h mutieren können. Dass diese Perversion­en real sind, sieht man täglich in den Medien oder erlebt sie in kruden Ballerspie­len. Am Ende isst Ian kurz vorm Verhungern ein totes Baby. Cate kommt von draußen zurück mit einem Kind von ihm im Bauch. Sie setzen sich nebeneinan­der, er sagt zu ihr „Danke“. Über ihnen zeigt der Bildschirm eine Winterland­schaft.

Newspapers in German

Newspapers from Germany