Sächsische Zeitung  (Meißen)

Ein Wilsdruffe­r im Ehrengrab

Robert Hartert wurde am 2. April 2010 im Karfreitag­sgefecht in Afghanista­n getötet. Für die Bundeswehr war jener Tag eine Zäsur. Veteranen geht es um das Gedenken an die Gefallenen.

- Von Gunnar Klehm (Text) und Thomas Kretschel (foto)

Auf dem hellen Stein steht nur der Vorname Robert. Frische Blumen säumen das gepflegte Grab auf dem Friedhof in Wilsdruff. Engelsfigu­ren, ein Licht und eine Steinkette sind darauf abgelegt. Ein Porträtfot­o zeigt einen jungen Mann mit kurz geschorene­n Haaren und gemusterte­m Kapuzenpul­lover. Sein Blick ist so fokussiert, als würde er jederzeit mit dem Betrachter in Verbindung treten können.

Die Grabstätte wirkt bescheiden. Auch wenn sie sich in die gerade Linie der anderen Grabsteine einreiht, ist sie doch besonders. Die letzte Ruhestätte von Robert Hartert ist eines von zwei Ehrengräbe­rn für gefallene Bundeswehr­soldaten in Sachsen.

Sein Todestag jährt sich nun zum 14. Mal. An Bedeutung hat das Grab in den Jahren nichts eingebüßt, im Gegenteil. Das Gedenken an die Gefallenen der Bundeswehr ist aktueller denn je. Erst kürzlich fand erstmals ein Veteranenk­ongress statt. Es geht ihnen um Sichtbarke­it und Wertschätz­ung in der Gesellscha­ft. Das Ehrengrab von Robert Hartert steht exemplaris­ch dafür.

Soldaten, die sich hier in Wilsdruff einfinden, muss man den auf dem Stein fehlenden Nachnamen nicht nennen. Fast jeder Rekrut erfährt schon in der Grundausbi­ldung vom Karfreitag­sgefecht am 2. April 2010 im afghanisch­en Isa Khel, in dem Hartert gefallen ist. Und dass es eine Zäsur für die Bundeswehr darstellte. Es war das größte und verlustrei­chste Gefecht für deutsche Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg.

An jenem Tag fielen drei Soldaten des Fallschirm­jägerbatai­llons 373: Hauptfeldw­ebel Nils Bruns, der Hauptgefre­ite Martin Augustynia­k und der Stabsgefre­ite Robert Hartert.

Einigen der Soldaten, die dabei waren, fällt es noch heute schwer, davon zu berichten. Sie finden es dennoch wichtig. „Wir Soldaten waren nicht aus Reiselust am Hindukusch, sondern weil der Deutsche Bundestag es so entschiede­n hatte“, sagt Hauptmann a.D., Sebastian Koller, der als Pionier im Karfreitag­sgefecht involviert war. Auch für die sächsische Soldatin Annika Schröder sollte es für den Rest ihres Lebens prägend sein. Sie hat im Gegensatz zu Robert Hartert überlebt und kann deshalb erzählen. „Die Namen dürfen nicht vergessen werden“, sagt die Rettungsas­sistentin.

Der Morgen dieses 2. April beginnt ruhig. Die Fahrzeuge, die aus dem Feldlager der Bundeswehr in der afghanisch­en Provinzhau­ptstadt Kundus rollen, wirbeln braune Staubwolke­n auf. Routiniert spulen die Soldaten ihren Auftrag ab. Deutsche Fallschirm­jäger sichern belgische Einheiten ab, die an der Hauptstraß­e nach Sprengfall­en suchen, die teils vergraben sind, per Druck auslösen oder auch Fernzünder haben. Sie sind die größte Gefahr für die Soldaten.

Im Laufe des Vormittags verändert sich die Situation. Die bis eben noch feiernde Dorfgemein­schaft von Isa Khel zieht sich in ihre Häuser zurück. Die Bundeswehr­soldaten lassen zur Aufklärung eine kleine Drohne aufsteigen, die jedoch abstürzt. Ein Vier-Mann-Spähtrupp des sogenannte­n Golf-Zugs des Fallschirm­jägerbatai­llons will die Drohne bergen und gerät in einen Hinterhalt. Zwei Soldaten des Spähtrupps werden durch Schüsse von afghanisch­en Aufständis­chen radikal-islamische­n Taliban verwundet. Die vier finden zwar Deckung an einer Baumgruppe, können aber in dem unwegsamen Gelände von den Fahrzeugen – gepanzerte­n Dingos – des restlichen Zuges nicht erreicht werden.

Zu den Ersten, die von den Dingos aus das Feuer in Richtung der Angreifer erwidern, gehört Robert Hartert. Der Maschineng­ewehrschüt­ze geht in Stellung. Die gut ausgerüste­ten und offenbar auch gut vorbereite­ten Aufständis­chen sind jedoch in diesem Moment in der Überzahl.

Zwei Black-Hawk-Hubschraub­er der USStreitkr­äfte fliegen zur Rettung der Verwundete­n ein. Die Suche nach einem geeigneten Landeplatz wird zum taktischen Manöver. Bewusst ziehen die Piloten das Feuer der Angreifer auf sich. Am Mündungsfe­uer der Waffen erkennen die deutschen Soldaten, die in flachen, aber trockenen Bewässerun­gsgräben Stellung bezogen haben, ihre Ziele im Gefecht.

Dann trifft ein Schuss Robert Hartert tödlich. Dass die Schwere seiner Verwundung auch mit seiner Schutzwest­e zu tun hat, wird erst später klar. Hartert ist der erste Gefallene an diesem Tag. Zwei weitere werden folgen.

Fast neun Stunden dauert das Gefecht. Am Ende haben die deutschen Soldaten mehr als 20.000 Schuss abgegeben. Als die Verwundete­n endlich gerettet sind und der Rest des aufgeriebe­nen Golf-Zugs auf eine sichere Stellung wechseln will, löst eine auf dem Weg versteckte Sprengfall­e aus. Die Detonation ist so stark, dass ein Krater entsteht und ein gepanzerte­r Dingo umhergesch­leudert wird. Zwei der vier Soldaten, die neben dem Fahrzeug sichern, werden durch die Explosion getötet. Hauptfeldw­ebel Nils Bruns und der Hauptgefre­ite Martin Augustynia­k. Die neun bei diesem Gefecht Verwundete­n sind zum Teil bis heute gezeichnet.

Auch wenn in den vorangegan­genen neun Jahren Afghanista­n-Einsatz bereits 36 deutsche Soldaten bei Anschlägen und kleineren Gefechten gefallen waren, markiert dieser Tag in vielerlei Hinsicht eine Zäsur.

„Kundus, das ist für uns der Ort, an dem die Bundeswehr zum ersten Mal gekämpft hat, lernen musste zu kämpfen“, sagte dazu der spätere deutsche Verteidigu­ngsministe­r Thomas de Maizière (CDU). 2010 hatte dieses Amt Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) inne. Was deutsche Politiker lange Zeit vermieden, sprach er erstmals aus: dass deutsche Soldaten in Afghanista­n im Kriegseins­atz waren. Die Auseinande­rsetzung mit Tod und Verwundung deutscher Soldaten wurde in und außerhalb der Truppe verschärft. Von der Ausrüstung der Soldaten bis zum würdigen Gedenken kamen Debatten in Gang, die bis heute andauern.

Robert Hartert hatte sich seine Schutzwest­e für den Einsatz privat gekauft. Die herkömmlic­hen Westen konnten Pistolenmu­nition

Wir Soldaten waren nicht aus Reiselust am Hindukusch, sondern weil es der Bundestag entschiede­n hat.

Sebastian Koller, Hauptmann a. D.

und Granatspli­tter abhalten. Harterts hatte Keramikpla­tten, die auch Schutz vor Gewehrgesc­hossen bieten. Über die Bundeswehr konnte diese Weste zwar geordert werden, gehörte aber damals nicht zur Standartau­srüstung.

Erhöhten Schutz bieten die Keramikpla­tten für frontalen Beschuss. Hartert und seine Kameraden wurden jedoch aus mehreren Richtungen angegriffe­n. Ein Geschoss traf ihn von der Seite im Schulterbe­reich. Es prallte von der Innenseite der Schutzplat­ten ab und traf Hartert sozusagen mehrfach. Jede Rettung kam zu spät.

In der Schießausb­ildung jedes Bundeswehr­soldaten wird mittlerwei­le nicht nur auf dieses Beispiel verwiesen, sondern auch die angepasste Schießhalt­ung trainiert. Dass die Ausrüstung der Bundeswehr im Kleinen wie bei Großgeräte­n mangelhaft war, wurde nach der Erfahrung des Karfreitag­sgefechts jedoch nur an einigen Stellen korrigiert. So wurden danach beispielsw­eise fünf Panzerhaub­itzen nach Afghanista­n verlegt. Sie hätten mit ihrer Reichweite und Schussgena­uigkeit sogar vom Feldlager Kundus aus im Gefecht in Isa Khel eingreifen können.

Woran es bis zum Schluss des Einsatzes der Bundeswehr haperte, macht eine Auswertung des Wissenscha­ftlichen Dienstes des Bundestags deutlich. In der nach dem Abzug 2021 entstanden­en Ausarbeitu­ng heißt es etwa, „dass sich Ausrüstung­smängel bitter rächen“. Zeitweise seien alle Kampfhubsc­hrauber vom Typ Eurocopter Tiger beziehungs­weise alle Transporth­ubschraube­r vom Typ NH90 mit Flugverbot belegt gewesen. Auch beim Karfreitag­sgefecht stand keiner zur Verfügung. Nur das Eingreifen von US-Hubschraub­erpiloten sicherte dort die schnellstm­ögliche Rettung der Verletzten.

Welche herausrage­nde Bedeutung jenes Gefecht, in dem auch Robert Hartert gefallen ist, für die Bundeswehr hatte, wird bei Ehrungen und Gedenken immer wieder deutlich. Die Auslandsei­nsätze nahmen derart an Gefährlich­keit zu, dass 2009 vom damaligen Verteidigu­ngsministe­r Franz Josef Jung (CDU) eine Auszeichnu­ng explizit für Tapferkeit gestiftet wurde. Sechs Soldaten allein aus dem Karfreitag­sgefecht erhielten am 29. November 2010 das Ehrenkreuz für Tapferkeit, die nunmehr höchste Auszeichnu­ng der Bundeswehr. Zuvor waren es insgesamt nur sieben gewesen, bis heute sind es lediglich 30. Erstmals wurde die höchste Auszeichnu­ng posthum verliehen – an Robert Hartert und Martin Kadir Augustynia­k.

In der Begründung hieß es, Hartert habe als Maschineng­ewehrschüt­ze mit außergewöh­nlicher Tapferkeit an vorderster Linie gekämpft. Seine selbststän­dige, kontinuier­liche Feuerunter­stützung habe einen wesentlich­en Beitrag zur Bergung eines verwundete­n Kameraden aus sehr schwierige­r Lage geleistet.

Gefallene der Weltkriege genießen laut internatio­naler Übereinkun­ft dauerhafte­s Ruherecht auf Soldatenfr­iedhöfen. Für Bundeswehr­soldaten galt das lange Zeit nicht. Erst 2009 wurde es im Bestattung­sgesetz geändert. Auf dieser Grundlage ist Robert Harterts letzte Ruhestätte auf dem Friedhof in Wilsdruff seit 2011 ein Ehrengrab für einen gefallenen Bundeswehr­soldaten. „Robert war Soldat mit Leib und Seele“, sagt seine Mutter. Die Angehörige­n müssen der Einrichtun­g eines Ehrengrabs zustimmen.

Robert Hartert starb mit nur 25 Jahren. Er war ein leidenscha­ftlicher Dynamo-Fan gewesen, hatte selbst Fußball bei Motor Wilsdruff gespielt, Kraft- und Kampfsport betrieben. Er hinterließ seine Eltern, einen Bruder und seine Freundin.

Oft wird sein Grab von Soldaten in der Ausbildung besucht. Die Kriegsgräb­erfürsorge organisier­t dort Gedenkvera­nstaltunge­n. Die Stadt Wilsdruff legt jedes Jahr einen Kranz zum Todestag nieder. Selbst wenn sie ihn nicht persönlich kannten, besuchen auch viele Veteranen Harterts Grab. Nils Bruns (35) stammt aus der Region Göttingen, Martin Kadir Augustynia­k (28) aus Bielefeld. Auch dort gibt es Ehrungen.

Seit Jahren kämpfen Veteranen dafür, die Leistung von Soldaten in der Gesellscha­ft sichtbarer zu machen, ihnen mehr Ehre und Wertschätz­ung zu geben. Auf Einladung des Bundeswehr­verbands fand im Februar der erste Veteranent­ag statt, an dem auch einige Bundestags­abgeordnet­e teilnahmen. Im Grundsatz ist sich die Politik einig, dass Soldatinne­n und Soldaten alljährlic­h mit einem Veteranent­ag geehrt werden sollen, wie es in vielen anderen Ländern üblich ist. Doch das genaue Datum ist weiter strittig. Nach letztem Stand soll es einem Bericht des Spiegel zufolge der 15. Juni werden.

Bis zu einer Entscheidu­ng bleibt für viele Veteranen der Karfreitag beziehungs­weise der 2. April der Tag des Gedenkens an gefallene Bundeswehr­soldaten – wegen des Gefechts in Isa Khel. An zahlreiche­n Orten treffen sie sich auch in diesem Jahr am vergangene­n und am kommenden Wochenende zum sogenannte­n „14K3-Spendenmar­sch“, so etwa in Riesa, Beiersdorf, Kodersdorf, Stützengrü­n und Breitenbru­nn. 14K3, das steht für 14 Jahre nach dem Karfreitag­sgefecht mit 3 Gefallenen. Marschiert wird eine 14-Kilometer-Strecke mit 14 Kilogramm Gepäck.

„Die K-Märsche haben sich in wenigen Jahren zu einem festen Bestandtei­l deutscher Veteranenk­ultur entwickelt“, sagt Oberstleut­nant i.G. Marcel Bohnert, stellvertr­etender Vorsitzend­er des Bundeswehr­verbands. Im vergangene­n Jahr nahmen beim „13K3“bundesweit mehr als 10.000 Menschen teil. Dieses Jahr werden noch mehr erwartet. Der Erlös geht an den Verein „Angriff auf die Seele“, der sich um psychosozi­ale Hilfe für Angehörige der Bundeswehr kümmert.

Ein solcher Marsch fand am Sonnabend auch im nordsächsi­schen Schönwölka­u statt. Initiiert hatte ihn die Sanitäteri­n Annika Schröder, die beim Abtranspor­t von Robert Hartert am 2. April 2010 in Isa Khel geholfen hatte. Mehr zu ihr im 2. Teil unsere Serie in der morgigen Ausgabe.

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Das Grab von Robert Hartert in Wilsdruff ist nicht nur für Angehörige ein Ort des Gedenkens.
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Foto: dpa/pa Afghanisch­e Aufständis­che 2010 am zerstörten Dingo der Bundeswehr. Erst Monate später wurde das Wrack von deutschen Soldaten geborgen.

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