Casting bei Wagenknechts
Mitglied im Bündnis Sahra Wagenknecht zu werden, ist gar nicht so einfach. Die sächsische Parteichefin lädt zum Bewerbungsgespräch. Einen Mannschaftsarzt und einen Journalistikprofessor zum Beispiel. Wie baut man einen Parteikader? Wer wäre ein guter Mini
Er klang vielversprechend, ein Arzt, und nun sitzen sie hier und trinken Kaffee. Morgens um zehn im Starbucks im Leipziger Hauptbahnhof. Er heißt Klaus-Dieter Lübke Naberhaus und ist einer von vier Mannschaftsärzten der Handball-Nationalmannschaft der Frauen. Sie heißt Sabine Zimmermann, ist BSWChefin in Sachsen und zurzeit auch Headhunterin von Sahra Wagenknecht. Sie will ihm in die Augen schauen, zuhören, fühlen, ob es funkt. Sie legt die Brille auf den Tisch, wo schon ihr Handy liegt und ihr vollgeschriebener Kalender.
Die Wagenknecht-Partei steigt auf wie ein Popstar in den Charts. Im Moment wäre sie mit zehn Prozent drittstärkste Partei in Sachsen. CDU und AfD liegen beide um die 30 Prozent. Alle anderen kämpfen in Wahlumfragen zur Landtagswahl mit der Fünfprozentschwelle. Nicht ausgeschlossen, dass die Union die Wagenknecht-Partei zum Regieren braucht.
Aber wie baut man einen Parteikader? Wie wird man vom kleinen Start-up zur Regierungspartei? Und wie hält man die Irren draußen?
Sabine Zimmermann braucht Frauen und Männer, die Politiker werden könnten. Berater, Landtagsabgeordnete, Staatssekretäre, Minister. Für alle Fälle. Die Partei will jeden prüfen, bevor sie ihn aufnimmt. Parteigründungen zogen schon immer auch seltsame Leute an. Im Moment hat das BSW in Sachsen 65 Mitglieder und knapp 1.500 Unterstützer.
Es hängt zuerst von Sabine Zimmermann ab, welches Ende diese Geschichte nimmt. Seit Dezember fährt sie quer durch Sachsen und verabredet sich mit Leuten, die nette Mails an Zimmermanns Chefin geschrieben haben. Sie treffen sich in Cafés und arbeiten das Parteimanifest ab. So nennt Sabine Zimmermann die vier Punkte, nach denen sie die Gesinnung abklopft. Das sind Frieden, Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Meinungsfreiheit.
Auf diese Weise fand sie den Unternehmer Jörg Scheibe aus Lichtenwalde, mit dem sie zur Doppelspitze der Landespartei gewählt wurde. Mit einem Lehrer und einem Hochschulprofessor traf sie sich bei McDonald‘s, mit einer ehemaligen Linken und einem Automechaniker saß sie in Autobahnraststätten. Inzwischen macht sie nur noch einen kleinen Teil der Personalgespräche selbst. Zimmermann trifft die, die für Spitzenämter und Beraterposten taugen könnten.
Sie mustert Lübke Naberhaus. Grauer Bart, dunkelblaues Sakko, er könnte einen freundlichen Wikinger spielen. Seine Glatze glänzt. Sie mustert das Café, den Stuck, das große Glasdach. An solchen Orten beginnen alle möglichen Beziehungen. Das ist wohl die ungewöhnlichste.
Wir brauchen Experten. Die Kompetenz ist ja verloren gegangen.
Sabine Zimmermann, BSW-Vorsitzende in Sachsen
Zimmermann, 63, war eine der ersten in Sachsen, die sich als Wagenknecht-Anhängerin bekannt hatte. Nun zieht sie herum, um Gefährten zu suchen. Hunderte E-Mails kamen bei ihr an, weitergeleitet aus der Parteizentrale in ein Königswalder Einfamilienhaus im Grünen. Mails von Menschen aus Sachsen, die nun Politik machen wollen. Leute wie Zimmermann sitzen überall im Land. 16 Jahre war sie für die Linken im Bundestag.
Lübke Naberhaus kommt gerade vom Morgentraining aus der Turnhalle. Er hat einen Pott Kaffee mit Karamell vor sich stehen und sitzt ihr an einem kleinen, runden Tisch gegenüber. Man könnte sie für ein Paar auf der Durchreise halten. Bahnhofskundschaft.
Lübke Naberhaus hat alles Mögliche gemacht. Er hielt es nie lange auf demselben Posten aus. Es ging immer vorwärts. Bei Linked-In stehen 15 Ausbildungen in seiner Biografie. Bademeisterlehre in DuisburgRheinhausen, Medizinexamen in Duisburg-Essen, Facharzt für Chirurgie, Naturheilkunde, Sporthypnose. Er leitete Krankenhäuser. Zwei habe er schließen müssen. Heute hat er eine Privatpraxis in Leipzig und mache fast nur noch, was ihm gefalle. Führungskräfte coachen, Achtsamkeitsseminare geben, an Hochschulen dozieren, Psychotherapie. Lübke Naberhaus ist bei der Bundeswehr Oberfeldarzt der Reserve, hat eine Handballtrainerlizenz und organisierte ein Philosophiefestival.
„Sie sind ein Multitalent“, sagt Zimmermann. Er denke gern in Zusammenhängen, sagt Lübke Naberhaus etwas verlegen. Ein Netzwerker. Politisch aber heimatlos.
Lübke Naberhaus zog 2019 von Niedersachsen nach Leipzig, wo er Mannschaftsarzt der A-Nationalmannschaft wurde, und schaute sich wieder die SPD an, die früher einmal seine Partei war. Er verfolgte, was die Grünen machen, las Wahlprogramme bis zu den Kleinstparteien hinunter und konnte sich zur letzten Bundestagswahl nicht überwinden, überhaupt jemanden zu wählen.
Dann tauchte Sahra Wagenknecht auf. Lübke Naberhaus schrieb ihrem Bundestagsbüro im September, dass er sich gern einbringen würde. Niemand antwortete. Im Januar wünschte er ein frohes Neues und alles Gute für die Partei, die er gern mit aufbauen wolle. Dann meldete sich plötzlich eine Frau. Sabine Zimmermann.
Sie sitzen seit einer halben Stunde zusammen. Lübke Naberhaus hat über die leise Klaviermusik hinweggeredet. Er hat gesagt, dass Deutschland eine Bundeswehr brauche, solange die Welt ist, wie sie ist. Zimmermann hielt nie etwas von Waffen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht, sagt sie, wolle prinzipiell den Frieden und sich für Verhandlungen mit Putin einsetzen. Lübke Naberhaus schweigt. Dann sagt er, Frieden auf der Welt wäre ein schönes Ziel. Zum ersten Mal beißt er in sein Käsecroissant.
Sie setzt die Brille auf. Zimmermann muss überlegen. Wichtig sei, ihn einzuordnen, sagt sie, als sie überlegt hat. Wie alle anderen, die E-Mails schreiben. „Wir brauchen Experten. Die Kompetenz ist ja verloren gegangen.“Man könne alles Mögliche machen in einer Partei. Plakate aufhängen, beraten, für Parlamente kandidieren.
Lübke Naberhaus sagt, er könne zu Gesundheit, Bildung und Verteidigung beraten. Das könne er sich gut vorstellen. Er könne sich auch vorstellen, was sie am Telefon erwähnt habe. Dass er jemand für die Landesliste wäre. Warum nicht? Die Landesliste ist der Heilige Gral. Darauf werden die stehen, mit denen das BSW für den Landtag kandidieren wird. Das Ganze abgesegnet von Sahra und gewählt zum Parteitreffen, das Ende April stattfinden soll.
Zimmermann wird ihn in eine ihrer vielen Whatsapp-Gruppen aufnehmen und an die Regionalgruppe vermitteln. Er wäre ein guter Gesundheitsexperte, wird sie später sagen. „Fachlich top.“
Draußen vor dem Hauptbahnhof schläft ein Mann auf dem Boden. Neben ihm stehen zwei ausgetrunkene Sternburg Pils. Auch wegen ihm macht Zimmermann das alles. Wegen ihm und allen anderen, die auf Straßen schlafen und in Suppenküchen essen. Als sie im Bundestag saß, hat sie Suppenküchen besucht, Geschichten vom Scheitern gehört und überlegt, warum die Welt so ist, wie sie ist. Sie fand noch keine Antwort.
Die meisten, die sich beworben haben, sind Männer. Zimmermann hätte sich mehr Frauen gewünscht. Stattdessen trifft sie vor allem Männer ab 40 aus der oberen Mittelschicht. Die Generation Tagesschau, die mit der Politik fremdelt. Sie haben ihre Karrieren gemacht und trauen sich den Politikzirkus zu. Lehrer, Professoren, Ärzte, Unternehmer, etliche aus dem öffentlichen Dienst, ein paar Bürgermeister. Ein Regisseur, ein Dirigent, ein Richter, ein Intendant.
Den Intendanten hätte Zimmermann gern vorn auf der Landesliste. Mit seinem Namen will sie erst später herausgehen.
Drei Wochen später, als der Mannschaftsarzt Lübke Naberhaus vorübergehend wieder in sein Leben verschwunden ist, sitzt Sabine Zimmermann wieder mit einem fremden Mann in einem Café. Diesmal in Zwickau. Das Galerie-Café liegt etwas abseits und hat alles, was Zimmermann braucht. Bequeme Stühle und ruhige Ecken. Es ist Mittag, und außer ihnen und einer älteren Dame ist niemand hier. Sie sitzen am Fenster. Sie in orangefarbener Fleecejacke, Jeans und Turnschuhen, er mit hellblauem Hemd und schwarzem Sakko.
Er ist Journalistikprofessor und will anonym bleiben. Zimmermann holte ihn vom Bahnhof ab, sie fuhren in die Stadt, und als sie aus dem Auto stiegen, waren sie beim Du. Er hatte sie gefragt, obwohl er ein bisschen jünger ist als sie. An der Wand hinter dem Professor hängt ein auf Leinwand gemaltes Herz, in dem „Dream Big“steht. Träum groß. Als wäre das extra für sie aufgehängt worden.
Der Professor stammt aus dem Westen. Er stellt sich als Sohn einer Kinderkrankenschwester und eines Maurermeisters vor. Als Student habe er zu den Besten gehört und ein Stipendium für Harvard bekommen. Er hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag und ist Schiedsrichterlehrwart im Handball.
Ein Arbeitersohn, der in der SPD war. Aber er sei ausgetreten, weil die Partei die sozialen Realitäten nicht mehr wahrnehme. So sagt er das. Der schlafende SterniTrinker draußen ist auch eine soziale Realität, an der alle vorbeilaufen. Der Professor sagt, dass er auf Empfehlung des ehemaligen Düsseldorfer Oberbürgermeisters Thomas Geisel komme. Der hatte ebenfalls ein Harvard-Stipendium. Im Januar war Geisel ins BSW diffundiert. Kurz danach trafen sie sich. Geisel habe Zimmermann angerufen und vom Professor erzählt.
Er nimmt einen Schluck Apfelschorle. Er kann sich das alles vorstellen. Er sagt nicht mehr Sahra Wagenknecht, sondern einfach Sahra. „Was ihr macht, kann die Republik verändern“, sagt er.
Zimmermann seufzt. Es ist viel Arbeit. Sie reden über Russland, Putin und den Frieden. In jedem dieser Gespräche jongliert sich Sabine Zimmerman durch die Weltpolitik und tastet ab, wer zu ihnen passt. Im Kopf besetzt sie Posten, die besetzt werden müssten. Häuptlinge und Indianer.
Ein Pärchen sitzt am Nachbartisch, die alte Dame isst Kuchen, der Professor ist beim Thema Migration angekommen. Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden, ohne falsch verstanden zu werden. Migration, sagt er, müsse besser gesteuert werden, um Migranten gut zu integrieren. Das müsse man sagen dürfen, ohne als Rassist zu gelten. „Ich bin ein international sozialisierter Mensch“, sagt der Professor.
Das Framing ist sein Spezialthema. Man sagt etwas und wird in eine Schublade gesteckt. Oder man sagt nichts und wird trotzdem in eine Schublade gesteckt. Sahra werde zum Beispiel als Putin-Versteherin und Migrationsgegnerin in Schubladen geschoben, wo sie dann neben der AfD aufbewahrt werde. Der Professor findet, Journalisten werten zu oft herum. Allein in Texten über Sahra lese er ständig: die umstrittene Politikerin. Neulich schrieb er für eine große Zeitung einen Text über Framing in den Medien.
Der Professor war einmal selbst ein schwieriges Thema in den Medien. Es ist Jahre her und zog sich lange hin. Alle großen Blätter berichteten. Spiegel, Zeit, Süddeutsche. Es begann mit einem eskalierten Streit zwischen ihm und Studenten und zog Kreise. Eine Zeitung zitierte einen anderen Professor damit, wegen ihm graue Haare bekommen zu haben.
Aber was bedeuten alte Geschichten? Es gab schon bei den Grünen alte Geschichten. Joschka Fischer warf auf Demos Steine, prügelte gegen Polizisten und wurde trotzdem Vizekanzler. Damals war die Welt eine andere. Vielleicht musste man damals nicht so vorsichtig sein wie heute. Es gab noch kein Google und kein Netz voller alter Geschichten.
Der Professor blickt jetzt von ganz oben auf das ganze politische Schlachtfeld. Er landet ganz unten, in einem Vakuum mittendrin. Dort, sagt er, platziere sich gerade das BSW.
„Wie ist das Verhältnis zu den Linken?“, fragt er.
„Es gibt keins“, sagt sie.
Auch das ganze Gendern habe dazu geführt, sie sind sich einig. Das BSW muss über den Sommer ein Landtagswahlprogramm zusammenbauen. Es soll etwas über Bildung, Gesundheitswesen, Wirtschaftspolitik für Mittelständler und Kleinunternehmer rein. Zimmermann sagt, sie sitze fast täglich in Parteimeetings. Sie ist jetzt Betriebsleiterin, die mit einer bunten Truppe aus Quereinsteigern und Wechslern einen großen Auftrag an Land ziehen will.
„Es war ein gutes Gespräch“, sagt sie und winkt dem Kellner. Jeder zahlt für sich. Zimmermann wird wieder in dieses Café kommen. Sie wird wieder Fragen stellen. Manchmal überlegt sie, was das Personal von ihr denkt. Sie kreuze ständig mit anderen Männern auf. Vielleicht hält man sie für jemanden aus einem Datingportal für Silver-Ager. (FP)